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Andorra und die KiTa - Warum ein frischer Anstrich nicht alle Probleme löst!
Heute kam wieder so ein ansprechender Flyer mit der Post. In bunten Farben liegt er vor mir. Ein Fortbildungsflyer, der mir mal wieder verspricht, dass sich die Qualität der pädagogischen Arbeit leicht und schnell verbessern lässt. Ein oder zwei Tage Fortbildung und dann die Inhalte ins Team transportiert, damit wir sofort loslegen können. Alles easy, du musst es nur wollen, liebe KiTa- Fachkraft. Und alles wird gut!
Max Frisch lässt grüßen. In seinem Roman „Andorra“ streichen die Bewohner regelmäßig ihre Häuser in blendendem Weiß, und achten sorgfältig darauf, dass niemand hinter die Fassade blickt. So sieht niemand die Probleme und Abgründe dahinter. Dieses Bild passt auch auf unserer KiTa-System.
Deine KiTa hat drinnen wenig Platz und im Außengelände noch weniger? Kein Problem, du musst nur dich und dein Team fortbilden! Ihr bekommt dann sogar eine Urkunde und Aufkleber für die Eingangstüren, denn ihr seid nun „Bewegungs- KiTa.“ Das hört sich sportlich an, und große Kindergruppen auf engem Raum lassen sich gleich viel besser ertragen.
Als Qualitätsbeauftragte stehe ich gerade mitten im Prozess eines Qualitätsmanagements und sehe immer deutlicher und klarer, wie groß die Diskrepanz zwischen den berechtigten Qualitätsansprüchen an das frühkindliche Bildungssystem und den tatsächlichen Rahmenbedingungen vor Ort ist.
Was nutzt mir die hochwertigste Weiterbildung zum Thema Sprachförderung, wenn es im hektischen Alltag als ErzieherIn oft nicht möglich ist, mit den Kindern Erlebnisse auszutauschen, Ideen zu entwickeln, Nachzudenken oder nach Lösungen zu suchen?
Im Schrank stehen Forscherkisten mit kindgerechtem Material für naturwissenschaftliche Experimente. Wir haben auch fortgebildete Erzieher*innen, die darauf brennen, mit den Kindern in diesem Bereich spannende Erfahrungen zu machen. Genügend Raum und Personal, um Kleingruppen zu bilden und mit den Kindern konzentriert zu arbeiten, steht aber meistens nicht zur Verfügung.
Auch Umbaumaßnahmen zur Barrierefreiheit sind nur Fassade, wenn Gruppengrößen und Personalschlüssel nicht so angepasst werden, dass eine inklusive Pädagogik allen Kindern mit und ohne Förderbedarf Rechnung trägt.
Es gibt viele solcher Beispiele. Wir verwenden, um im Bild zu bleiben, raue Mengen weißer Farbe, damit nach außen alles prima aussieht. Der Alltag spielt sich aber hinter der Fassade ab.
Wenn wir da ehrlich hinschauen, ist vieles nicht gut. Die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch. Alle OECD Studien zur frühkindlichen Bildung, alle Wissenschaftler, die sich mit dem Thema KiTa-Qualität beschäftigen und alle Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung zum Thema kommen zum gleichen Schluss. Unser KiTa-System hat gravierende Mängel und wir brauchen dringend Personalschlüssel und Gruppengrößen, die wissenschaftlich begründeten Mindestanforderungen entsprechen. Dass wir davon weit entfernt sind, darüber können auch bildlich gesprochen viele Eimer strahlend weißer Farbe nicht hinwegtäuschen.
Und nein - ich werde keine Entspannungsfortbildung oder eine Weiterbildung für positives Denken buchen, um besser mit den Missständen zurechtzukommen. Ich fordere, dass sich endlich etwas ändert!
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Kommentare (6)
An alle Mitarbeitenden in den Kitas der Republik ein von Herzen kommendes Dankeschön und ein ebenso von Herzen kommendes „Wie schafft ihr das bloß?“
Ich bin von Beruf Lehrerin an der weiterführenden Schule, an der wir auch mit Personalnotstand und anderen Widrigkeiten kämpfen. Auch uns wird immer wieder erzählt, dass wir nur unsere Einstellung ändern müssen, dann wird alles super. Aber wenigstens sind die uns anvertrauten Kinder schon ein bisschen größer, autonomer und stärker als die kleinen Wesen in den Kitas.
Als Großmutter blutet mir das Herz, wenn ich von den desolaten Zuständen höre, die in der Einrichtung herrschen, die mein Enkelkind besucht. Leider wohne ich 200 km weit weg und kann im Normalfall nicht einspringen. Es erschüttert mich auch sehr der eklatante Unterschied zu der Betreuung, die meine Tochter als Kleinkind erhalten hat - 1000% besser! Das war in den frühen 1990er Jahren. Die Versäumnisse der Verantwortlichen seitdem sind unglaublich. Wenn ich noch einmal von einem von denen hören muss, dass „die Kinder unsere Zukunft sind und das Wertvollste, was wir haben“, übergebe ich mich. Kaputt gespart und im Stich gelassen wird „das Wertvollste, was wir haben“. Ich habe hier vorhin etwas von Sponsoring gelesen, das suche ich wieder, denn ich möchte meine Unterstützung bekunden. Allen Erzieherinnen und Erziehern in der frühkindlichen Betreuung meine allergrößte Hochachtung! Oma Ingrid
Danke für die Klarstellung. Bestimmt lag es daran, dass sich so extrem selten Erzieherinnen politisch engagieren, dass ich gedacht habe, du wärst Kindergartenleitung. Leitungen sind durch ihre regelmäßigen Treffen zwar besser vernetzt, aber gerade zur Zeit stehen sie unter einer enormen Arbeitsbelastung.
Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie der Verein finanziell unterstützt werden könnte? Wenn ich bedenke, dass vor circa zwanzig Jahren das Familienministerium großzügig Seminare für junge Autoren anlässlich der Frankfurter Buchmesse unterstützt hat, finde ich, dass ihr erst recht unterstützt werden solltet. Eine unverbindliche Anfrage bei verschiedenen Stellen kann nicht schaden. Dann werdet ihr auch schon mal schneller bekannt.
Bei dieser ganzen unsäglichen Gesamtsituation für Erzieherinnen und für die Kinder sollte auch im Blick behalten werden, dass gerade die OECD Studien zur frühkindlichen Bildung und die ganzen Wissenschaftler, die sich mit dem Thema KiTa-Qualität beschäftigen sowie die Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung zum Thema einen großen Teil des Drucks auf euch ausmachen. Dazu gehört auch folgendes: Es gibt immer mehr pädagogische Experten, die sich Konzepte überlegen müssen, damit sie ihre wiss. Karriere voran treiben können. Ob das Ganze für die Praxis sinnvoll ist, bleibt die nicht geklärte Frage. Es gibt also viele Gründe, Weiterbildungen sehr skeptisch zu sehen.
...ja, nach vielen Jahren, in denen die Bedingungen schwieriger und die Anforderungen an unsere pädagogische Arbeit höher wurden, kann ich es auch kaum noch ertragen, wenn uns in Fortbildungen gesagt wird: „...auf die Einstellung kommt es an, dann sieht gleich alles besser aus, es sind ja gar nicht die schlechten Rahmenbedingungen...“
Referentinnen „bauen mittlerweile schon vor“, für das „ABER“, welches aus der Praxis kommt.
Ich arbeite immer noch sehr gerne mit und für Kinder. Mir widerstrebt es, Kinder auf später zu vertrösten... Ich möchte durchgängig gute Arbeit leisten, in der sich die („gute“) Theorie mit der praktischen Arbeit vor Ort deckt. Leider besitze ich weder eine Wunderlampe, noch einen Zauberstab...
Übrigens leiste ich, im Rahmen meiner Möglichkeiten, sehr wohl gute Arbeit...woran ich das fest mache? --> die Kinder fühlen sich offensichtlich geborgen und haben Freude am Entdecken.
Es ist nicht in Ordnung, dass wir uns selbst ausbeuten müssen, um einigermaßen den Standart aufrecht zu erhalten. Und das bereits über Jahre!
Zu lange schon, geht es um eine „ansprechende Verpackung“ (Anstrich), aber ist der „Inhalt“ nicht wichtiger?
Qualität bedeutet in der Bildungs- und Erziehungsarbeit: Gut ausgebildete Menschen mit Herz+ Zeit!
Wir brauchen keine weiteren Studien und Statistiken. Es wäre schon prima, wenn das vorhandene Wissen umgesetzt würde.
Übrigens, welche Überraschung, kann keine Erzieherin alleine arbeiten. Wir arbeiten im Team. Und diese „Teamarbeit“ leidet, wenn wir zu wenige „Menschen“ sind und kaum Zeit für Reflexion, Austausch und Planung haben.
Herzliche Grüße an alle Kolleginnen da draußen, schön, dass es euch gibt. Passt auf euch auf!
Vielen Dank für Deinen Zuspruch, liebe Angelika! Ja, der Gründungstermin rückt näher und wir arbeiten an unserem Webauftritt. Ich hoffe sehr, dass die KiTa-Fachkräfte in RLP durch den Verband eine öffentliche Stimme bekommen. Bis jetzt ist das allerdings noch richtige Pionierarbeit. Ich bin aber keine Leitung, sondern nur Erzieherin und Qualitätsbeauftragte meiner KiTa. Ich bin sehr gespannt, wohin sich das alles entwickelt. Der Unmut der Erzieherinnen in RLP ist auch angesichts des neuen KiTa-Gesetzes groß. Das hilft hoffentlich, aktiv zu werden, die Missstände beim Namen zu nennen und sich für Verbesserungen einzusetzen. Herzliche Grüße Claudia
Liebe Claudia!
Eine stimmige Geschichte mit einem Bild, dass man nicht vergisst. Der Forderung, dass sich endlich etwas ändern muss, schließe ich mich gern an. Ich fände es prima, wenn Erzieherinnen entbehrliche Plaketten abschrauben und verschrotten würden. Warum sollten wir uns zum Punkte sammeln für Evaluationen, Zertifizierungen und Rezertifizierungen drangsalieren lassen? - Doch nur damit etwas adrett übertüncht wird, was im Ist-Zustand nicht nüchtern gesehen werden soll.
Jetzt werden sogar schon verzweifelt "Alltagshelfer" für Kitas gesucht. Ausgerechnet jetzt sollen noch mehr Ungelernte in Kitas zum Einsatz kommen. Und wir sollen dafür auch noch dankbar sein und vor der Lokalpresse bekunden, wie gut alles klappt. Für jeden Ungelernten wird es ein paar Pünktchen oder Sternchen geben... Nein danke!
Wir bräuchten in jedem Bundesland Kindergartenleiterinnen, die wie du den Anfang machen, Claudia!
Viel Erfolg für den Verband und alle Pläne, die du noch hast!
Angelika