Aufsichtspflicht
Den folgenden Beitrag haben wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages das netz übernommen. Er ist erschienen im Krippenlexikon - von Abenteuer bis Zuversicht, in dem alle Beiträge von Gerlinde Lill verantwortet werden.
Ein leidiges Thema und nicht selten ein Konfliktpunkt zwischen Erzieherinnen und Eltern.
Geht es darum, Kinder loszulassen und ihre mutigen
Unternehmungen nicht zu stoppen, wendet garantiert jemand ein: „Wir würden ja,
aber die Eltern…“ Spätestens dann kommt die Aufsichtspflicht ins Spiel. Doch
oft verbergen sich dahinter eigene Ängste. Denn die Aufsichtspflicht besagt
mitnichten, dass klettern und rennen, Stufen erklimmen, schaukeln oder mit
Messer und Gabel hantieren auszuschalten sind. Im Gegenteil.
So viel steht fest: Wer alle Gefahren in den frühen Jahren ausschalten will, behindert Entwicklung und provoziert größere Katastrophen in späteren Zeiten. Es geht mitnichten um permanente Draufsicht und Bewachung, wie Erzieherinnen vermuten. Eltern denken das ebenfalls – und setzen Erzieherinnen unter Druck, sobald ihr Kind eine Beule oder eine andere Blessur hat.
Der Gesetzgeber weiß es besser: Die Kita soll Erfahrungen ermöglichen. Die Aufsichtspflicht ist dem Bildungsauftrag nachgeordnet.
„Pädagogik soll Selbständigkeit anstreben. Diese besteht weitestgehend in der Wahrnehmung von Verantwortung gegenüber sich selbst und anderen. Verantwortung heißt, für eigenes Tun einzustehen. Damit niemand sich damit übernimmt, werden entsprechende Kompetenzen und Eigenkontrolle benötigt. Selbstständigkeit ist nichts anderes als die Aufsicht über sich selbst!“ [1] Mehr muss man dazu nicht sagen.
Entscheidend ist, dass wir Erwachsene uns verantwortlich verhalten. Das bedeutet, dass wir die Kinder in ihren Fähigkeiten und Verhaltensweisen kennen und ihnen individuell angemessene Handlungsfreiräume verschaffen. Mit zunehmendem Alter und wachsender Sicherheit der Kinder sollen diese Freiräume ebenfalls wachsen. Doch letztlich sind die Erfahrungshintergründe, die Voraussetzungen und aktuellen Befindlichkeiten jedes einzelnen Kindes ausschlaggebend für die Entscheidung: Wem kann ich was zutrauen? Welche Konstellationen sind erfahrungsgemäß schwierig? In welcher Verfassung ist ein Kind?
Hilfreich ist es, wenn das Team einen gemeinsamen konzeptionellen Rahmen entwickelt hat, in dem es sein Bildungsverständnis und die Bedeutung eigenständiger Aktionsmöglichkeiten der Kinder begründet und regelt, welche Erwachsenen sich wann wo aufhalten und in diesem Bereich verantwortlich sind.
Mit älteren Kindern kann man Verabredungen treffen und klar machen: Sich daran zu halten ist Voraussetzung, Freiräume zu behalten.
[1] Prott, R.: Rechtshandbuch für Erzieherinnen.
Luchterhand, Neuwied 1999, Seite 105