Aufstieg in der Kita - Abstieg in der Schule?
Die Frühpädagogik bemüht sich, allen Kindern die Chance zu einer bestmöglichen Entwicklung zu bieten. Aber auch die kompetentesten ErzieherInnen, die qualifiziertesten akademischen Fachkräfte und die besten WeiterbildnerInnen können das, was nach der Kita kommt, im Vorhinein nicht kompensieren. Im letzten Jahr mussten wir erfahren, wie die Bemühungen der Frühpädagogik häufig durch die Schule und Ausbildungsinstanzen konterkariert werden. Dazu seien die Ergebnisse aus zwei Forschungsprojekten angeführt.
Der eine Forschungsbericht stammt von der Bertelsmann-Stiftung und stellt fest, dass mehr als doppelt so viele SchülerInnen von einer höheren Schulform zu einer niedrigeren ab- als aufsteigen. Konkret heißt dies z.B.: Ein Schüler in der Realschule hat eine doppelt so große „Chance“, in die Hauptschule abgeschoben zu werden, als ins Gymnasium zu kommen.
Unsere Schulen ermöglichen also nicht durchgängig die soziale Mobilität nach oben, die wir in den Kitas zu fördern versuchen. Jutta Allmendinger hat den Weg von vier Kindern, die in die Schule kommen, beschrieben und diese traurige Tatsache an Beispielen konkretisiert. Der Bericht ist erschütternd, weil er zeigt, dass die Kinder trotz großer eigener Fähigkeiten und Bemühungen nicht die gleichen Chancen in der Schule haben. Und dies hat natürlich Auswirkungen bis ins Erwachsenenleben.
Der zweite Bericht, der hier nachdenklich stimmt, kommt aus dem Hause der OECD (Organization for Economic Co-operation and Development) und erschien ebenfalls im Oktober des abgelaufenen Jahres. Dort heißt es, dass Kinder im Vergleich mit ihren Eltern in Deutschland eher einen niedrigeren Bildungsstand erreichen als einen höheren. In Zahlen ausgedrückt:
„20 % der jungen Erwachsenen erreichen in Deutschland ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern, wesentlich weniger als im OECD-Durchschnitt (37 %). 22 % der jungen Erwachsenen beenden ihre Ausbildung mit einem niedrigeren Bildungsabschluss als ihre Eltern, mehr als im OECD-Durchschnitt (13 %).“ (http://www.oecd.org/berlin/EAG2012%20-%20Country%20note%20-%20Germany_with%20KF_Final_GER.pdf).
Soziale Mobilität nach oben ist ein wichtiger Kitt in einer Gesellschaft. Wer weiß, dass sich Anstrengung lohnt, wird sich bemühen. Wer jedoch den Eindruck bekommt, dass die eigenen Anstrengungen keinen ausreichenden Erfolg haben, wird sich irgendwann resigniert zurücklehnen. Oder aber mit zusammengebissenen Zähnen eine Tätigkeit ausüben, die ihn/sie krank macht, weil die Motivation und die Freude an der Arbeit fehlen.
Die Bildungsprogramme der Länder für die Kindertageseinrichtungen versprechen gleiche Chancen für alle Kinder. Fachkräfte in der Frühpädagogik strengen sich redlich an, die sozialen Unterschiede zwischen den Kindern nicht schon im Kindergartenalter virulent werden zu lassen. Das Programm Frühe Hilfen ist bemüht, benachteiligte Kinder zu fördern, um ihnen ausreichende Bildungschancen zu geben. Aber ganz offenbar sind in der Schule und im Ausbildungssystem Dynamiken am Werk, die den Aufstieg eher behindern als den Abstieg. Was kann die Frühpädagogik dagegen tun?
Am Schnittpunkt zur Schule könnte die Frühpädagogik immer wieder auf Mechanismen in der Schule hinweisen, die Kindern den Aufstieg schwer machen. Das Selbstbewusstsein frühpädagogischer Fachkräfte sollte allmählich so stark sein, Kritik an den Strukturen zu üben, die den langfristigen Erfolg der Frühpädagogik gefährden. Umsetzen können die frühpädagogischen Fachkräfte ihre Erkenntnisse außerhalb der Kita leider nicht. Aber Träger und politisch Verantwortliche sollten ihren Blick auf die Mängel der angeblichen Leistungsgesellschaft richten, damit die Anstrengungen der Frühpädagogik sich lohnen.
Die Autorin ist Chefredakteurin von www.ErzieherIn.de
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