
Ist 1+1 doch gleich 2? BAG entscheidet zur Eingruppierung einer Kindertagesstättenleiterin, die zwei KiTas leitet
- Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin. Die beklagte Samtgemeinde unterhält sieben Kindertagesstätten in eigener Trägerschaft und betreut diese nach einem einheitlichen Konzept. Die Klägerin ist seit 1991 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Leiterin von Kindertagesstätten. Kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit galt für das Arbeitsverhältnis zunächst der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und gilt nunmehr der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der Fassung für die Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber (TVöD/VKA).
Die Klägerin wurde zuletzt nach der Entgeltgruppe 9, Stufe 6 TVöD/VKA vergütet. Bis zum 31.10.2006 leitete die Klägerin die Kindertagesstätte „Zwergenland" in E, in der 39 Kinder betreut werden. Zusätzlich wurde ihr ab dem 01.11.2006 die Leitung der Kindertagesstätte „Im Wald" in V übertragen, in der im Zeitraum vom 01.10.2008 bis zum 31.12.2008 durchschnittlich 90 gleichzeitig belegbare Plätze vorhanden und vergeben waren. Für die Leitung der beiden Kindertagesstätten stehen insgesamt 36 der 39 Stunden der tarifvertraglichen Wochenarbeitszeit der Klägerin - proportional aufgeteilt pro Einrichtung - zur Verfügung, da weitere drei Wochenstunden für eine Tagespflege angesetzt sind, die nicht mit der ihr übertragenen Leitungstätigkeit zusammenhängt. Die beiden Kindertagesstätten werden haushaltsrechtlich, organisatorisch und personell - mit Ausnahme der Leitungsposition - getrennt behandelt.
„Bis zum 31.10.2006 leitete die Klägerin die Kindertagesstätte „Zwergenland" in E, […]. Zusätzlich wurde ihr ab dem 01.11.2006 die Leitung der Kindertagesstätte „Im Wald" in V übertragen.“
Für beide Kindertagesstätten werden gemeinsame Veranstaltungen und in zeitlichen Abständen gemeinsame Dienstbesprechungen durchgeführt. Die Klägerin gibt für beide Kindertagesstätten die Teamführung und die Schwerpunktbildung in der pädagogischen Arbeit einheitlich vor. Für beide Einrichtungen bestehen einheitliche Handlungsleitlinien und Standards für die Eingewöhnung der Kinder.
Die Klägerin hat für die Zeit ab dem 01.01.2009 ein Entgelt nach der Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA i.V.m. der VergGr. IVb Fallgr. 4 der Vergütungsordnung (VKA) Anlage 1a zum BAT - Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst - verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Leitungstätigkeit für die beiden Kindertagesstätten sei ein einheitlicher Arbeitsvorgang.
Die Betreuungsplätze der Einrichtungen „Im Wald" und „Zwergenland" seien zusammenzurechnen. Neben dem Wortlaut spreche für die Zusammenrechnung auch der Sinn und Zweck der Tarifvorschriften. Die Tarifvertragsparteien hätten den Grad der Verantwortung nach der Zahl der zu betreuenden Kinder bemessen wollen. Die Klägerin hat zuletzt beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr mit Wirkung ab dem 01.01.2009 die monatlichen Vergütungsdifferenzen zwischen der Entgeltgruppe 9 und der Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Fälligkeit zu zahlen.
„Die Klägerin gibt für beide Kindertagesstätten die Teamführung und die Schwerpunktbildung in der pädagogischen Arbeit einheitlich vor.“
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Leitung zweier Kindertagesstätten seien zwei selbstständig zu bewertende Arbeitsvorgänge. Eine Zusammenrechnung von Betreuungsplätzen verschiedener Einrichtungen sei tariflich nicht vorgesehen. Bereits der Wortlaut der VergGr. IVb Fallgr. 4 BAT und die Protokollnotizen sprächen für eine isolierte Erhebung der Durchschnittsbelegung jeder Einrichtung. Abgestellt werde allein auf die Leitung der Einrichtung „Kindertagesstätte" und nicht etwa auf die Verantwortung im Zusammenhang mit einer bestimmten Anzahl von Kindertagesstättenplätzen.
Das Arbeitsgericht[1] hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen[2]. Mit der vom LAG zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils im Rahmen ihres zuletzt gestellten Antrages. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidung
Das BAG[3] gibt der Klägerin Recht. Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin die Voraussetzungen der einschlägigen Vergütungsgruppe (Leiterin von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mind. 100 Plätzen) erfüllt. Es könne offen bleiben, ob es sich bei der Leitung der beiden Kindertagesstätten um zwei Arbeitsvorgänge nach § 22 BAT handele, denn das tarifliche Tätigkeitsmerkmal sei schon aufgrund der notwendigen Zusammenfassung der beiden Leitungstätigkeiten erfüllt. Das BAG stellt dabei darauf ab, dass schon nach dem Wortlaut der tariflichen Vorschriften die Funktion der Leitung einer Kindertagesstätte grundsätzlich als einheitlicher Arbeitsvorgang anzusehen sei. Selbst bei Vorliegen zweier getrennter Arbeitsvorgänge sei die Tätigkeit der Klägerin tariflich einheitlich zu bewerten. Kann die Erfüllung einer tariflichen Anforderung erst bei Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden, sei – so das Gericht – nach dem Willen der Tarifvertragsparteien erforderlichenfalls die gesamte Tätigkeit des Beschäftigten, also die Summe aller Arbeitsvorgänge, zu überprüfen. Die Voraussetzungen für eine zusammenfassende Betrachtung der beiden Leitungstätigkeiten der Klägerin lägen hier vor.
Nach der Ansicht des BAG knüpft der Tarifwortlaut der Entgeltstaffelung bei der Leitung von Kindertagesstätten ausschließlich an die Zahl der vergebenen Plätze an. Weitere Kriterien, wie z.B. die Zahl der unterstellten Mitarbeiter, bestimmte erforderliche Qualifikationen oder die Schwierigkeit der Tätigkeit seien in der Tarifnorm gar nicht angeführt. Deswegen sei es gerechtfertigt, die gleichzeitige Leitung zweier Kindertagesstätten tariflich einheitlich anhand der Gesamtkinderzahl zu bewerten. Die Klägerin erfülle so das Tätigkeitsmerkmal der höheren Vergütungsgruppe.
„Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin die Voraussetzungen der einschlägigen Vergütungsgruppe (Leiterin von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mind. 100 Plätzen) erfüllt.“
Auswirkungen für die KiTa-Praxis
„Dass es zu diesem Prozess kommen konnte, ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass die Formulierung im Tarifvertrag durchaus mehrdeutig und damit auch im Sinne der Klägerin zu verstehen war. … Will man solche Prozesse vermeiden, so ist es vor allem den Tarifvertragsparteien der Wunsch ans Herz zu legen, ihre Regelwerke so eindeutig wie möglich zu formulieren!“ Mit diesen Worten hatte der Autor dieses Beitrags die Kommentierung der vorinstanzlichen Entscheidung des LAG Niedersachsen zusammengefasst[4], ohne zu ahnen, dass die Mehrdeutigkeit tariflicher Regelungen auch in der Revisionsinstanz nochmals ausschlaggebend sein würde (dort dann aber mit ganz anderen Vorzeichen).
Hatte das LAG noch damit argumentiert, dass im Falle der der Leitung mehrerer KiTas durch einen Arbeitnehmer für die tarif-rechtliche Eingruppierung die Zahl der belegbaren Plätze nur in ganz seltenen Ausnahmefällen zu addieren sei, in allen anderen Fällen die Leitung jeder einzelnen KiTa ein für sich vollkommen abgeschlossener Arbeitsvorgang sei, weil es allein auf die qualitativen Kriterien ankomme, nicht dagegen auf die rein quantitativen Merkmale, so sagt das BAG nun exakt das Gegenteil! Das BAG führt aus: „Nach dem Tarifwortlaut knüpft die Entgeltstaffelung bei der Leitung von Kindertagesstätten ausschließlich an die Zahl der vergebenen Plätze an, nämlich an die Durchschnittsbelegung einer Mindestzahl von Plätzen im letzten Quartal des Vorjahres…Die Tarifvertragsparteien gehen mit ihrer pauschalierten Betrachtungsweise davon aus, dass die Anforderungen an die Leitung einer Kindertagesstätte und damit die tarifliche Wertigkeit der maßgebenden Tätigkeit steigen, je mehr Plätze vergeben sind, also je mehr Kinder die Einrichtung gleichzeitig betreut. Weitere Kriterien, die sich auf die Eingruppierung der Leitung einer Kindertagesstätte auswirken könnten (etwa die Zahl der unterstellten Mitarbeiter/innen, die Qualifikation, die Schwierigkeit der Tätigkeit, der Umfang der Verantwortung usw.) sind in der Tarifnorm nicht aufgeführt worden….Ist die Durchschnittsbelegung demnach von einer allein entscheidenden Bedeutung für die Eingruppierung, ist es gerechtfertigt, die gleichzeitige Leitung zweier Kindertagesstätten tariflich einheitlich anhand der Gesamtkinderzahl zu bewerten.“[5] Insoweit geht das BAG hier von einem eindeutigen Wortlaut aus, in den nichts weiter hineinzuinterpretieren sei.
„Diese Entscheidung macht die Eingruppierungsarbeit nicht leichter – ganz im Gegenteil!“
Das BAG sagt jedoch auch: „Dabei lässt sich nicht allgemein festlegen, in welchen Konstellationen die tariflichen Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmales erst bei einer Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden können. Wegen der Vielfalt der tatsächlichen Verhältnisse lässt sich dies nicht abstrakt formulieren. Es kann stets nur im konkreten Einzelfall beurteilt werden, ob ausnahmsweise eine zusammenfassende Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge zur Feststellung einer tariflichen Anforderung erforderlich ist. Die in § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 BAT enthaltene sprachliche Wendung „in der Regel" ist daher auf den konkreten Fall zu beziehen. Dies bedeutet, dass bei den hierfür in Betracht kommenden Fallgestaltungen die Erfüllung einer bestimmten Anforderung regelmäßig erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden kann.“[6]. Es kann auch also keine Regel aufgestellt werden, nach der die Leitung mehrerer KiTas grds. so einzugruppieren ist, wie es die – aufaddierte – Zahl der Kinder ermöglichen würde.
Diese Entscheidung macht die Eingruppierungsarbeit nicht leichter – ganz im Gegenteil! Einerseits sucht sich das BAG ein greifbares Kriterium (die Zahl der Kinder) und lehnt die Anwendung weiterer qualitativer Kriterien ab, beschränkt diese Entscheidung dann aber wieder auf den Einzelfall. Somit bleibt es bei der Unsicherheit, hervorgerufen durch zu „weiche Eingruppierungskriterien“ als Ergebnis zäher Tarifauseinandersetzungen, die wiederum zu sich widersprechenden Entscheidungen quer durch den Instanzenzug führen. Beiden Seiten hilft diese Entscheidung nur vordergründig: Die Arbeitnehmerin hat im Einzelfall „ihr Recht“ durchgesetzt, der Arbeitgeber durch die ausdrücklich „Einzelfallbezogenheit“ der Entscheidung das Risiko, dass andere sich auf diese Entscheidung berufen könnten, vordergründig minimiert.
Fazit
Es liegt auf der Hand, dass die Mehrbelastung, die durch die Leitung mehrerer KiTa entsteht, dem Arbeitnehmer abzugelten sein sollte – gerade auch wenn in Zeiten knappen Mitarbeiter-Nachwuchses – Mitarbeiter gehalten werden sollen. Die Tarifparteien haben die Möglichkeit, aus diesem Rechtsstreit Lehren zu ziehen und mit klaren Kriterien solche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
[1] ArbG Braunschweig, Urteil vom 11.02.2010 - 1 Ca 411/09 E, n.v.
[2] Urteil vom 01.02.2011 - 16 Sa 651/10 E, vorgestellt in KiTa Recht 3/2011
[3] Urteil vom 12.12.2012 - 4 AZR 199/11, BeckRS 2013, 68837
[4] S. Fn. 2!
[5] BAG, Fn. 3, Rn. 25
[6] BAG, Fn. 3, Rn. 23
Wir übernehmen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion von Kita aktuell Recht