Lupe

Beschwerden bereichern! Wie Sie Kritik in Begeisterung verwandeln

Elisabeth Krista

06.02.2025 Kommentare (0)

Fachkräfte in der Kita haben oft mit Beschwerden zu tun. Jede Beschwerde von Eltern muss ernst genommen, bearbeitet und bewertet werden. Wie gelingt es, dass man Eltern mitnimmt, um aus Beschwerdeführenden begeisterte Anhänger:innen zu machen?

In diesem Artikel erhalten Sie konkrete Formulierungshilfen, Tipps zur Bewertung von Beschwerden, Tools für die Gesprächsführung und für die Analyse im Team. Außerdem erfahren Sie, wie Sie Beschwerden durch Prävention vorbeugen können.

Aus der Praxis: Beschwerden als Chance

Ich kenne es aus eigener Erfahrung: Eine Elternbeschwerde, besonders wenn sie persönlich vorgebracht wird, hat mich früher ziemlich gestresst. Ich fühlte mich angegriffen und versuchte, mich zu verteidigen. Später lernte ich jedoch, Beschwerden positiv zu betrachten. Und siehe da: Die härtesten und kritischsten Eltern in unserer Kita wurden zu glühenden Unterstützer:innen. Sie brachten sich plötzlich bei Festen ein, übernahmen Aufgaben für die Gemeinschaft und – am erstaunlichsten – verteidigten die Fachkräfte gegen ungerechte Kritik. Wie kann das gelingen?

Anhand eines Beispiels zeige ich Ihnen, wie man idealerweise auf Beschwerden reagieren kann und warum gerade die erste Reaktion so wichtig ist. Wir betrachten Präventionsmöglichkeiten und wie Sie im weiteren Verlauf die Eltern einbinden können.

Ein heftiger Morgen...

Stellen Sie sich vor: Es ist früh am Morgen, die ersten Kinder kommen in die Kita, einige Eltern sind in der Garderobe. Eine Mutter stürmt aufgebracht herein, Kind an der Hand, und beginnt lautstark sich zu beschweren, dass ihre Tochter einen blauen Fleck am Arm hat. Sie spricht von Aufsichtspflicht, fehlender Fachlichkeit, und sogar Worte wie Klage und Anzeige fallen. Wie reagieren Sie? Und was ist tatsächlich passiert?

Für Sie ist diese Situation vermutlich höchst unangenehm. Besonders wenn man angegriffen wird, möchte man in den Verteidigungsmodus schalten. Doch hier hilft es, den Blickwinkel zu verändern.

Den Blickwinkel ändern: Empathie statt Verteidigung

Versuchen Sie, die Ängste und Sorgen dieser Mutter hinter ihrer Wut zu erkennen. Die Wut hat in erster Linie nicht mit Ihnen als Person zu tun! Diese Mutter ist besorgt um das Wohlergehen ihres Kindes – ein legitimes und sehr intensives Gefühl. Vielleicht hat sie seit dem Vortag gegrübelt, was passiert sein könnte, konnte nicht schlafen und hat sich immer schlimmere Szenarien ausgemalt. Mit diesem Verständnis können Sie der Beschwerdeführenden einfühlsam begegnen und die Situation deeskalieren.

Die Rolle der Neuropsychologie

NussDie Beschwerdeführende ist sehr emotional und von ihren Gefühlen überwältigt. In diesem Zustand können Menschen nicht zuhören oder rationale Entscheidungen treffen. Der präfrontale Kortex, zuständig für logisches Denken, ist in solchen Momenten weniger aktiv. Stattdessen übernehmen die Amygdala und das Stammhirn, die für emotionale Reaktionen und "Autopilot"-Verhalten zuständig sind (Siegel & Bryson, 2013).

Was ist also zu tun? Bringen Sie Beruhigung in die Situation und stellen Sie Nähe her. Erst dann erreichen Sie wieder den rationalen Teil des Gehirns Ihres Gegenübers.

Beruhigen – nicht beschwichtigen

Sorgen Sie dafür, dass Sie der Beschwerdeführenden wirklich zuhören können. Versuchen Sie nicht, ihr die Angst auszureden oder davon abzulenken – das würde die Wut nur verstärken! Sprechen Sie ruhig und klar und bitten Sie darum, das Gespräch – wenn möglich – im Büro oder einem ruhigen Raum fortzusetzen, damit Sie ungestört zuhören können.

Bitten Sie die Mutter, zu erzählen, was passiert ist. Durch dieses Erzählen aktiviert sie erneut ihren präfrontalen Kortex, da das Formulieren von Gedanken logisches Denken erfordert. Fragen Sie nach, welche Lösung sie sich vorstellt, und überlegen Sie gemeinsam, wie Sie weiter vorgehen.

So eine "Erstversorgung" dauert in der Regel keine fünf Minuten, erleichtert aber den weiteren Prozess ungemein.

Was ist tatsächlich passiert?

Der Vorfall selbst ist nur ein Teil des Problems. Fragen Sie sich:

  • Hätte die Mutter früher informiert werden können?
  • Hat eine Fachkraft den blauen Fleck bemerkt?
  • Gab es einen Vorfall, über den berichtet werden sollte?

Wenn ein Unfall oder Streit passiert, ist es wichtig, Eltern und Kolleg:innen zu informieren. Offenheit und Transparenz sind hier entscheidend. Also lieber gleich offen kommunizieren – auch wenn es unangenehm ist. Im Kita-Alltag können immer Dinge passieren, und das gehört zum Leben dazu.

Fehler sind Lerngelegenheiten! Vermitteln Sie im Team, dass es nicht darum geht, jemanden zu beschuldigen, sondern darum die Kommunikation zu verbessern.

Das Service-Recovery-Paradoxon

Das Service-Recovery-Paradoxon, beschrieben von Homburg, besagt, dass Kund:innen nach einer effektiv bearbeiteten Beschwerde oft zufriedener sind als vorher. Sie kennen es vielleicht selbst: Wenn ein Unternehmen Ihre Beschwerde ernst nimmt und Ihnen vielleicht sogar mit einer kleinen Geste entgegenkommt, sind Sie trotz des anfänglichen Problems geneigt, dort erneut zu kaufen.

Bedenken Sie auch: Die meisten Beschwerden hören Sie gar nicht. Schätzungsweise 90 % aller Unzufriedenen äußern sich nicht direkt bei Ihnen, sondern bei Freund:innen oder Bekannten – was Ihrem Ruf schaden kann. Ein effektives Beschwerdemanagement ist also Gold wert. Dazu gehört auch die Prävention, die wir im nächsten Abschnitt betrachten. 

Wie kommunizieren Sie den Alltag?

Ein Schlüssel zur Prävention von Beschwerden ist die aktive Kommunikation:

  • Transparenz über den Kita-Alltag: Haben Eltern eine Vorstellung davon, wie sich große Kindergruppen verhalten?
  • Möglichkeiten zur Hospitation: Dürfen Eltern den Alltag miterleben und sich einbringen?
  • Regelmäßige Informationen: Gibt es Aushänge oder Newsletter über Aktivitäten und Vorkommnisse?
  • Kommunikation von Risiken: Werden Risiken Ihrer Arbeit offen kommuniziert und begründet? Zum Beispiel, warum Kinder auf Bäume klettern dürfen.

Eltern einbinden und Vertrauen stärken

Die beschwerdeführende Mutter wurde im ersten Moment gut abgeholt. Sie konnten ihr vermitteln, dass ihre Sorge ernst genommen wird. Im weiteren Prozess der Aufarbeitung wird die Mutter einbezogen:

  • Gespräche mit Mitarbeitenden: Die Mutter wird über die internen Schritte informiert.
  • Gemeinsames Gespräch: Ein Treffen zwischen Fachkräften und Mutter kann helfen, Vertrauen wiederherzustellen.
  • Offene Kommunikation: Eine ehrliche Entschuldigung wirkt oft Wunder.

Die vier Schritte zur nachhaltigen Beziehung

Was die Beziehung zu beschwerdeführenden Eltern nachhaltig stärkt, ist die Art, wie sie in die Lösungsfindung einbezogen werden:

  1. Annahme der Beschwerde: Zeigen Sie Wertschätzung und nehmen Sie die Anliegen ernst.
  2. Information über das weitere Vorgehen: Transparenz schafft Vertrauen.
  3. Gemeinsame Gespräche: Offenheit fördert gegenseitiges Verständnis.
  4. Planung des weiteren Vorgehens: Entwickeln Sie gemeinsam Lösungen.

In all diesen Bereichen können Eltern mindestens informiert, oft auch aktiv eingebunden werden.

Zeitmanagement: Eine Investition in die Zukunft

Glühbirne Vielleicht denken Sie: "Wie soll ich das auch noch alles schaffen?" Diese Sorge ist verständlich, besonders in Zeiten von Personalmangel. Doch je authentischer und proaktiver Sie Eltern nach einer Beschwerde einbinden, desto schneller wird das Problem gelöst.

Was wirklich viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nimmt, sind eskalierte Konflikte oder offizielle Verfahren aufgrund mehrerer Beschwerden. Eltern, die sich ernst genommen fühlen, werden oft zu Fürsprecher:innen Ihrer Einrichtung und können sogar helfen, Spannungen in der Elternschaft zu reduzieren.

Lernen durch Beschwerden

Beschwerden bieten die Chance, viel zu lernen:

  • Über Ihren Kommunikationsfluss im Haus,
  • Über die Interaktion mit Fachkräften,
  • Über die Kinder, die Sie betreuen.

Im Beispiel könnte sich herausstellen, dass akuter Handlungsbedarf besteht, etwa weil eine Fachkraft übergriffig wurde. Ist es nicht besser, solche Informationen frühzeitig zu erhalten und handeln zu können? Indem Sie Beschwerden offen und empathisch begegnen, schaffen Sie eine Kultur des Vertrauens und der Zusammenarbeit.

Quellenangaben

Daniel Siegel, T. B. (2013). Achtsame Kommunikation mit Kindern. 12 revolutionäre Strategien aus der Hirnforschung für die gesunde Entwicklung Ihres Kindes. Freiburg: Arbor.

Homburg, C., Schäfer, H., & Schneider, J. (2003). Sales Excellence. Vertriebsmanagement mit System. Wiesbaden: Gabler.

Nelsen, J., & Gfroerer, K. (2017). Positive Discipline for Teachers. New York: Random House.

Über die Autorin

Elisabeth Krista ist als Psychologin und Pädagogin und seit über zwanzig Jahren leidenschaftlich im Bereich frühe Bildung tätig. Als erfahrene und lebendige Workshopleitung und Referentin, Autorin und Erziehungsberaterin vermittelt sie Themen rund um Kinder unter 3, Erziehungspartnerschaft und Beziehungsgestaltung.

E-Mail: beratung@elisabethkrista.com

Youtube: https://www.youtube.com/channel/UCK89q4x9cHpuHXP-dxH1PqA/?sub_confirmation=1

Website: https://www.elisabethkrista.com

Instagram: https://www.instagram.com/kristaermutigt/

Bildnachweise:

  • © markus winkler auf unsplash
  • © dave avram auf unsplash
  • © absolutvision auf unsplash

Ihre Meinung ist gefragt!

Kommentar schreiben




Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.


Bitte schreiben Sie freundlich und sachlich. Ihr Kommentar wird erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet.





Ihre Angaben werden nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Hinweise zum Datenschutz finden Sie im Impressum.