
Gefühlsentwicklung und Gefühlskontrolle - Brauchen Kindergefühle Lehrmeister?
Das scheint durchaus so, wenn das derzeitige gesellschaftliche Credo der Bildung von Anfang an im Blickfeld ist. Die kleinen Forscher werden bereits im ersten Lebensjahr geortet und im zweiten mit vielerlei bunten Bildungsprogrammen in der Gruppenbetreuung beglückt. Dabei wird ganz vergessen, welche starken Lernantriebe die Natur den Menschenkindern mitgegeben hat, die für die Entfaltung eines enormen Bildungspotentials sorgen. Die Gehirnentwicklung folgt einem gut ausgeklügelten Reifungsplan und mag die bunten Lernvorgaben in den ersten zwei Jahren nicht besonders. Gerade die Gefühlsentwicklung ist da sehr eigenständig. Als Lernhilfe benötigen die Kinder nur liebevolle, aufmerksame und anwesende Eltern.
In den ersten zwei bis drei Lebensjahren gehen den Kindern die Gefühle oft noch durch wie ein galoppierendes Pferd. Das ist jedoch kein Grund, mit Bildern von Smileys oder Wutbolzen ihnen nahezurücken, damit sie ihre Gefühle kennen- und kontrollieren lernen. Das interessiert sie zu der Zeit gar nicht, denn das Kind ist eins mit seinen Gefühlen. Es weiß noch nicht, was es zur Rakete macht. Nur die immer zur Verzeihung bereiten Eltern können den kleinen Kopf wieder klar werden lassen und die Erkenntnis bringen, alles ist gut.
Dass die klugen Bildungsexperten für die Zeit vor den Wutanfällen den Kleinsten hohe Gefühls- Kompetenzen zusprechen, weil sie trösten wenn andere weinen, lässt die Kinder ziemlich ratlos zurück. Denn sie wissen noch gar nicht, was sie antreibt. Es ist die Gefühlsansteckung, die mit ihnen macht, was sie will. Sie spüren das Leid der anderen als wenn es das eigene wäre. Deshalb stürzen sie auf den anderen los und trösten so gut sie können und helfen, wenn andere sich dumm anstellen. Sie merken dabei, wie ihre seltsamen schlechten Gefühle verschwinden.
Manche Kinder werden von ihrem Temperament nicht geschubst, um zu trösten und zu helfen. Sie interessieren sich kaum für den Kummer der anderen. Andere erwischt es voll, sie können sich nicht zurückhalten, da sie noch keine Ahnung davon haben, wer sie überhaupt sind. Denn das muss man wissen, um darüber nachdenken zu können, was man machen will. Das klappt erst, wenn sie fast zwei Jahre alt sind. Dann merken sie auf einmal, dass die Gefühle vom anderen nicht mehr ins Herz treffen, sondern davor anhalten. Die einen trösten dann weiterhin, die anderen entscheiden sich dagegen; und zwar ganz ohne Schuldbewusstsein. Das steht noch nicht auf ihrer Agenda.
Die Trotzphase, neuwissenschaftlich Autonomiephase genannt, treibt das Kind nun mächtig voran. Es hält sich für den Mittelpunkt der Welt und versteht nicht, was die anderen von ihm wollen. Es weiß nur, dass die Gefühle es immer wieder überrennen, kann dagegen aber gar nichts machen. Zum Glück hat es Eltern, die das ertragen. Wahrscheinlich haben die keine Ahnung davon, wie wichtig es für das Kind ist, für seine Wutanfälle nicht verdammt zu werden. Auch die hinterher folgenden bohrenden Fragen nach den Gründen für die Wut machen das Kind nur wieder wütend. Wenn es allerdings in Ruhe gelassen wird, kann es darüber nachdenken, was es so wütend gemacht hat und manchmal lernt es daraus. Programme, welche Gefühle es gibt und wie damit umzugehen ist, lenken nur ab von den eigenen Lichtblitzen und helfen nicht bei neuen Erkenntnissen. Diese kommen von allein, aber ziehen sich ziemlich lange hin und bei geduldigen Eltern ist das bis zum Schuleintritt zu schaffen.
Nach der Trotzphase geht es so richtig los mit den Gefühlsäußerungen, wenn das Kind mit den anderen Kindern zusammen ist. Hier geht es drunter und drüber mit der Gefühlsentwicklung und das soziale Lernen macht richtig große Sprünge. Beim Rennen, Hüpfen und Springen juchzen sie, machen sich alles nach und lachen sich kaputt darüber. So viele Gefühle auf einmal sind kaum zu ertragen und lassen das Kind am Abend schon vor der Gutenacht-Geschichte einschlafen.
Wenn das Kind dann vier ist, muss es manchmal über seine Gefühle nachdenken, denn es ist schon komisch, was da im Kopf und im Bauch vor sich geht. Ob das bei den anderen auch so ist? Dann denkt es darüber nach, was im Kopf der anderen vorgeht. Denken die so wie ich? Beim intensiven Spielen mit den anderen lernt es das einfach so nebenbei, denn die Kinder reden ununterbrochen und erzählen sich von Gott und der Welt. Durch die Angewohnheit, die anderen immer wieder nachzuahmen, spürt das Kind auch, wie sich die anderen fühlen und wundert sich, dass es so ähnlich ist wie bei ihm selbst. Wenn bei all diesem aufregenden Miteinander die Erwachsenen kommen und dem Kind lehrreiche Bücher über die Gefühle vorhalten, dann ist es perplex. Das was es zu hören bekommt, passt gar nicht zu dem, was es fühlt. Von Zusammenhängen weiß es nämlich noch nicht viel. Dann ist es froh, wenn es wieder mit den anderen wilde Spiele machen und danach Vater-Mutter-Kind spielen kann. Bei solchen Spielen merkt es, wie lieb Mama und Papa ihr Kind haben und warum sie manchmal mit ihm schimpfen müssen. Die schlauen Kinderkenner nennen das soziales Lernen. Aber das Kind spürt nicht, dass es lernt. Später kommt das allerdings zum Vorschein ohne dass ihm klar wird, wann es das gelernt hat.
Wie gut, dass die Natur den Vierjährigen die Warum-Fragen untergeschoben hat; denn damit kann der kleine Kopf aufgefüllt werden mit allem, was reinpasst. Ob sozial oder schlau, ist egal, das Kind kann alles gebrauchen. So geht es munter weiter in der eigenen Erkenntnisgewinnung über die Gefühle und die ganze Familie. Denn es ist jetzt spannend, wie die Eltern, die Geschwister und die Freunde mit ihren Gefühlen umgehen und das Kind will das, wenn es gut läuft, auch schaffen. Bei dieser Übung merkt das Kind etwas ganz Besonderes, nämlich das es ein richtig gutes Gefühl ist, alles so zu machen, wie die Eltern das machen. Das will es dann auch immer, aber es gelingt nicht jedes Mal; aber wenn es erst einmal fünf Jahre alt ist, kann es das auch meistens. Dann hat es seine Gefühle im Griff und zwar ganz ohne die bunten Bildungsprogramme, die ja sowieso für Kinder erfunden wurden, die ihre Gefühlskontrolle aus vielerlei Gründen nicht allein packen.
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