zwei U3 Kinder

Brauchen Kindergefühle Lehrmeister:innen?

Dr. Erika Butzmann

25.07.2023 | Fachkommentar Kommentare (1)

Das scheint durchaus so, wenn das derzeitige gesellschaftliche Credo der Bildung von Anfang an im Blick ist. Die kleinen Forscher werden bereits im ersten Lebensjahr geortet und im zweiten mit vielerlei bunten Bildungsprogrammen in der Gruppenbetreuung beglückt. Dabei wird ganz vergessen, welche starken Lernantriebe die Natur den Menschenkindern mitgegeben hat, die für die Entfaltung eines enormen Bildungspotentials sorgen. Die Gehirnentwicklung folgt einem gut ausgeklügelten Reifungsplan und mag die bunten Lernvorgaben in den ersten zwei Jahren nicht besonders. Gerade die Gefühlsentwicklung ist da sehr eigenständig. Als Lernhilfe benötigen die Kinder nur liebevolle, aufmerksame und anwesende Eltern. In den ersten Lebensjahren gehen den Kindern die Gefühle oft noch durch wie ein galoppierendes Pferd. Das ist jedoch kein Grund, mit Bildern von Smileys oder Wutbolzen ihnen nahezurücken, damit sie ihre Gefühle kennenlernen. Das interessiert zu der Zeit gar nicht, denn das zwei- bis dreijährige Kind ist eins mit seinen Gefühlen. Es weiß noch nicht, was es zur Rakete macht. Nur die immer zur Verzeihung bereiten Erwachsenen können den kleinen Kopf wieder klar werden lassen und die Erkenntnis fördern, alles ist gut.

Dass die klugen Bildungsexperten für die Zeit vor den Wutanfällen den Kleinsten hohe soziale Kompetenzen zusprechen, weil sie trösten wenn andere weinen, lässt die Kinder ziemlich ratlos zurück. Sie wissen in den ersten zwei Jahren gar nicht, was sie antreibt. Es ist die Gefühlsansteckung, die mit ihnen macht, was sie will. Sie spüren das Leid der anderen als wenn es das eigene wäre. Deshalb stürzen sie auf den anderen los und trösten so gut sie können und helfen, wenn andere sich dumm anstellen. Sie merken dabei, wie die seltsamen eigenen schlechten Gefühle verschwinden. Ein solch unbewusstes Handeln aus der unbewussten Phase der Kindheit hinterlässt zwar Spuren, auf die später aufgebaut werden kann, aber das dauert und lässt sich nicht trainieren.

Einige Kinder, die aufgrund ihres Temperaments nicht so stark zum Trösten und Helfen angetrieben werden, kümmern sich kaum um das Leid der anderen. Diese Unterschiede werden deutlich, wenn die Kinder mit zwei Jahren erkennen, dass die empfundenen Gefühle nicht die eigenen sind. Die einen tappern weiterhin los und trösten ein weinendes Kind, die anderen schauen interessiert, aber drehen sich dann weg. Und zwar ganz ohne Schuldbewusstsein, das steht noch nicht auf ihrer Agenda. 

Die Trotzphase, neuwissenschaftlich Autonomiephase genannt, treibt das Kind nun mächtig voran. Es hält sich für den Mittelpunkt der Welt und versteht die Wünsche der Erwachsenen eher selten. Es weiß nur, dass die Gefühle es immer wieder überrennen, kann dagegen aber nichts machen. Zum Glück hat es Eltern und später Erzieherinnen, die das ertragen. Wahrscheinlich haben die keine Ahnung davon, wie wichtig es für das Kind ist, für seine Wutanfälle nicht verdammt zu werden. Auch die hinterher folgenden bohrenden Fragen nach den Gründen für die Wut macht das Kind nur wieder wütend. Wenn es allerdings in Ruhe gelassen wird, kann es über den Vorfall nachdenken und daraus lernen. Programme, welche Gefühle es gibt und wie damit umzugehen ist, lenken nur ab vom eigenen Erkenntnisprozess. Der zieht sich allerdings ziemlich hin und bei geduldigen Erwachsenen ist das bis zum Schuleintritt zu schaffen. 

Die beste Unterstützung erleben die Kinder ab drei Jahre durch das Spiel mit den anderen. Hier geht es drunter und drüber mit der Gefühlsentwicklung und das soziale Lernen macht große Sprünge. Die Kinder zeigen beim Rennen, Hüpfen und Springen ihre Gefühle in reinster Form, lachen und streiten sich im Spiel, singen und tanzen und spüren dabei mit Macht ihre Empfindungen. Nach dem vierten Geburtstag beginnen sie, über ihre Gefühle und die der anderen nachzudenken und sortieren damit ihre chaotische Erfahrung aus den beiden wilden Jahren vorher. Sie ahmen mit Freude im Spiel die anderen Kinder nach und verstehen darüber auch deren Gefühle. Die Erwachsenen müssen manchmal eingreifen, wenn es zu wild zugeht oder die Kinder sich gegenseitig verletzen. Versuche, mit lehrreichen Büchern die Gefühlsentwicklung der Kinder zu puschen, helfen jedoch kaum. Denn es geht bei den Vierjährigen munter weiter in der eigenen Erkenntnisgewinnung über ihre Gefühle. Sie sind jetzt ganz auf ihre Eltern, Geschwister und Freunde fixiert, schauen wie diese mit Gefühlen umgehen und wollen das auch so schaffen. Es wird ihnen nämlich immer mehr klar, dass es ein gutes Gefühl ist, alles richtig zu machen. Die Impulskontrolle ist jetzt das Ziel, was jedoch nicht immer klappt. Mit den Erwachsenen und Spielkameraden als Vorbild dürfte es jedoch auch ohne bunte Bildungsprogramme gelingen, die ja sowieso für Kinder erfunden wurden, die die Impulskontrolle nicht allein packen.

Ihre Meinung ist gefragt!

Diskutieren Sie über diesen Beitrag.

Kommentare (1)

Angelika Mauel 25 Juli 2023, 15:50

Liebe Frau Butzmann, danke für diesen klaren, sensiblen und wichtigen Artikel. Eine Erinnerung nach der anderen kommt bei mir hoch und ich hoffe, dass viele Auszubildende Ihren Beitrag entdecken oder von ihren AusbilderInnen darauf hingewiesen werden.

Und ich frage mich, wie es um die Pläne in einigen Berufsfachkräfteverbänden steht. Im Gegensatz zu Berufspolitikern finden doch etliche ErzieherInnen, dass man den Rechtsanspruch auf Betreuung der Jüngsten zurücknehmen sollte, wenn er dazu führt, dass Kleinkindern noch mehr Schichtdienst, Personalwechsel und Personalmangel zugemutet wird.

Kommentar schreiben




Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.


Bitte schreiben Sie freundlich und sachlich. Ihr Kommentar wird erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet.





Ihre Angaben werden nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Hinweise zum Datenschutz finden Sie im Impressum.