
Bundesweite Bewegung gegen drohenden Therapienotstand
ASH Berlin wertet Empfehlungen von „Therapeuten am Limit“ aus
Berlin, 28.8.2018 Mehr als 1.300 Brandbriefe an Gesundheitsminister Jens Spahn werden zurzeit von zwei Forscherinnen der Alice Salomon Hochschule Berlin ausgewertet. In ihnen beschreiben Physiotherapeut_innen, Ergotherapeut_innen und andere Heilmittelerbringer die Missstände in ihrem Arbeitsfeld und unterbreiten der Politik Lösungsvorschläge. Der Tenor: Gibt es kein Umdenken, wird auf den Pflegenotstand ein Therapienotstand folgen.
Die ersten Schritte nach einem schweren Unfall, die ersten Worte nach einem Schlaganfall, den eigenen Alltag in den Griff bekommen – Physiotherapeut_innen, Logopäd_innen, Ergotherapeut_innen und andere sogenannte „Heilmittelerbringer“ sind essentiell für die gesundheitliche Versorgung der Gesellschaft. Ihre Arbeitssituation ist hingegen prekär: Fachkräftemangel, eine teure Ausbildung mit veralteten Inhalten, eine zu geringe Vergütung durch die Krankenkassen und fehlende Wertschätzung.
Prof. Dr. Heidi Höppner, Professorin für Physiotherapie an der Alice Salomon Hochschule Berlin: „In den Briefen wird deutlich, dass die anhaltend schlechten Rahmenbedingungen zunehmend zur ‚Flucht‘ aus den Berufen führen. Eine flächendeckende Versorgung von Patienten ist damit ernsthaft gefährdet – eine Entwicklung, die sich eine alternde Gesellschaft nicht leisten kann.“
In ihrem Zwischenbericht vom Juli 2018 weisen die Forscherinnen bereits darauf hin, dass insbesondere im Hinblick auf die Patientenversorgung drastische Missstände erkennbar sind: Neben Hinweisen auf Fehl- oder Unterversorgung werde in den Briefen von teils lebensbedrohlichen Situationen, z.B. in der Schlaganfallversorgung, berichtet. Ziel der Auswertung ist es, die Situation der Therapeut_innen in Deutschland detailliert darzulegen und Veränderungs- und Lösungsvorschläge aus der Praxis zu systematisieren, um so einen wertvollen Beitrag für die gesundheitspolitische Diskussion zu leisten.
Gesundheitsminister Jens Spahn hat angekündigt, die Therapeutenverbände Mitte September zum Krisengespräch zu treffen.
Angestoßen wurde die Bewegung im Sommer 2018 von Physiotherapeut Heiko Schneider, der seinem Ärger mit einem Brandbrief an Jens Spahn und einer anschließenden Fahrradtour von Frankfurt am Main bis zum Bundesgesundheitsministerium Luft machte. Deutschlandweit folgten tausende Therapeut_innen seinem Beispiel, sehr häufig unterstützt vom eigenen Patientenstamm. Sie berichteten unter den Hashtags #therapeutenamlimit und #ohnemeinenphysiotherapeuten von ihrem Alltag, sammelten Stimmen in einer Online-Petition, übermittelten eigene Brandbriefe an das Gesundheitsministerium und protestierten am 25.8.2018 bundesweit in mehr als 240 Städten unter dem Schlagwort #kreideaktion für bessere Arbeitsbedingungen.
„Die Akademisierung der Therapieberufe, wie sie beispielsweise an der Alice Salomon Hochschule Berlin mit den Studiengängen Physiotherapie/Ergotherapie vorangetrieben wird, soll nicht nur dem Fachkräftemangel in diesen gesellschaftlich bedeutenden Bereichen langfristig begegnen und die Qualität der Gesundheitsversorgungsleistungen sichern“, so Prof. Höppner, „die Studiengänge befähigen die Studierenden auch, den Wandel im Gesundheitssystem aktiv mitzugestalten.“
Weitere Informationen finden Interessierte unter www.ash-berlin.eu
Quelle: ASH Berlin