Das internationale Projekt seepro-r: „Systeme der Elementarerziehung und Professionalisierung in Europa“, revidiert – www.seepro.eu
In vielen Ländern führen nach wie vor Reformen zu veränderten Strukturen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie zu einer Spezifizierung der Kompetenzanforderungen für die frühpädagogische Arbeit. Zudem haben demographische Änderungen sowie die Förderung von Fachkräfteaustausch eine erhöhte Mobilität der Fachkräfte in Europa zur Folge.
Schlüsselkomponente frühkindlicher Bildungssysteme ist nach wie vor das Fachpersonal: Einerseits gilt die Fachkompetenz des pädagogischen Personals als wesentliche Voraussetzung für eine gelingende prozessuale Qualität in der Bildungsarbeit. Andererseits zeigen neuere Analysen, dass Ansätze zur individuellen Kompetenzförderung auch einen Blick auf den systemischen Gesamtkontext erforderlich machen.
Auch in Deutschland werden internationale Vergleiche über die Professionalisierung frühpädagogischer Fachkräfte – nicht zuletzt wegen des vielerorts herrschenden Fachkräftemangels – immer wichtiger. Landesjugendbehörden, Anstellungsträger, aber auch Vermittlungsagenturen oder einzelne Kindertageseinrichtungen stehen immer häufiger vor der Frage, ob - und wenn ja in welcher Weise - Personal aus dem europäischen Ausland, aber auch beispielsweiseaus der Russischen Föderation und der Ukraine, in Kindertageseinrichtungen in Deutschland eingesetzt werden kann.
Von seepro zu seepro-r
Zwischen 2006 und 2009 wurde am Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) das Projekt seepro („Systeme der Elementarerziehung und Professionalisierung in Europa“, Leitung: Pamela Oberhuemer) durchgeführt, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. Schwerpunkt war die Beschreibung und Analyse der Ausbildungen und Arbeitsfelder frühpädagogischer Fachkräfte im Kontext der Systeme der frühkindlichen Bildung und Kindertagesbetreuung der damaligen 27 Länder der Europäischen Union. Eine enge und zum Teil langjährig aufgebaute Zusammenarbeit mit fachwissenschaftlichen Expertinnen und –experten in den Ländern war dafür wesentliche Voraussetzung. Als Projektergebnis entstanden zwei Buchpublikationen in deutscher und englischer Sprache mit 27 Länderprofilen und länderübergreifenden Analysen (Oberhuemer & Schreyer 2010 bzw. Oberhuemer, Schreyer & Neuman 2010).
2015 beauftragte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Aktualisierung und Neubearbeitung dieser 2010 am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München abgeschlossenen Studie, die mit dem Folgeprojekt seepro-r (Laufzeit: August 2015 bis Oktober 2017; Leitung: Dr. Inge Schreyer) realisiert wurde.
Vorgehen
Viele der Kooperationspartner/innen im seepro-Projekt konnten auch für das aktualisierte seepro-r Projekt gewonnen werden. In einigen Ländern – für Kroatien als neuem EU-Land sowie für Russland und die Ukraine - war es jedoch notwendig, neue Kooperationspartner zu gewinnen. Die Russische Föderation und die Ukraine wurden mitaufgenommen, weil sich Personen aus diesen Ländern häufig als Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen in Deutschland bewerben.
Fachexpertinnen und -experten aller 28 derzeitigen EU-Länder sowie aus Russland und der Ukraine wurden vom Projektteam eingeladen, anhand einer Forschungsspezifikation detaillierte Personalberichte zu erstellen. Da die meisten Berichte nicht in der Muttersprache der Autorinnen und Autoren verfasst wurden, war eine sehr enge Kooperation nötig, um sicherzustellen, dass die Hauptaspekte sowohl für eine englisch- als auch deutschsprachige Leserschaft verständlich waren.
In diesen Länderberichten wurde folgendes in den Blick genommen:
- Steuerung und ministerielle Zuständigkeiten hinsichtlich der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung,
- Zusammensetzung des frühpädagogischen Personals und die Personalstrukturen insgesamt
- Grundausbildungen und fachpraktische Komponenten
- Kompetenzprofile von Kernfachkräften sowie
- Fort- und Weiterbildungsstrukturen.
Daneben wurde über alternative Zugangs- und Qualifizierungswege informiert, ebenso wie über neuere Reformen und Forschungsprojekte zu Professionalisierung und Personalangelegenheiten sowie über allgemeine Arbeitsbedingungen wie die Bezahlung und die Verfügungszeit. Eine subjektive Einschätzung der Länderexpertinnen und -experten ging auf künftige Personalherausforderungen der jeweiligen Länder ein.
Vom Projektteam wurden außerdem für jedes Land kontextuelle Schlüsseldatenprofile als Hintergrundinformation erstellt, die neben demographischen Daten u.a. auch Einrichtungsformen, Trägerstrukturen, Finanzierung, Inklusionsagenda, sowie Monitoring und Evaluationen umfassten. Für diese Schlüsseldaten, die den Länderexpertinnen und -experten zur Validierung vorgelegt wurden, wurden vor allem internationale Quellen und Webseiten sowie europäische und nationale Statistiken genutzt.
Für jedes Land entstanden so 30 Personalberichte und 30 kontextuelle Schlüsseldatenprofile, jeweils in deutscher und englischer Sprache, die auf der Homepage des Projektes www.seepro.eu einer breiten Leserschaft als Informationsquelle zur Verfügung stehen: Lehrpersonal in der Aus- und Weiterbildung, nationalen und regionalen Fachverwaltungen, Arbeitgebern/Trägern im Bereich der Frühpädagogik, Fachwissenschaftlern, frühpädagogischen Fachkräften sowie anderen interessierten Personen.
Im September 2018 wurden auf der Seite der „Länderberichte“ bzw. „country reports“ auch ISBN-Publikationen (eine in Deutsch, 1322 Seiten und eine in Englisch, 1285 Seiten) eingefügt, in der die Personalprofile und kontextuellen Schlüsseldaten aller Länder zusammengefasst sind.
Ausgewählte Ergebnisse
Unterschiedliche Organisationsmodelle
Hinsichtlich der Systeme der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung findet man drei Hauptorganisationsmodelle: (1) integriert, (2) teilintegriert und (3) getrennt organisiert.
In integrierten Systemen sind ministerielle Verantwortung, Finanzierung, curriculares Rahmenwerk und nicht zuletzt Personalvorgaben für den Gesamtsektor der Kinder von 0 bis 6/7 Jahren gleich geregelt. Hierzu gehören neben Dänemark, Finnland und Schweden auch Kroatien und Slowenien sowie Litauen und seit 2018 Estland.
In teilintegrierten Kita-Systemen liegt die Gesamtverantwortung zwar bei einem Ministerium, aber es existieren für die Arbeit mit Kindern unter und über 3 Jahren oder in unterschiedlichen trägerspezifischen Teilen des Sektors vor allem im Hinblick auf Personalvorgaben unterschiedliche Regelungen (wie in Italien, Lettland, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Spanien, der Ukraine, Ungarn und dem Vereinigten Königreich). Auch die förderalen Strukturen von Deutschland und Österreich können hier verortet werden: Hier gelten zwar die gleichen Personalvoraussetzungen für den Gesamtsektor, für die pädagogische Arbeit unterscheiden sich die Rahmenbedingungen jedoch von Bundesland zu Bundesland.
In getrennt organisierten Systemen sind die Verantwortlichkeiten zwischen den Bereichen der unter und über 3-Jährigen deutlich unterschiedlich, wie in Belgien, Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Irland, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Russland, sowie in Zypern.
Unterschiedliche Qualifikationsprofile der Fachkräfte
Die Unterschiedlichkeit betrifft jedoch nicht nur die Organisation, sondern auch die Qualifikationsprofile der Fachkräfte mit Gruppen- bzw. Einrichtungsverantwortung. In integrierten Systemen finden sich durchgehend frühpädagogische Fachkräfte, die eine spezielle Ausbildung für die Arbeit mit Kindern zwischen 0 Jahren und dem Schuleintritt vorweisen. In getrennt organisierten Systemen dagegen sind vorschulpädagogische Fachkräfte für Kinder ab 3 oder 4 Jahren bis zum Schuleintritt zuständig und meist Sozialpflege- bzw. Gesundheitspflege-Fachkräfte für die unter 3-Jährigen. In teilintegrierten und auch in einigen getrennt organisierten Kita-Systemen arbeiten vor- und grundschulpädagogische Fachkräfte mit Kindern ab 3 Jahren und sozial- und kindheitspädagogische Fachkräfte mit Kindern ab dem ersten Lebensjahr – beide können jedoch auch mit älteren Kindern bis zu 12 Jahren bzw. auch darüber hinaus arbeiten.
Hier wird die große Bandbreite der Fachkräfte-Ausbildungen in den 30 Ländern sichtbar, was auch vor allem mit dem Altersbereich der betreuten Kinder zusammenhängt. Hinsichtlich der Einstiegsqualifikation in den Beruf zeigt sich ein weiterer Unterschied: Einem Master oder vergleichbaren Abschluss (Internationale Standardklassifikation für Bildung - ISCED Stufe 7), der beispielsweise in Frankreich, Italien und Portugal erforderlich ist für die Arbeit mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren, stehen in vielen Ländern vor allem für die Arbeit mit unter 3-Jährigen wesentlich niedrigere Abschlüsse auf berufsbildendem Sekundarniveau (ISCED Stufe 3) gegenüber. Letzteres ist z.B. in Belgien, Frankreich, Irland, den Niederlanden, Polen, Rumänien, dem Vereinigten Königreich (im privaten Sektor) und in Zypern der Fall. Oft existiert hier jedoch ein optionaler Bachelor-Abschluss, wie auch in Deutschland und Österreich. In den sieben Ländern mit integrierten Systemen ist für die Altersgruppe der Kinder bis zu 6 Jahren ein Bachelor-Abschluss verpflichtend. In sehr vielen Ländern (wie z.B. in Belgien, Bulgarien, Griechenland, Lettland, Luxemburg, den Niederlanden, Polen, Spanien, Ungarn, der Ukraine, im staatlichen Sektor des Vereinigten Königreichs sowie in Zypern) ist dieser jedoch nur für die Arbeit mit Kindern zwischen 3 Jahren und dem Schuleintritt erforderlich.
Insgesamt ist damit in 23 der 30 Länder mindestens ein Bachelor- oder vergleichbarer Abschluss für die Arbeit mit Kindern zwischen 3 Jahren und dem Schuleintritt vorgeschrieben. Für die Arbeit mit unter 3jährigen Kindern ist dies nur bei einem Drittel der Länder (10) Voraussetzung. Zudem ist in mehreren Ländern für Ergänzungskräfte, auch wenn deren Aufgaben nicht nur Reinigungs- oder Hilfsarbeiten, sondern auch die Arbeit mit Kindern umfassen, oft der Pflichtschulabschluss als Mindestvoraussetzung ausreichend.
Die Ergebnisse aus dem seepro-r Projekt zeigen damit, wie unterschiedlich die politisch-administrativen Systeme der Elementarbildung, die Fachkräfte-Ausbildungen und -Profile sein können. Hinzu kommt, dass das System der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung in den verschiedenen Ländern einer ständigen Dynamik unterliegt und auch weiterhin durch Änderungen und Innovationen geprägt sein wird. Die vorliegenden Berichte können daher nur die Situation zum Zeitpunkt der Erstellung widerspiegeln.
Projektinformationen:
Projektteam: Dr. Inge Schreyer (Projektleitung), IFP München und Pamela Oberhuemer (internationale Fachexpertin, externe wiss. Mitarbeit und Beratung)
Projektlaufzeit: August 2015 bis Oktober 2017
Förderung: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Durchführung: Staatsinstitut für Frühpädagogik München (www.ifp.bayern.de)
Projekt-Homepage: www.seepro.eu
Kontakt: inge.schreyer@ifp.bayern.de