mehrere Kinder

Der Übergang Kita-Grundschule - wie Forschung sich verzettelt

Hilde von Balluseck

23.02.2015 Kommentare (0)

Das neue Heft von Frühe Bildung befasst sich schwerpunktmäßig in vier Beiträgen mit diesem Thema.

Constanze Koslowski beschreibt ein Projekt "Bildungshaus 3-10". Die Zusammenfassung ihres Beitrages:

"Vielerorts wird „Kooperation auf Augenhöhe" als Schlüssel zum Erfolg für die gelingende Zusammenarbeit zwischen Fachkräften aus dem Kindergarten und Lehrpersonen aus der Grundschule bezeichnet. Für ein wirkliches Verständnis von Kooperation aber greift das zu kurz. Im Rahmen des Projektes „Bildungshaus 3 – 10" wurde die Kooperationsarbeit von 32 Modellstandorten regelmäßig dokumentiert. Durch die qualitative Auswertung der Prozessdokumentationen konnten detaillierte Einblicke in die professionellen Ansprüche interinstitutioneller Kooperation gewonnen werden. Der Beitrag stellt dar, in welcher Art vielschichtiger Abhängigkeiten gelingende Kooperation steht. Er ist zu verstehen als Plädoyer für eine zu den tatsächlichen Herausforderungen passende Wertschätzung kooperativer Leistungen und für die Notwendigkeit gezielter Unterstützung der Akteure."

Diskussion

Für frühpädagogische Fachkräfte, die sich bemühen, die ihnen anvertrauten Kinder gut für die Institution Schule vorzubereiten, sind ja, wie auch der Artikel von Koslowski zeigt, die unterschiedlichen Strukturen von Kita und Grundschule, die fehlende Unterstützung der Träger, die fehlende Zeit und ggf. die fehlende Bereitschaft der Grundschule dafür verantwortlich, wenn der Übergang zur Schule nicht gut gelingt. Das wissen wir seit langem. Was uns fehlt, sind nicht wissenschaftliche Untersuchungen darüber, sondern politisches Handeln. Schulbehörden und Lehrerverbände haben wohl kein Interesse an einer gelingenden Kooperation mit der Kita und ob die verzweigte Kita-Trägerlandschaft sich zu einem gemeinsamen Handeln durchringen kann, ist höchst fraglich - wenn die Kultusministerkonferenz nicht die entsprechenden Vorgaben macht und - das nur nebenbei - das Tarifgefüge der ErzieherInnen dem der LehrerInnen angeglichen wird. So weit, so schlecht. Da nutzen auch weitere Forschungen nicht.

Julia Bruns und Lars Eichen berichten über "Adaptive Förderung zur Vorbereitung auf den Übergang vom Elementar- in den Primarbereich am Beispiel des Bereichs Mathematik." Die Zusammenfasung:

"Die vorliegende quasi-experimentelle Querschnittsuntersuchung verfolgt das Ziel, adaptive Förderleistungen elementarpädagogischer Fachpersonen zu erfassen und Zusammenhänge mit anderen Komponenten elementarpädagogischer Arbeit aufzudecken. Im Zentrum steht die Frage: Welcher Zusammenhang zeigt sich zwischen der Beobachtungsintensität, den diagnostischen Fähigkeiten und der Qualität der adaptiven Förderpraxis im Elementarbereich? Fokussiert wird die adaptive Förderleistung einer Teilstichprobe mit n = 31 Fachpersonen in Bezug auf die Teilstichprobe von n = 62 Kinder. Dazu werden verschiedene Methoden auf Kinder- und Fachpersonenebene im Sinne eines mixed-methods Designs miteinander verknüpft (Mathematiktest ‚zahlenstark', standardisierte Beobachtung, standardisiertes Interview). Die Ergebnisse zeigen, dass keiner Fachperson eine optimale Förderung zweier Kinder gelingt. Im Hinblick auf den Übergang zwischen Elementar- und Primarbereich kann gefolgert werden, dass die Kinder unzureichend in ihren individuellen Bildungsprozessen begleitet werden."

Diskussion

Dass ErzieherInnen Kinder in ihrer mathematischen Entwicklung nicht optimal fördern - je nun. Sie haben ja auch vieles anderes zu tun, z.B. die Sprachentwicklung, Bewegung, Naturerlebnisse und und und. Bei allen diesen Bereichen KANN die Forschung zu dem Ergebnis kommen, die Förderung sei nicht ausreichend - aber sagt uns das irgendetwas darüber, ob ErzieherInnen die Kinder in ihrer gesamten Entwicklung fördern? Die Frühpädagogik zeichnet sich ja dadurch aus, NICHT auf spezifische Fächer zu fokussieren, sondern das ganze Kind im Auge zu behalten. Deswegen sollten sich Erzieherinnen von den Ergebnissen dieser Studie nicht irritieren lassen.

Anne Levin, Kajta Meyer-Siever und Johanna Gläser schreiben über "Epistemologische Überzeugungen zur Mathematik von ErzieherInnen und PrimarstufenlehrerInnen im Vergleich".

Die Zusammenfassung: "Im Rahmen des Projektes AnschlussM wurden 1525 LehrerInnen und ErzieherInnen in Bremen und Baden-Württemberg zu ihren epistemologischen Überzeugungen zur Natur von Mathematik, zum Lehren und Lernen von Mathematik und zur Natur mathematischer Leistungen befragt. Es zeigen sich durchgehend signifikante Unterschiede nicht nur zwischen LehrerInnen und ErzieherInnen, sondern auch zwischen LehrerInnen mit einem Fachstudium in Mathematik und LehrerInnen ohne Mathematikstudium derart, dass LehrerInnen mit einem Fachstudium in Mathematik sich eindeutiger zu den Überzeugungen zur Mathematik positionieren, sei es in einer deutlicheren Ablehnung oder Zustimmung. Unterschiede zwischen den Bundesländern sind nur im Einzelfall zu beobachten."

Diskussion

Dass Menschen unterschiedliche Einstellungen zur Mathematik haben und diese Einstellungen sich auf ihren didaktischen Umgang mit dem Lernfeld auswirken, liegt auf der Hand. Das Ergebnis dieser Studie ist nun allerdings mehr als trivial: Grundschullehrerinnen, die Mathematik unterrichten, haben andere Auffassungen als Grundschullehrerinnen, die dieses Fach nicht studiert haben, und ErzieherInnen wiederum denken anders als alle LehrerInnen.

Schließlich befassen sich Jennifer Henkel und Norbert Neuß mit der "Verankerung der Transitionsthematik in Studium und Ausbildung". Die Zusammenfassung: "Im Rahmen des BMBF-Förderprogramms 'Kooperation von Elementar- und Primarbereich' erforschte das Projekt 'VElPri' die Bearbeitung der Übergangsthematik in den Qualifikationswegen von ErzieherInnen, KindheitspädagogInnen und LehrerInnen. Der Artikel legt den Schwerpunkt auf die Sicht der Lernenden. Anhand einer Onlinebefragung (n = 2063) wurde erfasst, wie häufig und intensiv die Thematik 'Übergang Kita-Grundschule' in Studium und Ausbildung bearbeitet wurde. Die Ergebnisse zeigen Unterschiede zwischen und innerhalb der Gruppen auf. Insgesamt wird die Häufigkeit und die Intensität der Bearbeitung der Übergangsthematik als eher gering eingeschätzt."

Diskussion

Nun soll die Ausbildung von FrühpädagogInnen auch das Thema des Übergangs von der Kita in die Schule behandeln. Die Ausbildung soll also kaschieren, was die Politik nicht leistet, nämlich die Systeme der Jugendhilfe und der Schulverwaltungen aneinander anzugleichen bzw. so zu kompatibilisieren, dass der Übergang von der Kita in die Grundschule für die Kinder keinen Schock bedeutet, die Bildungskette also nicht unterbrochen wird. Dass man in der Ausbildung das Thema erwähnt - o.k. Aber frühpädagogische Fachkräfte könnten die Strukturen nicht durch guten Willen überwinden. Deswegen ist die Verankerung des Themas in der Ausbildung nicht prioritär.

Fazit

Der Übergang von der Kita in die Grundschule ist durchaus ein Thema für die Frühpädagogik. Denken wir nur an die gewissenhaften Fachkräfte in der Kita, die sich um die Ankunft ihrer kleinen Schützlinge und BildungsaspirantInnen in der Schule sorgen. Aber Vergleiche zu ziehen zwischen LehrerInnen, die Fächer vertreten, und frühpädagogischen Fachkräften, ist ein Unding, weil sie die besondere Aufgabe der Frühpädagogik, nämlich ganzheitlich zu bilden, nicht mehr im Blick haben. Stattdessen wird die fachliche Orientierung in den Vordergrund gestellt.

Der MINT-Hype, der uns internationale Wettbewerbsfähigkeit verschaffen soll, geht in die Leere, wenn wir die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern nach Selbstwirksamkeit und Anerkennung nicht berücksichtigen. Darin liegt die große Aufgabe der Frühpädagogik. Denn die frühpädagogischen Fachkräfte in der Kita schaffen die Grundlagen für die Bildungsarbeit in der Schule: Sie fördern das Selbstbewusstsein, die Neugier, die Freude an neuen Erfahrungen. Das geht natürlich nur, wenn sie gut aus- bzw. weitergebildet sind und der Personalschlüssel eine gute Bildungsarbeit erlaubt.

Die Bedeutung des Übergangs von der Kita in die Grundschule sollte aber auch nicht überschätzt werden. Kinder sind weitaus flexibler, weitaus kompetenter, mit Veränderungen umzugehen, sie auch positiv zu verarbeiten, als die aufgeregte Diskussion um den Übergang uns glauben machen will. Machen wir uns doch mal klar, welche Brüche Flüchtlingskinder zu überwinden haben: Sie haben ihr gewohntes Umfeld verloren, sie müssen eine andere Sprache lernen, und in den meisten Fällen sind sie unter den Ärmsten der Bevölkerung zu finden. Diese Kinder haben unter traumatisierenden Umständen überlebt, auch sie hungern nach Bildung, und wie wir diese Herausforderung in den Bildungsinstitutionen bewältigen, das ist das Thema, das schnellstens bearbeitet werden muss, auch und gerade in der Forschung. 

 

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