
Der Wasserfall-Fluss. Kinder erforschen einen Bach
Wir übernehmen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion aus dem neuen Heft von "Betrifft Kinder". Schade nur, dass Großstadtkinder solche Abenteuer nicht so ohne Weiteres erleben können.
Sie nennen sich Forscherkids und treffen sich jede Woche. Sie sind neugierig und bereit, den Dingen auf den Grund zu gehen. Den Kindergarten kennen sie schon lange. Es zieht sie nach draußen, ins Vertraute und Fremde, das dort anfängt, wo die Kita aufhört.
Andrea Heidemann dokumentierte die Erfahrungen und Erkenntnisse der Kinder auf ihren Wegen durch das Dorf und an den Bach. Über einen Zeitraum von sechs Monaten machte sie das Lernen der Kinder mit Hilfe „sprechender Wände“ sichtbar. Hildegard Wies erlebte die Präsentation des Projekts im Franz-Hitze-Haus in Münster mit und berichtet.
Als die Kinder sich im Januar mit Andrea Heidemann in ihrer Forscherkids-Gruppe trafen, erzählten sie, dass sie vor den Ferien in der Eisdiele waren. Beim Eisessen hörten sie ein lautes, starkes Geräusch, das ihnen unbekannt war. Sie gingen mit ihrer Erzieherin raus, folgten dem Geräusch und entdeckten einen Wasserfall, dessen beständiges Rauschen sie faszinierte. Weil sie nach Wochen noch davon erzählten, fragte die Erzieherin: „Habt ihr Lust, noch mal zum Wasserfall zu gehen?“ Sofort sausten die Kinder in die Garderobe, um sich für den Ausflug vorzubereiten.
Wer weiß Bescheid?
Im Dorf hörten die Kinder das Geräusch schon, bevor der Wasserfall in Sichtweite kam. Dort angekommen, fragten sie:
- Warum ist das Wasser so laut?
- Wo fließt der „Fluss“ hin?
- Wo kommt er her?
- Hat er einen Namen?
- Sind Fische und andere Tiere im Wasser?
Die Kinder überlegten, wer ihnen diese Fragen beantworten könnte. Einige Kinder meinten, der Bürgermeister müsse das können. Vielleicht auch die Eltern oder Großeltern. Andere kannten das Bürgerbüro und schlugen vor, dort nachzufragen.
Im Bürgerbüro
Inzwischen bezeichneten die Kinder den Bach als „Wasserfall-Fluss“. Dies zeigte, dass sie sich Vorstellungen darüber machten, wie so ein Wasserfall entsteht. Von irgendwoher musste das Wasser ja kommen.
Da sich der „Wasserfall-Fluss“ in unmittelbarer Nähe des Bürgerbüros befand, beschlossen die Kinder, in das Büro zu gehen. Maximilian übernahm die Aufgabe, am Informationstresen nachzufragen. Dort erfuhren die Kinder, dass der „Wasserfall-Fluss“ einen Namen hat: Nonnenbach. „Also kein Fluss, sondern ein Bach“, konstatierten sie. Außerdem erfuhren sie, dass der Wasserfall kein richtiger Wasserfall ist, sondern über von Menschen gebaute Stufen hinabrauscht. Die Dame im Büro erklärte ihnen, dass der Nonnenbach jetzt so laut ist, weil es so viel geregnet hatte. Dadurch führte der Bach mehr Wasser als sonst.
Nun wollten die Kinder wissen, wohin der Nonnenbach fließt und woher er kommt. Die Dame im Bürgerbüro war verblüfft. Zwar konnte sie den Kindern keine Auskunft geben, schenkte ihnen aber zwei Landkarten, auf denen der Bach eingezeichnet war.
Am Bach
Draußen studierten die Kinder mit ihrer Erzieherin die Karten und beschlossen, dem Bachlauf in Fließrichtung zu folgen. Das war schwieriger als gedacht, denn der Bach verschwand manchmal unter einer Brücke, während die Kinder die Straße nehmen mussten. Oder der Weg führte vom Bach fort, so dass die Kinder durch das Gestrüpp an der Uferböschung gehen mussten.
Die Idee, durch den Bach zu waten, gaben die Kinder auf, denn stellenweise war er tief. Außerdem war das Wasser bei den winterlichen Temperaturen im Januar zu kalt. Mutig suchten sie nach Möglichkeiten, in Sichtweite des Bachs zu bleiben, auch wenn der sich an manchen Stellen tiefer in sein Bett grub oder sich in Windungen dahinschlängelte. Beständig zog es sie möglichst nah an den Bachlauf. Dabei entdeckten sie Dinge im und am Wasser, die sie fotografierten.
Armend: „Den Löffel hab ich im Wasser gesehen. Sieht aus wie ein Piratenschatz.“
Sarah: „Warum gibt es so viele Brücken? Die habe ich vorher gar nicht gesehen.“
Armend: „Wenn es bergab geht, fließt der Bach schneller.“
Sarah: „Wieso heißt der Bach Nonnenbach?“
Max: „Bestimmt, weil da eine Nonne reingefallen ist.“
Für einige der Fragen fanden die Kinder im Austausch miteinander Antworten, die sie zufrieden stellten. Andere Fragen schrieb die Erzieherin auf, um Impulse für spätere Gespräche geben zu können.
Die Kinder beschlossen, dem Bachlauf am nächsten Morgen weiter zu folgen. Sie wollten an der Stelle beginnen, an der sie aufgehört hatten, und prägten sich ihren Standort genau ein. Außerdem wollten sie unterwegs und im Stehen frühstücken. Alle Kinder waren sich einig: Wir wollen mehr über den Nonnenbach wissen.
Das Mühlrad
Als die Kinder das nächste Mal am Nonnenbach ankamen, wollten sie in die entgegen gesetzte Richtung gehen, also entgegen der Bachströmung, um herauszufinden, woher der Bach kommt. Unterwegs entdeckten sie wieder Schätze im Wasser, die sie gern mitnehmen wollten. Aber sie hatten nicht daran gedacht hatten, Stiefel anzuziehen, und das Wasser war immer noch viel zu kalt für solch ein Vorhaben. Also sollten die Schätze im Frühjahr gehoben werden.
Auf ihrer Expedition stellten sie fest, dass sich der Bach durch Gärten, unter einer Straße entlang und durch den Park schlängelte. Dann frühstückten sie im Stehen. Das war eine vergnügliche Angelegenheit.
Als die Kinder lautes Rauschen vernahmen, obwohl sie weit von der Wassertreppe beim Bürgerbüro entfernt waren, liefen sie immer schneller. Außer Atem und völlig überrascht standen sie plötzlich vor einem Haus mit einem alten Mühlrad. Das Mühlrad bewegte sich nicht. Darüber wunderten sich die Kinder, folgten dem Wasser des Bachs mit den Augen und suchten die Umgebung ab. Sie merkten, dass sich der Wasserschwall dicht neben dem Mühlrad aus einer Öffnung unterhalb des Hauses in die Tiefe ergoss.
Sarah: „Sieht aus, als ob das Wasser aus dem Haus kommt.“
Sina: „Als ob jemand im Haus den Wasserhahn angelassen hat.“
Die Erzieherin fragte: „Kennt ihr jemanden, der uns sagen könnte, woher das Wasser kommt?“ Während die Kinder noch überlegten, entdeckten sie direkt neben der Mühle eine Futterhandlung. Bevor sie hineingingen, baten sie Max, drinnen nachzufragen.
Max wandte sich selbstbewusst an den Verkäufer. Der Mann erklärte den Kindern freundlich, dass das Wasser neben dem Mühlrad aus dem Mühlenteich kommt, den sie hinter dem Haus finden könnten. „Das alte Mühlrad läuft nicht mehr. Aber der Mühlenteich speist die Mühle mit Wasser, und die Steverquelle oben am Wald speist wiederum den Mühlenteich“, erklärte er.
Verwundert stellten die Kinder fest, dass der Mühlenteich nicht leer wurde, obwohl ständig Wasser herauslief. Dann suchten und fanden sie die Stelle, an der Wasser in den Teich hineinlief. Doch wo war der Nonnenbach geblieben? Wieso hießen Quelle und Teich anders als der Bach?
Bevor sich alle auf den Rückweg machten, überzeugte Sarah die Kinder davon, dass sie beim nächsten Mal unbedingt eine Wasserprobe mitnehmen müssten, um das Wasser zu untersuchen.
Obwohl die Kinder der Personalsituation in der Kita wegen lange auf den nächsten Ausflug warten mussten, flammte das Feuer der Begeisterung sofort wieder auf, als es losging. Weil es ungünstig war, etwas aufzuschreiben, fotografierten sie, um sich später an Hand der Bilder erinnern zu können.
Im Verlaufe ihres Projekts legten die Kinder viele Kilometer zurück, ohne zu murren. Ausgerüstet mit Gummistiefeln, Kamera, Keschern, Eimern, Gläsern und Frühstück eroberten sie sich ihre Umgebung Stück für Stück. Oft waren sie einfach nur am Bach und machten sich wissbegierig und vergnügt mit ihm vertraut. Andrea Heidemann ließ sich von ihnen anstecken, leiten und verleiten.
Wie es weiterging, wird in den nächsten Heften berichtet.
Kontakt: