Deutsches Kinderhilfswerk: Kinderrechte gehören auf die Tagesordnung der Justizministerkonferenz
Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert Bundesjustizminister Marco Buschmann und die Justizministerinnen und Justizminister der Länder anlässlich der Justizministerkonferenz auf, sich stärker als bisher für eine bessere Umsetzung der Kinderrechte im Justizsystem einzusetzen. "Wir sind sehr froh darüber, dass Mitglieder des Nationalen Rats gegen sexuelle Gewalt an Kindern den, Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren' am Rande der Justizministerkonferenz vorstellen können. Ein wesentlicher Baustein dieses Leitfadens ist ein Pilotprojekt des Deutschen Kinderhilfswerkes zur Entwicklung von Standards einer kindgerechten Justiz, das in Kooperation mit der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte durchgeführt wurde. Ziel muss es insgesamt sein, die Einhaltung und wirksame Umsetzung aller Kinderrechte in justiziellen Verfahren zu erreichen. Denn zahlreiche Studien zeigen auf, dass die Situation von Kindern und Jugendlichen in behördlichen und gerichtlichen Verfahren in Deutschland oftmals weder den internationalen menschenrechtlichen Anforderungen noch den Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz entspricht. So werden Kinder häufig nicht kindgerecht beteiligt und angehört, obwohl Verfahren ihre Interessen betreffen und die Entscheidungen weitreichende Folgen für ihr Leben haben. Hier besteht also umfassender Handlungsbedarf", betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes und Landesjustizministerin a.D.
"Diesen Handlungsbedarf hat auch der UN-Kinderrechtsausschuss vor wenigen Wochen angemahnt. Dieser hatte sich für eine systematische Schulung aller Fachkräfte, die für und mit Kindern im Justizbereich arbeiten, in Bezug auf Kinderrechte und die UN-Kinderrechtskonvention ausgesprochen. Das Schulungs- und Beratungsangebot im Hinblick auf die Ermittlung und Gewichtung des Kindeswohls müsse ausgebaut werden. Denn jedes Jahr kommen tausende Kinder in Deutschland mit dem Justiz- und Verwaltungssystem in Berührung. Sie sind beispielsweise Beteiligte in familienrechtlichen Verfahren bei einer Scheidung der Eltern, Zeuginnen und Zeugen in strafrechtlichen Verfahren oder Betroffene in Asylverfahren. Laut Umfragen wünschen sich Kinder besser gehört, informiert und mit Respekt behandelt zu werden. Das müssen wir ernst nehmen und umsetzen, um Kindern den vollen Zugang zum Recht zu garantieren. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist ein wesentlicher Bestandteil zur Bestimmung des Kindeswohls, nur so können sach- und kindgerechte Lösungen beispielsweise in Familienverfahren getroffen werden", so Lütkes weiter.
"Es ist kritisch zu betrachten, dass das Wissen zu kindgerechter Justiz kein Gegenstand der juristischen Ausbildung ist. Die Grundsätze der UN-Kinderrechte, die Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz und der Grundsatz der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes gebieten es aber, die Sicherung inhaltlicher Mindeststandards zu UN-Kinderrechten sowie kindgerechte Anhörungs- und Vernehmungsmethoden durch entsprechende notwendige Qualifikationen von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Polizeibeamtinnen und -beamte auf Landesebene umfassend zu verankern. Das Familienrecht und die Kinderrechte sollten bereits in der Ausbildung eine viel stärkere Rolle spielen, und das Recht sowie die Pflicht zu Fortbildungen beispielsweise für alle Familienrichterinnen und -richter gesetzlich flächendeckend verankert werden. Grundsätzlich gilt das aber nicht nur bei familiengerichtlichen Verfahren: Als Kinderrechtsorganisation setzen wir uns entsprechend der Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz für eine verpflichtende Qualifikation aller Richterinnen und Richter sowie aller weiteren Fachkräfte ein, die im Kontext von Gerichtsverfahren mit Kindern zu tun haben. Hierzu gehört neben einer gesetzlichen Verpflichtung zur spezifischen Qualifikation auch die Überprüfung, dass die Qualifikation mit Aufnahme der Tätigkeit vorliegt und durch verpflichtende Fort- und Weiterbildungen dem rechtlich und wissenschaftlich aktuellen Stand entspricht. Damit geht einher, dass den Richterinnen und Richtern und anderen Fachkräften ermöglicht wird, regelmäßig interdisziplinäre Fortbildungen wahrzunehmen", so Anne Lütkes.
Zur besseren Umsetzung der Kinderrechte im Justizsystem hat das Deutsche Kinderhilfswerk vor kurzem zwei Publikationen veröffentlicht: eine Sammlung guter Praxisbeispiele zur Umsetzung einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sowie eine Handreichung für Richterinnen und Richter als Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren. Die Publikation "Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz. Ein erster Blick in die gute Praxis der Bundesländer" stellt Maßnahmen und Projekte einzelner Gerichte und Bundesländer zur Umsetzung der Kinderrechte in Gerichtsverfahren vor. Damit macht sie zum einen den sehr unterschiedlichen Umsetzungsstand einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sichtbar und soll zum anderen die Landesjustizministerien, aber auch einzelne Gerichte zur Adaption erfolgreicher Maßnahmen anregen. Die "Handreichung für Richter*innen - Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren" soll Richterinnen und Richter dabei unterstützen, die Kinderrechte in gerichtlichen Verfahren als solche besser zu erkennen und die gesetzlichen Möglichkeiten zu ihrer Umsetzung umfassend auszuschöpfen. Dabei stehen besonders die Verbesserung der Qualität der Anhörungen sowie der Vernehmungen von Kindern und Jugendlichen, der Zugang und die Beteiligung am Recht sowie die Stärkung interdisziplinärer Kooperationen im Vordergrund. Die Handreichung wurde bereits von Richterinnen und Richtern im Pilotprojekt zu familiengerichtlichen Verfahren erprobt und als sehr nützlich bewertet.
Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Kinderhilfswerks vom 10. November 2022