Die Perspektive der Lernfelddidaktik
Eine Antwort auf die Streitschrift „Irrweg Lernfeldkonzeption in der Erzieherinnenausbildung“
In meiner Antwort auf die Streitschrift „Irrweg Lernfeldkonzeption“ möchte ich mich für die Lernfelddidaktik aussprechen. Denn meiner Erfahrung nach ist sind Kompetenzorientierung und Lernfelddidaktik als handlungsorientiertes Lernkonzept eine gute Basis für die Weiterentwicklung der Erzieherinnenausbildung auf nationaler und europäischer Ebene.
Siegfried Beckord
Wenn ein Arbeitsfeld mit so weitgehenden Veränderungen konfrontiert wird, haben die Institutionen, die die Fachkräfte dafür ausbilden, die Aufgabe zu überprüfen, ob bzw. welche Konsequenzen sie daraus ziehen müssen.
Die Entwicklung der sozialpädagogischen Arbeitsfelder geht weiter
Unumstritten in der didaktischen Diskussion der Erzieherinnenausbildung ist seit langem, dass der alte Fächerkanon aus den 70er und 80er Jahren mit den nicht mehr aktuellen Inhalten und traditionellen Fächeraufteilungen für die immer komplexeren beruflichen Tätigkeiten völlig unzulänglich ist. Die rasante Ausweitung des spezifischen Fachwissens erfordert in der Erzieherinnenausbildung andere Lernwege.
Andreas Gruschka entwickelte in den 80er Jahren das Konzept der „Entwicklungsaufgaben“. Es war aber auf die Fachschule für Sozialpädagogik bzw. auf die Erzieherinnenausbildung im Berufskolleg begrenzt und ist nur von wenigen Bundesländern übernommen worden. Die Weiterentwicklung dieses Konzepts einer persönlichkeitsorientierten Didaktik ist leider nicht systematisch weiter betrieben worden. Didaktische Probleme und unzulängliche schulrechtliche und –organisatorische Rahmenbedingungen erschwerten die Umsetzung dieses Konzepts.
Vielleicht wurde die Entwicklung des Konzepts der Entwicklungsaufgaben auch deshalb vernachlässigt, weil sich in der zweiten Hälfte er 90er Jahre das Konzept der Lernfelddidaktik (LFD) durch den Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) von 1999 rasch verbreitete und bereits zwischen 2000 und 2005 in verschiedenen Bundesländern auch in die Lehrpläne der Fachschulen für Sozialpädagogik übernommen wurde.
Kompetenz- und Handlungsorientierung
Die Lernfelddidaktik ist unterrichtsdidaktisch nicht revolutionär neu. In Lernfeldern werden Fachinhalte (Fachtheorien) in einer didaktischen Aufbereitung in einen beruflichen Anwendungszusammenhang gebracht. Fachtheorien werden nicht mehr als isoliertes Wissen vermittelt. Das zugrunde liegende didaktischen Prinzip der Handlungsorientierung ist ebenfalls nicht neu (siehe dazu die von Schelten 2010 beschriebenen Elemente der Handlungsorientierung). Es ist ein Lösungsansatz, der lernpsychologisch die Eigentätigkeit des Lernenden / Studierenden in dem Lernprozess in den Focus stellt. Zentraler Mittelpunkt ist die didaktisch angeleitete Auseinandersetzung mit ausgewählten Aufgaben aus dem Beruf. Über die Schritte der Analyse der Situation mit ihren Anforderungen, der Reflexion der eigenen bzw. beobachteter Praxiserfahrungen und Aufbereitung systematischen Fachwissens kommt es zur Entwicklung von beruflichen Handlungsperspektiven, die sich dann über weitere Praxiserfahrungen zu Handlungskompetenzen weiterentwickeln. Der Lehrer hat dabei die komplexe Aufgabe der didaktischen Vorbereitung und der Anleitung dieses Arbeitsprozesses zu bewältigen. Das erfordert viel mehr als nur die Moderation.
Anders als in der Streitschrift beschrieben, schließt die LFD eine Integration von fachsystematischem und handlungssystematischem Lernen nicht aus.
Der LFD wird von den Autoren unterstellt, dass sie nur nach Versuch und Irrtum arbeiten würde – das geschieht aber nicht, wenn die Prinzipien des handlungs- und problemorientierten Unterrichts richtig eingesetzt werden.
Ein schwarz oder weiß polemisieren hilft der Didaktik der sozialpädagogischen Fachschulen (FSP/FA) nicht weiter. Unterricht bzw. eine Ausbildung für eine Profession ist ein komplexer Prozess, in dem verschiedene didaktische Methoden mit einer Variation an Unterrichtselementen eingesetzt werden müssen (Wiechmann, 1999). Dafür sind wir Lehrer und Lehrerinnen ausgebildet worden.
Bundesweite Abstimmung der Lehrpläne
Die Autoren der Streitschrift heben mehrfach auf die europäische Perspektive der Erzieherinnenausbildung ab. Dabei wird meiner Ansicht nach übersehen, dass die Möglichkeit der europaweiten Anerkennung von Bildungsabschlüssen die Weiterentwicklung der Erzieherinnenausbildung in Richtung einer Kompetenzorientierung notwendig machte. Die Erzieherinnenausbildung musste im Vergleich mit den sozialpädagogischen Abschlüssen in den anderen EU-Ländern in Niveaustufen eingeordnet werden. Die Kategorien bzw. Standards wurden durch den Europäischen Qualifikationsrahmen bzw. den Deutschen Qualifikationsrahmen definiert und mussten auf die Erzieherinnenausbildung übertragen werden (Autorengruppe Fachschulwesen 2011).
Inzwischen ist ein kompetenzorientiertes Qualifikationsprofil für die Erzieherinnenausbildung entwickelt worden und die Kultusministerkonferenz hat die Ausbildung an den Fachschulen für Erzieherinnen auf das Niveau 6 des deutschen Qualifikationsrahmens eingeordnet. Spätestens dadurch müssen sich auch die „traditionell“ arbeitenden Fachschulen in Bewegung setzen, um diesen Standard zu erreichen. Die Abschlüsse der Fachschulen für Sozialpädagogik sind damit in die europäischen Abschlüsse eingeordnet.
Zusätzlich haben länderübergreifende Arbeitsgruppen einen gemeinsamen Ausbildungsplan auf der Basis des Kompetenzprofils und der Lernfelddidaktik erarbeitet. Dieser in seiner Breite und Tiefe abgestimmte Ausbildungsplan ist inzwischen in 14 Bundesländern die Basis für die Länder-Rahmenpläne. Die Fachschulen und Fachakademien haben damit in Deutschland einen großen Schritt hin zu einer bundesweit curricular abgestimmten Erzieherinnenausbildung geschafft (KMK 2011, 2012).
Das Team im Mittelpunkt
Bei der Lektüre der Streitschrift fällt auf, dass die Autoren immer wieder Punkte beklagen, bei denen es um eine Weiterentwicklung der Lehrerrolle und der Mehrarbeit durch die notwendige curriculare Überarbeitung geht.
Wie in vielen anderen Professionen müssen sich auch die Kompetenzen des Unterrichtens weiterentwickeln. Frontalunterricht oder klassische Gruppenarbeit reichen aus lernpsychologischer Sicht schon lange in der Fachschule nicht mehr. Das Lernfeldkonzept erfordert auch die curriculare Vorbereitung und die Umsetzung im Team. Der Lehrer kann dabei nicht mehr nur sich selbst verpflichtend über seinen Unterricht entscheiden.
Didaktische Weiterentwicklungen sind mit Mehrarbeit verbunden, das ist unbestritten. Die Umsetzung der LFD bzw. der den Lernfeldern zugeordneten Kompetenzen ist eine anspruchsvolle Aufgabe; - sie muss in jeder FSP erfolgen und fordert das gesamte Team. Um eine gemeinsame Diskussion des didaktischen Konzepts, didaktischer Legitimations- und Reduktionsentscheidungen kommt das Team dabei nicht herum. Das erfordert zusätzliche Arbeitszeit in „Bildungsgangskonferenzen“ und Arbeitsgruppen – und hier beginnt es oft schwierig zu werden. Der Erfolg eines FSP-Teams hängt dann von einer grundsätzlichen Innovationsbereitschaft im Team, dem didaktischen und methodischen Know-how und der Fähigkeit „Changemanagement“ gestalten zu können ab.
Die erweiterte Schulleitung und auch die Bildungsgangsleitung sollten dazu qualifiziert sein, das Team mitzunehmen und den Arbeitsprozess anzuleiten (Arnold, 2007). Selbstverständlich benötigt der Prozess auch Strukturen und Ressourcen - die bereit gestellt werden müssen – dass ist das Thema der sozialpädagogischen FSP/ FA, wenn wir die Ausbildungsdidaktik der Erzieherinnenausbildung erfolgreich weiter entwickeln wollen. Schulleitungen und die Schulaufsicht müssen diese Prozesse durch organisatorische Maßnahmen und Schaffung von Handlungsspielräumen unterstützen.
„Know how“ und Ressourcen
Ich werbe für ein großes Bündnis – ein Bündnis der Fachschulen für Sozialpädagogik und Fachakademien (FSP/FA) mit den Kultusbehörden und deren Entscheidungsträgern. Einem gemeinsamen Suchen nach Möglichkeiten, diesen komplexen und aufwendigen Prozess durch Unterstützung, Bereitstellen von Ressourcen (Handreichungen und Fortbildungen), dem Nutzen von Synergien zwischen den FSP‘s auf regionaler oder Länderebene erreichbar zu machen.
Hilfreich dafür wäre, wenn die Aufwendungen dieser „Curriculumentwicklung vor Ort“ mit einem zeitlichen Ausgleich für die Mehraufwendungen gegenüber der üblichen Unterrichtsvorbereitung ausgestattet werden könnten – aber ist diese Forderung im Kontext von überschuldeten Länderhaushalten kurzfristig realistisch und sollte deshalb eine notwendige Innovation unterbleiben?
Wie kann es weitergehen?
Natürlich müssen die sozialpädagogischen Fachschulen über das Konzept der Lernfelddidaktik weiter diskutieren. Die Legitimation der anzustrebenden Kompetenzen und des Zuschnitts der Lernfelder ist immer wieder einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Die Umsetzung muss auch auf der didaktischen und methodischen Ebene weiterentwickelt werden. Darüber hinaus bleiben auch die großen Aufgaben der didaktischen Gestaltung der Entwicklung einer professionellen Haltung, die über die Kategorie der „Personalen Kompetenz“ hinausgeht.
Für die Ergebnisqualität der Ausbildung wesentlich ist es ebenso, die Didaktik der Anleitung / Begleitung / Reflexion in den Praktika weiter zu entwickeln. Fachschulen müssen dazu auch von ihren Kultusbehörden die notwendigen Personalressourcen für eine aktive Theorie-Praxis-Verzahnung wie sie in der KMK-Vereinbarung vorgesehen ist zur Verfügung gestellt bekommen.
Die Praxisausbildung muss wie vorgesehen als Teil der Fachschulausbildung qualifiziert betreut und bewertet werden können. Qualitätsstandards für die wichtige Aufgabe der Lernkooperation zwischen Theorie und Praxis stehen auch noch auf der Agenda.
Schulrechtliche Vorgaben müssen angepasst werden, damit es nicht zu Brüchen und Widersprüchlichkeiten in der Umsetzung kommt. Die kompetenzorientierte Leistungsüberprüfung gehört auch zu den weiter zu entwickelnden Arbeitsthemen.
Die Implementierung der LFD ist ein komplexer Prozess. Wichtig ist, dass die Fachschulen für Sozialpädagogik sich darauf einlassen; aber auch von der Schulaufsicht unterstützt und mitgenommen werden.
Es lohnt sich aber auch, die Erzieherinnenausbildung weiter zu entwickeln.
Das Team unserer Fachschule hat beispielsweise 2002 mit dem Einstieg in die LFD begonnen. Es war ein intensiver Arbeitsprozess – dass Team hat sich seitdem eine Menge an weiterem Fachwissen, an didaktischer Kompetenz und der Möglichkeit der Strukturierung von Arbeitsprozessen angeeignet. Dadurch ist das Team fachlich noch stärker aufgestellt und stolz auf die Anerkennung aus den Praxiseinrichtungen und der großen Zufriedenheit der Studierenden mit der Ausbildung. Die berufliche Handlungskompetenz und das gut integrierte Fachwissen der Studierenden, was sie selber so erleben und ihnen auch aus der Praxis bestätigt wird, sind inzwischen für das Team zu einer wichtigen Triebfeder geworden. Leider dauert es mehrere Schuljahre, bis die „Ernte“ so sichtbar wird und auch die zweifelnden Kollegen überzeugt.
Trotz des Fortschritts bedeutet das nicht, dass das Team den Eindruck hat, die Ausbildung ist fertig und wir können die LFD perfekt umsetzen – aber wir erleben den permanenten Weiterentwicklungsprozess nicht als Überforderung und können inzwischen der Arbeit im Team und den Chancen auf die neue Qualität in der Ausbildung viele Vorteile abgewinnen.
Fazit: das Ziel lohnt sich – aber der Weg wird ein permanenter sein.
Siegfried Beckord ist Direktor des Berufskollegs der AWO in Bielefeld. Wir übernehmen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors aus der neuen Ausgabe von klein & groß.
Literatur
Arnold, Rolf: Ich lerne, also bin ich. Carl Auer Verlag, 2012(2)
Autorengruppe Fachschulwesen: Qualifikationsprofil „Frühpädagogik“ – Fachschule/Fachakademie, Deutsches Jugendinstitut e.V. München, 2011
Bader, Reinhard/ Sloane, Peter F. E. (Hrsg.):Bildungsmanagement im Lernfeldkonzept: Curriculare und organisatorische Entwicklung. Beiträge aus den Modellversuchsverbünden NELE & SELUBA. Eusl Verlag, 2002
Kremer, H.-Hugo/ Sloane, Peter F.E.: Lernfelder implementieren. Zur Entwicklung und Gestaltung fächer- und lernortübergreifender Lehr-/Lernarrangements im Lernfeldkonzept. EuslVerlag, 2001
Kultusministerkonferenz(KMK): Kompetenzorientiertes Qualifikationsprofil für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern an Fachschulen/Fachakademien – (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.2011)
Kultusministerkonferenz(KMK): Länderübergreifender Lehrplan Erzieherin/Erzieher. Entwurf – Stand: 01.07.2012
Schelten, Andreas: Einführung in die Berufspädagogik. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Franz Steiner Verlag, 2010
Wiechmann, Jürgen (Hrsg): Zwölf Unterrichtsmethoden. Beltz Pädagogik Verlag, 1999