zwei kleine Jungen beim Spielen auf dem Spielplatz

Die unter Dreijährigen: Die Bundesrepublik rüstet auf in der Betreuung der Kleinsten.

26.03.2009 Kommentare (0)

Inhalt
  1. Bildungsprozesse in der Krippe
    1. 1. Die soziale Dimension: Bildung als Beziehungsbildung
      1. 1.1 Aufbau und Funktion von Bindungsbeziehungen
      2. 1.2 Konsequenzen für die pädagogische Praxis in Krippen
    2. 2. Die Handlungsdimension: Kleinkinder als aktive Gestalter ihrer Bildungsprozesse
      1. 2.1 Erkenntnisse aus Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie
      2. 2.2 Bildungsunterstützende Faktoren in Krippen
        1. Pädagogische Haltung
        2. Raumangebot und Raumgestaltung
        3. Spielmaterialien
        4. Gestalterische Aktivitäten
    3. 3. Die identitätsorientierte Dimension: Bildung der Persönlichkeit
      1. 3.1 Persönlichkeitsbildung in der frühen Kindheit
      2. 3.2 Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Krippenkindern
    4. Zusammenfassung
    5. Literatur

Die Bundesregierung hat mit ihrem Kinderförderungsgesetz und dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz ein neues Kapitel in der Geschichte der Kinderbetreuung in Deutschland aufgeschlagen. Bis 2013 planen Bund, Länder und Kommunen eine Bereitstellung von 750.000 Plätzen für Kinder unter drei Jahre. Mit diesem Programm will die Regierung Frauen den Verbleib bzw. die Rückkehr in den Beruf während bzw. nach einer Familienphase erleichtern. Darüber hinaus verfolgt sie bildungspolitische Ziele, weil die Bildung vieler Kinder in der Kita umfassender realisiert wird als im Elternhaus. Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass der Krippenausbau mit qualifizierten ErzieherInnen nicht voll vom Bund (Investititonen) und den Kommunen (Kita-Finanzierung) bzw. den Trägern getragen werden kann: Er ist schlicht zu teuer. 30 % dieser Plätze sollen daher in der Kindertagespflege angeboten werden (http://www.familien-wegweiser.de). Die Kindertagespflege ist billiger, weil dazu keine Extraräume gebraucht werden und - weil an das Personal nicht im mindesten die Anforderungen gestellt werden wie an ErzieherInnen in der Kita. Es besteht die Gefahr, dass doch wieder der Eindruck gestärkt wird, der Umgang mit Kindern sei eine „natürliche“ Begabung, für die es nicht viel Fachwissen braucht.

Kindertagespflege findet im Gegensatz zur Kita in einem privaten Haushalt statt, in dem eine Frau oder ein Mann - möglicherweise neben eigenen Kindern - Kleinkinder aus anderen Familien regelmäßig gegen Entgelt betreut. Die quasi familiäre Atmosphäre in der Kindertagespflege mag in vielen Fällen ein Glück für Kinder und Eltern sein. Wichtig ist aber, dass das sog. Aktionsprogramm der Bundesregierung auch deutliche Akzente setzt im Hinblick auf die Qualifikation der Tagesmütter und -väter, und dass es eine Kontrolle gibt im Hinblick auf die Qualität der pädagogischen Arbeit. Wenn das Programm gelingt, sind die Aussichten dafür vorhanden.
Dabei müssen die Qualitätskriterien für eine gute Betreuung und Bildung in Krippe und Kindertagespflege immer berücksichtigt werden. Dazu hat die Deutsche Liga für das Kind ein Positionspapier verfasst mit dem Titel: „Gute Qualität in Krippe und Kindertagespflege“, erhältlich über post@liga-kind.de oder 03028599970.
Zum gleichen Thema veranstaltet die Deutsche Liga für das Kind am 16./17. Oktober 2009 ihre Jahrestagung unter dem Titel: „Für die Jüngsten das Beste.“

Kann man bei den unter Dreijährigen überhaupt von Bildung sprechen? Und was bedeutet Bildung in diesem Alter?
Viele Eltern, und vielleicht auch pädagogische Fachkräfte, verbinden mit Bildung immer noch ein schulartiges Lehren und Lernen. Aber dieser Bildungsbegriff ist überholt, weil er die Eigenaktivität des Kindes nicht einbezieht. Wir veröffentlichen daher einen grundlegenden Artikel von Prof. Dr. Susanne Viernickel von der Alice Salomon Hochschule Berlin, die in eindrücklicher Weise den Bildungsbegriff für die Krippenarbeit erläutert und auch Möglichkeiten aufweist, wie Bildung in diesem frühen Alter der Kinder realisiert wird. Der Artikel ist erschienen in dem Buch Professionalisierung der Frühpädagogik, das von Hilde von Balluseck herausgegeben wurde und beim Verlag Barbara Budrich im November 2008 erschienen ist.

Bildungsprozesse in der Krippe

Susanne Viernickel

Regionale und bundesweite Bedarfsanalysen zeigen die Notwendigkeit auf, familienergänzende Bildungs- und Betreuungsangebote auch für Kinder unter drei Jahren und für Schulkinder bereit zu stellen bzw. weiter auszubauen. Die Standpunkte, die zum bedarfsgerechten Ausbau und damit zur Schaffung von über 350 000 Krippenplätzen in den kommenden sechs Jahren vertreten werden, und die Argumente oder Polemiken, die ausgetauscht werden, haben allerdings sehr wenig mit Bildung und mit der Förderung von Lern- und Entwicklungsprozessen zu tun. Die Befürworter eines solchen Ausbaus argumentieren zunächst vor allem frauen- und arbeitsmarktpolitisch: Deutschland leiste sich im internationalen Vergleich einen großen Anteil von gut ausgebildeten Frauen, die bis zum Schuleintritt ihrer Kinder und auch darüber hinaus keine Berufstätigkeit aufnehmen. Die Gründe dafür sind sicherlich vielfältig, jedoch spielt auch eine Rolle, dass diese Frauen keinen guten und von den Betreuungszeiten her passenden Kita-Platz für ihr Kind finden. In schwacher Form taucht das Bildungsargument bei jenen Befürworter/innen auf, die aus der Perspektive des Kinderschutzes für eine Ausweitung von Krippenplätzen plädieren: Kinder in bedrohlichen Familienverhältnissen, aber auch jene, die zu Hause zu wenig Anregungen für ihre Entwicklung erhalten, benötigten - so die Argumentation - dringend ein Angebot „kompensatorischer“ Erziehung und Bildung.

Die Gegner früher Krippenbetreuung begründen ihr Veto mit einer Mischung aus biologistischen und entwicklungspsychologischen Argumenten: alles, was ein Kind in den ersten Lebensjahren benötige, sei möglichst exklusive mütterliche Zuwendung und Betreuung - ansonsten sei notwendig mit emotionalen Schädigungen zu rechnen (Müller: 2007). Vertreter beider Sichtweisen konnotieren mit familienergänzenden Angeboten in den ersten Lebensjahren somit in erster Linie „Betreuung“ im Sinne von physischer und emotionaler Versorgung. Bildung, die zumindest programmatisch in den letzten Jahren zum wichtigsten Ton im Dreiklang des Auftrags von Kindertageseinrichtungen geworden ist - sie findet in der öffentlichen Diskussion um die Kleinen in den Kitas nicht statt.

Dieser Beitrag nimmt Institutionen, in denen Kleinkinder in Gruppen betreut werden, unter einer expliziten Bildungsperspektive in den Blick. Dabei wird zunächst dargestellt, wie sich Bildungsprozesse in den ersten Lebensjahren vollziehen und was sie unter Umständen von späteren Lern- und Aneignungsformen unterscheidet. Hieraus abgeleitet werden jeweils Aspekte bestimmt, die eine bildungsförderliche Umgebung für Kleinkinder kennzeichnen und gleichsam als Qualitätskriterien für Krippen gelten können, sofern diese nicht nur den Betreuungs-, sondern ebenso den Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfüllen trachten. Dies wird im Folgenden angesichts des begrenzten Raumes lediglich exemplarisch möglich sein [1].

Wenn Krippen als Orte frühkindlicher Bildung etabliert werden sollen, ist erstens zu fragen, wie der Bildungsbegriff für die Altersgruppe der Kinder unter drei Jahren inhaltlich gefüllt werden kann. Verfehlt und auch für die späteren Lebensabschnitte nicht mehr haltbar erweist sich ein verengter Bildungsbegriff, der in erster Linie mit formellen Bildungsangeboten, dem Erwerb der Kulturtechniken und der Kumulation von deklarativem Wissen assoziiert ist, wie es auch der 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung treffend formuliert: „Bildung ist mehr als ein messbares Ergebnis an abfragbaren Wissensbeständen. Bildung ist ein offener und unabschließbarer Prozess, der von den Menschen selbst gestaltet wird“ (BMFSFJ 2005: 103).

Für Kinder im Alter von ein und zwei Jahren sollen im Folgenden drei Dimensionen des Bildungsprozesses besonders herausgestellt und jeweils für sich genommen und in ihren Bezügen zueinander illustriert werden. Als erstes ist die soziale Dimension zu nennen: Bildung ist Beziehungsbildung, der Aufbau von stabilen, gefühlsmäßig besetzten besonderen Beziehungen zu anderen Menschen. Bedeutsam ist zweitens die Handlungsdimension: Bildung vollzieht sich als aktive Aneignung von Welt, als neugieriges Forschen und Entdecken. Bildung bedeutet Aktivität. Und drittens sind Bildungsprozesse in einer identitätsorientierten Dimension zu denken: Bildung in der frühen Kindheit muss zu einem erheblichen Anteil als Persönlichkeitsbildung verstanden werden im Sinne der Ausformung und zunehmenden Erkenntnis über Eigenschaften und Besonderheiten der eigenen Identität.

1. Die soziale Dimension: Bildung als Beziehungsbildung

1.1 Aufbau und Funktion von Bindungsbeziehungen

Kinder brauchen Beziehungen, um sich bilden zu können; der Aufbau solcher Beziehungen ist für sich genommen bereits eine Bildungsaufgabe. In den ersten Lebensjahren eines Kindes assoziieren wir hierzu in erster Linie den Aufbau von Bindungsbeziehungen zu Mutter und Vater bzw. auch zu anderen Personen, die ein Kind ständig betreuen (Bowlby: 1975). Unter Bindung („attachment“) versteht man dabei eine besondere und enge emotionale Beziehung, die sich im Laufe der Zeit als überdauernde kognitiv-emotionale Repräsentation, als so genanntes inneres Arbeitsmodell, ausbildet und damit nicht nur aktuelle, sondern langfristige Bedeutung für die kindliche Entwicklung hat. Der Aufbau einer solchen Bindung ist zwar genetisch vorprogrammiert, das heißt, es gibt eine biologisch begründete Bereitschaft und Notwendigkeit zum Bindungsaufbau. Es sind jedoch die regelmäßigen sozialen Interaktionen zwischen Bezugsperson und Kind, die die Bindungsentwicklung und die Qualität der entstehenden Bindungsbeziehung maßgeblich beeinflussen. Ohne Zweifel spielt hierfür der oder die Erwachsene - meist die Mutter - eine wichtige Rolle. Sie ist es, die das Kind versorgt und anspricht, sie stellt aktiv die Nähe und den Körperkontakt her, wenn der Säugling danach verlangt, und übernimmt zunächst durch Kommunikationstechniken wie Blickkontakt, Gestik und stimmliche Melodik die Regulation seiner emotionalen Zustände (Siegel: 2001). Doch auch der Säugling bzw. das Kleinkind leistet wesentliche Beiträge, damit sich diese Beziehung überhaupt entwickeln kann. Dabei ist es außerordentlich wichtig, dass Bezugspersonen die Reaktionen des Kindes auch als Leistung, als Form der aktiven Auseinandersetzung wahrnehmen und mit Respekt darauf reagieren. Was in alltäglichen Interpretationen häufig als Störung konnotiert wird, ist de facto eine aktive Auseinandersetzung mit den vorhandenen Herausforderungen. So zeigen Kinder beispielsweise von Geburt an in Situationen von Unsicherheit, Missbehagen oder Gefahr aktives Bindungsverhalten, das sich durch Anklammern an die Bindungsperson bei Trennungsabsichten, durch akustisches Signalisieren (Schreien, Rufen) des Nähewunsches sowie durch Annäherung an die Bindungsperson (Hinkrabbeln, Arme ausstrecken, Hinlaufen) äußert. Sie sind also in der Lage, ihre Bedürfnisse deutlich zu artikulieren.

Abhängig von der Reaktionsbereitschaft und Feinfühligkeit, mit der die Bezugspersonen auf diese Gefühls- und Willensäußerungen antworten [2], entwickeln Kleinkinder in Folge angepasste Verhaltensstrategien, die die erlebten und irgendwann dann auch erwarteten Reaktionen widerspiegeln. Sie lernen, sich auf die Bezugsperson einzustellen. Wenn Kummer oder Ärger beispielsweise den Kontakt der Kinder mit der Bindungsperson dominieren, halten Kinder ihre Verhaltensorganisation aufrecht, indem sie eine Aufmerksamkeitsverlagerung vornehmen, die von der Bezugsperson wegführt: sie wenden sich dann verstärkt der Umwelt zu und zeigen ein auf Außenstehende ausgesprochen selbständig wirkendes Verhalten; dagegen ignorieren sie nicht selten die Bezugsperson, wenn diese nach einer Trennung zurückkehrt. Auch wenn dies sicherlich nicht die optimale Situation für ein Kind darstellt, wird auch hier wieder deutlich, dass Kleinkinder konstitutiv zum Bindungsaufbau und zur Regulation von Beziehungen beitragen und aktiv handelnd ihre eigenen Bindungs- und Bildungserfahrungen mitgestalten.

Entsprechendes leisten Kleinkinder, wenn sie in eine Krippe oder zu einer Tagesmutter kommen - auch hier steht die Beziehungsbildung, der Aufbau einer bindungsähnlichen Beziehung an erster Stelle. Man weiß heute, dass Kinder in der Lage sind, zu verschiedenen Personen differentielle Beziehungen aufzubauen. Aus der Zusammenschau zahlreicher, auch längsschnittlich angelegter Studien ist zu schließen, dass die frühe familienergänzende Betreuung in einer Krippe oder bei der Tagesmutter keinen Einfluss auf die Qualität der Bindung zwischen Mutter und Kind hat (Roßbach 2006: 84f.). Kinder mit früher - auch ausgedehnter - Krippenerfahrung unterscheiden sich statistisch gesehen nicht in ihren Bindungsqualitäten zu ihren Müttern von Kindern, die ausschließlich zu Hause betreut werden. Doch kann der Besuch einer Krippe für diejenigen Kinder eine Chance sein, die zu Hause eher unsichere und instabile Bindungserfahrungen machen. Eine positive, emotional intensive Beziehung zwischen Erzieherin und Kind kann eine unsichere Bindung zur Mutter kompensieren.

Nach der Bindungstheorie steht das Bindungsverhaltenssystem in einer Wechselwirkung zu einem zweiten biologisch adaptiven Verhaltenssystem, dem Explorationssystem. Es beruht auf der angeborenen Tendenz, Unbekanntem mit Interesse und erhöhter Aufmerksamkeit zu begegnen, die auch als Neugiermotivation bezeichnet wird. Sind in einer aktuellen Situation die kindlichen Bindungsbedürfnisse erfüllt, tritt das Explorationssystem in den Vordergrund, und die Kinder erkunden neugierig und offen ihre Umwelt. Sobald sie jedoch irritiert, überfordert oder müde werden, wird das Bindungssystem wieder aktiviert, und sie benötigen die Rückversicherung und den körperlichen Kontakt zur Bindungsperson. Erfahren Kleinkinder nun regelmäßig diese prompte und angemessene Befriedigung ihrer grundlegenden psychischen, physischen und sozialen Bedürfnisse, führt dies zu geistigen Repräsentationen von sozialen Beziehungen als zuverlässig und tragfähig und zu einem Bild von sich selbst als emotional kompetent und selbstwirksam. Auf dieser Basis können sie ihren Autonomiebestrebungen Ausdruck geben und sich neugierig in Situationen von hohem Anregungsgehalt und hoher Komplexität begeben, da sie über eigene Regulationsfähigkeiten verfügen und zusätzlich die Unterstützung ihrer Bezugspersonen einfordern können. Fehlen diese grundlegenden positiven Bindungs- bzw. Beziehungserfahrungen, haben Kinder Schwierigkeiten, sich selbstbewusst neues Terrain zu erobern und sich intensiv auf die Exploration der Umwelt einzulassen. Somit können sie nicht in vollem Maße von den Anregungen profitieren, die ein vielfältiges und komplexes Umfeld bietet. Der Aufbau sicherer Bindungsbeziehungen ist also von besonderer Bedeutung für den Verlauf kindlicher Bildungsprozesse.

1.2 Konsequenzen für die pädagogische Praxis in Krippen

Der Eintritt in die Krippe stellt, besonders wenn er abrupt und unbegleitet erfolgt, einen auch hormonell nachweisbaren Stressfaktor dar. Erst wenn die Frühpädagogin zu einer neuen Bezugsperson oder Sicherheitsbasis in dieser Umgebung geworden ist, kann sich ein Kleinkind auf die neuartigen Anregungen und Herausforderungen einlassen und von ihnen profitieren. Daraus folgt, dass der Übergang insbesondere bei Kindern unter drei Jahren überlegt und sanft gestaltet werden muss (Laewen, Andres, Hédervári: 2006). Dabei sollten bei der Eingewöhnungsgestaltung die Bedürfnisse aller Beteiligten - des Kindes, der Eltern und auch der Erzieherin - ernst genommen und berücksichtigt werden. Am besten hat sich ein individuelles Bezugspersonensystem bewährt. Jedes neu hinzukommende Kind bekommt zur Eingewöhnung “seine“ Bezugsperson zur Seite gestellt, die nun - zumindest bis das Kind voll integriert ist - seine vorrangige Ansprechpartnerin und Kontaktperson ist. Langsam aber sicher gewinnt sie als Trostspenderin und Spielpartnerin immer mehr an Bedeutung, während die Elternanwesenheit im Kindergarten immer unnötiger wird. Die Zeit des Getrenntseins von der Familie wird dann nicht nur ertragen, sondern mit Spiel- und Erkundungsverhalten ausgefüllt.

Die Kommunikation mit Kleinkindern muss, wenn sie eine gute Beziehung begründen soll, von Wertschätzung und Respekt geprägt sein. Aufmerksames Zuhören, Blickkontakt herstellen, Anteilnahme, wenn jemand wütend, verletzt oder traurig ist, gehören dazu. Im täglichen Geschehen ist Kontinuität wichtig. So sollten stets vertraute Personen für ein Kleinkind zuständig sein, und die Kindergruppe muss stabil und nicht zu groß sein. Im Falle von notwendig werdenden Gruppenaufteilungen, z.B. bei personeller Unterbesetzung, ist darauf zu achten, dass die Zweijährigen unbedingt mit beliebten Spielpartnern zusammen bleiben. Im Tagesablauf benötigen die Ein- und Zweijährigen - insbesondere in der Aufnahmephase, aber auch darüber hinaus - zuverlässige und klare Orientierungsmarken, z.B. beim Bringen und Abholen, in Übergangssituationen während des Tages, vor und nach dem Schlafen. Rituale sowie räumliche und zeitliche Kontinuität helfen ihnen, Situationen als vertraut erleben zu können und sich sicher zu fühlen. Die sprachliche Ankündigung von Veränderungen oder beim Verlassen des Raumes hilft Kleinkindern, Ereignisse einzuordnen und die eigene Welt zu strukturieren.

Gerade die Qualität der Interaktionen zwischen Erzieherin und Kind hat sich in vielen Studien nicht nur als beziehungsbildender Faktor, sondern auch als zentral für die positive sprachliche und kognitive Entwicklung der Kinder heraus gestellt (Siraj-Blatchford u.a.: 2002). Dies liegt sicherlich darin begründet, dass erwachsene Sozialpartner für Kleinstkinder besonders attraktiv sind, denn sie können individuell auf jedes Kind reagieren, sich auf seinen Entwicklungsstand und sein momentanes Befinden einstellen und darüber hinaus noch zusätzliche Anregung bieten, die im Idealfall weder ein Zuviel noch ein Zuwenig bedeutet. Kleinkinder genießen es daher besonders, mit der Erzieherin im Körperkontakt oder auf gleicher Höhe spielen und interagieren zu können. Das konkrete Mitspielen am Boden oder das Kuscheln in der Kuschelecke sind deshalb wichtige Elemente im Alltag, für die Zeit und Raum geschaffen werden sollten. Eine intensive Zuwendung ist auch besonders gut in den Pflegesituationen, insbesondere beim Wickeln, möglich.

Im gesamten Tagesverlauf ist es wichtig, dass die Fachkräfte das Sprachverstehen und den Sprachgebrauch der Kinder bewusst unterstützen. Dies tun sie, indem sie ihr Handeln sprachlich begleiten, sich mit den Kindern über Gegenstände, tägliche Begebenheiten und Erlebnisse unterhalten, Reime und Sprachspiele anbieten und generell eine kommunikative Atmosphäre schaffen.

2. Die Handlungsdimension: Kleinkinder als aktive Gestalter ihrer Bildungsprozesse

2.1 Erkenntnisse aus Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie

Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung lassen den Schluss zu, dass Kinder von Geburt an die biologische Ausstattung und Disposition mitbringen, um sich mit ihrer Umwelt auseinander zu setzen und so die eigene Entwicklung voran zu treiben (Dornes: 1994). Wahrnehmungsvorgänge bilden dabei die Grundlage, denn durch sie tritt das Individuum mit seiner Umwelt und zu sich selbst in Kontakt. Sie sind der Ausgangspunkt, über den ein Kind konkrete erste Erfahrungen mit der materiellen und sozialen Umwelt macht. Wahrnehmungen akustischer, visueller, körperlicher und emotionaler Natur werden zum Gehirn weiter geleitet, mit Gedächtnisinhalten verglichen und anhand bereits gemachter Erfahrungen bewertet. Jede Situation hält für ein Kleinkind also Erfahrungsmöglichkeiten bereit, die in vielgestaltiger, kreativer Form als „Rohmaterial“ für Verarbeitungs- und Bildungsprozesse herangezogen werden.

Erkenntnis ist in den ersten Lebensjahren eng an aktives Handeln, an Wahrnehmung und Motorik gebunden. Das Kind muss selbst aktiv sein können, durch sein Handeln, den Einsatz aller Sinne und körperlicher Empfindungen in Interaktion mit der Umwelt treten. Durch Klettern und Kriechen, Rutschen und Rennen lernen Kinder nicht nur, sich virtuos zu bewegen, sondern entwickeln auch ihr Denken und ihre Sprache weiter, denn auch die Begriffsbildung und die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen vollziehen sich im Zusammenhang mit sinnlichem Be-Greifen und Be-Handeln. Die Verarbeitung von Wahrnehmungen und die Zuweisung von Sinn und Bedeutung sind dabei Leistungen, bei denen Kinder nicht lediglich Vorhandenes abbilden oder übernehmen. Unter Rückgriff auf bereits gemachte Erfahrungen setzen sie sich handelnd, empfindend, denkend und in schöpferischer Form in Bezug zu den Phänomenen ihrer Umwelt. Dem Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt eigene Erklärungs- und Vorstellungsmuster werden durch die permanente Anwendung und Überprüfung in der realen Welt ausdifferenziert, verändert oder völlig verworfen. So konstruieren Kinder Erkenntnisse und Bedeutungen für sich erstmalig und dann wiederholend mit immer neuen Facetten neu und schaffen sich in eigenaktiver Aneignungs- und Ausdruckstätigkeit selbst die Strukturen, die ihr Handeln und Erkennen bestimmen (Viernickel: 2000) [3]. Die schöpferischen, kreativen Aspekte dieser Bildungsprozesse zeigen sich besonders im symbolischen Spiel und der Fantasietätigkeit.

Am offensichtlichsten drückt sich die Kompetenz zur eigenständigen Aneignung von Wissen und zur aktiven Selbstbildung vielleicht in den Kontakten und Sozialbeziehungen der Kinder untereinander aus. Mit den Erfahrungen, die Kinder unter ihresgleichen machen, sind - wie mittlerweile viele Studien belegen - eigenständige Entwicklungsprozesse verbunden (Viernickel: 2004). Die besonderen Entwicklungsanregungen, die Kinder sich gegenseitig bieten, liegen in der Art ihrer Beziehung begründet. Im Allgemeinen stehen sie sich als eher gleichrangige und ähnlich kompetente Partner gegenüber. Dadurch werden andere Verhaltensweisen und Fähigkeiten herausgefordert als in Interaktionen mit Erwachsenen. Um miteinander „ins Geschäft zu kommen“, müssen Kinder vieles leisten: die Aufmerksamkeit des Partners erlangen, ihre Absicht in angemessener Form und möglichst eindeutig mitteilen, dem Rhythmus von Aktion und Reaktion folgen und mit Störungen und Unterbrechungen umgehen. Anders als im Austausch zwischen erwachsener Bezugsperson und Kind steht kein kompetenterer Partner zur Verfügung, der missverständliche Signale richtig deuten und Störungen auffangen könnte. So sind die Kinder aufgefordert, eigene Fähigkeiten auszubilden, um Interaktionen weiter zu führen und eigene Spielideen gemeinsam mit einem anderen Kind zu verfolgen.

Um sich zu verständigen, setzen Kleinkinder aktiv Mimik, Gestik und Körperhaltung sowie erste sprachliche Elemente ein. Auch das Überreichen eines Spielobjekts ist eine wichtige Strategie der Kontaktaufnahme. Schließlich spielt die gegenseitige Nachahmung zur Verständigung untereinander eine wichtige Rolle, so dass sie gelegentlich sogar als die „Sprache“ von Kleinkind-Freundschaften bezeichnet wird. Zusammengefasst erscheint der Austausch zwischen Kleinkindern eher symmetrisch angelegt, mit ähnlichen Handlungsbeiträgen und gleichwertiger Rollenverteilung. Zwischen Erwachsenen und Kindern finden sich dagegen auch häufig asymmetrische Interaktionen, z.B. bei pflegerischen Handlungen (Nase putzen, Schuhe anziehen) oder wenn die Erzieherin Anweisungen gibt („Tim, setz bitte deine Mütze auf“). Dies spiegelt die eher ungleichgewichtige Beziehung wider, in der sich Erwachsene und Kinder auf Grund des Alters- und Kompetenzunterschieds zwangsläufig wieder finden. In beiden Situationen erhalten Kleinkinder demnach sehr verschiedene Antworten bzw. Reaktionen auf ihre eigenen Handlungen, und sie erwerben unterschiedliche Strategien, um soziale Kontakte aufzunehmen und aufrecht zu erhalten.

2.2 Bildungsunterstützende Faktoren in Krippen

Pädagogische Haltung

Kindern diese Erfahrungsräume zuzugestehen und anzuerkennen, dass sie aus ihren Selbstbildungspotentialen heraus und gerade auch im Kontakt miteinander Neues und ganz Anderes lernen als von Erwachsenen, ist in erster Linie eine Frage der pädagogischen Haltung. Aus einer solchen Haltung heraus wird man nämlich den Aktivitäten und Kontakten von Kleinkindern Aufmerksamkeit und Interesse entgegenbringen und ein Gespür und Verständnis dafür entwickeln, mit welchen Entwicklungs- oder Bildungsthemen sich Kinder auseinandersetzen, wenn sie für sich oder mit anderen Kindern zusammen aktiv sind. Im Nationalen Kriterienkatalog für die pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder (Tietze/ Viernickel: 2007) wurde diese Haltung durch den Dreischritt Beobachtung - Dialog - Impuls operationalisiert. Er bietet eine Orientierung für einen Umgang mit Kindern, der ihre Eigenaktivität achtet und entsprechende Rahmenbedingungen schafft. Die Erzieherin beobachtet das Verhalten der Kinder nicht um zu kontrollieren oder zu beurteilen, sondern um Bedürfnisse und Interessen zu erkennen und herauszufinden, welche Unterstützung angemessen ist. Die Aufmerksamkeit für sprachliche, aber auch nicht-sprachliche Signale der Kinder, die Wertschätzung und das Interesse für das, was die Kinder beschäftigt, drücken sich weiter in einer grundsätzlichen Dialog- und Beteiligungsbereitschaft aus. Auf der Grundlage der Beobachtungen kann sich die Erzieherin zurückhalten und den Kindern die Initiative überlassen oder aktiv sein und deutliche Impulse setzen. Mit ihren Impulsen bringt sie aktiv ihr Wissen und ihre Erfahrungen ein.

Raumangebot und Raumgestaltung

Gerade bei unter dreijährigen Kindern mit ihrem hohen motorischen Aktivitätslevel muss das Raumangebot in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, denn es bestimmt mit, wie wohl und sicher Kleinkinder sich fühlen und wie aktiv und konzentriert sie spielen. Von der Raumgröße und den sonstigen zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten hängt direkt ab, wie viel Platz zum Spielen, Gestalten, für Bewegung und Ruhe vorhanden ist. Da Kleinkinder die Welt über ihren Körper und ihre Sinne erleben, brauchen sie eine die Sinne anregende Umgebung, aber auch „geschützte Zonen“, in denen sie ohne Störung ihren Bewegungsabläufen nachgehen, sich zum Spiel zurückziehen, kuscheln und träumen oder konzentriert und komplex spielen können (Von der Beek: 2006). Innerhalb der Räume benötigen die Kinder „leere“ Flächen nicht nur aufgrund ihrer Bewegungslust, sondern auch, um auf dem Boden zu spielen. Sie sollten die Möglichkeit haben, sich hochzuziehen, an einer Art Geländer entlang zu laufen, etwas zu schieben, hoch und hinunter, hinein und hinaus zu krabbeln, Treppen hinauf und hinab zu steigen und die Umgebung von einer anderen Ebene als dem Boden zu betrachten. Ein zusätzlicher Schlafraum, oder zumindest ein Raum, in dem zur Schlafenszeit der Kleinen keine anderen Aktivitäten stattfinden, ist ebenfalls notwendig. Auch das Außengelände sollte vielfältige Sinnes- und Bewegungserfahrungen zulassen. Je jünger ein Kind ist, desto wichtiger sind regelmäßige elementare Erfahrungen mit Sand und Wasser. Sie müssen auch drinnen ermöglicht werden, durch den Einbezug der Waschräume oder zumindest die Anschaffung von Sand- und Matschtischen.

Spielmaterialien

Entwicklungsangemessene Spielmaterialien, Bücher, Puzzles, Bausteine, Musik- und Rhythmusinstrumente sowie Bewegungsspielzeug müssen ausreichend vorhanden, übersichtlich arrangiert und für die Kinder gut erreichbar sein. Material, das zum Ein- und Ausräumen, Hantieren und Experimentieren, zum Sortieren, Ordnen und Vergleichen geeignet ist, entspricht der noch vorrangigen Spielform von Zweijährigen, nämlich dem Funktions- oder Übungsspiel, und unterstützt ihre eigenaktiven Aneignungsprozesse. Dabei haben sich Gebrauchsgegenstände aus Haushalt und Küche, Behälter, Gefäße und Verpackungsmaterial sowie Naturmaterialien besonders bewährt. Spiegel und vielfältige Rollenspielrequisiten gehören ebenfalls zur Grundausstattung. Die Frühpädagogin sollte hier darauf achten, dass die jüngeren Kinder nicht nur in untergeordneten Rollen am Symbolspiel der älteren Kinder teilnehmen, sondern auch mit Gleichaltrigen eigene Spielideen entwickeln können.

Große und leicht transportable Gegenstände wie Umzugs- oder Verpackungskartons, Schaumstoffpolster in verschiedenen Formen oder Körbe und stabile Bollerwagen, in die Kinder sich selbst hinein setzen können, unterstützen das soziale Spiel von Kleinkindern. Damit es andauert und komplexer werden kann, sollten sich pädagogische Fachkräfte in solche Spielsituationen auch hinein begeben, Intentionen der Kinder verbalisieren und ggf. weiterführende Spielimpulse geben. Die Räumlichkeiten sollten daraufhin überprüft werden, ob sie ungestörte Spielabläufe ermöglichen, Rückzugsmöglichkeiten für zwei oder drei Kinder sowie Anregungen zum Phantasiespiel und Platz zum Rennen, Ballspielen, Verstecken und Jagen bieten (Viernickel/ Völkel: 2006).

Gestalterische Aktivitäten

Die Aktivität von Kindern drückt sich nicht nur durch Bewegen und Begreifen aus. Gestalterische, kreative Spuren bestätigen Kindern, dass ihr Handeln etwas geschaffen hat. Schon sehr junge Kinder verbinden mit diesen Spuren - Kritzeleien, Ton- oder Sandformen - eine Bedeutung, die sie spontan oder auf Nachfrage auch gerne kommunizieren. Deshalb ist es wichtig, Kindern jeden Alters die Möglichkeit zu geben, sich gestalterisch zu betätigen. Dafür steht in einer guten Krippe regelmäßig eine Fülle handhabbares Material für kreatives Tun zur Verfügung, wie flüssige Farben, dicke Stifte und Pinsel, die die Kinder gut halten und benutzen können, viele Arten von Papier und Ton.

3. Die identitätsorientierte Dimension: Bildung der Persönlichkeit

3.1 Persönlichkeitsbildung in der frühen Kindheit

Die Begriffe Persönlichkeit, Identität, Selbst oder Selbstkonzept werden oft synonym verwendet. Sie bezeichnen das Wissen, das wir über uns selbst besitzen, und die Art und Weise, in der wir über uns selber denken und urteilen. Dazu gehört, zu wissen, was mich von anderen unterscheidet („soziale Diskriminanz“), welche überdauernden Merkmale ich besitze („zeitliche Stabilität“) und was für mein Dasein wichtig ist („biographische Bedeutsamkeit“). Darüber hinaus entwickelt jeder Mensch auch eine Vorstellung darüber, wie er sein will bzw. sein sollte, also ein Selbstwertgefühl. Die Identität stellt somit ein Gebilde dar, in dem Menschen ihr Wissen über die eigene einmalige Wesensart abbilden (Damon 1989: 147f.). Sie entwickelt sich über die gesamte Lebensspanne hinweg, wurzelt jedoch in den Erfahrungen der frühen Kindheit.

Eine der aktuellsten Theorien zur Identitätsentwicklung im frühen Kindesalter geht auf den amerikanischen Psychologen und Psychiater Daniel Stern (Stern: 2000) zurück. Er geht davon aus, dass jedes Kind von Geburt an ein subjektives Identitätsempfinden hat und durch die aktive Beteiligung an Interaktionen - über Blickkontakte und durch den Einsatz mimischer, gestischer und (vor-)sprachlicher Kommunikationsmittel - weiter entwickelt. Parallel dazu entsteht ein Gefühl bzw. ein Empfinden für den sozialen Partner, den „Anderen“. Dabei spielen das Erkennen fremden Verhaltens und seine Imitation, z.B. von Gesichtsausdrücken, eine wichtige Rolle, genau so wie die Körperempfindungen, die entstehen, wenn der Säugling berührt, gebadet und gestreichelt wird. Für diese Erfahrungen gibt es beim Säugling bzw. Kleinkind ein optimales Erregungsniveau, das angenehme Gefühle hervorruft. Wird dieses Niveau in der Interaktion unterschritten, nimmt die Lust und Reaktionsbereitschaft des Säuglings ab, wird es überschritten, entstehen unangenehme Gefühle und Abwehrreaktionen.

In diesen Interaktionen stellen Säuglinge und Kleinkinder Gemeinsamkeiten zwischen sich und Anderen fest, z.B. beim Nachahmen und wenn die Bezugsperson die Gefühle des Säuglings angemessen „spiegelt“. Langsam lernen sie, zwischen eigenen Gefühlen und Absichten und denen der Anderen zu differenzieren, machen dabei aber auch die Entdeckung, dass diese geteilt werden können. Über die verfügbaren Kommunikationsmittel wie Gesten oder Blicke orientieren sie sich in Unsicherheits- oder Gefahrensituationen an der als zuverlässig erlebten Bezugs- bzw. Bindungsperson.

Aus dem Verhalten, das ihnen von ihren Bezugspersonen entgegen gebracht wird, resultieren das Gefühl und die Einstellung, die sie sich selbst entgegenbringen. Die Reaktionen der Bezugspersonen formen also das eigene Selbstbild, unter anderem in Bezug darauf, welche der eigenen Verhaltensweisen für angemessen gehalten werden, wie die eigenen Signale aufgenommen werden und wie darauf reagiert wird, wie erfolgreich man eigene Bedürfnisse so kommunizieren kann, dass sie befriedigt werden und welche Gefühle man in welcher Intensität uneingeschränkt zeigen kann (Lally 1996: 143). So wird sich ein Kind aufgrund seiner Erfahrungen als unsicher und zurückhaltend definieren, ein anderes wird voller Vertrauen in die eigene Fähigkeiten sein; ein Kind wird sich als liebenswert erleben, ein anderes als mangelhaft und unzulänglich. Obwohl niemals eine einzelne positive oder negative Erfahrung das gesamte Selbstbild dominieren kann, hat doch potentiell jede soziale Situation einen Anteil am Aufbau des Selbstbildes und Selbstwertgefühls eines Kindes. Auch hierin liegt die Chance der Institution Krippe, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt anderweitige negative Erfahrungen abschwächen oder - bei entsprechendem Kontakt mit den Eltern - sogar langfristig zum Positiven verändern kann.

Das Identitätsbewusstsein des Kindes wird für Erwachsene sichtbar, wenn es sich erstmals selbst im Spiegel erkennt. Dieses visuelle Selbsterkennen setzt nicht vor dem 15. Lebensmonat ein. Versieht man die Nase des Kindes unauffällig mit einem Farbklecks und berührt das Kind den Fleck im Gesicht, sobald es sich im Spiegel betrachtet, kann angenommen werden, dass es sich selbst erkennt. Zeigt ein Kind dagegen keine Reaktion oder deutet auf den Klecks im Spiegel, hat es die Fähigkeit zum visuellen Selbsterkennen noch nicht erlangt. Mit fortschreitendem Spracherwerb wird es dem Kind möglich, sich selbst auch auf einer abstrakten Ebene zu repräsentieren. Es erlernt Personal- und Possessivpronomina, spricht von sich selbst (zunächst nur in der dritten Person: „Julian trinken!“) und identifiziert Objekte und Personen als zu sich zugehörig („meine Puppi“). Durch das Wort „nein“ grenzt es sich von Anderen ab. Spätestens ab der Mitte des zweiten Lebensjahres wird es Kindern auch immer wichtiger, Handlungen selbst auszuführen und Situationen eigenständig zu bewältigen. Alle diese Errungenschaften tragen dazu bei, dass das Kind zunehmend mehr Kontrolle über sich selbst und seine Umwelt erwirbt, und sich damit in zunehmendem Maße als kompetent und eigenständig erlebt.

Um das dritte Lebensjahr herum nehmen Kinder erste Zuordnungen ihrer Selbst und Anderer zu Kategorien vor und schreiben sich selbst Merkmale und Eigenschaften zu. Besonders relevant ist hierbei die Zuordnung zum eigenen Geschlecht (Bischof-Köhler: 2006). Auch erfolgt der Aufbau eines autobiographischen Gedächtnisses, das heißt, dass - wiederum mit Unterstützung der wichtigen Bezugspersonen - nach und nach eine zusammen hängende Lebensgeschichte entworfen und erinnert wird; das Kind nimmt sich zunehmend selbst als jemand wahr, der eine Vergangenheit und eine Zukunft hat.

3.2 Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Krippenkindern

Das kindliche Selbstbild ist in den ersten Lebensjahren im Aufbau begriffen und noch keineswegs stabil. Es ist damit in weitaus höherem Maße abhängig von den alltäglichen Erfahrungen mit der materiellen, vor allem aber sozialen Umwelt als dies bei älteren Kindern oder Jugendlichen der Fall ist. Die auf das Kind bezogenen Verhaltensweisen und emotionalen Reaktionen seiner Bezugspersonen - und damit auch der Frühpädagogin in der Tageseinrichtung - spielen dabei eine besonders wichtige Rolle.

Um ein Gefühl eigener Handlungsfähigkeit und darüber ein positives Selbstbild aufzubauen, braucht ein Säugling bzw. Kleinkind die Erfahrung, dass seine Signale richtig gedeutet und ernst genommen werden. Wendet ein Säugling z.B. den Kopf ab, um den Blickkontakt abzubrechen, sollte dies respektiert werden; drückt er durch Lallen und Gurren aus, dass es ihm gut geht, sollte die Reaktion des Gegenüber die gleiche Gefühlsqualität beinhalten. Er vermittelt damit die Botschaft: „Ich kann deine Gefühle, Bedürfnisse und Handlungen verstehen und respektiere deine Anliegen“. Wenn die Reaktionen der erwachsenen Bezugsperson grundsätzlich in Intensität und Freude unter dem Erlebnisgrad des Kindes bleiben, wird dem Kind sein eigenes Verhalten nicht richtig gespiegelt, es erfährt nicht, dass sein Verhalten akzeptiert wird, und es kann seine Gefühle nicht richtig genießen. Stern bezeichnet dies drastisch als „Raub der Gefühle“ (Stern 2000: 299).

Auf die kindlichen Verhaltens- und Gefühlsäußerungen einzugehen ist nicht immer leicht, weil manches unverständlich erscheint. Hier ist die Bereitschaft gefragt, in die „innere Welt“ des Kindes einzutreten und zu versuchen, Situationen so zu sehen, wie sie das Kind vielleicht sieht. Die Versprachlichung von Verhalten und Gefühlen ist dafür ein gutes Mittel, wobei immer klar sein sollte, dass es sich hierbei um Wahrnehmungen und Interpretationen des Erwachsenen handelt, die selbstverständlich auch einmal „daneben“ liegen können. Die einfühlsame Einkleidung in Worte hilft Kleinkindern, sich angenommen zu fühlen und sich selbst besser zu verstehen. Damit werden die beiden komplementären Bestrebungen in der Persönlichkeitsentwicklung unterstützt: zum einen, sich von anderen verstanden und sich ihnen zugehörig zu fühlen (Sozialisation) und auf der anderen Seite ganz speziell und einzigartig zu sein und sein zu dürfen (Individuation) (Damon: 1989). ). Daneben dient diese Sozialisationsleistung der unabsichtlichen, aber daher umso wirksameren Förderung der kindlichen Sprachentwicklung.

Für die Persönlichkeitsentwicklung des Kleinkindes ist weiter von großer Bedeutung, wie die Bezugspersonen auf seine Erkundungen der Umwelt reagieren. Durch ihr Interesse und ihre Bestätigung kann die Frühpädagogin dem Kind vermitteln: „Du kannst es; ich habe Zutrauen in deine Fähigkeiten“. Lässt sie den Kleinkindern Zeit und Gelegenheit, Dinge selbst zu erledigen und Lösungen eigenständig zu entdecken, ist dies zunächst vielleicht langwierig und erscheint wenig produktiv; jedoch gibt es den Kindern ein profundes Bewusstsein eigener Handlungsfähigkeit und das grundlegende Gefühl des Geachtet-Werdens mit auf den Weg. Wenn Kleinkinder eine große Auswahl an Lernmöglichkeiten und die Chance haben, selbst gesteuerte Erfahrungen zu machen, erleben sie Kontrolle über ihr eigenes Tun und Lernen. Dies beeinflusst die Art und Weise, in der sie über sich als Lernende denken werden. Später, wenn Kinder beginnen, ein Verständnis der Verantwortung für die eigenen Handlungen und damit erste wertende Emotionen gegenüber sich selbst - wie Scham oder Stolz - zu entwickeln, benötigen sie weiterhin zugewandte Bezugspersonen, die diese Gefühle weder entwerten noch ignorieren oder für „Erziehungsmaßnahmen“ missbrauchen. Botschaften über angemessenes bzw. unangemessenes Verhalten sollten dabei immer auf die konkrete Situation (und möglicherweise deren Konsequenzen) bezogen sein, niemals aber die gesamte Persönlichkeit des Kindes in Frage stellen. Auch sind in der Interaktion mit Kleinkindern jede Art von Ironie oder Doppeldeutigkeit fehl am Platze, denn Kleinkinder sind nicht in der Lage, diese kognitiv einzuordnen. Verunsicherung auf der Gefühls- und Handlungsebene können langfristig Folgen solch mangelnder Authentizität sein.

Eine große Herausforderung stellt in dieser Hinsicht der Umgang mit Kindern und Familien aus anderen Kulturen dar, weil die Gefahr besteht, dass kulturell geprägte Umgangsformen und Routinen, die Kinder von zu Hause gewohnt sind, in der Einrichtung nicht üblich sind und vielleicht sogar negativ bewertet werden. Sprach- und Verständigungsprobleme verschärfen die Situation. Für die Kinder kann dies eine Abwertung ihres familiären Hintergrundes bedeuten, mit dem sie sich aber letztlich solidarisieren. Die Frühpädagogin kann solche Diskrepanzen aber genauso als Ressource nutzen, wenn es ihr gelingt, Elemente in der anderen Kultur als bereichernde Vielfalt wahrzunehmen und mit den Kindern bzw. ihren Bezugspersonen zu erleben. Jedes Kind, unabhängig von seiner kulturellen oder sozialen Herkunft, sollte vermittelt bekommen, dass sein Elternhaus respektiert und geschätzt wird.

Im Kontakt mit anderen Kindern und im intensiven Spiel bieten sich für Kleinkinder ergänzende, die Persönlichkeitsentwicklung stimulierende Erfahrungen. Im Spiel, egal ob allein, parallel zu anderen Kindern oder gemeinsam mit ihnen, stecken vielfältige Gelegenheiten, um etwas über sich selbst zu erfahren. Im Spiel mit einem Gegenstand lernt das Kind u.a., dass der Gegenstand nicht Bestandteil seiner selbst ist, und dass es diesen selbst oder mit ihm etwas verändern kann. Im Spiel mit Materialien wie Wasser, Sand oder Knete gelingt es dem Kind, etwas aus sich heraus neu zu erschaffen. Die positiven Gefühle des Selbst-Schaffens werden in das Selbstbild integriert. In symbolischen Tu-als-ob- oder ersten Rollenspielen kann jedes Kind so tun, als wäre es jemand anders, es kann mit sich selbst sprechen und später mit anderen Kindern ein Szenario entwerfen, das sie alle zu jemand Anderem macht (z.B. Vater-Mutter-Kind, Cowboy und Indianer). Auf diese Weise testen Kinder spielerisch aus, welche Merkmale sie tatsächlich besitzen und welche sie gerne besitzen würden, sie vergleichen sich miteinander, grenzen sich von anderen ab, verlassen vertraute und übernehmen andere, neue Rollen.

Wenn Kleinkinder sicher sein können, dass eine ihnen vertraute und emotional zugewandte Person verfügbar ist, wenden sie sich voller Enthusiasmus und Energie all den interessanten Dingen zu, die es auf der Welt gibt. Die Art und Weise, in der Erwachsene diese kindlichen Suchbewegungen - sei es in Bezug auf sich selbst, sei es in Bezug auf die Entdeckung der Welt - zulassen und beantworten, ist mitentscheidend dafür, ob Kinder ein Bild von sich selbst als stark, lernfähig, selbstwirksam und liebenswert entwerfen werden. Denn natürlich wird auch das Wissen über sich selbst in sozialen Interaktionen erworben und mit anderen Menschen - insbesondere mit Menschen, zu denen eine enge emotionale Beziehung besteht - gemeinsam konstruiert.

Zusammenfassung

Wenn Krippen als Orte frühkindlicher Bildung etabliert werden sollen, müssen tragfähige, auf die Besonderheiten früher Bildungsprozesse zugeschnittene Konzepte entwickelt und umgesetzt werden. Dafür sind theoretische Annäherungen an einen Bildungsbegriff für die Altersgruppe der Kinder unter drei Jahren ebenso notwendig wie die Identifikation von Aspekten, die eine bildungsförderliche Umgebung für Kleinkinder kennzeichnen und somit als Qualitätskriterien gelten können. Bildung in den ersten Lebensjahren ist als vom Kind ausgehendes, komplexes und vielgestaltiges Geschehen zu betrachten, bei dem soziale Beziehungen ebenso wie anregende Umweltbedingungen eine zentrale Rolle spielen. Bildungsprozesse vollziehen sich in einem Kontext von emotionaler Bindung und sozialer Kommunikation. Sie sind charakterisiert durch die eigenaktiven Aneignungs- und Schaffensleistungen der Kinder und umfassen neben der Beziehungsbildung und dem Aufbau von Wissen und Kompetenzen auch die Persönlichkeitsbildung im Sinne der Ausformung und zunehmenden Bewusstheit der eigenen Individualität. Diese Prozesse in angemessener Art und Weise zu unterstützen und zu befördern ist Aufgabe von frühpädagogischen Institutionen. Dazu bedarf es konzeptioneller Anpassungen u.a. bei der Aufnahme von Kleinkindern, im Raumangebot und der Raumgestaltung sowie der Planung und Gestaltung des Tagesablaufs. Mindestens ebenso entscheidend ist jedoch die Art und Weise, in der Erwachsene auf die kindlichen Aktivitäten reagieren und Bedürfnis- und Willensäußerungen erkennen und beantworten. Basis ist hier die Entwicklung einer wertschätzenden und stärkenorientierten pädagogischen Grundhaltung, auf die sich ein achtsamer, bestätigender und individualisierter Umgang mit Kindern gründet.

Literatur

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Fußnoten

[1]  Umfassendere und systematisierte Darstellungen pädagogischer Qualitätskriterien für Krippen finden sich u.a. bei Tietze/ Viernickel (2007) und Riemann/ Wüstenberg (2004); eine differenzierte Aufarbeitung der „Krippendebatte“ und daraus abgeleitete Empfehlungen bei Maywald/ Schön (2008).

[2] Die Tragik von Eltern, die selbst nicht diese Feinfühligkeit erlebt haben, besteht in der Gefahr der unbewussten Weitergabe der Defizite an die nächste Generation. Dies ist ein wichtiges Argument für die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Krippenplätze und die Einbeziehung der Eltern in die pädagogische Arbeit.

[3] Die beschriebenen Prozesse vollziehen sich allerdings niemals isoliert, sondern sind eingebettet in den ständigen sozialen Austausch. Kinder orientieren sich an Sinngebungen und Strukturierungen, die andere Menschen - vor allem jene, zu denen sie eine emotionale Beziehung aufgebaut haben - ihnen anbieten. Diese enthalten zu einem großen Teil gesellschaftlich anerkannte und konsensfähige Übereinkünfte, so dass ein Kind über diesen Weg auch permanent mit den Normen, Regeln, Wissensbeständen und Praktiken seines Kulturkreises bzw. Lebensraumes in Berührung kommt.

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