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Die unterschätzte Gefahr: Gewalt in Computerspielen

Sabine Schiffer

08.05.2014 Kommentare (0)

Welche Auswirkungen hat Gewalt in Computerspielen auf Kinder und Jugendliche? Diese Frage wird je nach Interessenlage und Kenntnis unterschiedlich diskutiert. Im folgenden Interview nimmt eine Expertin der Medienpädagogik zu den damit zusammenhängenden Fragen Stellung.

DAS PROBLEM

ErzieherIn.de: Sie haben sich mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu den Wirkungen von Gewalt in Computerspielen befasst. Können Sie beispielhaft Computerspiele nennen, in denen Gewalt eine wichtige Rolle spielt?

Sabine Schiffer: Für die Sparte der Ego-Shooter will ich mal Battlefield 3 oder Crysis2 nennen, wobei die Möglichkeiten hier schier unendlich wären, wie auch im Bereich der Strategiespiele, etwa das Weltkriegsszenario Day of Defeat oder der immer noch aktuelle Renner League of Legends. Etwas anderer Art ist das sog. free2play Game World of Tanks oder die Games der GTA-Reihe, die sich mehrschichtig entwickeln – bei letzterem beispielsweise Brutalisierung einerseits, Selbstironie bzw. Satire auf den American Way of Life andererseits. Wenn man die Entwicklung einzelner Spiele in ihren Versionen verfolgt, dann kann man als Tendenz Steigerungsnotwendigkeiten ausmachen: Einerseits, was die grafische Ausgestaltung der Games anbelangt – die ist teilweise brillant – andererseits, was die Fantasie in Sachen Gewaltverherrlichung anbelangt.

ErzieherIn.de: Ab welchem Alter spielen Kinder Computerspiele?

Sabine Schiffer: Sehr unterschiedlich. Viele viel zu früh, wo noch die Ausbildung aller Sinne auf dem Programm stünde. Und leider gibt es einen Trend in der sog. Medienpädagogik auch den skeptischen Eltern zu suggerieren, dass ein früher Einstieg ins Computerspielen oder auch PC- und Internetnutzen das Lernen und die Medienkompetenz steigern helfen würde. Wenn Sie genaue Zahlen bezüglich der Mediennutzung studieren wollen, die natürlich auch immer von der Abfrage der Studiendurchführer abhängig sind, dann empfehle ich die KIM-Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest und auch neuerdings die FIM-Studien. Und achten Sie einmal auf die Formulierungen im abschließenden Fazit der jährlich erscheinenden Statistik. Wenn Ihnen auffällt, dass davon die Rede ist, dass „Mädchen nachholen“ oder in bestimmten Bereichen „noch“ Nachholbedarf ist, dann wird klar, wes Geistes Kind die Anlage der Forschung ist. Dem gegenüber belegen die Nutzungsstudien für Games von Rudolf Weiß und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), dass immer mehr Kinder und Jugendliche Zugang zu Spielen haben, die für ihr Alter gar nicht empfohlen werden. Jugendschutz gibt es da so gut wie nicht. Ich fasse die Debatten um Jugendmedienschutz immer so zusammen: „Es gibt keinen Jugendschutz, es gibt nur Medienschutz.“

ErzieherIn.de: Gibt es Unterschiede bei der Nutzung von Computerspielen zwischen Kindern aus ärmeren und wohlhabenderen Schichten, zwischen Mädchen und Jungen?

Sabine Schiffer: Ja. Die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gleichen sich etwas aus, aber tendenziell gilt immer „noch“, dass Mädchen die neuen Medien irgendwie konstruktiver nutzen als Jungen. Gerade Jungen drohen durch einen ungünstigen Konsum von destruktiven und gewalthaltigen Computerspielen zu Bildungsverlierern zu werden, wie etwa die Studie „Die Pisa-Verlierer und ihr Medienkonsum“ des KFN belegt. Vergleichbares gilt für die soziale Schere, die sich durch die Nutzung neuer Technik weiter öffnet und nicht schließt, wie das etwa der Microsoft-Verantwortliche Achim Berg in einem FAZ-Kommentar einmal hat behaupten dürfen. Viele solcher „Bildungsargumente“ sind nicht darum wahr, weil sie schon so oft wiederholt wurden, sondern halten einer echten wissenschaftlichen Überprüfung oft nicht stand.

ErzieherIn.de: Welche gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen zu den Wirkungen von Computerspielen, die Gewalt enthalten, vor?

Sabine Schiffer: Das ist ziemlich eindeutig. Prüft man die vorhandenen Studien auf ihre Unabhängigkeit hin und auf ihre Anlage als Langzeitforschung, dann stellt man zunächst fest, dass der angebliche Wissenschaftsstreit um die Wirkung gewaltverherrlichender Medien – wozu auch Filme gehören – inszeniert ist. Es ist einer zahlungskräftigen Lobby gelungen, durch eigene Studien, die an Hochschulen wie etwa der FH Köln und anderen einschlägigen Instituten durchgeführt werden, den Eindruck von Umstrittenheit zu erwecken. Nüchtern betrachtet gibt es Korrelationen zwischen Gewaltkonsum und eigenem aggressivem Empfinden, wie es etwa in der Stanford-Studie bereits früh und auch experimentell unterstützt in Bezug auf Schulhofgewalt ermittelt wurde. Besonders die Metastudien von Craig Anderson zum Gewaltkonsum mittels Computerspielen bezeugen, warum man vor solchen Trends warnen muss. Wichtig ist in dem Zusammenhang aber, sich nicht auf die Korrelation Gewaltkonsum = Gewalttäter oder gar potentieller Amokläufer einengen zu lassen. Es gibt ja nirgendwo Monokausalitäten und diese versuchte Monokausalität ist ein Trick, um berechtigte Kritik an der absoluten Überproportionalität von Mediengewalt auszuhebeln. Die Sozialpädagogin Ostbomk-Fischer nannte diese Gewaltvermittlung einmal „Landminen für die Seele“, das finde ich sehr treffend. Und jenseits der Frage, ob sich einmal im Leben eine Gelegenheit zur Gewaltanwendung ergibt, sollte man die emotionale Verfasstheit unserer Gesellschaft sicher ernster nehmen.

GEGENSTRATEGIEN

ErzieherIn.de: Was müsste geschehen, damit diese Gefahren zumindest abgemildert werden?

Sabine Schiffer: Zunächst einmal müsste eine ehrliche gesellschaftliche Debatte her, was wir eigentlich wollen. Bisher ist es so, dass eine interessierte Industrie Vorgaben macht, was wir kaufen können. Der Kunde ist aber nicht mehr dann König, wenn er nur am Ende der Kette befragt wird, ob er das Produkt abnimmt oder nicht. Es geht hier ja um einen gesellschaftlichen Konsens zur Gewaltfrage. Stehen wir heute noch zu „nie wieder Krieg!“ und wenn ja, wie können wir diesen Konsens erhalten? Nicht wenige Spiele konditionieren ja geradezu dieselben Verteidigungsmythen, wie sie in der Auslandsberichterstattung auch immer wieder beobachtet werden können: Da werden wir von irgend jemandem Bösen einfach mal so angegriffen ohne zu beseitigenden Grund und am Ende steht da die Frage, Er oder Ich – ja, wie würden Sie da entscheiden?

Von Verboten halte ich genauso wenig wie von der Massensuggestion, dass es um solche „Kulturgüter“ kein Drumherumkommen gäbe. Das ist Blödsinn. Alles wird von Menschen gemacht, auch das Fernsehprogramm. Wir müssen uns die Frage stellen, angefangen bei der politischen Berichterstattung, wie könnte unsere Welt aussehen, wenn wir nicht nur von Katastrophen im Nahen Osten berichten, sondern auch den gemeinsamen Friedensbemühungen von Israelis und Palästinensern eine Stimme geben - beispielsweise. So können wir uns die Frage stellen, welche Kultur wir sind, wenn unsere Unterhaltung über das Kultivieren von Gewalt läuft und nicht in gleicher Weise soziale Zwischenmenschlichkeit propagiert.

Aber es würde zunächst einmal schon helfen, wenn man nicht noch die Zielgruppen immer jünger machen würde und den Kindern, Eltern und Pädagogen suggeriert, dass sie Bildungschancen verpassen würden, wenn sie nicht frühzeitig elektronische Medien konsumieren würden, egal welchen Inhalts. Nachweislich das Gegenteil ist der Fall, wie ich in meinem Buch „Bildung und Medien“ die Ergebnisse relevanter Forschung zusammen trage. Dort warne ich auch vor den sog. Einstiegsdrogen, als die sich Bildungssoftware oftmals entpuppt.

ErzieherIn.de: Warum sind diese Maßnahmen nicht längst ergriffen worden?

Sabine Schiffer: Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es kein Interesse an einer Veränderung, weil es so verführerisch ist, eine wachsende Industrie und die damit einhergehenden Steuereinnahmen noch zu befördern. Schauen Sie sich die Anträge im Bundestag zum Thema an: z.B. „Wertvolle Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken“ vom November 2007, dann erkennen Sie sehr schnell, dass es vor allem um Wirtschaftsförderung geht und gegen Ende des Textes mal kurz von „Medienkompetenz“ die Rede ist – ganz offensichtlich als Feigenblatt und ohne Konzepte, und schon gar keine evaluierten.

ErzieherIn.de: Haben Sie Erfahrungen, wie sich die Nutzung von Computerspielen, die Gewalt enthalten, in Kitas auswirkt?

Sabine Schiffer: In dem Bereich wird ja doch eher darauf geachtet, dass die Produkte, die man anbietet „pädagogisch wertvoll“ sind, jedenfalls je jünger die Kinder sind. Allerdings wird dabei oft übersehen und diese Erfahrung machen wir, dass die einmal erworbenen Zugänge für kleine Kinder oftmals und sehr schnell dann von den Kindern für andere Zwecke genutzt werden. Außerdem läuft der Trend, durch schnelle Belohnungssysteme in der Software die Lernmotivation der Kinder steigern zu wollen, genau entgegen der Entwicklung in der Realität. Die Kinder, die gelernt haben, Frustrationsschleifen beim Lernen auszuhalten, sind langfristig erfolgreicher – denn das Leben bietet nun mal nicht stets den sofort sichtbaren Erfolg, da heißt es auch mal „Durchhalten!“.

Unverantwortlich finde ich in diesem Zusammenhang übrigens die Rolle von Prof. Aufenanger, der bis zum Computerspielepreis hin eng mit der Spieleindustrie verbandelt scheint, und für einen kritiklosen Einsatz von Technik in jedem, auch im frühen Alter wirbt.

Aber es gibt noch ein Phänomen, das unbedingt berücksichtigt werden muss. Der schnelle technische Fortschritt lässt ältere Formen von Gewaltverherrlichung oftmals harmloser erscheinen, als sie sind. Dies trifft etwa auf Gameboys zu, die in einem gewissen Alter immer noch attraktiv für Kinder sind – die aber inzwischen weitgehend durch Smartphones ersetzt werden. Die Korrelation zwischen Spielen und eigener Aggressivität, oftmals Frustration, ist hier besonders auffällig, weil die Spiele insgesamt sehr hektisch konzipiert sind und dann das Ausschalten der Gegner, die beim Entlanghasten eines Parcours im Wege sind, in großer Hektik passieren muss. Natürlich gibt es auch harmlose Software wie z.B. Candy Crush, aber die Frage ist, was man mit Internetzugang alles konsumieren kann und ob sich durch die mobilen Endgeräte die Nutzungszeiten nicht enorm ausweiten und wir dann eher über ein anderes Problem reden müssten, der Mediensucht – was sich aber nicht allein am Spielen festmacht.

ErzieherIn.de: Wie können ErzieherInnen reagieren, wenn Kinder Erfahrungen mit gewalthaltigen Computerspielen in die Kita einbringen?

Sabine Schiffer: Grundsätzlich ist bei Reaktionen immer wichtig, dass man nicht die falschen Zuschreibungen macht und zu schnell zu viel und evtl. das Falsche hineininterpretiert und gar Unterstellungen macht. Die Selbstbeobachtung von Erziehungspersonen steht immer vor der Kindsbeobachtung. Also, offene Fragen sind wichtig: Wo hast Du das denn her? Oder Warum machst Du das? Es können ja auch sekundäre Medienerfahrungen sein, die sich niederschlagen, oder ganz andere Zusammenhänge da sein. Weist man eine Verhaltensweise zu schnell einer bestimmten Ursache zu, dann weckt man vielleicht erst Neugierde für etwas, das noch gar nicht auf der Tagesordnung stünde und das man selbst kritisch betrachtet. Ideal wäre es, wenn man eine solche Klärung erst einmal mit dem betroffenen Kind alleine machen könnte, um wiederum nicht erst Kinder, die bestimmte Erfahrungen noch nicht gemacht haben, auf die Idee zu bringen. Wo immer eine problematische Verhaltensweise her rührt, es gehört klar und deutlich gemacht, dass man sie nicht gutheißt. Solche Stellungnahmen sind immer wichtig, auch wenn man nicht sofort Effekte sieht. Das gilt auch für die Inhalte von Büchern, Filmen, Spielen. Stellt man fest, dass bestimmte Muster aus einem bestimmten Medienkonsum stammen, sollte man mit den Eltern sprechen und sehen, inwiefern ein Bewusstsein für die Problematik vorhanden ist oder ob es weiterer Gespräche, Informationsabende oder sonstiger Maßnahmen bedarf, um die weitere Entwicklung positiv zu beeinflussen.

ErzieherIn.de: Wie sollten ErzieherInnen mit Eltern sprechen, denen die negativen Auswirkungen der Gewalt in Computerspielen nicht klar sind?

Sabine Schiffer: Das ist wie bei anderen Themen oft nicht einfach, weil hier die veröffentlichte Meinung ja oft in die andere Richtung geht. Den Kritikern, die beispielsweise wie ich für eine Einführung von Medien je nach dem Fortschritt der Sinne-Entwicklung und der Situation in der jeweiligen Familie plädieren, wird gerne vorgeworfen, sie seien fortschrittsfeindlich. Es gehört ein gewisses dickes Fell dazu, sich davon nicht beeinflussen zu lassen und dem eigenen Verstand und der Forschung zur Kindsentwicklung zu vertrauen, sowie den eigenen Erfahrungen. Das trifft auf PädagogInnen und Eltern gleichermaßen zu. Meine Erfahrung ist oft die, dass man den Erziehungsverantwortlichen nur ein wenig den Rücken stärken muss, bei dem Weg zu bleiben, den sie eigentlich als den richtigen sehen und sich nicht von den Einflüsterungen von IT-Branche und Werbung beeinflussen zu lassen. Wenn zwei Konzepte aufeinander stoßen, also die, die einen Kindergarten als Oase in einer eher nicht kinderfreundlichen Welt sehen, gegenüber denen, die ihr Kind in solchen Einrichtungen für vernachlässigt halten, muss man sich mit anderen zusammen tun, um sich – vielleicht in einem Arbeitskreis – die geprüften Fakten detailliert zu erarbeiten und auch entsprechend argumentieren zu können. Regelmäßige Gespräche und Elternabende außerhalb einer spezifischen Problematik können eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, um in einer Krisensituation eine tragende Situation vorzufinden, auf der man aufbauen und möglichst Konflikte konstruktiv lösen kann. Denn vom Konsens aller an der Erziehung der Kinder einer Gruppe Beteiligten hängt das Gelingen der Vermittlung von dem ab, was das Leben ausmacht und das ist sicher nicht ein Kampf um Mediennutzung.

Die Fragen stellte Hilde von Balluseck

Dr. Sabine SchfferDr. Sabine Schiffer

Dr. phil. Sabine Schiffer ist von Hause aus Sprachwissenschaftlerin, promovierte zum Islambild in den Medien als Teil ihrer Forschungen zu Minderheitendarstellungen und arbeitet seit 1993 als Medienpädagogin – vorwiegend mit Multiplikatoren. Sie ist mehrfache Mutter und Mitglied im Verein mediengewalt.eu und aktiv-gegen-mediensucht.de. 2013 erschien ihr Buch „Bildung und Medien“, an das ein Blog anschließt (www.generationmedien.de/blog).

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