Gruppe von Kinder aus verschiedenen Ländern

Editorial August 2009

Hilde von Balluseck/Jasmin Zouizi

31.07.2009 Kommentare (0)

Endlich geschafft!?

Nach mehr als zwei Monaten Streik in Kitas und acht Verhandlungsrunden seit Januar dieses Jahres haben sich die Gewerkschaften und die kommunalen Arbeitgeber am 27. Juli auf einen Tarifkompromiss geeinigt. Erreicht wurde eine Anhebung der Entlohnung und der Rechtsanspruch auf eine Gefährdungsanalyse am Arbeitsplatz. Damit ist eine Aufwertung des ErzieherInnen- und des Sozialarbeiterberufs erreicht worden. „Es ist ein Ergebnis, das beiden Seiten viel abverlangt. Den Gewerkschaften, weil es hinter den großen Erwartungen der Beschäftigten zurückbleibt und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), weil es in Zeiten, in denen durch die Finanzkrise die Steuereinnahmen zurück gehen, eine beträchtliche Steigerung der Personalkosten mit sich bringt" (GEW unter http://www.gew-ego.de/Das_Tarifergebnis_im_Detail.html). Wir gehen im Folgenden nur auf die Veränderungen ein, die für den Kita-Bereich relevant sind.

Die Gehaltsverbesserung
ErzieherInnen verdienen seit Inkrafttreten des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) im Jahr 2005 je nach Erfahrung 1.920 bis 2470 € brutto monatlich. Der TVöD löste den Bundesangestelltentarif ab und staffelte die Gehälter - im Gegensatz zum BAT - nicht nach Alter und Familienstand, sondern nach Erfahrung und Leistung. Dabei hatten es die Tarifparteien aber versäumt, die Entgelttabellen der ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und HeilpädagogInnen dem neuen Regelwerk anzupassen. Die jetzt erzielten Gehaltsverbesserungen im Einzelnen:

„Für die Eingruppierung im Sozial- und Erziehungsdienst wird es im TVöD eine eigenständige Entgeltordnung mit eigener Entgelttabelle geben. Nach dieser Tabelle werden z. B. Erzieherinnen und Erzieher in einer Entgeltgruppe mit der Bezeichnung „S 6" eingruppiert...und erhalten am Anfang ein Monatsgehalt in Stufe 1 von 2.004,00 Euro bzw. in Stufe 2 von 2.240,00 Euro. In EG 6 des TVöD lagen diese bei 1.922,60 Euro bzw. 2.130,33 Euro. Das Endgehalt, welches nach 17 Jahren (bisher nach 15 Jahren) erreicht wird, beträgt statt 2.474,80 Euro nunmehr 2.864,00 Euro. Das ist eine Steigerung um 389,20 Euro im Monat. Im Verhältnis zu dem Gehalt, das gezahlt worden wäre, wenn der BAT weiter gelten würden, bekommt eine Erzieherin monatlich im Durchschnitt rund 22 Euro mehr, die sich allerdings nicht gleichmäßig auf die Entgeltstufen verteilen. Aufgrund einer gesonderten Regelung für die Beschäftigten, die am 1. Oktober 2005 aus dem BAT übergeleitet wurden, erhält dieser Personenkreis auf sein derzeitiges Entgelt einen Zuschlag von 2,65 Prozent. Das bedeutet für eine Erzieherin einen Aufschlag von rund 75 Euro. Damit beträgt die Entgeltsteigerung durchschnittlich knapp 100 Euro. ... Die monatlichen durchschnittlichen Entgeltsteigerungen betragen bei Kinderpfleger/innen 22 Euro und bei Heilpädagog/innen rund 70 Euro. Dazu kommt jeweils der o.g. prozentuale Zuschlag" (http://www.gew-ego.de/Das_Tarifergebnis_im_Detail.html).

Die Urabstimmung zu diesem Kompromiss findet am 20. August statt. Da die Gewerkschaft den Mitgliedern ein „Ja" empfiehlt, ist davon auszugehen, dass der Tarifabschluss dann umgesetzt wird. Für Berlin gilt die Regelung nicht, da das Land Berlin sich aus dem kommunalen Arbeitgeberverband zurückgezogen hat.

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen
ErzieherInnen haben in Zukunft einen individuellen Rechtsanspruch auf regelmäßige Beurteilung ihrer Gesundheitsgefährdung am Arbeitsplatz. Bei jedem Arbeitgeber wird eine „betriebliche Kommission" eingerichtet, „deren Mitglieder je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Personal- bzw. Betriebsrat benannt werden." Diese Kommission kann zeitlich befristete „Gesundheitszirkel zur Gesundheitsförderung einrichten, deren Aufgabe es ist, Belastungen am Arbeitsplatz und deren Ursachen zu analysieren und Lösungsansätze zur Verbesserung der Arbeitssituation zu erarbeiten"

(GEW unter http://www.gew-ego.de/Das_Tarifergebnis_im_Detail.html).

Die Vereinbarung im Wortlaut:

PDF-Datei PDF-Datei 129 kb: http://www.dstgb.de/homepage/artikel/schwerpunkte/abschluss_der_tarifverhandlungen_im_kommunalen_sozial_und_erzieherdienst/angebot_sue_vom_26_07_2009.pdf

Wer zahlt?
Die Mehrkosten für die Kommunen werden auf 500 bis 700 Millionen Euro geschätzt (Süddeutsche Zeitung, 28.7.09:1). Ebenso wie die Anzahl von 220.000 ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen, für die die Einigung angeblich erzielt wurde (a.a.O.), ist dies eine trügerische Zahl. Denn sie umfasst nur das Personal in den kommunalen Einrichtungen, nicht in den Einrichtungen Freier Träger. Es gibt allein über 380.000 ErzieherInnen in allen Kindertageseinrichtungen. Der Abschluss bezieht sich also zunächst nur auf jene ErzieherInnen, die NICHT bei Freien Trägern arbeiten.

Die Kommunen tragen aber auch jetzt den größten Teil der Kosten für die Einrichtungen der Freien Träger. Von daher ist zu erwarten, dass die Gewerkschaften sich bald mit den Freien Trägern gemeinsam an den Verhandlungstisch mit den kommunalen Arbeitgebern begeben, um die Erhöhung der Gehälter und die Verbesserung des Gesundheitsschutzes auch für sie auszuhandeln und dass die bestehenden Verträge angepasst werden.

Dies bedeutet allerdings, dass die zusätzlichen Kosten für die Kommunen weitaus höher sein werden als in der bislang zitierten Summe. Und die Fragen, die sich den Kommunen stellen werden, sind noch weitaus drängender als schon jetzt. Die kommunalen Arbeitgeber weisen daher darauf hin, dass die Vereinbarung „in vielen Städten neue Haushaltslöcher reißen" wird (taz, 29.7.09:7), so Oberbürgermeisterin Petra Roth, Frankfurt a.M.. Die Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern ein stärkeres finanzielles Engagement von Bund und Ländern. Der Rechtsexperte des Städte- und Gemeindebundes, Uwe Lübking, sagt dazu drastisch: „Die müssen mit in die Tasche greifen" (a.a.O.).

Der Bund weigert sich jedoch mit Hinweis darauf, dass die Kinderbetreuung Sache der Länder und Kommunen sei. Wie die Länder darauf reagieren, ist noch ungewiss. Nur von Mecklenburg-Vorpommern wissen wir (Die Zeit vom 30. Juli 2009: 62) über ein Interview mit Manuela Schwesig, der neuen Hoffnungsträgerin der SPD, dass die Landeszuschüsse für die Kitas um 15 Millionen pro Jahr erhöht werden sollen, davon 5 Millionen direkt an die Kommunen. Darüber hinaus fordert Schwesig, „dass sich der Bund finanziell stärker engagiert, als er das bislang getan hat." Für die Tarifpartner mag es deswegen etwas fragwürdig sein, dass Ministerin von der Leyen sich aus dem Fenster lehnte, indem sie die Streiks der ErzieherInnen als legitim bzeichnete, jedoch die Unterstützung bei der Finanzierung der Forderungen ablehnte.

Das Ende der Fahnenstange ist jedoch längst nicht erreicht. Die Städte und Gemeinden kennen die Forderungen nach einer Verbesserung des Personalschlüssels in den Kitas und machen sich auch hier auf zusätzliche Forderungen gefasst. Des Weiteren ist damit zu rechnen, dass akademisch ausgebildete Fachkräfte weitere Lohnanhebungen fordern werden. Und schließlich gibt es jetzt schon von mehreren Seiten, z.B. von der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen und von der taz (27.7.09: 1) Kritik an der Geringfügigkeit der Gehaltsverbesserungen. Damit werde eine Aufwertung des Berufs im Grund noch nicht erreicht.Weitere Informationen finden Sie hier:

PDF-Datei PDF-Datei 121 kb: http://www.eaf-bund.de/documents/Pressemitteilungen/PM_2009/PM_090729_Tarifabschluss_Erzieherinnen.pdf

Jede/r weiß, dass die Kommunen teilweise jetzt schon in ihrer Handlungsfähigkeit drastisch eingeschränkt sind. Vielerorts ist schon die Erfüllung der Pflichtaufgaben aufgrund der Kassenlage problematisch, d.h. jener Aufgaben, die die Städte und Gemeinden von der Gesetzeslage her erfüllen müssen. Von daher überlegen die Städte und Gemeinden, mit welchen Mitteln sie den ausgehandelten Kompromiss finanzieren sollen. Sie sehen den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab 2013 gefährdet. Zwar ist dieser im Gesetz festgelegt - aber dieses Gesetz wird dann vielleicht geändert. Außerdem ist die Gebührenfreiheit für den Kita-Besuch, die in einigen Bundesländern angestrebt wird, in Frage gestellt: „Damit rückt der beitragsfreie Kitabesuch in weite Ferne" (http://www.dstgb.de/homepage/pressemeldungen/dstgb_begruesst_das_ende_des_kitastreiks_kompromiss_kommt_kommunen_teuer_zu_stehen/index.html). Auch eine Heraufsetzung der Elternbeiträge ist im Gespräch, was vom Verdi-Landesverband Baden-Württemberg sofort abgelehnt wurde (Berliner Zeitung, 29.7.09).

Fazit
Die klammen Haushaltskassen der Kommunen sind bekannt. Dass in den Verhandlungen nur die Frage, ob die ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen mehr Geld bekommen, behandelt wurde, und nicht die, woher das Geld kommen soll, ist ein Fehler. Denn wer kann ein Interesse daran haben, dass der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz den Bach heruntergeht? Wer kann wollen, dass Eltern mehr bezahlen müssen als bisher? Wer befürwortet die Begrenzung der Kommunen auf Pflichtaufgaben und die Verhinderung von Aufgaben, die aktuell in der Kommune entstehen und gelöst werden müssen?

Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wie diese Probleme angegangen werden. Bis dahin wünschen wir Ihnen einen schönen Sommermonat August!

Hilde von Balluseck und Jasmin Zouizi

 

Hilde von BalluseckHilde von Balluseck

Hilde von Balluseck war bis zu ihrer Pensionierung 2007 als Hochschullehrerin an der Alice Salomon Hochschule in Berlin tätig und hat dort u.a. den ersten Studiengang für Frühpädagogik in Deutschland aufgebaut und geleitet. Derzeit ist sie neben ihrer Funktion als Chefredakteurin des Portals „ErzieherIn.de - Das Portal für die Frühpädagogik“ als Vorstandsmitglied beim Träger Fröbel e.V. tätig und nimmt einen Lehrauftrag an der Alice Salomon Hochschule wahr.

Jasmin ZouiziJasmin Zouizi

Jasmin Zouizi hat eine Ausbildung als Erzieherin abgeschlossen, außerdem einen Bachelorgrad in Business Administration erreicht. Sie arbeitet in der Weiterbildung und studiert jetzt im Master-Studiengang Erwachsenenpädagogik an der HU Berlin.

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