Entwicklung des „Teilen-könnens“ beim Kleinkind
- Zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr eignet sich ein Kind alles an, was es gebrauchen kann und lässt es liegen, sobald es nicht mehr daran interessiert ist.
- Um den zweiten Geburtstag herum wird es zum wahren Hamsterer: Es sagt fortwährend „meins“ und will alles haben, was es sieht.
- Mit ungefähr 3 Jahren beginnt es mit dem Weggeben, da die Kontaktsuche in den Vordergrund tritt.
- Ab 4 Jahren ist bei gutem Vorbild, besonders durch andere Kinder, Teilen möglich.
- Erst mit ungefähr 6 Jahren tritt ehrliches Teilen auf. Dabei spielt das „Sich-wohl-fühlen“ des Kindes eine wichtige Rolle: Traurig-Sein und Versagensgefühle verringern die Bereitschaft zum Teilen.
Literatur:
Butzmann, Erika: Sozial-kognitive Entwicklung und Erziehung. Impulse für Psychologie, Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik. Gießen: Psychosozial-Verlag 2020
Autorin:
Dr. Erika Butzmann
Entwicklungspsychologin
Erziehungswissenschaftlerin
Ihre Meinung ist gefragt!
Diskutieren Sie über diesen Beitrag.
Kommentare (4)
Wenn Kinder im Babyalter anderen etwas anbieten, hat das natürlich mit der Kontaktaufnahme zu tun. Das ändert sich, wenn sie mit ca. 2 Jahren ihr Ichbewusstsein entwickeln und dann erst registrieren, dass die Dinge ihnen weggenommen werden. Vorher ist das kein Thema für sie. Wenn die Aussage "meins" in ihrem Sprachschatz auftaucht, sind sie der Meinung, dass alles, was sie sehen, ihnen gehört. Das Verhalten ist in der Gruppenbetreuung weniger zu sehen; je mehr Kinder da sind, desto weniger. Bei Tagesmüttern ist es der Standard. Der Hintergrund für dieses Verhalten ist die Tatsache, dass sie jetzt erst wahrnehmen, dass Dinge weggenommen werden, was sie mit Vehemenz verhindern wollen; denn zu diesem Zeitpunkt sind die Dinge zur psychischen Stabilität für das Kind überaus wichtig. Wenn Sie mal außerhalb ihrer Gruppenbetreuung schauen bei Kindern im öffentlichen Raum, werden Sie das sehen. Und das hat nichts mit einer falschen Erziehung zu tun, sondern ist ein entwicklungsbedingtes Merkmal bei 1 1/2 bis 2 1/2 jährigen Kindern. In der Gruppenbetreuung zeigen die Kleinsten davon wenig, weil sie häufig unter Stress stehen, was die meisten Studien zur frühen Krippenbetreuung nachweisen.
Wir Erwachsenen tappen schnell in die Falle, den Handlungen kleiner Kinder unsere Wahrnehmung von der Welt überzustülpen. Alles mit Interesse anschauen und begreifen zu wollen, ist den Kindern zum Glück angeboren. Besitzen-wollen uns Sich-bereichern-wollen ist nicht die Absicht von Babies. Wohl konnte ich bei eigenen Kindern und Enkeln beobachten, dass sie daran interessiert waren, Gegenstände und insbesondere Essen miteinander und mit Erwachsenen zu teilen. Das kommt nämlich ihrem Interesse entgegen, nicht nur Gegenstände, sondern auch Verhalten mit Interesse anzuschauen, sonst könnten sie nichts nachahmen. Man komme nur nicht auf die Idee, wieder die Kategorien Ordnung und Sauberkeit aus der Sicht des Erwachsenen den Kleinstkindern überzustülpen, ohne genaues Hinsehen, was Kinder beabsichtigen. Die genaue Forschung mit echten Kindern von Wüstenberg, Wiebke/Schneider, Kornelia: Ich - Du - Wir. kann ich da nur empfehlen.
Ich kann dem Kommentar von Kornelia Schneider voll zustimmen und möchte ergänzend auf die Forschung von Michael Tomasello hinweisen, die sehr eindrücklich das Wesensmerkmal des Kooperierens und in Beziehung gehens beim Menschen hinweist. "Meins" und "Deins" im Erwachsenensinne von Besitz ist überhaupt nicht das Thema bei jungen Kindern.
Wie kommen solche Behauptungen zustande? Sie stimmen überhaupt nicht mit dem aktuellen Wissensstand überein, der aus der Kleinkindforschung zu Beziehungen unter Kindern hervorgeht. Kinder teilen bereits im ersten Lebensjahr. Sie sind schon im Babyalter am Kontakt mit Ihresgleichen interessiert. Eine typische Strategie, um mit anderen Kindern (oder einem anderen Kind) in Beziehung zu treten, ist das Anbieten von Gegenständen. Was ist gemeint mit: "eignet sich alles an"? Es geht so jungen Kindern nicht darum, sich Dinge anzueignen wie einen Besitz. Besitzdenken ist ihnen zunächst fremd. Wenn Kinder an Dingen interessiert sind, dann, weil sie etwas damit machen wollen, nicht weil es ums Hamstern und Horten geht. Und wenn sie "meins" sagen, heißt das: damit habe ich gerade etwas gemacht oder etwas vor; nicht: das gehört mir, sondern: hindere mich nicht daran, meinem Interesse nachzugehen.
Leseempfehlung: Wüstenberg, Wiebke/Schneider, Kornelia: Ich - Du - Wir. Wie Kinder in den ersten drei Lebensjahren ihre Beziehungen miteinander gestalten. Erkenntnisse aus Forschung und Praxis. Berlin: wamiki 2021