zwei U3 Kinder

Family Literacy: Mehrsprachigkeit fördern unter Einbeziehung der Eltern

Edith Bauer

17.02.2011 Kommentare (0)

Zu wirksamer Sprachförderung zählt im Rahmen der für Europa vereinbarten Bildungsziele die Unterstützung von Mehrsprachigkeit als wichtigem Bildungspotential von Kindern. Für die Frühpädagogik ergibt sich damit im Bildungsbereich Sprache eine zusätzliche Herausforderung: die Unterstützung und Förderung frühkindlicher Spracherwerbs- und entwicklungsprozesse unter Berücksichtigung der Erst- und Zweitsprachen von Kindern.

Der Sprachförderbedarf von Vorschulkindern in der BRD schwankte im Jahr 2009 je nach Bundesland zwischen 13 Prozent und bedenklichen 56 Prozent (vgl. Förderrichtlinien zum Bundesprogramm Offensive Frühe Chancen 2011). Er verteilt sich vornehmlich auf zwei Gruppen von Kindern - diejenigen, die in sozialschwachen und spracharmen Familien leben und auf die Kinder mit Migrationshintergrund, die neben einer Unterstützung beim Deutscherwerb Hilfen bei der Entwicklung hinreichender Sprachkenntnisse in ihren nicht-deutschen Erstsprachen braucht. Für die letztgenannte Kindergruppe, in der der Sprachförderbedarf besonders hoch ist, hat die Bundesregierung das Programm - Offensive Frühe Chancen - aufgelegt, das die Bedingungen für eine Sprachförderung bilingual aufwachsender Kinder berücksichtigt.

Bedingungen für nachhaltige Sprachförderung

Die Qualität frühkindlicher Förderangebote im Schlüsselbereich Sprache ist von der Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte abhängig. In der fach- und hochschulischen Ausbildung von Erziehern und Erzieherinnen sowie im Weiterbildungsbereich sind daher mehr denn je Angebote erforderlich, die in spracherwerbstheoretische, sprachwissenschaftliche und entwicklungspsychologische Grundlagen der Förderpraxis für ein- wie mehrsprachig aufwachsende Kinder einführen. Zugleich müssen Angebote entwickelt werden, durch die sich theoretisch angeeignetes Wissen in der Praxis erproben und vertiefen lässt (vgl. Hildenbrand/Köhler 2010). Einige Grundsätze für die Sprachförderung werden im Folgenden dargestellt.

Mehrsprachigkeit als Sozialisationsthema

Mehrsprachigkeit heißt: Achtung vor der Muttersprache, vor der Sprache also, die die Eltern zu Hause sprechen. Sprache ist - so die die Linguistin Els Oskaar - als ein psychosoziales Phänomen zu betrachten (Oksaar 2003:16) und soziale wie kulturelle Kontexte sind für den Spracherwerb bedeutsam: Mit der Sprache werden zugleich soziale Normen und Verhaltensweisen sowie kulturelle Tradierungen erworben - also eine kulturelle Identität. Jede Sprache drückt Gedanken auf eine verschiedene Weise aus, ebenso wie sich die Kommunikationsformen verschiedener Kulturen voneinander unterscheiden (Oksaar 2003:14). Sprache existiert nicht in einem luftleeren Raum und kann nie isoliert vom Individuum, seiner Gruppe und der Gesellschaft, zu der es gehört, gesehen werden,. Der Erwerb der Mutter- oder Erstprache wird neben biologischen und kognitiven, vor allem von emotionalen und sozialen Entwicklungsprozessen begleitet und beeinflusst. Daher kann ein Sprachwechsel in Verbindung mit dem Verlust der Erst- oder Muttersprache, die emotional von hoher Bedeutung ist, Prozesse der Identitätsfindung bei Kindern langfristig beeinträchtigen. Treffend drückt das Sprichwort "Lernt man eine neue Sprache, erwirbt man eine neue Seele" den Zusammenhang zwischen Emotion, Sprache und Identität aus. Wird die eine, erste Sprache in der Kindheit auf Kosten der anderen gefördert, geht der Gewinn an sprachlichen, kognitiven und emotionalen Möglichkeiten, die mit Bilingualität einher gehen, oft verloren. Mehrsprachigkeit fördern heißt daher, den Erwerb des Deutschen bei Kindern mit einer Förderung der Erstsprache zu kombinieren (vgl. Bauer 2010a)

Die Einbeziehung der Familie

Familiäre Bedingungen für schulische und außerschulische Bildungserfolge haben sich als doppelt so bedeutsam erwiesen wie die Wirkungspotentiale qualitativ günstiger Leistungen von Kindertagesstätten und Grundschulen zusammen. In erster Linie lassen sich Bildungserfolge von Kindern auf die Familie zurückführen; Kitas und Schulen hinken in ihren Einflussmöglichkeiten weit hinter dem Familieneinfluss her (Thimm 2007:303). Je stärker Familien mit Migrationshintergrund in das Kita-Fördergeschehen eingebunden werden, je selbstverständlicher der Kontakt mit deutschsprachigen Familien ist und je interessierter sich Eltern an Sprachfördermaßnahmen ihrer Kinder zeigen, desto höher liegen die Fördererfolge und desto eher kann ein Zugewinn an Sprachkompetenz beim Kind beobachtet werden. Ziel aller Förderung kindlicher Sprache muss daher zugleich die Stärkung elterlicher und familiärer Bereitschaft und Fähigkeit zur Unterstützung bilingualer Fähigkeiten bei den eigenen Kindern sein.

Isoliert lebende Familien, die Kontakte zum deutschsprachigen Umfeld vermeiden, dem deutschen Bildungswesen gegenüber distanziert sind, weil sie sich aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten vieles auch nicht zu fragen trauen, können ihre Kinder nicht darin unterstützen, das Deutsche zu erwerben und schulischen Lernanforderungen zu genügen (Thimm 2007:304ff.). Viele dieser Eltern sind nicht hinreichend über die Bedeutung der ersten Lebensjahre für die Sprachentwicklung ihrer Kinder informiert, welche Bedeutung sie selbst für diese Entwicklung haben und wie sie sie unterstützen können (Becker 2006:63). Der positive Effekt von Sprachförderung bleibt bei Migrationskindern solange zweifelhaft wie ihre Eltern und Familien nicht mit angesprochen sind und als Bildungsmotor aktiviert werden können. Daher müssen Beratungs- und Elternbildungsangebote zu Fragen der Bilingualität und ihren Fördermöglichkeiten in Kitas mehr als dies bisher der Fall ist verfügbar sein. Und es sind mehr zweisprachige Fachkräfte mit interkultureller Beratungskompetenz nötig.

Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte

Förderkräfte sollten die Bedeutung der Erstsprache beim Erwerb des Deutschen als Zweitsprache angemessen einschätzen können, um bereits vorhandenes sprachliches Wissen einbinden und eine bilinguale Sprachentwicklung bei Kindern begleiten zu können. Isolierte Sprachförderung ohne Bezüge zur Erstsprache zeigt nach neueren Forschungen keine nachhaltige Wirkung (vgl. Becker 2006; Strehmel 2010). Frühpädagogischen Fachkräften in der Sprachbildung muss deutlich sein, dass jeder Spracherwerb als Kulturerwerb zu begreifen ist und als kulturelles bzw. interkulturelles Lernen anzusehen mit all seinen kognitiven und affektiven Aspekten. Die kognitive Anthropologie versteht unter Kultur nicht etwas, das man sieht, sondern das sich in den Köpfen von Personen befindet und ihre Denkkategorien bestimmt (Renner 1980:49). Kinder, die das Deutsche als Zweitsprache erwerben, sind kulturell durch ihren Erstspracherwerb bereits geprägt und bewegen sich zwangsläufig zwischen Kulturen, wenn sie das Deutsche lernen. Das ist für sie eine schwierige und verunsichernde Situation, auf die die pädagogischen Fachkräfte reagieren müssen. Wichtig ist zu wissen, dass Sprache nie als Selbstzweck erworben wird, sondern allein aus dem Grund, um mit anderen Menschen Kontakt herstellen zu können und Gedanken und Gefühle auszudrücken (Oksaar 2003:17). Der Wunsch danach, in Beziehung zu treten, ist die Basis für den Erwerb einer Sprache. Dieser Wunsch kann nur entstehen und sich entwickeln, wenn entsprechende Beziehungsangebote seitens der Erzieher/-innen und anderer Menschen des deutschsprachigen Umfelds an Kinder herangetragen werden.

Um in zwei oder mehr Sprachen beheimatet zu sein und sich wie ein Muttersprachler ausdrücken zu können, muss die Zweitsprache möglichst früh und spätestens mit drei Jahren angeboten und auch mit familiärer Hilfe erlernt werden. Dies bestätigt die neuere Forschung, wenn sie betont, dass eine effektive Sprachförderung so früh wie möglich beginnen sollte und Kinder beim Deutscherwerb und dem Ausbau ihrer sprachlichen Kompetenzen auf die Unterstützung der Familie angewiesen sind (vgl. Strehmel 2010).

Das Programm Offensive Frühe Chancen

Die Absicht der Bundesregierung, den Bildungsbereich Sprache in der Elementarpädagogik durch zusätzliche Fachkräfte für Sprache abzustützen, drückt sich in der Bereitschaft zur Übernahme entsprechender Weiterbildungskosten u.a. im Rahmen der "Offensive Frühe Chancen" aus. Einrichtungen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund im Alter ab drei Jahren werden durch die "Offensive Frühe Chancen" zusätzliche personelle Ressourcen mit einem spezifischen Sprachförderauftrag zur Verfügung gestellt. Ziel dieser Initiative ist es, durch möglichst frühe Förderung des Deutschen allen Kindern in der Bundesrepublik eine faire Chance auf schulischen Bildungserfolg zu eröffnen.

Mit diesem Programm stellt sich allerdings die Frage, welche Sprachfördermethoden bei Kindern mit Migrationshintergrund zu einer nachhaltigen Unterstützung von Bilingualität als Bildungsressource führen und gleichzeitig der geforderten Einbindung der Familie in den Sprachförderprozess Genüge leisten. Zwei Förderprojekte, die diesen Bedingungen gerecht werden, sollen im Folgenden vorgestellt werden. Sie sind theoretisch in der sog. Literacy-Erziehung verankert, einer in der BRD seit einiger Zeit bekannten elementarpädagogischen Sprachdidaktik.

Literacy-Erziehung

Die Literacy-Erziehung stellt einen Import aus Ländern mit hohem Migrationsanteil dar, die für die Integration von Kindern und Familien in der Migration früher als Deutschland die Bedeutung von Sprachbildungsprozessen während der Vorschulzeit erkannt haben. Literacy.-Erziehung bietet für den Elementarbereich eine Sprachdidaktik an, die zweierlei verbindet: die Förderung sprachlicher Kenntnisse aller Kinder und die Einbindung der Familien von Kindern mit Migrationshintergrund in den Sprachförderprozess. Sprachlernen wird zugleich als interkulturelles Lernen praktiziert.

Mit Literacy sind im Unterschied zu Literalität, die nur die vorhandene Fähigkeit zu schreiben und zu lesen meint, verschiedene Kompetenzen im Umgang mit Sprache und Schriftsprache angesprochen: das Verstehen beim Zuhören vorgelesener Texte oder beim eigenen Lesen, abstraktere Niveaus mündlicher Kommunikation, ein Interesse an Büchern, Literatur und aktivem Schreiben sowie vielfältige Erfahrungen mit Schrift- und Erzählkultur, zu der Gedichte und gereimte Sprache - auch in Liedtexten - gehören (vgl. Mayr/Ulich 2010). Literacy-Erziehung befähigt Kinder dazu, Sprache über rein alltagsbezogene Kommunikationsformen hinaus zu nutzen und zu verstehen. Sie bildet abstraktere Verwendungsweisen von Sprache aus, wie sie für eine erfolgreiche schulische Bildung notwendig sind. Zu Literacy-Erziehung zählen auch Aktivitäten, bei denen Kinder auf die Schriftsprache und ihre Bedeutung für den Wissenserwerb aufmerksam werden und sich Vorläuferfähigkeiten für den Schriftspracherwerb aneignen.

Family-Literacy

Ein entscheidender Teil der Literacy-Erziehung bezieht sich auf Bildungsmaßnahmen, durch die Eltern dazu befähigt werden, ihren Kindern sowohl in der Familiensprache als auch in der jeweils vorherrschenden Bildungssprache - in der BRD dem Deutschen - Literacy-Kompetenzen zu vermitteln.

Sprachbildungsmaßnahmen, die im Sinne von Family Literacy wirksam werden, adressieren sich über das einzelne, förderbedürftige Kind hinaus an dessen Familie, die in der Kita ebenso wie zu Hause die Sprachförderung aktiv unterstützt. Ein Ziel dabei ist, Eltern den wertvollen Beitrag bewusst zu machen, den sie zum gelingenden Erwerb mehrerer Sprachen ihrer Kinder leisten können - indem sie zuhören, mit ihren Kindern sprechen, Geschichten vorlesen und singen und vor allem das eigene Handeln sprachlich begleiten und erklären. Die Bedeutsamkeit, die eine intensive Eltern-Kind-Beziehung für die sprachliche Entwicklung von Kindern hat, wird durch eigene sprachförderliche Aktivitäten für Eltern erfahrbar. Darüber hinaus gewinnen Eltern, die sich mit ihren Kindern für den Erwerb und die Entwicklung von Familiensprache und Zweitsprache engagieren, eine Vorbildfunktion: sie leben ein Leben in zwei Kulturen und mit unterschiedlichen sprachlichen Traditionen vor. Weil Erstsprache wie Zweitsprache Träger kulturellen und gesellschaftlichen Wissens sind, das sich mit Normen und Werten verbindet (vgl. Ringler 2004:50), kann aus Mehrsprachigkeit ein Risiko für die kindliche Identitätsbildung resultieren - wie wir bereits angesprochen haben. Sprachen können Erlebniswelten trennen oder verbinden, sie tradieren Einstellungen und Erfahrungen. Bei günstigen Bedingungen sind mit dem Besitz mehrerer Sprachen allerdings eindeutig kognitive Vorteile verbunden und erzeugt der Zweitspracherwerb bei Kindern schon früh ein Sprachbewusstsein, das analytische und abstrahierende Fähigkeiten voraussetzt. Sprache beeinflusst die kognitive Entwicklung und der Zweitspracherwerb stimuliert das Denken ebenso wie er die Entwicklung von lese- und schreibbezogenenen Leistungen von Vorschulkindern fördert (Oksaar 2003: 75f.) Bemühen sich Eltern innerfamiliär, die Erst- und Zweitsprachentwicklung ihrer Kinder mitzutragen und machen zwei Sprachen im Familienleben präsent - und sei es auch nur sporadisch -, so erleben Kinder die Gleichwertigkeit verschiedener Sprachen und wird ihnen Mehrsprachigkeit eher zur Selbstverständlichkeit. Kinder können in Familien, die sich einem Leben in der Mehrsprachigkeit öffnen, die Persönlichkeitsanteile, die mit der einen oder anderen Sprache liiert sind, besser versöhnen und Identitätskonflikte vermeiden.

Projekte der Family Literacy: Hippy und Rucksack

Förderprojekte im Bereich von Family Literacy verfolgen das Ziel einer mehrsprachigen Bildung gesamter Familien und die Stärkung elterlicher Erziehungskompetenz im Bereich bilingualer Sprachbildung ihrer Kinder. Zu den beiden wichtigsten und bereits länger erprobten Projekten gehören das zunächst in Nordrhein-Westfalen eingeführte Rucksack-Projekt, das ursprünglich aus den Niederlanden stammt (vgl. Daveri 2010) und das in Berlin seit mehreren Jahren praktizierte Hippy-Projekt, das in Israel entwickelte wurde (vgl. Förster 2005). Israel und die Niederlande sind bekanntermaßen Länder mit einer hohen Migrationsrate.

Hippy (Home Instruction for Rarents of Preschool Youngsters) wurde vom AWO Kreisverband Nürnberg e.V. 1991 in Deutschland eingeführt. Der Ansatz des Projekts liegt in der aufsuchenden Familienarbeit und richtet sich an Eltern, die ihre Kinder selber nicht ausreichend sprachlich fördern können. Abgesehen von einem geringfügigen monatlichen Eigenbeitrag der Eltern, werden Arbeitsmaterialien und der Hausbesuch von mehrsprachigen Sprachförderkräften mit eigenem Migrationshintergrund in Berlin z.B. von der Jugendförderung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg und der Beauftragten für Integration und Migration getragen (vgl. Förster 2006). Der Hausbesuch verbindet sich neben der Einführung in die Möglichkeiten familiärer Sprachförderarbeit auch mit dem Ziel, isoliert lebende Mütter in der Migration zu erreichen, ihnen Kontakte in den Sozialraum zu ermöglichen und ihre Nöte kennen zu lernen. Die Sprachförderkraft ist zugleich Ansprechpartner für die Mutter und die Familie, die sich nach außen öffnet und deren Bereitschaft zur Integration sie stärkt.

Hippy fördert die Sprachentwicklung und Lernfähigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund durch den Einsatz pädagogischen Materials, das logisches Denken und Problemlösen, Gedächtnis und Differenzierungsfähigkeit in der sprachlichen Wahrnehmung fördert. Sprachliche Kompetenz bei Kindern entwickelt sich dabei in dem Maße, wie sie lernen zuzuhören, wiederzugeben, zu antworten und neue Wörter und sprachliche Informationen erproben und gestalten. Die verbale Interaktionsfähigkeit zwischen Eltern und Kindern verbessert sich dabei und beide Seiten machen die Erfahrung, dass viel und oft zu sprechen hilfreich für die Sprachaneignung des Deutschen und seiner Entwicklung ist. Durch den aktiven Einbezug der Eltern werden auch deren Deutschkompetenzen gefördert und die Eltern-Kind-Beziehung intensiviert und stabilisiert. Das Hippy-Projekt intendiert eine Familienbildung in Sachen Sprache, die nicht an die Kita angebunden ist, sondern in den Familien und durch Hausbesuche entsprechend ausgebildeter Förderkräfte realisiert wird.

Ähnlich wie Hippy unterstützt auch das Rucksack-Programm im Rahmen von Elternbildung die Kompetenzentwicklung bilingualer Kinder und ihrer Familien sowohl im Deutschen als auch der nicht-deutschen Familiensprache. Das Rucksack-Projekt ist 1998 erstmals in NRW von MitarbeiterInnen der "Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwanderfamilien" erprobt worden. Mittlerweile beteiligen sich circa 500 bundesrepublikanische Kitas an dem seit 2008 zertifizierten Programm, das auch in anderen europäischen Ländern umgesetzt wird.

Eine „Rucksack-Kita“ verfolgt mehrsprachliche Bildung anhand verschiedener Themen - "Körper", "Kindertageseinrichtung", "Familie" -, bei der die Sprachförderung in der Kita von innerfamiliärer Unterstützung familiensprachlicher Fähigkeiten ergänzt wird. Ausschlaggebend für die Arbeitsweise ist das Prinzip "Mütter helfen Müttern": bilinguale Frauen mit Migrationshintergrund werden als Multiplikatorinnen ausgebildet, machen andere Frauen mit dem Rucksack-Arbeitsmaterial vertraut und ermutigen sie, sich als Erziehungs-Expertinnen ihrer Kinder auch in der Unterstützung ihrer mehrsprachigen Entwicklung zu engagieren. Durch regelmäßige Müttergruppentreffen in der Tageseinrichtung werden Hemmungen gegenüber der Fremdsprache Deutsch und dem deutschen Bildungssystem abgebaut und die Anbindung an die Kita als Bedingung paralleler Sprachförderung in Erst- und Zweitsprache realisiert. Kita und Elternrgruppe koordinieren ihre Arbeit in einer Erziehungspartnerschaft, die die interkulturelle Öffnung der Einrichtung unterstützt.

Es bestehen bereits Kooperationen mit Schulen innerhalb des existierenden Anschlussprojektes "Rucksack in der Grundschule - Koordinierte Sprachförderung und Elternbildung" (vgl. Becker 2006: 66f.). In schulischen Sprachlernbereichen werden dieselben Themen, die die Kinder zuhause mit ihren Müttern bearbeiten, wieder aufgegriffen. Die Arbeitsmaterialien der Rucksack-Projekte setzen sich aus Übungsblättern für die elterliche Förderung der Erstsprache - mittlerweile vorliegend in Deutsch, Türkisch, Russisch, Hocharabisch, Serbisch (Kroatisch) und Italienisch - , einem Handbuch für Elternbegleiterinnen zur Vorbereitung der Arbeit in der Elterngruppe und einem Handbuch für ErzieherInnen mit Aktivitäten für die Förderung der Kinder in der Zweitsprache zusammen. Material gibt es außerdem zu verschiedenen Projektthemen, die gemeinsam von Eltern und Kitas erarbeitet werden.

Fazit

Als vorschulische Sozialisation verfolgt Literacy-Erziehung das übergreifende Ziel, allen Kindern Bildung - für die Sprache und Schrift zentral sind - zu einer erstrebenswerten und gleichzeitig spannenden, das Leben bereichernden Erfahrung zu machen. Literacy-Erziehung stärkt Kinder in ihrer Bereitschaft, sich mit der Welt und verschiedenen Kulturen sprachlich wie gedanklich auseinander zu setzen und eine kulturelle Identität zu entwickeln, die es erlaubt, Bildung als Chance und Vergnügen wahrzunehmen. Im Rahmen der Förderung von Mehrsprachigkeit intendiert Literacy-Erziehung in Form von Family Literacy zusätzlich eine Elternbildung, die erzieherische Kompetenzen ebenso wie Sprachkompetenzen von Eltern und Kindern sowohl im Deutschen als auch den praktizierten Familiensprachen fördert und die Einbindung der gesamten Familie in die Kita und ihr soziales Umfeld unterstützt. Family Literacy stellt neben der Möglichkeit einer Familieneinbindung in die Sprachförderprozesse bilingual aufwachsender Kinder überdies eine wesentliche Entlastung pädagogischer Fachkräfte dar. In der BRD kann eine intensivere Sprachförderung bei Mehrsprachigkeit in vielen Fällen kitaintern kaum ermöglichlicht werden: Es fehlen bisher Fachkräfte für die Sprachförderung, die selber mehrsprachig sind und in zwei Sprachen die Kompetenzen eines/er Muttersprachler/in aufweisen. Daher muss die Förderung von Mehrsprachigkeit unterstützt von Elternberatung und Elternbildung mit zum Anliegen von Familien werden, wie dies im Projekt Offensive Frühe Chancen angestrebt wird.

Literatur

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