mehrere Kinder

Fassungslosigkeit über Ankündigungen von Sozialministerin Fr. Scharf zur Senkung von Kita-Standards

02.09.2022 | Politik Kommentare (1)

Am 29.08. erschien in der Süddeutschen Zeitung der Artikel Bayern will Qualitätsstandards in der Kinderbetreuung lockern“. Zudem gab es am 30.08. eine Pressekonferenz von Fr. Scharf dazu. Da wir dort leider keinen Zutritt hatten und es keinen entsprechenden Livestream gab, können wir uns jedoch vorerst nur auf die Inhalte aus dem Artikel beziehen.

Im Artikel werden folgende Punkte angesprochen, die wir als klärungsbedürftig erachten:Um den Fachkräftemangel abzufangen sollen Träger:

  • die Anzahl der Kinder in Kita-Gruppen erhöhen
  • mehr geringer qualifiziertes und unqualifiziertes Personal einstellen
  • Spielgruppen und Einstiegsgruppen anbieten
  • Praktikanten sollen während der offiziellen Betreuungszeit Kinder alleine betreuen

Mini-Kitas:

  • dürfen nun bis zu 15 Kinder betreuen
  • Großtagespflegestellen sollen in Mini-Kitas umgebaut werden mit dem Argument der
  • Qualitätssteigerung

Änderungen sollen bereits ab dem 01.09.22 gelten.

Nach Veröffentlichung des SZ- Artikels erhielten wir zahlreiche Reaktionen von Kollegen und Kollegin- nen aus der Fachpraxis. Damit Sie sich ein Bild von der Stimmung an der Basis machen können, haben wir diverse Aussagen kurz und knapp für Sie zusammengefasst. (Bitte entschuldigen Sie die teilweise sehr emotionale Ausdrucksweise. Es war uns aber in diesem Fall wichtig, die ungeschönte Realität widerzuspiegeln und Originalaussagen zu zitieren).

  • „Ich bin fassungslos“, "Ich fühle mich ver...." „Mir fehlen die Worte“, „Ich bin entsetzt“
  • „Ich schmeiße alles hin, kündige meinen Job und verlasse die Kita-Welt“, "So werden noch mehr gute Kita-Kräfte verloren gehen, bald sind keine mehr übrig" "Für was reiße ich mir je-
  • den Tag den ... auf? Bald gibt es kein Fachpersonal mehr
  • „Das geht immer mehr in Richtung Kinderbetreuung. Das ist nicht mehr der Beruf den ich gelernt habe.“
  • „Mir fehlen die Worte. Sowohl als Erzieherin als auch als Mama wird mir gerade Angst und Bange. Und, dass Fr. Scharf wirklich noch die Frechheit besitzt das als "bahnbrechende Chance" zu bezeichnen macht mich fassungslos.“
  • „Hauptsache „sauber-trocken-satt“ und betreut bis in die Abendstunden – von Bildung sind wir mehr als weit entfernt.“

Wir sind überzeugt, dass die Neuerungen das Kindeswohl, die Aufsichtspflicht und das Bildungsrecht nun noch mehr gefährden. Eine adäquate Bildung, Betreuung und Erziehung unter diesen Bedingungen zu leisten, ist unmöglich.

Eltern müssen nun wissentlich in Kauf nehmen, dass ihre Kinder viel Zeit während ihrer wichtigsten und äußerst sensiblen Entwicklungsphase in Einrichtungen verbringen, die keine ausreichende Qua- lität sichern können. Einrichtungen, in denen es augenscheinlich mehr um Quantität als Qualität geht. Entwicklungschancen werden dadurch verpasst und Kinder werden aufgrund zu großer Gruppen und nicht ausreichend qualifiziertem Personal ungenügend gefördert. Zudem erleiden sie dadurch enorm viel Stress, welcher sich nachweislich schlecht auf die Kinder auswirkt.

Mittlerweile scheint der Fokus nur darauf zu liegen, dass Eltern um jeden Preis arbeiten gehen können. Wie es aber den Kindern und den Fachkräften dabei geht, steht an letzter Stelle. Es wird bei uns der Eindruck erweckt, dass Wirtschaftlichkeit und eine zufriedene Wählerschaft, indem man mit allen Mitteln die Kinder irgendwie, irgendwo unterzubringen versucht, oberste Priorität hat. Mit Sicherheit spielen hier auch die bevorstehenden bayerischen Landtagswahlen 2023 eine sehr große Rolle. Für uns als Verband stehen aber keine unrealistischen Versprechungen, wie gesetzliche Platzansprüche an oberster Stelle. Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem Wohl der Kinder und der Kita- MitarbeiterInnen, weshalb wir den neuen Weg des Staatsministeriums vehement ablehnen. Die Bildung, das Kindeswohl und die Zukunft der Kinder zu sichern ist eines unserer wichtigsten Ziele.

Wir stellen uns folgende Fragen:

  • Für was gibt es noch Bildungspläne? Für was müssen wir Konzeptionen vorlegen und Kinder- schutzkonzepte, wenn wir diese ohnehin nicht einhalten können? Bildung ist dann kein Thema mehr in Kitas, sondern nur noch morgens ankommen, spielen, essen, schlafen und nach Hause gehen. Im Grunde nur eine reine Betreuung. Möchten wir diesen Rückschritt wirklich für un- sere Kinder? Sind zahlreiche Studien-und Forschungsergebnisse, zur Wichtigkeit einer hoch- wertigen frühkindlichen Bildung und Betreuung, schon wieder einfach vergessen? Oder warum werden sie wissentlich ignoriert?
  • Warum gibt es zu Recht eine lange und umfangreiche Erzieherausbildung und Studiengänge für frühkindliche Pädagogik, wenn gefühlt jeder unseren Beruf ausüben kann? Wieso absolvieren KinderpflegerInnen, unbezahlt, zwei Jahre Vollzeitunterricht an Berufsfachschulen, wenn ihre Arbeit ein Leichtes zu sein scheint? Wertschätzung und Anerkennung unserer Berufsgruppe gegenüber, sieht so definitiv nicht aus.
  • Wer übernimmt die Aufsichtspflicht, wenn PraktikantInnen alleine arbeiten? Wer trägt die Verantwortung, wenn in diesem Fall ein Unfall, Kindeswohlverletzung ... geschieht? Wurden dabei auch rechtliche Konsequenzen bedacht und eine Überforderung des Praktikanten ausgeschlossen? Gab es eine professionelle (Rechts)Beratung für Fr. Scharf diesbezüglich?
  • Woher sollen Räumlichkeiten für Spielgruppen etc. kommen? Geschweige denn Personal?
  • Mini-Kitas sind mit einigermaßen angemessener Qualität kaum finanzierbar.
  • Tagespflegepersonen können nur, wenn überhaupt, als Drittkräfte in Kitas arbeiten. Sie ha- ben keine ausreichende fachliche Ausbildung in Bereichen wie Entwicklungspsycholgie, Rechtslehre, Methodenlehre und Didaktik. Sie können daher kein Ersatz für eine Gruppenleitung/Fachkraft oder Ergänzungskraft sein und somit in den Schlüssel zählen.

Angepriesen werden die Neuerungen von Fr. Scharf mit „bahnbrechende Chance“, „passgenaue Lösung“. Für wen soll diese passen? Weder für die Kinder, noch für das qualifizierte Kita-Personal, noch für Eltern. Auch für Träger passt diese Lösung nicht. Sie möchten ihr Personal halten und zufriedene Eltern vorweisen. Das ist unmöglich, wenn Standards noch weiter gelockert werden. Diese Lösung ist nur für die Staatsregierung passgenau, da man sich über diesen Weg nicht eingestehen muss, dassmassive Fehler begangen wurden. Hauptsache es wird keine Klagen wegen dem Rechtsanspruch geben, der nicht erfüllt werden kann. Besser wäre z.B. eine stundenmäßige Begrenzung des Rechtsanspruches oder eine echte Wahlmöglichkeit für Eltern durch mehr finanzielle Unterstützung, Verlängerung des Elterngeldes etc. zu ermöglichen.

Wir apellieren an alle Kita-TrägerBitte setzen Sie die Neuerungen nicht um. Achten Sie auf Qualität und denken Sie daran, dass Sie Ihre Arbeitskräfte halten möchten. Das Wohl der Kinder und Mitarbeiterinnen sollte für Sie an erster Stelle stehen. 

Zu Guter Letzt sei noch erwähnt: Immerhin haben wir nun schwarz auf weiß, dass Fr. Scharf erkannt hat, dass das System Kindertageseinrichtung die „Belastungsgrenze erreicht und zum Teil überschritten“ hat (#kitasamlimit). Diese Erkenntnis sehen wir auch als Erfolg unserer Verbandsarbeit. Jedoch müssen wir dem hinzufügen, dass die Lösung, die Fr. Scharf getroffen hat, komplett in die falsche Richtung geht und völlig entgegengesetzt gegen die von uns vorgegebenen Vorschläge ist.

#unsglants #scharfkritisieren

Quelle: Verband Kita-Fachkräfte Bayernpage2image10850784

Ihre Meinung ist gefragt!

Diskutieren Sie über diesen Beitrag.

Kommentare (1)

Angelika Mauel 09 September 2022, 09:22

Es müsste (noch) viel mehr Widerstand von ErzieherInnen geben! Doch immer wieder sind "soziale Frauen" in entscheidenden Momenten zu nett. Zum Abschied wird vor der Lokalpresse bekundet, dass der Beruf immer ihr Traumberuf gewesen sei. Dabei könnte man doch ruhig mal was anderes sagen. Dass früher vieles nicht in Ordnung war und heute nicht minder. Und dann einfach mal konkret werden.

Nachdem ich schon darüber geschrieben habe, dass Krippen- , Kita- und Schulkinder auf Ausflügen ertrunken sind, werde ich bald einen über die bekannt gewordenen Stürze von Kindern aus oberen Geschossen ihrer Kitas schreiben. Üblicherweise werden gewisse Unfälle nicht miteinander in Verbindung gebracht. Und nach der wesentlich höheren Dunkelziffer der quasi in letzter Sekunde verhinderten Unfälle, fragt keiner. Und wenn - würden Erezieherinnen dann immer noch schweigen?
In Hildesheim erfuhr die Polizei erst aus der Presse von dem Unfall...
https://www.hildesheimer-allgemeine.de/meldung/kind-stuerzt-aus-kita-fenster-in-hildesheim-polizei-nimmt-ermittlungen-auf.html

Kommentar schreiben




Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.


Bitte schreiben Sie freundlich und sachlich. Ihr Kommentar wird erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet.





Ihre Angaben werden nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Hinweise zum Datenschutz finden Sie im Impressum.