Flüchtlingskinder jetzt schützen
UNICEF mahnt EU
Vor dem entscheidenden EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise am 21. September begrüßt das UN-Kinderhilfswerk UNICEF das wachsende Engagement von Europäischen Regierungen. Gleichzeitig mahnt UNICEF, dass den Beschlüssen jetzt konkrete Taten zum Schutz von Flüchtlingskindern folgen müssen.
„Der Schutz von Flüchtlingskindern muss absolut im Zentrum der europäischen Initiative stehen, vor allem jetzt, angesichts des nahenden Winters", sagte Yoka Brandt, stellvertretende UNICEF-Exekutivdirektorin. „Alle diese Kinder, die schon so viel durchgemacht haben, haben das Recht auf Schutz und auf Würde. Jetzt ist es an der Zeit, diese Rechte in die Realität umzusetzen."
Ein Viertel aller Asylantragssteller in Europa sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Allein in den ersten sechs Monaten diesen Jahres haben 106.000 Minderjährige Asyl in der EU beantragt, die meisten von ihnen aus Syrien, Irak und Afghanistan – das entspricht einem Anstieg um 75 Prozent im Vergleich zu 2014. UNICEF fordert als wichtigste Maßnahmen für Flüchtlingskinder:
Familien müssen zu jeder Zeit zusammenbleiben können. Programme, die bei der Suche nach Familienangehörigen und der Familienzusammenführung helfen, sind insbesondere für unbegleitete Minderjährige und für die Kinder wichtig, die auf der Flucht von ihren Familien getrennt wurden.
Kinder müssen Zugang zu Asylverfahren haben, bei denen ihr Wohl jederzeit vorrangig berücksichtigt wird.
Kinder und ihre Familien müssen Unterstützung und Beratung erhalten, damit ihre Rechte gewahrt bleiben, unabhängig von ihrem rechtlichen Status und in jedem Stadium des Verfahrens.
Kinderschutzsysteme, -leistungen und -personal müssen ausreichend finanziert werden, so dass sichergestellt ist, dass Kinder von gut ausgebildeten Experten betreut werden – mit dem gleichen hohen Standard wie Kinder aus den EU-Mitgliedsstaaten.
Die Bedrohungen durch Menschenschmuggel und andere Gefahren müssen weiter bekämpft werden. Kinder sind besonders gefährdet, Opfer von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu werden, vor allem die unbegleiteten unter ihnen. Sie brauchen Schutz während der Flucht, aber auch bei der Ankunft in den Zielstaaten.
Umverteilungs- und Resettlement-Programme müssen die Rechte der Kinder in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehören Gesundheitsfürsorge, Lern- und Spielmöglichkeiten sowie psychosoziale Unterstützung, die ihnen einen Umgang mit den Traumata ihrer Flucht ermöglicht.
Parallel zu dem Engagement für Flüchtlingskinder in Europa müssen auch die Humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe in den Herkunftsländern stärker unterstützt sowie die Bemühungen zur Beendigung von Konflikten und zur Bekämpfung der Armut verstärkt werden. Sonst bleibt vielen Familien weiterhin keine andere Wahl, als die gefährliche Reise nach Europa auf sich zu nehmen, in der Hoffnung auf Sicherheit und eine neue Chance.
Save the Children fordert Verabschiedung eines 5-Punkte-Plans zur Flüchtlingskrise
Die weltweite größte unabhängige Kinderrechtsorganisation forderte die Teilnehmer des am 14. September in Brüssel stattfindenden außerordentlichen Ministertreffens auf, einen umfassenden 5-Punkte-Plan zu verabschieden. Eine Aufstockung der humanitären Hilfe in den Herkunftsländern, Neuansiedlungsmöglichkeiten in den Ankunftsländern, weitere legale und sichere Zugangswege, sowie eine Beibehaltung der Seenotrettung und kindgerechte nationale Schutzmechanismen können zur Lösung der sich dramatisch entwickelnden Flüchtlingskrise beitragen. Bereits 380.000 Kinder, Frauen und Männer sind in diesem Jahr nach Europa geflohen. Etwa 2.850 Menschen, darunter unzählige Kinder, haben auf der gefährlichen Flucht ihr Leben verloren. „Die EU-Minister müssen jetzt entschlossen handeln – zu viele Kinderleben stehen auf dem Spiel. Schon jetzt haben viel zu viele Mädchen und Jungen auf der Suche nach Sch utz und Zuflucht ihr Leben verloren", betont Kathrin Wieland, Geschäftsführerin von Save the Children Deutschland.
„Kein Land, keine Regierung kann diese Flüchtlingskrise allein bewältigen. Jetzt ist dringend eine europäische Gesamtlösung gefordert. Unser 5-Punkte-Plan beinhaltet nicht nur Vorschläge zur Lösung der unmittelbaren Probleme und Herausforderungen, sondern darüber hinaus Maßnahmen, wie man die Konflikte in den Herkunftsländern, die Familien täglich zur Flucht zwingen, besser bekämpfen kann", so Kathrin Wieland.
5-Punkte-Plan von Save the Children: Die Such- und Seenotrettung mit einem Mandat der EU muss beibehalten werden, nur so können Leben gerettet werden. Angemessene Kapazitäten müssen dafür bereitgestellt werden. Dabei muss die Rettung von Menschenleben Vorrang vor Grenzschutz haben. Sichere und legale Zugangswege für Kinder und ihre Familien müssen nach Europa ermöglicht werden darunter humanitäre Aufnahmeprogramme, die verstärkte Nutzung von Instrumenten der Familienzusammenführung, humanitärer Visa, Stipendien und privater Patenschaften. Schnellstmöglich müssen europäische Mitgliedstaaten ihre Aufnahme- und Versorgungskapazitäten aufstocken. Kinderschutz muss dabei im Vordergrund stehen, darunter Mechanismen zur Feststellung der Schutzbedürftigkeit von Kindern, kindgerechte Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen, der angemessene Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. Die EU-Kommission und EU-Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, ein effektives und permanentes System für die Neuansiedlung von schutzbedürftigen Flüchtlingen in Europa zu beschließen. Save the Children setzt sich für die Neuansiedlung von 5 Prozent aller syrischen Flüchtlinge in Europa bis 2016 ein. Die Mehrheit der 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht oder intern vertrieben sind, erreicht Europa nicht.
Save the Children fordert daher die Aufstockung der humanitären und entwicklungspolitischen Mittel für die Krisenregionen und ihre Nachbarländer. Insbesondere Mittel für den Schutz und die Bildung von Kindern müssen prioritär bereitgestellt werden. Save the Children arbeitet seit Jahrzehnten daran, Mädchen und Jungen ein sicheres, gesundes Leben mit Zukunftschancen zu ermöglichen. Wir sind in den Herkunftsländern wie Syrien und in Afrika, Transitländern wie der Türkei, Ägypten, Griechenland, Serbien und Italien und Ankunftsländern wie Deutschland und Schweden aktiv.
Kinderschutzbund: Aus Willkommenskultur muss Integrationspolitik werden
Angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation fordert der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) Bundesverband e.V. einen nationalen Aktionsplan für eine nachhaltige Integrationspolitik für Kinder und ihre Familien auf der Flucht. Im Zentrum der Forderungen stehen neben einer Förderung der Integration auch Sicherheit und Schutz. DKSB-Präsident Heinz Hilgers stellte die zwölf Eckpunkte am 10. September bei einer Bundespressekonferenz vor.
Jeden Tag kommen tausende Einwanderer nach Deutschland, mehr als ein Drittel von ihnen sind Kinder. Die jüngste Geschichte zeigt, dass mehr als die Hälfte der einmal zu uns gekommenen Einwanderer hier bleibt. „Das von der Bundesregierung vorgelegte Konzept ist vor diesem Hintergrund völlig unzureichend und unterfinanziert", kritisierte DKSB-Präsident Heinz Hilgers. „Aus Willkommenskultur muss eine nachhaltige Integrationspolitik werden. Dazu bedarf es eines nationalen Aktionsplans." Zur Herstellung gleicher Lebensverhältnisse sei dieser durch den Bund zu finanzieren und in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen umzusetzen, so Hilgers weiter.
Aus Sicht des DKSB benötigen die kommunalen Entscheidungsträger zunächst eine aktualisierte Datengrundlage zur Planung einer bedarfsgerechten Infrastrukturpolitik in Form einer neuen gemeindescharfen Prognose zur demografischen Entwicklung. Des Weiteren brauche Deutschland ein nationales Wohnungsbauförderungsprogramm von jährlich mindestens 350.000 Neubauwohnungen, um für alle ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Damit gehe unter anderem die Schaffung weiterer Kindertagesplätze und Schulen einher. „Zudem sind die Kompetenzen der Einwanderer zu nutzen, indem auch sie für ehrenamtliches Engagement gewonnen werden. So erfahren sie Wertschätzung durch Teilhabe", betonte Hilgers. Ihnen müsse so früh wie möglich Selbstständigkeit ermöglicht werden. Ein wichtiger Baustein sei hierfür Arbeit.
„Wenn diese Maßnahmen vorausschauend ergriffen werden und die staatliche Gemeinschaft aus Bund, Ländern und Gemeinden das große ehrenamtliche Engagement der Bevölkerung aufnimmt", so der DKSB-Präsident, „kann es gelingen, dass aus den Leistungsempfängern der ersten Wochen und Monate Leistungsträger werden, die unser Land weiterbringen."
Der DKSB bietet bundesweit spezielle Angebote und Projekte für Kinder und ihre Familien auf der Flucht an und leistet damit praktische Arbeit vor Ort. Das Spektrum reicht von Willkommensfesten über Sprachkurse und Beratung, Spiel-, Sport- und Kulturangeboten bis hin zu Traumatherapie und Informationsveranstaltungen für Bürgerinnen und Bürger.
Alle zwölf Eckpunkte, eine Übersicht der Projekte und Aktionen im DKSB sowie weitere Informationen zum Thema finden Sie unter www.dksb.de/flüchtlinge
Quellen: Pressemitteilung des Deutschen Kinderschutzbundes, Bundesverband vom 10.9.2015, Pressemitteilung von UNICEF vom 11.9.2015, Pressemitteilung von Save the Children Deutschland e.V. vom 14.9.2015