Frankreich will die Schulpflicht für Kinder ab drei Jahren einführen
Können Sie sich vorstellen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede auf einer Veranstaltung für Erzieher/innen hält? Wohl kaum, denn das System der Kindertagesbetreuung ist für sie viel zu unbedeutend!
In den letzten Legislaturperioden ging es der Merkel-Regierung vor allem um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So hat sie seit 2008 vier Investitionsprogramme für den Ausbau des Platzangebots aufgelegt; im vierten stellt sie hierfür 1,1 Milliarden Euro für die Jahre 2017 bis 2021 bereit. Ferner fördert sie seit Januar 2016 durch das Programm "KitaPlus: Weil gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist" erweiterte Betreuungszeiten in Kitas, Horten und in der Kindertagespflege, damit auch der Bedarf von Eltern abgedeckt wird, die abends oder an Samstagen arbeiten müssen. Quantität ist somit der Bundesregierung wichtiger als Qualität; das vor vielen Jahren angekündigte "Qualitätsentwicklungsgesetz" steht immer noch aus. Auch müssen Eltern weiterhin für die Kindertagesbetreuung zahlen.
Anders sieht es bei Frankreich aus, wo Kleinkinder bereits die Schule - "école maternelle" genannt - besuchen. Sie ist für die Eltern kostenfrei. Für Präsident Emmanuel Macron ist sie ein so wichtiger Teil des Schulsystems, dass er am 27.03.2017 einen Vortrag auf der Bildungskonferenz "Assises de l'école maternelle" vor 400 Vorschullehrer/innen in Paris hielt und verkündigte, dass er ab dem Schuljahr 2019/20 eine Schulpflicht für alle Kinder ab drei Jahren einführen will. Wohl würden heute schon 97 Prozent aller Kleinkinder erfasst, aber die übrigen drei Prozent wären oft Kinder, die später der Gesellschaft viele Probleme machen würden. Auch würden unter die 97 Prozent Kinder aus armen Familien fallen, die nur vormittags zur Schule geschickt würden, weil die Eltern nicht die Kosten für das Mittagessen aufbringen können. Ab dem Schuljahr 2019/20 sollen nicht nur alle Kinder 24 Stunden pro Woche in der "école maternelle" pädagogisch gefördert werden, sondern ebenfalls ein kostenloses Mittagessen erhalten.
Aber auch die Qualität der frühen Bildung ist Emmanuel Macron wichtig. So sollen Neurowissenschaftler/innen und Pädagog/innen die Lernmethoden in der "école maternelle" immer wieder anhand der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse überprüfen und verbessern. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Entwicklung und Sozialisation der Kleinkinder bestmöglich gefördert werden. Ferner sollen Sprachprobleme gemindert werden.
Somit scheint die "école maternelle" für die französische Regierung einen viel höheren Stellenwert zu haben als die Kita für die Bundesregierung...