mehrere Kinder

Früh übt sich?

Antonia Mahler

06.03.2014 Kommentare (0)

Viel ist in der Frühpädagogik die Rede von Partizipation, davon, dass Kinder selbst entscheiden sollen, was sie interessiert und was sie tun. Aber sowohl für die Medien wie für die Unternehmen sind Kinder Objekte, die es unter Verwertungsgesichtspunkten zu betrachten gilt. Dabei entsteht auch ein Konflikt zwischen den Medien und der Wirtschaft.  Diesen Konflikt können nur verantwortungsbewusste Erwachsene lösen - damit die Welt der Kinder erhalten bleibt.

Den folgenden Beitrag übernehmen wir aus der Süddeutschen Zeitung.

Im Film und in der Kunst wird man immer vorsichtiger bei der Abbildung nackter Kinder. Die Spielzeug- und die Bekleidungsindustrie sind weniger sensibel: Sie trimmen schon ganz kleine Mädchen auf sexy.

Es muss ungefähr fünfzehn Jahre her sein, erinnert sich Tina Kübel von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmindustrie, da gab es lange Diskussionen über einen Dokumentarfilm – der zeigte eine Freikörperkultur-Gemeinde. Nackte im Alltag ihres FKK-Dorfs, darunter auch Kinder. Letztendlich schien der Film aber inhaltlich unbedenklich, immerhin waren keine nackten Kinder aus der Nähe zu sehen. „Aber es ist seither definitiv immer strenger geworden“, meint Tina Kübel. Insgesamt sei man bei Kindern immer vorsichtig. Umsichtige Filmregisseure lassen keine Nackedeis in Familienkomödien herumtollen. Babys, die durch den Garten hopsen, tragen Höschen. Sieht so aus, als sei die Gesellschaft sensibel geworden. Nicht nur wegen des aktuellen Falls Edathy. Auch eine für April geplante Balthus-Schau des Museums Folkwang, die Polaroids eines minderjährigen Mädchens aus seinem Studio zeigen sollte, wurde nach Beratung mit dem Jugendamt abgesagt – obwohl Anna höchstens halb ausgezogen war. Denn indiziert wird in Deutschland nicht allein Nacktheit, indiziert werden auch Kinder in eindeutigen Posen.

Ein Besuch in der Kinderabteilung jedes beliebigen Kaufhauses wirkt in dem Zusammenhang allerdings befremdlich. Auf zwanzig Zentimeter breiten Plastikbügeln hängen Push-Up-BHs, in Mini-Größe vollgepolstert. Und die sind nicht für dreizehnjährige Mädchen geschnitten: Der kleinste hat eine Größe, 60 AA, die es in der Wäscheherstellung eigentlich nicht geben kann – einem schmalen Teenager passt 70 A locker. Doch die roten, schwarzen, gerüschten oder geblümten Büstenhalter sind für Zehnjährige entworfen. Noch kleiner sind die durchsichtigen String Tangas, die man im Internet ab XXXS ordern kann, das entspricht 128 – für Achtjährige. Den Triangel-Bikini Modell „Homeboy“, der mit der amerikanischen Flagge bedruckt ist, kann man schon in Kleinkindgrößen kaufen.

Wer möchte seinen Kindern das anziehen? Vielleicht wünscht es sich das Kind selbst, weil es das Rollenspiel im Wäscheschrank oder beim Spielen gelernt hat. Playmobil , dessen betont schlichte Plastikfiguren im Jahr 1970 mit Baufahrzeugen, Traktoren und Planwagen auf den Markt rollten, fertigt inzwischen Figuren, die man ausziehen kann. Ihre Miniaturwelt besteht nicht länger aus Bauernhäusern, Zirkustieren und Indianertipis. Heute gibt es Figuren extra für Mädchen, die haben Brüste und Frisuren, die man aufsetzen kann wie früher den Bauhelm. Die kurvigen Mini-Körper sind mit Rüschenbodys bemalt, Outfits zum Wechseln werden mitgeliefert. Sie erscheinen wie ein Hybrid aus Aktionsfigur und Barbie, die ja schon immer eine Frisierpuppe mit Busen war. Aber die jahrzehntelang als sexistisch verpönte Barbie lässt den Kindern heute immerhin die Wahl zwischen den Berufen Gitarristin und Fußballerin. Playmobil definiert dagegen Einkaufen als Tätigkeitsfeld und schickt die Kinder, aus denen Konsumentinnen werden sollen, ins Shoppingcenter.

Die echten Mädchen können derweil an der Kasse ihren Müttern Malbücher abtrotzen, die ihnen schon im Kindergartenalter vorturnen, wie man seinen Körper mit Kleidern richtig in Szene setzt: „TOPModel“ nennt sich eine solche Reihe. Die Vorlagen kann man mit Filzstiften ausmalen und dann noch mit mitgelieferten Glitzeraufklebern von Ohrringen, High Heels und geschlitzten Kleidern dekorieren. „Erstelle eine Sedcard und präsentiere dich in der Online-Community“, schlägt „Candy“ den Bastlerinnen vor. „Hier findest du die besten Tipps zum Thema Schönheit.“ Einerseits Kindchenschema mit hoher Stirn, Kulleraugen, winzigen Mündern – im Kontrast mit dünnen, langbeinigen Körperchen, die zu nichts anderem gedacht sind, als an- und wieder ausgezogen zu werden. Zur Erinnerung: Mit Malbüchern beschäftigt man sich im Vorschulalter. Die Figuren sind Kindfrauen, die ihren Hintern betonen, ihre Arme im Nacken verschränken und aufreizend dastehen. Besonders aggressiv posieren die „TOPModels“ in der Rockstar-Ausgabe. Die bestrapsten Kindfrauen sind von Miniröcken kaum bedeckt, tragen bauchfreie T-Shirts und hochhackige Sandalen. Es sind Abbildungen, die herausfordernd von Kindern imitiert werden wollen. Das sind eigentlich genau die Posen, die wir in Museen oder Filmen fürchten. Würden sich die Fünfjährigen so verkleidet und posierend fotografieren, dürften sie ihre Bilder niemandem zeigen. Der Abdruck wäre gesetzeswidrig.

Fotografen wie David Hamilton, Sally Mann, Jock Sturges – alle porträtierten in den Siebzigerjahren nackte Kinder und Heranwachsende. Das Phänomen brachte Posterhefte, Bildbände, Plakate hervor. Allein Jacques Bourboulon sorgte für Aufsehen, als er Eva Ionesco nackt fotografierte. Das Mädchen, das vorher jahrelang von ihrer Mutter Irina in romantisierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen halb nackt mit Blumen und Seidenstrümpfen abgelichtet worden war, erschien nämlich plötzlich im italienischen Playboy: Die Elfjährige rekelte sich nur mit Handschuhen oder im String auf sonnigen Terrassen.

Rückblickend unvorstellbar. Was kam danach? In den Achtzigern änderte sich die Ästhetik – die Mädchen wurden weniger geschminkt, trugen aber auch nicht mehr als eine Jeans. Kate Moss beispielsweise war bei ihrem ersten professionellen Fotoshooting vierzehn. Bekleidet nur mit einem Minirock und einer Indianerkrone. In ihrer Autobiografie beschreibt sie heute die Situation als Missbrauch: „Es hieß, wenn du dich weigerst, buchen wir dich nicht mehr. Ich schloss mich auf dem Klo ein und heulte.“

Und heute? Während sich in Talkshows Experten zum Thema Kinderschutz äußern, flüstert die sexualisierte Gesellschaft schon den kleinsten Mädchen ins Ohr, wie sie sich am besten inszenieren, wie sie sexy auftreten. „Die Medienentwicklung führt dazu, dass junge Mädchen halb nackte Bilder von sich selbst ins Internet stellen, Hunderttausende sehen das, und die Kinder können gar nicht einschätzen, was sie sich damit antun“, sagt Tina Kübel von der FSK. Kate Moss ist ein Vorbild, genau wie Heidi Klums Topmodels. Wonach werden sich die Kinder richten? Die Botschaft ist doppeldeutig. Der nackte Po einer Dreijährigen auf dem Töpfchen – in den Medien ein Tabu. Sich als Dreijährige wie eine Gogo-Tänzerin darstellen – geht in Ordnung. Was dabei herauskommt, ist eine Gesellschaft, die zu prüde ist, ein Baby nackig im Park spielen zu lassen – und gleichzeitig sexbesessen bis in die vorderste Reihe des Spielzeugregals.

© Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von http://www.sz-content.de (Süddeutsche Zeitung Content)

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