
Frühe Fürsorgearbeit von Vätern
Inhalt- Der Engelskreis der Kommunikation
- Das Stillen stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind in der ersten Bindungsphase
- Die zweite Bindungsphase und die Probleme des Kindes mit dem Verschwinden der Mutter
- Die Rolle des Vaters bei der Ablösung des Kindes aus dem Einheitsgefühl mit der Mutter
- Die Bindung zwischen Vater und Kind
- Was bedeuten diese Entwicklungsbedürfnisse des Kindes für die frühe Fürsorgearbeit des Vaters?
- Literatur
Nicht nur aus Gleichberechtigungsgründen wollen sich Väter von Beginn an um ihre Kinder kümmern. Inzwischen sind viele Väter auf dem Weg, sich mehr an der Familienorganisation und der Kinderbetreuung zu beteiligen, um eine gute Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen. Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Forscher:innen mit der Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes, so dass unzweifelhaft ist, Väter sind für die Entwicklung der Kinder ebenso wichtig wie die Mütter.
Da die Bedeutung beider Eltern aufgrund unterschiedlicher Fähigkeiten sich unterschiedlich auf die Entwicklung der Kinder auswirkt (Butzmann 2022), soll mit diesem Beitrag aufgezeigt werden, wie die frühe Fürsorgearbeit gestalten werden kann. Damit ist gewährleistet, dass sich das frühe Familienleben entwicklungsfördernd für alle Beteiligten auswirkt. Für Väter ergeben sich daraus Hinweise, wie der von Tillmann Prüfer (2022) vorgeschlagene neue Pfad des Vaterseins aufzuspüren ist. In erster Linie soll es hier jedoch um die Bedürfnisse der Kinder gehen. Es wird aufgezeigt, dass unterschiedliche Betreuungszeiten durch Vater und Mutter nahezulegen sind.
Der Engelskreis der Kommunikation
Zu Beginn des ersten Lebensjahres ist das Kind neben der Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse existentiell auf die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Bindungsperson angewiesen. Denn über die zuverlässige Befriedigung dieser Bedürfnisse entwickelt sich die Bindung zwischen Eltern und Kind. Die angeborenen Kontaktsignale des Kindes wie Lächeln, Glucksen oder Weinen führen dazu, die Aufmerksamkeit der Mutter immer wieder zu erreichen. Sie ist am Anfang im Fokus des Kindes durch die Vertrautheit über die Schwangerschaft und das Stillen. Geht die Mutter darauf ein, entsteht der sogenannte Engelskreis der Kommunikation. Dieser setzt im Gehirn von Mutter und Kind das Bindungshormon Oxytocin frei und provoziert darüber dieses gegenseitige Aufeinandereingehen jeweils neu. Unter dem Einfluss von Oxytocin auf die Nervenzellen des Belohnungssystems beginnt das Gehirn des Babys tief und fest abzuspeichern, dass es an Mamas Brust oder auf Papas Arm zur Ruhe kommt. Auch beim Vater wird in solchen Situationen Qxytocin ausgeschüttet, das den liebevollen Umgang mit dem Kind fördert. Monatelang werden über diese Erfahrungen im Gehirn des Babys die dazugehörigen Schaltkreise aus Nervenzellen immer wieder aktiviert. Sie stabilisieren sich und in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres spürt das Kind, dass es mit seinen Eltern verbunden ist (Strüber 2019, S. 76). Dieses Gefühl der Verbundenheit führt in den folgenden Monaten zu einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind, wenn der Engelskreis der Kommunikation immer wieder neu zustande kommt.
Das Stillen stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind in der ersten Bindungsphase
Durch das Stillen und den hormonellen Zuwendungsantrieb der Mutter aufgrund des Oxytocins (Strüber, 2016, S. 193f.) entwickelt das Kind in der Regel die primäre Bindung an sie. Wenn der Vater während dieser Zeit das Kind immer wieder eng am Körper trägt, es wickelt oder in den Schlaf begleitet, entwickelt sich ebenso eine sichere Bindung zwischen Vater und Kind. Das gelingt in den ersten sechs Monaten; denn das Kind empfindet sich noch weitgehend mit seiner gesamten Umwelt als eine Einheit, so dass es mit einer guten Rundum-Versorgung zufrieden ist (Suess 2011). Die Aufmerksamkeit des Babys ist zu dieser Zeit von starker Ablenkung geprägt, es wechselt von einem Moment zum anderen, von einer Person zu anderen (Brandau et. al. 2014, S. 63). Das ermöglicht in den ersten Monaten die Offenheit im Hinblick auf die Betreuungspersonen (Suess 2011, S. 8f.). Danach löst sich das Einheitsempfinden langsam auf und das Kind richtet sich mit seinen Bindungsbedürfnissen an die eine Person, die dann meistens zur Verfügung steht. Durch die frühe Vertrautheit ist es im Regelfall die Mutter. Steht sie nicht zur Verfügung, richtet sich das Baby mit seinen Bindungsbemühungen an den Vater. Wendet sich das Kind der Mutter als Bindungsperson zu, sucht es sie bei jedem Unwohlsein. Ist sie nicht da, wird es je nach Temperament von existenziellen Trennungs- und Verlassenheitsängsten überflutet, die den höchsten Stress in der frühen Kindheit auslösen. Je empfindsamer und ängstlicher ein Kind ist, desto eher ist es damit belastet.
Von den Trennungsängsten ist die Fremdenangst zu unterscheiden, da es unterschiedliche Ursachen für beide Ängste gibt. Die Fremdenangst tritt kurzzeitig zwischen fünf und sechs Monaten auf, weil sich die Makula, der Punkt des schärfsten Sehens im Auge des Kindes ausbildet. Es kann dann Fremde von den Vertrauten genau unterscheiden. Mit Trennungs- und Verlassenheitsängsten haben die Kinder zwischen sieben und 24/28 Monaten mehr oder weniger stark zu kämpfen, da die Erinnerungsfähigkeit an die Eltern noch nicht voll ausgebildet ist.
Die zweite Bindungsphase und die Probleme des Kindes mit dem Verschwinden der Mutter
Wenn die Bindungsbemühungen des Kindes in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres auf die Mutter gerichtet sind, wird sie für alle Probleme des Kindes vereinnahmt, so dass der Vater möglicherweise weniger Chancen beim Trösten und Versorgen hat. Das tritt dann am stärksten auf, wenn beide Eltern gleichzeitig anwesend sind. Ist der Vater allein mit dem Kind, gelingt es ihm meistens, das Kind zu versorgen. Diese Fokussierung auf eine Person wird ausgelöst durch die am Ende des ersten Lebensjahres und im zweiten Jahr nur vorhandene einkanalige Aufmerksamkeit beim Kind. Es wird zwar von allen Reizen abgelenkt, wenn es sich jedoch auf eine Sache oder Person konzentriert hat, bleibt es dabei (Brandau et.al. 2014, S. 63). Eine Primärbindung an den Vater, wenn die Mutter nicht zur Verfügung steht, ist eindrucksvoll in einer Arte-Dokumentation (2023) mit einer schwedischen Familie dargestellt. Dieser Vater hat die beiden Kinder jeweils bis zum 18. Lebensmonat versorgt und betreut.
Die Probleme des Kindes mit dem Verschwinden der so vertrauten Mutter kommen durch die noch fehlende Erinnerungsfähigkeit in den ersten 18 bis 24 Monaten zustande (Butzmann 2020, S. 107). Das Kind erkennt in der Zeit vorher die Eltern nur wieder, wenn sie erneut auftauchen, dazwischen kann es sich nicht an sie erinnern. Während der intensiven Bindungsphase an die Mutter kann es dann zur völligen Ablehnung des Vaters kommen, wie das folgende Beispiel aus der Beratung zeigt: Die Betreuung durch den Vater hatte viele Wochen erstaunlich gut geklappt bei dem knapp einjährigen Kind. Es ist sogar beim Vater auf der Brust eingeschlafen. Nach einiger Zeit ging es irgendwie nicht mehr. Die Eltern haben alles genauso gemacht wie vorher, aber das Kind hat wahnsinnig geschrien, als es wieder mit dem Vater allein war. Es hat jeden Raum abgesucht, um die Mutter zu finden und war total aufgelöst bis die Mutter zurückkam. Seit dem Vorfall will es gar nicht mehr zum Vater. Sobald er das Kind hochnimmt und die Mutter aus dem Sichtfeld ist, weint es bitterlich. - Hier wäre es notwendig, dass die Mutter vorübergehend die Versorgung des Kindes wieder voll übernimmt, denn das einjährige Kind steckt in der intensivsten Bindungsphase an die primäre Bindungsperson, in diesem Fall die Mutter. Unter entwicklungspsychologischen Aspekten hat es durch einen Entwicklungsschub plötzlich die Trennung von der Mutter und der Umwelt bemerkt, so dass es in Panik geriet. Vorher befand es sich in einem allumfassenden ‚ozeanischen Gefühl‘ (Freud 1930, S. 5ff.) ohne die Empfindung, von den anderen getrennt zu sein, so dass es sich auch beim Vater wohlfühlte. Dieses Wohlgefühl kommt wieder, wenn das Kind die Trennung von der Mutter durch die ausreifende Erinnerungsfähigkeit besser verträgt.
Die Rolle des Vaters bei der Ablösung des Kindes aus dem Einheitsgefühl mit der Mutter
Zum Ende des zweiten Lebensjahrs entwickelt sich beim Kind die Erkenntnis, ein von der Mutter und der Umwelt getrenntes Wesen zu sein. Dieses anfangs noch diffuse Empfinden führt schneller zu einer konkreten Wahrnehmung, wenn sich der Vater parallel zur Mutter viel mit dem Kind beschäftigt während des Ablöseprozesses in der Zeit zwischen 12 und 24 Monaten. Mit dem Laufenlernen kommt das Kind in die Phase der ‚Liebesaffaire mit der Welt‘ (Kaplan 1987, S. 140), die durch den impulsgesteuerten Erkundungs-, Spiel- und Nachahmungsantrieb zu einem starken Entwicklungsschub führt. Das Begreifen des Getrenntseins von der Mutter und der Umwelt wird dadurch vorangetrieben. Mit seiner größeren Spielfreude kann der Vater dieses Verstehen beim Kind fördern und damit gleichzeitig seine Bindung an das Kind intensivieren. Mehrere Forscher betonen, dass die Identifikation mit dem Vater im zweiten Lebensjahr beginnt (vgl. Camus 2001, S. 141f.). Zwischen anderthalb und zwei Jahren kommt mit den Fortschritten in der Entwicklung und den Eroberungen im Bereich der Bewegung und der Sprache dem Vater diese besondere Rolle zu. Wenn sich das Kind vertrauensvoll der Umwelt zuwendet, die mit viel Neuem und Interessantem lockt, die aber auch ungewiss und ängstigend erscheint, wird der Vater durch seine Begleitung der kindlichen Aktivitäten zur Sicherheit gebenden Basis. Die Spiel- und Spaßaktionen, die er schon mit dem Säugling betreibt, sind die Vorläufer für dieses Sicherheitsgefühl in Gegenwart des Vaters.
Die Bindung zwischen Vater und Kind
Alle bisherigen Studien legen nahe, die Bindung zwischen Vater und Kind entwickelt sich in erster Linie über die Spieltätigkeit und die Förderung der Erkundungen des Kindes (Camus 2001, Kindler 2002, Grossmann/Grossmann 2008; Strüber 2016). Grossmann et. al. weisen nach, wie insbesondere die feinfühlige und vorsichtig herausfordernde Art der Beziehungsgestaltung des Vaters beim Spiel die Autonomieentwicklung des Kindes unterstützt. Aus einer Langzeitstudie geht hervor, dass das im Kindesalter von zehn Jahren erhobene innere Modell zwischenmenschlicher Bindung durch unterschiedliche Eigenschaften von Mutter und Vater gefördert wurde. Mütterlicherseits war es vor allem die frühe Bindungsbeziehung, die das spätere innere Modell von Bindung des Kindes vorhersagen konnte. Väterlicherseits wurde die spätere Bindungsfähigkeit durch die im Spiel gezeigte Feinfühligkeit des Vaters bestimmt. Diese Spiel-Feinfühligkeit des Vaters steht in einem engerenZusammenhang mit der späteren Entwicklung des Kindes als die Sicherheit der frühen Vater-Kind-Beziehung (Grossmann et.al. 2002).
Sollte sich das Kind auch zum Ende des zweiten Lebensjahrs bei der Versorgungsarbeit nicht auf den Vater einlassen, ist anzuraten, dass sich die Mutter weiterhin kümmert, um unnötigen Stress für alle Beteiligten zu vermeiden. Besonders die eher sensiblen, ängstlichen Kinder benötigen längere Zeit mit der Mutter, sie zeigen stärkeres Klammerverhalten und kämpfen länger mit Trennungsängsten. Hierbei ist es besonders wichtig, dass dies der Vater als Bedürfnis des Kindes akzeptiert und sich geduldet, bis das Kind in der Lage ist, sich ganz auf ihn einzulassen. Das kann bis ins dritte Lebensjahr hinein andauern.
Was bedeuten diese Entwicklungsbedürfnisse des Kindes für die frühe Fürsorgearbeit des Vaters?
Wenn die Planung der Eltern eine gleichberechtigte Aufteilung der Fürsorgearbeit vorsieht, sollten sich die zeitlichen Abschnitte nach den besonderen Bedürfnissen eines jeweiligen Kindes richten, weil dadurch das Wohlbefinden des Kindes erhalten bleibt. Wenn die Mutter aus beruflichen Gründen bereits im ersten Jahr außer Haus ist, wäre eine Betreuung durch den Vater ab dem siebten bis zum 18./24. Monat angemessen, weil dann das Kind die Primärbindung an den Vater entwickelt und diesen dann so lange für seine unbelastete Entwicklung benötigt. Denn die kritische Periode in der Bindungsentwicklung liegt in der Zeit zwischen dem siebten und dem 18./24. Lebensmonat. Verfügt ein Kind in dieser Lebensphase nicht über die Möglichkeit für eine spezielle Bindungsbeziehung, machen sich besonders für die sensiblen Kinder Entwicklungseinschränkungen bemerkbar (Suess 2011).
Für eine gute Vater-Kind-Beziehung reicht es ansonsten aus, wenn dieser ab Ende des zweiten Lebensjahres für bestimmte Zeiten die Betreuung übernimmt. Die durch das Elterngeld festgelegte Betreuungszeit des Vaters von 2 Monaten zu Beginn des zweiten Lebensjahres passt nicht zu den Entwicklungsbedürfnissen des Kindes. Wenn danach gleich eine Fremdbetreuung vorgenommen wird, können Entwicklungsstörungen auftreten (Butzmann 2023). Die unbelastete frühe Entwicklung ist gewährleistet, wenn das Kind erst nach dem zweiten Geburtstag und dann nur halbtags in die Krippe muss (Aufruf zur Wende in der Frühbetreuung 2020).
Eine entsprechend den kindlichen Entwicklungsbedürfnissen vorgesehene Betreuungszeit durch den Vater ist die Gewähr dafür, dass die Zeit auch für den Vater positiv verläuft. Wenn das Kind die Primärbindung an die Mutter entwickelt hat und in den ersten 18 bis 24 Monaten hauptsächlich ihr zugewandt ist, kann sich das Kind hinterher besser auf den Vater einlassen und beide profitieren davon.
Literatur
Hinweis: Lesen Sie hier einen Beitrag der Autorin zum Thema "Was bedeutet die frühe Krippenbetreuung für die Entwicklung der Kinder?"