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Frühpädagogik im Kontext

Hilde von Balluseck

04.10.2014 Kommentare (1)

Am 15./16. September hatte die Frühpädagogik einen Grund zum Feiern. Denn 10 Jahre zuvor hatten die vier ersten kindheitspädagogischen Studiengänge in Berlin, Emden, Freiburg und Koblenz ihre Arbeit aufgenommen. Seitdem hat sich viel getan, auch im Bereich der Fachschulen.

Die Festveranstaltung an der Alice Salomon Hochschule gab Gelegenheit zum Rückblick und zum stolzen Blick auf das Erreichte: Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Fachschulen, Differenzierung der Studiengänge und vieles mehr. Die Akademisierung der Frühpädagogik zeigt sich nicht nur in der Etablierung von Studiengängen, sondern auch in Veränderungen des frühpädagogischen Blicks und einer Vielzahl von Forschungsprojekten, mit denen alte Themen differenziert und neue angegangen werden.

Und doch befällt mich bei all diesen guten Nachrichten ein Unbehagen. Denn die Frühpädagogik, wie jede andere Disziplin, bleibt in einem engen Zirkel. Tagungen, Forschungsprojekte und die Ausbildung selbst befassen sich mit dem, was bei uns ansteht, allenfalls erweitert durch den Blick auf andere wohlhabende Länder, in denen die frühkindliche Bildung blüht. Um die Länder, in denen es Kindern schlecht geht, wo sie vielleicht sogar einen frühen Tod zu erwarten haben, kümmern wir uns nicht.

Beispiel Ebola. Schon im Februar dieses Jahres wurden die ersten Ebola-Fälle in Guinea bekannt, es folgten weitere Erkrankungsmeldungen aus Sierra Leone und Liberia. Die Medien bei uns brachten die Nachrichten unter ferner liefen, selbst die WHO reagierte mit pathologischem Optimismus, als die Organisation Ärzte ohne Grenzen schon Zeter und Mordio schrie.

Inzwischen sind es nicht nur einzelne Fälle, sondern ganze Familien, die von der Krankheit dahin gerafft werden. Wir können nicht viel tun, das ist wahr. Aber hätten nicht auch wir früher die Augen aufmachen müssen, wir, nicht nur die PolitikerInnen? Hätten wir nicht als pädagogisch engagierte Menschen auf die Gefahren für die Kinder hinweisen müssen, Petitionen an die Politiker verfassen und nicht darauf vertrauen, dass die WHO es schon richten wird?

Unbestritten: Es ist wichtig, dass Manuela Schwesig die Rahmenbedingungen in Kitas verbessert. Es ist gut, dass die Forschung in der Frühpädagogik vorankommt. Aber die Empathie der Frühpädagogik darf nicht an den Grenzen dieses Landes oder der EU Halt machen.

Müsssen wir - dies ist die ethische Herausforderung - als BewohnerInnen eines der reichsten Länder der Welt nicht daran denken, zu teilen mit jenen, die es in weniger wohlhabende Gegenden verschlagen hat? Ist es nicht angesichts der zunehmenden Durchlässigkeit von territorialen Grenzen - dies sollte uns die Vernunft sagen - nur klug, den frühpädagogischen Blick auf die Welt auszudehnen?

Dies wäre denkbar durch Kooperationen oder Patenschaften mit Ausbildungsinstitutionen in armen Ländern. Solche Kooperationen würden  eine gesteigerte Aufmerksamkeit für das Elend - nicht nur der Kinder - in der Welt, und damit auch mehr Energie für dessen Beseitigung bewirken. Anfänge der Kooperation könnten Korrespondenzen von Lehrenden mit Lehrenden sein, anschließend von Studierenden mit Studierenden. Das bringt zunächst mal ein Gefühl von Peinlichkeit mit sich.

Denn: Wie unangenehm, dass der Unterschied zwischen "denen" und "uns" so groß ist. Wie kann man damit umgehen, ohne paternalistisch oder gar imperialistisch zu wirken? Nun, das müsste gerade die Frühpädagogik inzwischen gelernt haben beim Umgang mit Eltern verschiedener Kulturen und mit Armut in diesem, unserem Lande. Der Respekt vor denen, die so ganz anders leben (müssen), könnte die Begegnungen leiten. Zugegeben, einfach ist das nicht. Aber möglich.

Und dann müsste die Frühpädagogik eine Stimme erheben, um Verbesserungen in den jeweiligen Ländern anzumahnen. Sie müsste mit den Organisationen zusammenarbeiten, die vor Ort die Augen und Ohren offen halten und helfen, wo es in ihrer Macht steht. Denn wieso müssen es immer Ärzte und Ärztinnen sein, die die Ungerechtigkeit in der Welt kritisieren? Wieso schweigt die gesamte Pädagogik und konzentriert sich nur auf unsere Wettbewerbsfähigkeit?

Die Etablierung der Frühpädagogik und die Verbesserung der Rahmenbedingungen in Deutschland kann nicht alles gewesen sein, was wir uns wünschen. Wir müssen es wagen, dorthin zu schauen, wo das Elend der Welt uns ins Gesicht schlägt. Das ist nicht angenehm, das bringt keine beruflichen Meriten. Aber wir sind in der Pflicht gegenüber denjenigen, die es - gelinde gesagt - schlechter getroffen haben als wir.

Deutsche Vereinigungen für Früh- und andere Pädagogik sollten auch zu Fürsprecherinnen derer werden, deren Stimme und deren Leid nur mit unserer Hilfe bei uns ankommt.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Oktober-Newsletter von ErzieherIn.de

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Kommentare (1)

H. Schultze-Sauer 04 Oktober 2014, 16:56

Frühpädagogik und das Elend der Welt

Habe Jahrzehnte mit Migranten im pädagogischen Einrichtungen gearbeitet.
Ob in Heimen, Kindertagesstätten, oder beim Jugendamt.
Schon in den 70ger Jahren gab es bei der Stadt München zweisprachige Kindergruppen, mit einem Konzept des Instituts für Frühpädagogik.
Die Förderung von Migrantenkindern in Vorschulen, schon seit Jahrzehnten ein Schwerpunkt.
Ob Ü-Klassen, oder Sprachförderung in Schulen, sowie für Mütter in den Einrichtungen, kostenlos.
Jugendliche Flüchtlinge wurden in Heimen aufgenommen, auch wenn sie offensichtlich das Mindestalter schon längst.
überschritten hatten. Sie bekommen Unterstützung, Begleitung und therapeutische Hilfe. Schul-und Berufsausbildung, Einzelbetreuung im eigenen Appartement, sowie medizinische Versorgung.
Ich bin überzeugt, dass in unserem Land sehr viel für diese Kinder getan wird.
Wie oft musste ich erleben, dass jugendliche Flüchtlinge mit dem LKW über die Grenze kamen und in sozialpädagogischer Begleitung nach Hause geflogen wurden, mehrmals.
Als ehemalige Leitung von Kindertageseinrichtungen weiß ich, dass vorrangig diese Kinder einen Platz bekommen.
Für viele deutsche Familien nicht immer nachvollziehbar. Wir feiern ihre Feste, identifizieren uns mit ihrer Kultur, übersetzten alles in ihre Sprache, bieten das entsprechende Menü.
In Brennpunkten, mit bis zu 80 % Migranten in den Einrichtungen, weiß ich, welche Herausforderung das sein kann.
Heute bin ich in Rente und liebe den Kontakt mit Menschen anderer Kulturen. In einem African Kabarett tausche ich mich weiterhin mit den aktuellen Themen dieser Menschen auseinander. Organisiere zwei-sprachige Veranstaltungen, z.B. arabisch-deutsch.
Man sollte dieses Thema leben, statt die Verantwortung immer jemandem zuzuschieben.
Sicher ist es nie genug.
Doch, man sollte auch Mal benennen, was getan wird.

H. Schultze-Sauer

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