Gesucht: Handlungsstrategien für ein brisantes Thema im Kita-Alltag
Die Nachfrage ist groß, die Unsicherheit auch: Die Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen (LJS) hatte im Abstand von drei Monaten zum zweiten Mal zur Fachtagung „Kindliche Sexualität – zwischen Elternwille und Pädagogik“ nach Hannover eingeladen. Erneut haben 80 pädagogische Fachkräfte am Mittwoch mit Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis über den Umgang mit Sexualität in Einrichtungen für Kinder diskutiert. „Mit der Fachtagung möchten wir ein grundsätzliches Verständnis von kindlicher Sexualität vermitteln und auf die Dringlichkeit der fachlichen Auseinandersetzung innerhalb der Einrichtungen, in denen Kinder betreut werden, hinweisen“, betont Tanja Opitz, Fachreferentin für Sexualpädagogik bei der LJS und Leiterin der Tagung.
Das große Interesse an der Fachtagung erklärt sich die Expertin vor allem mit fehlenden Aus- und Weiterbildungsangeboten zu dem Thema im Elementarbereich – aber auch mit neuen Herausforderungen im pädagogischen Alltag. „Wir beobachten, dass sich Fachkräfte konkrete Anregungen wünschen, wie sie mit sexualisierter Sprache, Doktorspielen oder sexueller Vielfalt umgehen sollen. Die Beispiele, die wir heute diskutiert haben, verdeutlichen, dass oftmals eine klare und transparente Haltung der Träger fehlt – was dazu führen kann, dass den Bedürfnissen und Fragen der Kinder aus Unsicherheit und Sorge nicht gerecht wird“, berichtete Tanja Opitz am Mittwoch.
Umgang mit Kindlicher Sexualität ist umstritten wie nie
„Kinder sind sexuelle Wesen, dies wird heute allgemein anerkannt. Gleichzeitig ist die Auseinandersetzung um Kindliche Sexualität und deren Begleitung umstritten wie nie. Eine aktive Beschäftigung mit dem Thema hilft einerseits, eigenen Ängsten und Unsicherheiten entgegen zu wirken und andererseits, sich Angriffen aus beispielsweise rechtspopulistischen oder fundamentalistisch-religiösen Kreisen fundiert entgegenzustellen“, sagte Jörg Nitschke, Dozent am Institut für Sexualpädagogik (isp, Dortmund). Der Erziehungswissenschaftler beleuchtete die psychosexuelle Entwicklung von Kindern sowie deren Sexualität im Unterschied zur der von Erwachsenen: „Die Betrachtung der Erwachsenen auf der Grundlage ihrer Vorstellungen von Sexualität führt oft erst zu Sexualisierungen kindlichen Spiels. Dies bedeutet nicht, dass keine Grenzverletzungen oder Übergriffe unter Kindern stattfinden. Eine differenzierte Herangehensweise hilft, eine harmlose Situation von einem Vorgehen mit Handlungsbedarf abzugrenzen.“ Nitschke wirbt dafür, das Thema „aktiv“ auf die Agenda der Kitas zu setzen, bestenfalls auf der Grundlage eines sexualpädagogischen Konzepts. Wenn dieses mit Angeboten für die Eltern versehen und auf deren Partizipation ausgerichtet werde, erzielten die Akteur*innen in der Einrichtung mehr Handlungssicherheit nach innen. Sie erarbeiteten sich zudem ein „wichtiges Handwerkszeug in stürmischen Zeiten“ und würden damit auch sicherer in der (sexual)-politischen Positionierung nach außen.
Eltern informieren und als zentrale Sexualerziehende stärken
Dass Eltern eine entscheidende Rolle für die Sexuelle Bildung spielen, davon ist auch Torsten Linke überzeugt. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Merseburg und forscht dort am Fachbereich Soziale Arbeit.Medien.Kultur u.a. zum Thema „Sexualität und Familie“. Grundlage für die professionelle (sozial-)pädagogische Arbeit sei, die Eltern als zentrale und wichtigste Sexualerzieher*innen, die jeweilige familiäre Sexualkultur und die vorhandene gesellschaftliche Pluralität von Familie grundsätzlich anzuerkennen. Dies müsse sich in der täglichen Arbeit und in den pädagogischen Konzepten wiederfinden. Fokussiert auf Sexualität, ergebe sich auch aus der gesetzlichen Situation eine Informationspflicht und die umfassende Einbindung der Eltern bei geplanten sexualpädagogischen Veranstaltungen. „Eine rechtzeitige Information und eine angemessene Transparenz etwa mit Blick auf die geplanten Inhalte, die methodische Umsetzung und die verwendeten Materialien können Befürchtungen der Eltern aufgreifen und diesen entgegenwirken“, betonte Linke. Er plädiert dafür, Sexuelle Bildung mehr an die Eltern zu adressieren. Einerseits nehme dies Eltern und damit die Familie als Sozialisationsinstanz und deren Funktionen wie Aufgaben ernst; andererseits könne auf diese Weise gezielte Unterstützung zu sexuellen Themen, bspw. bei Fragen zur sexuellen Entwicklung von Kindern oder zum Umgang mit digitalen Medien, angeboten werden.
„Igitt, wie schön“
Unter dieser Überschrift stellte Prof. Dr. Sylvia Kägi Strategien vor, wie sexualpädagogischen Herausforderungen im Alltag einer Kindertageseinrichtung begegnet werden können. Die Professorin für Pädagogik der Kindheit und Leiterin des BA-Studiengangs Bildung und Erziehung im Kindesalter an der Fachhochschule Kiel erprobt entsprechende Konzepte in Kindertagesstätten. Nach ihrer Erfahrung sind sexuelle Themen fester Bestandteil in den Einrichtungen. „Der Umgang und die Vielfalt der Themen scheinen dagegen wenig präsent zu sein und stellen Fachkräfte vor große Herausforderungen“, betonte Kägi. Gemeinsam mit den Teilnehmenden der LJS-Fachtagung erarbeitete die Professorin Anforderungen an eine zeitgemäße Sexualpädagogik in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.
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https://www.jugendschutz-niedersachsen.de/aids-sex/
Quelle: Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen