
Inklusion in der Krippe. Mittendrin von Anfang an
Mit dem Inkrafttreten der UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung in der Bundesrepublik Deutschland stehen auch Krippen vor der Aufgabe, das gemeinsame Aufwachsen von Kindern mit und ohne Behinderung in der pädagogischen Praxis zu ermöglichen. Nicht mehr die Frage danach, ob ein entwicklungsgefährdetes Kind aufgenommen werden kann, sondern welche Bedingungen in der Institution geschaffen werden müssen, um die individuellen Bedürfnisse aller Kinder zu beachten, muss das frühpädagogische Handeln unter der Zielperspektive von Inklusion bestimmen. Im Ausbau der Kindertagesbetreuung liegen große Chancen, wenn der bildungspolitische Blick nicht nur auf die Bereitstellung einer Anzahl an Plätzen, sondern auch auf die Weiterentwicklung der Qualität gerichtet wird. In der aktuellen Debatte um Fremdbetreuung deckt der Gedanke der Inklusion allerdings auch Widersprüche auf: Einrichtungen, die sich dazu entschließen, ein Kind mit einer (drohenden) Behinderung aufzunehmen, stoßen dabei auf Widerstand, da eine mit der Aufnahme verbundene reduzierte Gruppengröße das Platzangebot der Einrichtung reduziert. In der frühen außerfamilialen Bildung, Betreuung und Erziehung gibt es im deutschsprachigen Raum allerdings nur wenige empirische Ergebnisse, die die Chancen der Inklusion von Anfang an dokumentieren. Im vorliegenden Beitrag wird zunächst dargestellt, an welchen Stellen die Praxis der Integration von Kindern mit Behinderung in der Krippe an strukturell bedingte Grenzen stößt. Auf der Basis von Forschungsergebnissen werden dann Impulse für die Weiterentwicklung von Krippen formuliert.
Bildung für alle von Anfang an
Die durch die PISA-Debatte angestoßene Entwicklung von Bildungs- und Orientierungsplänen in den einzelnen Bundesländern hat zum Verständnis beigetragen, Bildungsprozesse nicht mehr auf die Institution Schule zu beschränken. Als erster „geplanter Bildungsort“ (Rauschenbach 2005, S. 4) nimmt die Krippe in diesem Zusammenhang einen wichtigen Stellenwert ein. Während die Basis für eine erfolgreiche Bildungsbiographie in der Familie bereitgestellt wird, besteht die bildungspolitische Hoffnung, dass herkunftsbedingte Benachteiligungen am wirksamsten in frühen Entwicklungsphasen durch eine qualitativ hochwertige Betreuung außerhalb der Familie überwunden werden können. So besteht fachliche Einigkeit darin, dass der allein auf die Quantität ausgerichtete Ausbau dem Anspruch auf Bildung von Anfang widerspricht (vgl. Laewen 2007): Tietze et al. (1998) konnten belegen, dass nicht der Besuch einer Kindertageseinrichtung allein, sondern vielmehr die pädagogische Qualität einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklungschancen von Kindern einnimmt. Die mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (BMFSFJ 2005) angestoßenen Herausforderungen decken in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit „grundlegende[r] und intensive[r] (Weiter-)Entwicklungsbemühungen“ (Rossbach 2008, 322) für die frühpädagogische Praxis auf. Wie Inklusion in diesem Verständnis zu einem Qualitätsmerkmal von Krippen werden kann, soll im Folgenden ausgeführt werden. Zunächst wird dabei der Unterschied in der Praxis der Integration zur Praxis der Inklusion dargestellt.
Von der Integration zur Inklusion
Die Realisierung von sozialer Teilhabe und Inklusion erhält mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eine neue Dynamik. Während die deutschsprachige Fassung der völkerrechtlichen Vereinbarung von der Gewährleistung eines integrativen Bildungssystems spricht, verweist der für Deutschland rechtsgültige englische Originaltext der Vereinbarung den Begriff der „inclusive education“, der weit mehr anstößt, als in der Praxis der Integration erkennbar wird. Auf der anderen Seite kann zunehmend beobachtet werden, dass in bildungspolitischen und fachlichen Diskursen der Begriff Inklusion den Begriff Integration ablöst, weil er der vermeintlich modernere ist, ohne dabei aber die Veränderungsbedarfe zu thematisieren, die damit einhergehen. Inklusion setzt jedoch ein verändertes Verständnis von Normalität und Vielfalt in einer Gesellschaft voraus und unterscheidet sich in zentralen Punkten von der Integration von Menschen mit Behinderung, oder der Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte (vgl. Weltzien & Albers, 2014).
- Integration will den Menschen mit Behinderung oder den Menschen mit Migrationshintergrund in ein bestehendes System einpassen, Inklusion hingegen betrachtet den Menschen von Anfang als Teil der Gesellschaft
- Inklusion nimmt keine Unterteilung in Gruppen (Menschen mit Behinderung, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund etc.) vor, sie will das System (z.B. Krippe, Kindergarten, Schule, Arbeit, Wohnen) an die Bedürfnisse der Menschen anpassen
- Inklusion basiert auf dem Ansatz einer Pädagogik der Vielfalt – die Unterschiedlichkeit aller Menschen ist kein zu lösendes Problem, sondern eine Normalität - an diese Normalität wird das System angepasst und nicht umgekehrt
- Inklusion ist nicht auf Bildungsinstitutionen beschränkt, sondern bezieht sich auf die Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens
Inklusion setzt insofern ein Verständnis von Normalität und
Vielfalt in einer Gesellschaft voraus, das von einer grundsätzlich
heterogenen Gesellschaftsstruktur ausgeht, in der sich Menschen in
vielfacher Hinsicht in ihren Voraussetzungen voneinander unterscheiden:
seien sie geschlechtlich, sozial, ethnisch, vom Alter, der Nationalität
oder körperlicher Verfassung und Intelligenz.
Für
Kindertageseinrichtungen verbindet sich mit dem Begriff der Inklusion
der Gedanke, allen Kindern ein gemeinsames Aufwachsen zu ermöglichen.
Inklusion kann dabei als konsequente Weiterentwicklung der
Integrationsbestrebungen der 1970er Jahre verstanden werden, die sich
zum Ziel gesetzt hatten, die gemeinsame Bildung von Kindern mit und ohne
Behinderung in Kindergarten und Schule voranzutreiben. Vor allem der
Initiative von Eltern ist es dabei zu verdanken, dass die Integration
von Kindern mit Behinderung in Kindertageseinrichtungen mittlerweile die
Regel ist und die Unterstützung in Sondereinrichtungen dagegen die
Ausnahme bleibt. In diesem Kontext versteht sich Inklusion auch als
umfassendes Konzept zur Überwindung von Benachteiligung und
Diskriminierung im Bildungssystem aufgrund individueller Zuschreibungen
oder Merkmale zugunsten einer Orientierung an den Ressourcen eines jeden
Kindes.
Kindertageseinrichtungen gehen im Vergleich zu Schulen
grundsätzlich offener mit der Vielfalt um, da sie traditionell nicht
auf Segregation und Homogenisierung von Lerngruppen ausgerichtet sind.
Sie ermöglichen ein Zusammenleben von Kindern, die sich aufgrund ihres
Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer körperlichen, kognitiven,
sprachlichen, kulturellen und sozial-emotionalen Voraussetzungen
voneinander unterscheiden. Dies impliziert nicht, dass alle Kinder in
einer Einrichtung gleich sind, sondern vielmehr, dass alle Kinder trotz
ihrer Unterschiedlichkeit über die gleichen Rechte verfügen.
Im
gemeinsamen Aufwachsen von Anfang an besteht dabei eine große Chance.
So geht man in der Einstellungsforschung, die sich mit Bewertungen,
Vorurteilen und Zuschreibungen von Personen und Personengruppen
beschäftigt, davon aus, dass Kinder sich mit zunehmenden Alter immer
negativer gegenüber Vielfalt äußern, Vorurteile und Zuschreibungen von
Erwachsenen übernehmen und schon ab dem achten Lebensjahr eine recht
stabile Einstellung gebildet haben (Nickel 1999). Erleben Kinder jedoch
schon früh Vielfalt als Normalität, ergeben sich daraus Chancen für die
Entwicklung und Sozialisation: In heterogenen Krippen und Kindergärten
lernen sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede kennen und erleben dies als
selbstverständlich. Kinder begegnen anderen Kulturen und Sprachen mit
Interesse, vergleichen unterschiedliche körperliche Voraussetzungen mit
ihren eigenen Möglichkeiten und zeigen sich offener gegenüber Vielfalt.
Die Kategorie „Behinderung“ spielt dabei zunächst noch keine Rolle, die
Vorstellung dieser Zuschreibung kann sich aber im Verlauf der
Entwicklung verändern.
Kinder erleben im gemeinsamen Aufwachsen
mit Kindern verschiedener Fähigkeiten und anderer Herkunft Unterschiede
und Gemeinsamkeiten in einer Gruppe. Sie stellen dabei immer auch
Fragen („Warum kann die noch nicht laufen?“) und benötigen Unterstützung
von Erwachsenen, die diese einfühlsam und kompetent beantworten können.
Der bloße Kontakt zu Kindern mit Behinderung führt also nicht
zwangsläufig zur sozialen Integration und zum Abbau von Vorurteilen,
vielmehr sind mit der Interaktion in der Peergruppe hohe Anforderungen
an frühpädagogische Fachkräfte geknüpft.
Eine inklusive
Frühpädagogik lenkt die Blickrichtung nicht auf die Beeinträchtigung
oder das Merkmal eines Kindes, sondern auf die Prozesse zwischen dem
Kind und seiner Umwelt. Die professionelle Perspektive richtet sich
damit weg von den Defiziten des Kindes hin zu den
Gestaltungsmöglichkeiten in der Umgebung und den individuellen
Ressourcen und Teilhabechancen eines Kindes. Eine wichtige Aufgabe der
frühpädagogischen Fachkräfte besteht neben der individuellen Bildung,
Betreuung und Erziehung entsprechend auch in der Unterstützung bei der
Lebensbewältigung und der sozialen Eingliederung der Kinder und ihrer
Familien. Ziele einer solchen Pädagogik der Vielfalt sind
Chancengleichheit, Antidiskriminierung, soziale Gerechtigkeit und
Teilhabe.
Inklusion braucht professionelle Fachkräfte
Während die Frühpädagogik zwar stets darauf ausgerichtet war
„Passungen zwischen den heterogenen Lebenslagen von jungen Kindern und
deren Familien sowie den Angeboten für Bildung, Betreuung und Erziehung
der Kinder herzustellen“ (Sulzer & Wagner 2011, S.8), wurde die in
der Sonder- und Integrationspädagogik bekannte Diskussion um Integration
und Inklusion in der frühpädagogischen Fachöffentlichkeit lange Zeit
nur vereinzelt wahrgenommen. So existiert an der Fachhochschule
Emden/Leer zwar bereits seit 2004 ein Studiengang mit dem Profil
inklusive Frühpädagogik, die Anforderungen an frühpädagogische
Fachkräfte werden bundesweit jedoch erst im Anschluss an die
Behindertenrechtskonvention in aktuellen Expertisen (Prengel 2010;
Sulzer & Wagner 2011) der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische
Fachkräfte des Deutschen Jugendinstituts expliziert. Prengel (2010)
arbeitet bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen für die Theoreme
Heterogenität und Inklusion in der Frühpädagogik heraus und liefert
damit eine bedeutende Grundlage für die Diskussion um Anforderungen an
eine inklusive Frühpädagogik. Es wird dabei deutlich, dass der Begriff
der Inklusion die komplexen Ausgangslagen von Kindern in den Blick
nimmt. Prengel (2010, S. 23) benennt in diesem Zusammenhang
„soziokulturelle Lebenslagen einschließlich soziokultureller Milieus
sowie (noch stärker) die Akteursperspektive sowie die informelle Ebene
akzentuierender Lebensstile und Biografien. Dazu kommen die auf
Bildungsprozesse im engeren Sinne bezogenen leiblichen, emotional
sozialen und kognitiven Lernausgangslagen, die u. a. Lernprofile,
Lernniveaus, Lernstile und ökosystemische Lernkontexte umfassen.
Lebenslagen, Lebensstile und Lernausgangslagen der Kinder können
daraufhin analysiert werden, wie sie mit vertikalen Hierarchien verwoben
sind und was Inklusive Pädagogik zu ihrer Enthierarchisierung beitragen
kann.“ Die Autorin entwickelt eine Definition von Heterogenität, welche
sie mit dem Begriff der „egalitären Differenz“ (2010, S.2)
konkretisiert: Grundlage des Zusammenlebens ist demnach die Gleichheit
aller Menschen im Sinne der gleichen Ausgangsvoraussetzungen auf der
Grundlage der Menschenrechte (Egalität). Differenz wird in diesem
Verständnis als freiheitliches und gleichberechtigtes, nicht
hierarchisches Zusammenleben von Individuen verstanden. Diese
Wertschätzung von Heterogenität wird im Deutschen insbesondere im Wort
Vielfalt deutlich und prägt in diesem Verständnis auch das Konzept der
Pädagogik der Vielfalt (vgl. Prengel 2006). Die Herausforderung für
frühpädagogische Fachkräfte besteht darin, dass neben der
individualisierenden Perspektive auf das Kind und universellen
Fragestellungen gegenüber allen Menschen auch Sensibilität gegenüber
kollektiven Erkenntnissen zu Gruppen (Kinder mit Migrationshintergrund,
Kinder mit Behinderung) gezeigt werden muss: „Für professionelles
pädagogisches Handeln kommt es darauf an, verallgemeinertes Regelwissen
zu typischen kindlichen Lebenslagen mit auf Einzelfall bezogenem
Fallverstehen zu kombinieren“ (Prengel 2010, 3).
Viernickel,
Nentwig-Gesemann, Harms, Richter und Schwarz (2011) legen in diesem
Zusammenhang einen Orientierungsrahmen für die Ausbildung von
frühpädagogischen Fachkräften vor, der den Gedanken von Inklusion in den
Vordergrund stellt und für den Bereich der Arbeit mit Kindern bis Drei
konkretisiert. Die Autorinnen stellen heraus, „dass bereits ab dem
ersten Lebensjahr Kinder mit Behinderungen barrierefreie Zugänge zu
frühpädagogischen Institutionen erhalten müssen (Viernickel et al.
2011, S.23). Inklusion solle daher „selbstverständlicher Bestandteil
aller sozialwissenschaftlichen Ausbildungs- und Studiengänge sein.
Forschungsergebnisse
Die Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in
der frühen Kindheit (vgl. Nubbek 2012) stellt den deutschen Krippen und
der Tagespflege ein mittelmäßiges Zeugnis aus: Über 80 Prozent der
außerfamiliären Betreuungsformen liegen hinsichtlich der pädagogischen
Prozessqualität in der Zone mittlerer Qualität. Gute Prozessqualität
wird in weniger als 10 Prozent der Einrichtungen gemessen, unzureichende
Qualität zeigt sich dagegen in zum Teil deutlich mehr als 10 Prozent
der Fälle (vgl. ebd.). In den Untersuchungen von Heimlich und Behr
(2007) zur Qualität der integrativen Krippen in München stellt sich
dagegen ein anderes Bild dar: Der Gesamtmittelwert der untersuchten
Krippen liegt bei 5,4 und kann damit im Bereich der guten bis
ausgezeichneten Qualität angesiedelt werden. In den
Qualitätsmerkdimensionen „Interaktionen“ und „Eltern und Erzieherinnen“
schnitten die untersuchten Krippen besonders gut ab. Das gemeinsame
Spielen von Kindern mit und ohne Behinderung wurde von annähernd allen
Befragten als vorteilhaft bewertet (vgl. ebd.). Bei der Frage nach der
Zufriedenheit mit der Einbeziehung von Fachdiensten in die pädagogische
Arbeit ergibt sich eine deutlichere negative Abweichung, insgesamt wird
jedoch ein ausgesprochen positives Bild der pädagogischen Qualität in
den untersuchten Einrichtungen gezeichnet.
Die Ergebnisse der
wissenschaftlichen Begleitung eines Modellprojekts des
Landschaftsverband Westfalen-Lippe durch Simone Seitz und Natascha Korff
(2008) weisen einerseits auf die entwicklungsförderliche Wirkung des
gemeinsamen Aufwachsens von Kindern mit und ohne Behinderung hin und
lassen die Formulierung von Qualitätsindikatoren zu: Das Hauptergebnis
der Autorinnen besteht darin, dass sie der integrativen Krippe
präventive und kompensatorische Effekte zuschreiben. Sie stellen
gleichzeitig jedoch auch Veränderungsbedarfe in den Einrichtungen
heraus, die sich beispielsweise auf den Austausch von Eltern und
Fachkräften beziehen und auf die erhöhten (Personal-)Ressourcen bei
Kindern mit Unterstützungsbedarf hinweisen. Seitz und Korff (2008)
formulieren drei zentrale Gelingensbedingungen:
- Die klare konzeptionelle Ausrichtung auf die Arbeit mit Kindern bis zu drei Jahren und auf Integration / Inklusion
- Die Verfügbarkeit inklusionspädagogischer Kompetenzen
- Die Beratung und Kooperation bezogen auf die Erziehungsberechtigten und die Arbeit in multiprofessionellen Zusammenhängen (z.B. mit Therapeuten und Frühförderkräften).
In einer eigenen Erhebung (vgl. Albers et al. 2011) konnten
wir in Bezug auf die untersuchten integrativen Krippen die Ergebnisse
von Seitz und Korff bestätigen. Inklusive Arbeit setzt den Aussagen der
von uns befragten Fachkräfte und Eltern die Bereitschaft zu interdisziplinärer
Zusammenarbeit voraus – mit Krankengymnasten, Sprach- und
Ergotherapeuten, Kinderärzten, dem Sozialpädiatrischen Zentrum und dem
Jugendamt. Häufig findet bei Aufnahme eines Kindes mit Behinderung ein
Übergang von der Frühförderung statt. Da sich die inhaltliche Arbeit mit
Kind und Eltern von der Einzelsituation in der Frühförderung zur
Förderung in der Gruppe verändert, ist eine gute Vorbereitung und
Begleitung wichtig, die auch die Eltern einbeziehen muss. Die intensive
und individuelle Begleitung, die von der Frühförderung geleistet wird,
verändert sich für Kind und Eltern. Eine Fachkraft aus der Frühförderung
macht dies in ihrer Aussage deutlich (vgl. ebd.): „Ich denke, dass die
Fachkräfte im Kindergarten sehen können, was mir wichtig war in der
Arbeit mit dem Kind. Dass die das so auf der einen Seite natürlich
weiterführen können, auf der anderen Seite ist ihre Arbeit natürlich
auch eine ganz andere. Und ich denke, das ist wichtig für mich auch
vorzubereiten, im Sinne, es den Eltern klar zu machen, dass sich das
auch verändern wird für ihr Kind. Dass es diese Einzelsituation nicht
geben wird, dass die Heilpädagogin eine andere Aufgabe hat, als ich in
der Frühförderung: Dass diese Eins-zu-Eins-Situation aufgelöst wird und
das Kind ganz andere Lernfelder hat, die dann begleitet werden.“
Wie die Arbeit in multiprofessionellen Teams zu einer Erweiterung der
eigenen Arbeit werden kann, schildert die Aussage einer
frühpädagogischen Fachkraft: „Dass dann der Therapeut da sitzt mit dem
Kind, was eben die Therapie bekommt, und dass andere auch dazu kommen
können und mitarbeiten dürfen. Für uns (als Pädagogen) ist das natürlich
immer klasse: Wir gucken immer gerne rein, auch damit wir uns Sachen
abgucken und das auch machen können.“
Die Gestaltung der
Zusammenarbeit zwischen Team und Therapeut kann den Interviews zufolge
dabei sehr unterschiedlich aussehen: Teilweise ist es möglich,
therapeutische Angebote direkt ins Gruppengeschehen zu integrieren,
teilweise findet die Therapie in Einzelförderung, in einer Zweier- oder
Kleingruppe statt. Viele der von uns untersuchten Einrichtungen
kooperieren in ihren Arbeitsabläufen fest mit bestimmten Therapeutinnen.
Auf diese Weise haben Team und Therapeutinnen die Möglichkeit, eine
gemeinsame Haltung zu ihrer Arbeit zu entwickeln und organisatorische
Absprachen zu treffen. Insgesamt zeigen die Fachkräfte eine hohe
Identifikation und Zufriedenheit mit ihrer Arbeit, auch wenn die
Rahmenbedingungen nicht immer als ausreichend bezeichnet werden. Die
Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften wird als Qualitätsgewinn für die
Arbeit im Team und für die eigene pädagogische Kompetenz erlebt (ebd.).
Als Basis für eine kontinuierliche und tragfähige pädagogische Arbeit
in der Krippe wird darüber hinaus die Zusammenarbeit mit den Eltern
gesehen. Der Erfolg von individueller Unterstützung und Förderung ist
dabei nicht nur von der Verbesserung funktioneller Fähigkeiten, sondern
vor allem auch von den Verständigungsprozessen zwischen therapeutischer
Fachkraft, pädagogischer Fachkraft und der Familie abhängig. Übertragen
auf die Arbeit in der Krippe weist das aus der Frühförderung bekannte
Prinzip der Familienorientierung auf die Bedeutung der Erziehungs- und
Bildungspartnerschaft zwischen frühpädagogischen Fachkräften und
Erziehungsberechtigten hin. Die Kindertageseinrichtung kann demnach nur
zu einem wertvollen Schutzfaktor für die Entwicklung werden, wenn die
Eltern als Experten für ihr Kind in die pädagogische Arbeit
miteinbezogen werden. Dabei stehen stets die individuellen Fähigkeiten
der Kinder als aktive Bewältiger und Mitgestalter des eigenen Lebens im
Mittelpunkt.
Inklusive Krippen als Motor der Qualität
Die hier dargestellten Anforderungen an eine inklusive
Frühpädagogik in der Krippe werden insbesondere diejenigen Einrichtungen
erfüllen können, die die eigene Arbeit im ständigen Austausch
reflektieren und ihre Erkenntnisse zur Weiterentwicklung nutzen. Die
Qualität der pädagogischen Prozesse zeichnet sich dadurch aus, dass die
Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder zum Ausgangspunkt für die
Formulierung individueller Bildungsziele genommen werden. In engem
Austausch mit der Familie und in Abstimmung mit begleitenden Maßnahmen
wie Therapien und Frühförderung kann dies innerhalb des inklusiven
frühpädagogischen Settings zu mehr Sicherheit im Umgang mit dem Kind
führen und zur Grundlage eines vertrauensvollen Betreuungsverhältnisses
werden. Eine Krippe, die Inklusion als Qualitätsmerkmal versteht, ist in diesem Verständnis eine gute Krippe für alle Kinder.
Um die Ansprüche einer inklusiven Pädagogik erfüllen zu können, bedarf
es entsprechender Rahmenbedingungen und professioneller Fachkräfte. Dies
stellt eine Herausforderung an Kostenträger und Leistungserbringer dar,
da mit der UN-Behindertenrechtskonvention eine Anpassungsleistung des
Systems an die Voraussetzungen und Bedarfe aller Kinder einhergeht. Die
Rahmenbedingungen von Krippen müssen Standards genügen, nach denen jedes
Kind unabhängig von Status oder Zuschreibung aufgenommen werden kann.
Im Bedarfsfall muss flexibel und ohne Verzögerung die Bereitstellung
zusätzlicher Ressourcen verfügbar gemacht werden. Dies betrifft die
Personalstärke, die Gruppengröße, die räumlichen Voraussetzungen, die
Ausstattung mit Hilfsmitteln und Material sowie Fortbildungsmaßnahmen
für die Fachkräfte.
Auch wenn die Anforderungen einer
inklusiven Bildung zunächst hoch erscheinen, kann man auf der Grundlage
der dargestellten Forschungsergebnisse davon ausgehen, dass in einer
inklusiven Einrichtung alle Kinder von der hohen pädagogischen
Prozessqualität profitieren. Diese spiegelt sich darin wider, dass
Formen der Beobachtung und Dokumentation der Fähigkeiten und Bedürfnisse
der Kinder als ein Ausgangspunkt für die Formulierung individueller
Bildungsziele gesehen werden. In engem Austausch mit der Familie und in
Abstimmung mit begleitenden Maßnahmen wie Therapien kann dies zu mehr
Sicherheit im Umgang mit dem Kind mit (drohender) Behinderung führen und
zur Grundlage einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft werden.
Die Aussage einer Mutter fasst die Chancen der frühen Inklusion dabei
anschaulich zusammen: „Was hat sich für uns verändert? Ja, dass es für
uns ganz normal ist, dass unser Kind in einer Krippe ist, in einer ganz
normalen Krippe. Und ihre rasende Entwicklung zu sehen, die wirklich
extrem ist. Und auch die Leute zu haben, die sich mitfreuen, wie sie
sich entwickelt, und dann auch mit Begeisterung erzählen, was sie so
macht. Und das ist natürlich auch schön, wenn man diese Freude teilen
kann mit den anderen. Das fühlt sich schon gut an. Genau. Es hat einfach
Normalität, sie dort hinzubringen – wie jedes andere Kind auch.“
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Quelle: www.nifbe.de