
Jedes zehnte Kind weltweit wächst im Krieg auf
Jedes zehnte Kind auf der Welt wächst laut UNICEF derzeit in einem Land oder einer Region auf, die von bewaffneten Konflikten geprägt sind. Dies bedeutet, dass rund 230 Millionen Mädchen und Jungen in ihren entscheidenden Lebensjahren vor allem Unsicherheit, Hass und Gewalt erleben. Ihre Versorgung mit elementaren Gütern wie Nahrung, Wasser und medizinischer Hilfe ist vielfach schlecht. Und sie können nicht oder nur selten eine Schule besuchen. In Bürgerkriegen wie in Syrien, Irak, Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik werden Kinder zur Zielscheibe unaussprechlicher Misshandlungen.
Mit seinem Report „Kinder zwischen den Fronten" unter www.unicef.de/presse/2015/unicef-report--jedes-zehnte-kind-waechst-im-krieg-auf/80378 ruft UNICEF Deutschland Regierungen und Konfliktparteien dazu auf, die fundamentalen Rechte der Kinder in Kriegsgebieten zu verteidigen. Um Gesundheit, Bildung und Schutz der Kinder auch unter schwierigsten Bedingungen sicher zu stellen, muss humanitäre Hilfe bereits die Brücke zu nachhaltiger Entwicklungshilfe schlagen. Insbesondere müssen mehr Mittel für psychosoziale Betreuung und Bildungsprogramme für Kinder in Krisengebieten bereitgestellt werden.
„Kinder und Jugendliche sind die Hauptleidtragenden in Krisen und gewaltsamen Konflikten. Gleichzeitig haben sie es als Erwachsene von morgen in der Hand, den Übergang zum Frieden zu gestalten. Wir müssen dazu beitragen, die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Neben Schutz vor Gewalt, ausreichend Nahrung und gesundheitlicher Versorgung brauchen die jungen Menschen vor allem Bildung und Ausbildung", sagte Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
„Wir erleben weltweit eine der schlimmsten Phasen von Konflikten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges", sagte Ted Chaiban, Programmdirektor von UNICEF in New York. „Es besteht die Gefahr, dass ganze Generationen von Kindern Gewalt und Instabilität als normalen Teil ihres Lebens ansehen. Diese Erfahrung darf sich nicht verfestigen. Humanitäre Hilfe muss auch langfristige Perspektiven für Kinder und Jugendliche schaffen."
„Nothilfe ist unverzichtbar. Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben", sagte Dr. Jürgen Heraeus, Vorsitzender von UNICEF Deutschland. „Die Chance zur Rückkehr zu Stabilität und zu einer friedlichen Entwicklung hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, Heranwachsenden Orientierung und Arbeit zu geben."
Die Not der Zivilbevölkerung ist gegenwärtig besonders groß in Syrien, im Irak, im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Auch die Situation im Jemen hat sich in den vergangenen Monaten ständig verschlechtert. Allein in diesen fünf Ländern sind rund 21 Millionen Kinder von Krieg und Gewalt betroffen.
In zahlreichen Konflikten hat schwere Gewalt gegen Kinder ein erschütterndes Ausmaß erreicht. Mädchen und Jungen werden direkt zur Zielscheibe von Gewalt, entführt und versklavt. Immer wieder werden Heranwachsende auch als Selbstmordattentäter missbraucht. Gruppen wie IS in Syrien und Irak oder Boko Haram in Nigeria missachten bewusst die Prinzipien des humanitären Völkerrechts, um weltweit Aufmerksamkeit zu erwecken.
Der UN-Sicherheitsrat listet für 2014 insgesamt 23 Konfliktsituationen auf, in denen Kinder schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Von den beteiligten 59 Konfliktparteien sind acht Regierungstruppen und 51 nicht-staatliche Akteure.
Die Kinderrechtsorganisation Save the Children fordert, dass die EU ihre Flüchtlingspolitik mit sofortiger Wirkung ändern muss, um Kinderleben zu schützen. Die Organisation ruft die Führungskräfte der EU auf, sich anlässlich der Sitzung des Europäischen Rats in Brüssel am 30.6.2015 für ein europäisches Gesamtkonzept für legale Wege nach Europa und kindgerechte Schutzmaßnahmen innerhalb Europas einzusetzen.
„60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, die Hälfte davon sind Kinder. Angesichts dieser Entwicklungen muss jetzt entschlossen gehandelt werden – zu viele Menschenleben stehen auf dem Spiel. Die zunehmenden Krisen und Konflikte weltweit werden auch weiter Kinder allein oder gemeinsam mit ihren Familien zwingen, ihre Heimat auf der Suche nach Schutz und Sicherheit in Europa zu verlassen. Nur legale Wege verhindern, dass Kinder Opfer von Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch werden und im schlimmsten Fall ihr Leben auf der Flucht verlieren", betont Kathrin Wieland, Geschäftsführerin von Save the Children Deutschland.
Die weltweiten Flüchtlingszahlen erfordern ein Umdenken der EU. Jeden Tag fliehen weltweit über 42.000 Menschen vor Gewalt und Verfolgung. Auf der Flucht riskieren sie ihr Leben: 1.750 Menschen sind allein dieses Jahr im Mittelmeer ertrunken. Nach Prognosen der Internationalen Organisation für Migration könnte sich die Zahl dieser Todesopfer sogar auf 30.000 Menschen erhöhen.
„Die EU hat die Verpflichtung, Flüchtlinge in Europa zu unterstützen. Eine Krise dieses Ausmaßes fordert Solidarität auf allen Ebenen. Wir dürfen den Schutzbedürftigen nicht die Tür vor der Nase zuschlagen, sondern müssen entschlossen handeln – in den Herkunfts-, den Transit- und Ankunftsländern", fordert Kathrin Wieland.
Save the Children fordert: Ein langfristiges europäisches Gesamtkonzept für legale Wege nach Europa mit dem Fokus auf Kinder und Jugendliche: darunter die Erhöhung von Neuansiedlungsplätzen über die bisher von der EU-Kommission geplanten 20.000 Plätze hinaus und humanitären Aufnahmeprogrammen sowie die verstärkte Nutzung von Instrumenten der Familienzusammenführung, humanitärer Visa, Stipendien und privater Patenschaften; Umfassende nationale Schutzmechanismen in EU-Staaten für Flüchtlingskinder, die nach Europa geflohen sind: darunter Mechanismen zur Feststellung der Schutzbedürftigkeit von Kindern, kindgerechte Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen, angemessenen Zugang zu Gesundheits- und Bildungssystemen. Stets muss das Kindeswohl bei allen Maßnahmen vorrangig berücksichtigt werden; Die Erhöhung der Unterstützung für Krisen- und Konfliktländer, ohne die Verantwortung der EU für Menschen auf der Flucht nach Europa und innerhalb Europas zu verkennen. Europa muss sich weiterhin dafür einsetzen, dass Ursachen, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimatländer zu verlassen, beseitigt werden, indem die Unterstützung insbesondere für Krisen- und Konfliktländer erhöht wird. Das entbindet Europa nicht von seiner Verantwortung für schutzbedürftige Menschen, die sich auf der Flucht nach Europa befinden oder bereits hier in Europa und in Deutschland angekommen sind.
Quellen: Pressemitteilung UNICEF vom 30.6.2015 und OTS: Save the Children Deutschland e.V. vom 25.6.2015