
Kinder, Corona und das „als-ob-Spiel“ der Erwachsenen
In der Pressekonferenz vom 16.04. (1) schilderte die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres den aktuellen Plan zur Ausweitung der Notbetreuung. Eine Ausweitung, die eine schrittweise Rückkehr in den „Regel“betrieb einleiten könnte.
Nach der zweiten Stufe der Fortschreibung der Liste von systemrelevanten Berufen, sollen nach den Plänen des Senats „Vorschulkinder“ in die Notbetreuung aufgenommen werden (Stufe 3) und sukzessiv (Stufe 4) soll auch mit der Eingewöhnung der Kinder begonnen werden, die in das neue Kitajahr einsteigen werden.
Pädagogisch betrachtet, ein äußerst bedenklicher Plan, denn eine pädagogische Erkenntnis hat sich in den letzten Jahren etabliert, nämlich die der enormen Bedeutung von „Übergängen“ für die Entwicklung eines Kindes und welche Herausforderungen diese bergen.
Ich weiß nicht, in welchem Bundesland ähnliche Pläne geschmiedet werden. In Anbetracht der Berliner Entwicklungen erscheint mir aber notwendig, zwei Worte über Übergänge zu verlieren.
Ich wende mich damit an die Eltern, die Entscheidungsträger und die Gesellschaft. Die Kolleg*innen dürften über die beschriebenen Prozesse bestens informiert sein.
Schaut man in der einschlägigen Literatur nach den Begriffen „Eingewöhnung“ und „Übergang,“ stößt man schnell auf den Begriff „Transition“. Dorothee Gutknecht kondensiert das Konzept von Transitionen, indem sie diese als „krisenhafte, zeitlich begrenzte Phasen in der Entwicklung, die mit bedeutsamen positiven oder negativen Veränderungen verbunden sind“, beschreibt (2).
Transitionen sind per se weder positiv noch negativ. Auf die Bewältigung und Verarbeitung kommt es an! Gelingen sie, dann gewinnen Menschen an Kompetenz, Kraft und Resilienz. Manche Autoren sprechen von einem regelrechten Anlegen diverser Bewältigungsmuster, auf die später zurückgegriffen werden kann. Scheitert aber die Bewältigung, dann können die negativen Folgen den Menschen ein Leben lang begleiten.
Aus diesen Gründen haben Wissenschaftler im Laufe der Jahre Konzepte entwickelt, um Übergänge zu gestalten und zu begleiten. Eins dürften alle Konzepte gemeinsam haben, nämlich dem Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit, Geborgenheit und Zuversicht Rechnung zu tragen. Bedingungen, die wir zurzeit in den KiTas nicht vorfinden.
Selbst nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der Transitionstheorie dürfte jedem einleuchten, dass wir uns gerade in einer gesamtgesellschaftlichen Transitionsphase befinden. Einschneidende Veränderungen sowie eine Verdichtung der Anforderungen prägen die aktuelle Zeit. Die Vielfalt der Folgen aus der aktuellen Krise führt zu einer Vielfalt notwendiger individueller Strategien bei der Bewältigung. Je nach Situation, können die Angst um eine Ansteckung, die Sorge um den Arbeitsplatz oder familiäre Spannungen den Alltag prägen. Die Liste der Auswirkungen ließe sich noch lange fortsetzen. Das Auftreten mehrere Faktoren ist wahrscheinlich.
Wie soll sich, in diesem Wust an Unbekannten, ein Gefühl der Sicherheit und Zuversicht einstellen?
Wie sollen Erwachsene, in einem Klima des „Not“betriebes, Kindern die notwendige Geborgenheit vermitteln können? Übergänge jetzt zu planen, wäre so zu tun, als ob Corona nicht existiert.
Eingewöhnung und Übergang zur Schule verlangt nach Sicherheit, Kontinuität, regen Austausch zwischen Menschen und Institutionen. Alles Bedingungen, die momentan schwer zu verwirklichen sind.
Die Situation, in der wir uns befinden, ist neu. Und es bedarf neuer Ansätze. Alte Muster können uns als Vorlage dienen, sie müssen aber den neuen Umständen entsprechend angepasst werden. Das braucht Zeit.
Was ich in keinem, der von mir gelesenen Texten gefunden habe, ist die Notwendigkeit einer „fristgerechten“ Transition. Ob der Übergang im Juni oder September erfolgt, ist im Sinne der Bewältigung unerheblich. Maßgeblich bleibt nur das Gelingen.
Deshalb: Was spricht gegen eine Verlängerung der Elternzeit? Was spricht gegen eine Verschiebung der Einschulung, bis ein begleiteter Übergang möglich ist?
Bis dahin blieben Kinder in ihren vertrauten Strukturen. Ein sicherer Hafen, der als Schutzfaktor dient.
Die von mir vorgeschlagen Lösungen verlangen nach einem Umdenken und sind eindeutig mit mehr Aufwand und höheren Kosten verbunden. Ich bin dennoch sicher, dass der volkswirtschaftliche Effekt von „gesunden“ Übergängen die Investition rechtfertigen würden. Viele Kinderwürden sich freuen, und es ginge ihnen besser, wenn wir Transitionen behutsam gestalten könnten.
Alle Übergänge werden sich nicht vermeiden lassen. Transitionen als programmatische Schritte bei der Wiedereröffnung der KiTas zu implementieren, halte ich allerdings für inakzeptabel und im deutlichen Widerspruch zu der Vorrangigkeit des Kindeswohl.
(1) https://www.youtube.com/watch?v=NvL2Nrpid6E&feature=youtu.be&fbclid=IwAR2T3O9yINTBgT9BDuf79gUEYKQ_FgyW9M8VpsFEoIALWfOINTrt8-hQbXc Ab Min 19:00
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