mehrere Kinder

Kita-Fachkräfte wollen endlich politisch gehört werden

26.03.2024 Kommentare (1)

SOS in den bayerischen Kitas: Beschäftigte und Fachverbände diskutieren öffentlich mit Landespolitikerinnen – Publikumsbefragung im Anschluss

München, 24.03.2024. Nicht nur in der aktuellen Debatte um Fachkräftemangel, sondern bereits seit Jahr- zehnten fühlen sich Kita-Beschäftigte von den politisch Verantwortlichen missachtet und übergangen. Da- bei haben sie vor dem Hintergrund ihrer Fachkenntnisse und Praxiserfahrung konkrete Verbesserungsvor- schläge. Das ist das Ergebnis der Podiumsdiskussion „SOS in den bayerischen Kitas“ vom 19.03.2024 mit anschließender Publikumsbefragung. Eingeladen hatten die KAB-Facharbeitsgruppe Kindertagesstätten (KAB AG Kita) und der Verband Kita-Fachkräfte Bayern. Für die Landespolitik auf dem Podium vertreten waren die Staatsministerin a.D. Melanie Huml (CSU) in Vertretung der bayerischen Sozialministerin Ulrike Scharf, die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze sowie Doris Rauscher (SPD), Vorsitzende des Sozialausschusses im Bayerischen Landtag. Fachverbände und Praktiker:innen diskutierten mit ihnen über die aktuelle Lage in den Kitas und Verbesserungsmöglichkeiten. Auch aus dem Publikum meldeten sich Fach- und Führungskräfte aus den Kitas eindringlich zu Wort.

„Vor allem wünschen sich die Kita-Fachkräfte mehr Personal, kleinere Gruppen und eine bessere Finanzie- rung ihrer Arbeit, auch höhere Löhne“, erklärt Sibylle Schuster, Geschäftsführerin der Katholischen Arbeit- nehmer-Bewegung (KAB) München und Freising und Leiterin der KAB-Facharbeitsgruppe Kindertagesstät- ten. „Sehr deutlich wurde, dass gleichzeitig die pädagogische Qualität in den Kitas wieder steigen muss. Ein rein zahlenmäßiges Personalwachstum geht am Problem vorbei.“ Konkreter Vorschlag an die Landespolitik sei ein verbesserter Anstellungsschlüssel, in den Kita-Leitungen nicht eingerechnet werden. Auch müsse das Fachpersonal noch stärker durch Verwaltungs- und Assistenzkräfte unterstützt werden, die im Personal- schlüssel nicht als Fachkräfte zählen dürften.

„Die Botschaft der Teilnehmer:innen an uns war: Schön, dass endlich Klartext gesprochen wird. Werdet bitte noch lauter und übt mehr Druck auf die Politik aus und! Sogar die Politikerinnen auf dem Podium haben uns einhellig darum gebeten“, so Sibylle Schuster. Die Kitas seien chronisch unterfinanziert. „Die Leitungen sind es leid, dass sich Land, Bund und Kommunen die Verantwortung zuschieben. Am Ende müssen die Eltern bezahlen. Manche können das aber schlichtweg nicht. Dadurch erzeugen wir soziale Spaltung. Vor dem Hin- tergrund christlicher Werte können wir das nicht gutheißen.“

Standpunkte in der Podiumsdiskussion

Veronika Lindner, erste Vorsitzende des Verbands Kita-Fachkräfte Bayern, kritisierte, die Landespolitik dürfe sich nicht auf die Gewinnung von neuen Fachkräften versteifen. Sie müsse endlich auch die Bedürfnisse der bestehenden Fachkräfte in den Blick nehmen – damit diese nicht wegen Überlastung und schwindender Qualität frustriert das System verließen. Maßnahmen wie 2023 die Änderung der Kinderbildungsverordnung (BayKiBiG), durch die nun auch Personen ohne pädagogische Ausbildung Kitas leiten dürfen, brächten das Fass zum Überlaufen. Die Politik solle nicht immer wieder die gleichen Fehler machen. Statt zulasten des Erziehungspersonals gesetzliche Ansprüche auf Betreuung auszuweiten, sollten Eltern z.B. die Möglichkeit erhalten, länger Elterngeld zu beziehen, um das Kita-System in der aktuellen Situation des Platz- und Perso- nalmangels zu entlasten.

Dr. Alexa Glawogger-Feucht vom Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern dagegen vertei- digte die Änderung der Kinderbildungsverordnung: Träger sollten keine Kürzungen bekommen, wenn sie keine pädagogischen Fachkräfte als Leitungen einsetzen könnten. Dennoch empfehle ihr Verband, nur pädagogische Fachkräfte als Leitung einzusetzen und nutze dies als Unterscheidungsmerkmal. Glawogger- Feucht plädierte für ein überparteiliches Commitment zu den Kitas. Man brauche mehr Geld im Sys- tem. Mehr Geld bringe mehr Fachkräfte.

Christine Muschalla, Kita-Verbundsleiterin, benannte klar die bestehenden Defizite. In der Stadt Freising hätten bereits im Vorjahr 680 Kita-Plätze gefehlt. Und natürlich komme es wegen der dünnen Personaldecke vor, dass Beschäftigte aller Qualifikationsstufen mit den Kindern allein seien. Tatsächlich werde der Betrieb oft noch aufrechterhalten, wenn Einrichtungen eigentlich wegen Fachkräftemangels geschlossen werden müssten. Zudem würden Ergänzungs- und Fachkräfte in Ausbildung viel zu früh in den Anstellungs- schlüssel eingerechnet. Muschalla erhielt frenetischen Applaus aus dem Publikum.

Melanie Huml (CSU), MdL, Staatsministerin a.D. und Mitglied im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags, war als Vertreterin der langjährigen Regierungspartei in Bayern durchgängig mit Kritik konfrontiert. Sie nehme mit, dass das bayerische Weiterbildungsprogramm für Quereinsteiger:innen nicht perfekt sei, sagte Huml. Dennoch habe man zusätzliche Menschen für Kita-Berufe gewinnen können. Man müsse nun ge- meinsam sehen, was man verbessern könne. Der Freistaat habe die finanziellen Mittel für die Kitas jedes Jahr massiv aufgestockt, obwohl diese im Aufgabenbereich der Kommunen lägen.

Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen), MdL und Fraktionsvorsitzende, stellte fest, die Kita-Fachkräfte hätten das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Bayerischen Landesregierung längst verloren. Seit Jahren werde vor dem Thema gewarnt. Nun müssten endlich ernsthafte Reformen folgen. Es sei besser, gleich in vernünftige Kitas investieren als später in die Korrekturen sozialer Missstände. Ihre Partei sei immer bereit, mit der Staatsregierung zusammenzuarbeiten. Schulze appellierte, die Anwesenden sollten nicht den Glauben an die Politik insgesamt verlieren. Es gebe demokratische Alternativen.

Doris Rauscher (SPD), MdL und Vorsitzende des Sozialausschusses im Bayerischen Landtag, erklärte, sie wünsche sich einen stärkeren Schulterschluss der Sozialpolitiker:innen über Parteigrenzen hinweg. Denn es gebe ein sichtbar großes Problem im Kita-Bereich. Die Finanzierung der Kitas dürfe nicht auf die Kommunen abgewälzt werden. Bildung sei Ländersache. Der Bund dagegen müsse nichts geben, habe dies aber beispielsweise beim Programm für Sprach-Kitas getan. Rauscher sprach sich dafür aus, die Wirtschaft noch stärker mit der Situation zu konfrontieren.

Hintergründe

Zur Podiumsdiskussion „SOS in den bayerischen Kitas – Praxis trifft Politik“ am 19.03.2024 hatten sich gut 200 Teilnehmer:innen im großen Saal des Münchner KKV-Hansa-Hauses eingefunden. Dieser war bis zur Ka- pazitätsgrenze gefüllt. Anwesend waren fast ausschließlich Fach- und Führungskräfte aus dem Kita-Bereich, ergänzt um Schulleiter von Fachakademien, wenigen Eltern und weitere Interessierte. Dem hohen Frau- enanteil in der Branche entsprechend waren über 80 Prozent der Anwesenden weiblich. Allen Teilneh- mer:innen wurden im Anschluss standardisierte Feedbackbögen angeboten. Diese wurden zusammen mit den Redebeiträgen auf dem Podium und aus dem Publikum berücksichtigt.


Quelle: Verband Kita-Fachkräfte Bayern e.V.


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Kommentare (1)

Dr. Erika Butzmann 27 März 2024, 19:05

Der Redebeitrag mit der Aussage "Statt zulasten des Erziehungspersonals gesetzliche Ansprüche auf Betreuung auszuweiten, sollten Eltern z.B. die Möglichkeit erhalten, länger Elterngeld zu beziehen, um das Kita-System in der aktuellen Situation des Platz- und Personalmangels zu entlasten" ist das Beste, was in dieser Podiumsdiskussion gesagt wurde. Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz müsste unbedingt ausgesetzt werden, weil Kinder unter 3 Jahre keine Bildung in Institutionen brauchen, denn diese läuft von allein in funktionierenden Familien. Zudem werden die meisten unter Zweijährigen aufgrund ihrer Entwicklungsbedürfnisse (nach Bindung an die Eltern und nach Sicherheit bei ihren primären Bindungspersonen) in den Krippen eher geschädigt.

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