
Körper-und Gesundheitspflege in der Krippe
In der Krippe spielt die Körper- und Gesundheitspflege der unter Drei - Jährigen eine besondere Rolle. Dabei geht man davon aus, dass die hier gemachten Erfahrungen für die Kinder bereits sehr wertvolle soziale Momente sind, in denen sie auch schon wichtige Lernerfahrungen machen. Zentrale soziale Erfahrungen mit anderen Menschen macht ein Kind dadurch, dass es gebadet, gewickelt, an – oder ausgezogen wird oder gefüttert wird.
Liliane Juchli (vgl. Juchli 1994, 81) fasste 1994 die Aktivitäten des täglichen Lebens zusammen, wie sie in einem ganzheitlichen Pflegmodell verstanden werden. Darunter fallen folgende Tätigkeiten:
- Kommunizieren
- Atmen/Kreislauf regulieren
- Körpertemperatur regulieren
- Sich sauber halten und kleiden
- Essen und Trinken
- Ausscheiden
- Sich bewegen
- Schlafen
- Sich sicher fühlen und verhalten
- Sich beschäftigen, spielen und lernen
- Mädchen oder Junge sein
- Sterben
Die ungarische Kinderärztin Emmi Pikler, die neue Sichtweisen in
die Kleinkind- und Säuglingspflege einbrachte, spricht in diesem
Zusammenhang von beziehungsvoller und achtsamer Pflege und
entwickelte Anfang des 19. Jahrhunderts Grundsätze wie respektvolle und
kooperative Pflege mit Kleinkindern und Säuglingen aussehen kann.
In der „Pikler – Pädagogik“ geht man davon aus, dass Kinder sichere,
stabile Beziehungen und Geborgenheit in Pflegesituationen brauchen und
sie möglichst selbstständig und aktiv an den Situationen teilhaben
sollen.
Grundgedanke ist dabei, dass kleine Kinder bereits als selbstständige Persönlichkeiten
und Subjekte verstanden werden. Etwas mit Kindern zu tun, sie
hochzunehmen, an- oder auszuziehen wird dabei in Kooperation mit dem
Kind ausgeführt und durch eine achtsame Kommunikation unterstützt.
Pflegesituationen bieten wertvolle Beziehungzeit und Lernerfahrungen
Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass viel mit den Kindern während der Pflegetätigkeiten gesprochen wird.
Man kann z.B. den Kindern erklären, was als nächstes im Waschprozess
passieren wird, welche Haarbürste verwendet wird oder welche Jacke
angezogen wird. Neben dem Erklären, gilt es auch Fragen zu stellen und
auf die Zustimmung des Kindes zu warten. Augenkontakt und Zeit
für diese Prozesse sind dabei ebenfalls Merkmal. Stress und
Unkonzentriertheit führen sehr schnell zu einer gehetzten Atmosphäre,
die auch das Kind wahrnimmt. Auch junge Kinder sind in der Lage zu
kooperieren, z.B. bei Socken oder Mütze an- oder ausziehen, wenn man
ihnen (und sich) die nötige Zeit dafür einräumt.
Eine
Pflegesituation sollte daher nicht als „Schnelles Aufgabenerledigen“
betrachtet werden, als Zwischenstopp im normalen Alltagsgeschehen,
sondern als wertvolle Beziehungszeit, die ebenso sorgfältig und
behutsam gestaltet werden muss wie andere pädagogische Prozesse.
Transparente und strukturierte Abläufe
können da Sicherheit geben. Feste Rituale, Orte, Bewegungen oder
Singspiele, die mit den Pflege-Prozessen verbunden sind, geben Kindern
eine Struktur und Anhaltspunkte für weitere Handlungen. Vertraute
Umgebungen oder andere feste Rituale können Kindern dabei Halt in
unsicheren Situationen geben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bewegungsentwicklung,
die ohne lenkende oder beschleunigende Eingriffe von Erwachsenen
vollzogen wird. Kinder haben einen eigenen Antrieb und üben und erproben
verschiedene Bewegungsarten zu den Zeitpunkten, an denen sie bereit
dafür sind und sich in der Bewegung sicher fühlen. Liegen sie anfangs
nur auf dem Rücken, um z.B. Hände und Füße zu erforschen, so entwickeln
sie in ihrem Tempo selbst den Impuls sich in die Bauchlage zu drehen,
zu robben oder zu kriechen. Zu viel Unterstützung und Lenkung führt nach
Pikler dazu, dass Kinder nicht die Chancen haben zu lernen, dass sie
etwas aus eigenem Antrieb geschafft oder gelernt haben und ein erstes
Gefühl von Selbstwirksamkeit erfahren.
Besonders das freie und ungestörte Spiel
spielt dabei eine wichtige Rolle, wozu es einer vorbereiteten Umgebung
bedarf, die sowohl sicher und altersgerecht, aber dennoch anregend für
Kleinkinder ist. In diesen Prozessen können die Kinder selbstständig
entscheiden, worin sie sich gerade üben wollen, welche Bewegungsart für
sie die sinnvollste ist und welches aktuelle Thema gerade spannend ist.
Im ungestörten Experimentieren mit der Umwelt setzen die Kinder ihre
motorischen Fähigkeiten selbstständig ein und machen wichtige
Erfahrungen für ihr Selbstbewusstsein, wenn etwas selbst geschafft
wurde oder wenn es bei Scheitern noch mehr Durchhaltevermögen und Übung
bedarf.
Balance zwischen Fürsorgepflicht und kindlicher Autonomie finden
Eine Balance zwischen Fürsorgepflicht und der Ermöglichung von Autonomie
der Kinder kann für Fachkräfte dabei zu einer Herausforderung werden.
Autonomieerfahrungen können Kinder in verschiedensten Situationen
erfahren und dadurch ihr Selbstbewusstsein stärken. „Ich kann etwas
in die Hand nehmen! Mein Handeln hat Einfluss auf meine Umgebung, z.B.
wenn etwas 10 mal runtergeworfen wird und immer und immer wieder von
Erwachsenen aufgehoben wird. Ich kann Probleme lösen (wenn ich es
geschafft habe auf eine sehr hohe Couch mit Hilfsmittel hochzuklettern).“
Kommt es dann im weiteren natürlichen Verlauf zur Vertiefung und zum
Testen der Grenzen, gilt es für Fachkräfte auch sicherere und
verlässliche Grenzen zu setzen und Regeln zu formulieren. Sowohl
die Autonomieerfahrung wie die Erfahrung an eigene oder von außen
gesetzte Grenzen zu stoßen sind dabei wichtige Lernerfahrungen für
Kinder, die sowohl Sicherheit als auch Antrieb zum Durchhalten geben
können.
Anknüpfend an Piklers Vorstellung formuliert Madga
Gerber einen „RIE-Ansatz“ (Ressources for Infant Educaters), in welchem
sie Grundprinzipien für respektvollen Umgang mit Kleinkindern und
Säuglingen zusammenfasst:
- Das Kind ist als eigenständiger Forscher zu betrachten: Kleinkinder und Säuglinge als aktive, selbstständige Subjekte wahrnehmen, die sich forschend und neugierig in ihrer Umwelt bewegen
- Wichtigkeit der gestalteten Umgebung: Kinder erleben sich in Erfahrungsräumen und finden Anreize in ihrer Umgebung. Die vorbereitet Umgebung, die den Bedürfnisse und aktuellen Interessen der Kinder entspricht und vielseitige Möglichkeiten bietet ohne Hilfe von Erwachsenen auf Erkundung zu gehen, sind dabei wichtig
- Das ununterbrochene Spiel: Spiel als Erprobungsprozesse von Kindern, in denen selbstbestimmt Handlungen durchgeführt werden, bedarf zeit und sollte möglichst selten von Erwachsenen gestört oder unterbrochen werden
- Beteiligung an Dingen, dass das Kind betrifft: Kinder das Recht zugestehen an Entscheidungen, die sie betreffen beteiligt sein zu können
- Beobachtung und dialogische Beziehung: Beobachtung um aktuelle Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnisse herauszufinden. In einer dialogischen Beziehung wird darauf geachtet, dass es ein Zusammenspiel zweier AkteurInnen ist, die miteinander in Kommunikation treten
- Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit: Struktur, Transparenz und verlässliche Rituale geben Sicherheit
Ziel ist nach Gerber, Kindern die Möglichkeit zu geben „authentisch zu sein“. Das bedeutet für sie, dass Kinder sich sicher, autonom und kompetent fühlen und in der Lage sind Gefühle auszudrücken und sich mit ihnen auseinandersetzen können.
Für Fachkräfte bedeutet dies, dass sie einerseits gute qualitative
Rahmenbedingungen brauchen und hier vor allem Zeit für die intensive
und beziehungsfördernde Pflege. Aber andererseits ist auch die
Grundhaltung, dass es für Kleinkinder und Säuglinge sinnvoll und
berechtigt ist sich an Pflegeprozessen beteiligen zu dürfen,
Voraussetzung. Eine geklärte Sichtweise im Team auf die pädagogische
Rolle als Erwachsene im Begleitprozess der Kleinkinder und Säuglinge
hilft dieses im Team reflektieren zu können. Wie wollen wir mit
bestimmten Situationen umgehen? Ab wann greift die Fürsorgepflicht und
was ist wenn wir dies als Fachkräfte unterschiedlich empfinden? Zu
verschiedensten Fragen gilt es einen konsensfähigen Umgang unter den
Fachkräften auszuhandeln, um auch auf dieser Ebene Struktur und
Verlässlichkeit im Team zu schaffen.
- Gerber, Magda; Johnson, Allision (2007): Ein guter Start ins Leben. Ein Leitfaden für die erste Zeit mit Ihrem Baby. 3. Aufl. Zürich: Freiamt.
- L., Juchli (1994): Pflege. Praxis und Theorie der Gesundheits- und Krankenpflege. Stuttgart: Thieme.
- Pikler, Emmi (2002): Miteinander vertraut werden. Erfahrungen und Gedanken zur Pflege von Säuglingen und Kleinkindern. 3. Aufl. Hg. v. Anna Tardos. Freiamt: Arbor-Verl.
- Pikler, Emmi (2008): Friedliche Babys - zufriedene Mütter. Pädagogische Ratschläge einer Kinderärztin. 17. Aufl. (22. Gesamtaufl.). Freiburg im Breisgau, Basel, Wien: Herder (Herder-Spektrum, 4986).
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion Übernommen vom Niedersächsichen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung.