Der Kontext der akademischen ErzieherInnenausbildung
Inhalt- 1. Entwicklung der Frühpädagogik und eines Berufs für dieses Gebiet
- 2. Wege zur Akademisierung
- 3. Bedingungen und Prozesse der Akademisierung
- 4. Herausforderungen
- 5. Fazit
In dem folgenden Artikel erfahren Sie etwas über die Geschichte des Berufs und seiner Ausbildung. Die Geschichte der Ausbildung macht verständlich, warum der Beruf immer noch nicht das gesellschaftliche Ansehen hat, das er verdient. Und auch, warum die Ausbildung an Hochschulen in Deutschland so spät angegangen wurde.
Das Aus- und Weiterbildungssystem für ErzieherInnen ist im Umbruch. Heute erscheint die Tätigkeit einer Erzieherin/eines Erziehers durchaus so bedeutend, dass die entsprechenden Kompetenzen auf Hochschulebene erworben werden sollten - zumindest sind sich viele Gremien (Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe 2004; Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2005; Deutscher Verein 2007) darüber einig, dass dies eine Möglichkeit darstellt.
Der Kontext, in dem die akademische Ausbildung von ErzieherInnen heute steht, wird im Folgenden in vier Schritten dargestellt.
- In einem ersten Abschnitt wird die historische Entwicklung der Vorschulerziehung und -bildung unter der Frage erörtert, welche Faktoren darauf einwirkten, den Beruf nicht zu akademisieren.
- In einem zweiten Abschnitt werden die Faktoren und Einflüsse skizziert, die dann die überfällige Akademisierung nahezu erzwangen.
- Im dritten Abschnitt werden Prozesse und Bedingungen der gegenwärtigen Akademisierung beschrieben.
- Im vierten und letzten Teil schließlich werden Herausforderungen benannt, die sich aus dem jetzigen Stand der Akademisierung ergeben.
Die Spezifika der Kindertagespflege und die angrenzender Berufe wie die der HeilpädagogInnen und der Kinderpflegerinnen sowie die Debatte um die Einrichtung von Krippen werden angesichts des begrenzten Umfangs des Artikels nicht berücksichtigt.
1. Entwicklung der Frühpädagogik und eines Berufs für dieses Gebiet
Der Begriff der Frühpädagogik wird heute benutzt für die Pädagogik mit Kindern bis 10, teilweise auch bis 13 Jahren, also bis zum Ende des (juristisch festgelegten) Kindesalters. Er beschränkt sich also nicht auf die vorschulische Pädagogik, wenngleich diese, konzentriert auf den Kindergarten, im vorliegenden Beitrag im Mittelpunkt steht.
Die Geschichte der Frühpädagogik ist noch nicht geschrieben. In den Geschichtsbüchern zur Pädagogik nimmt sie einen äußerst geringen Platz ein (z.B. bei Tenorth 2000), so dass die pädagogischen Ideen und die pädagogische Praxis nur kursorisch bekannt sind (vgl. Aden-Grossmann 2002; Ebert 2006; Erning 1987a; c; Reyer 2006). In diesem Beitrag können daher nur einige der historischen Entwicklungen dargestellt werden, die für die Entstehung des Berufs der Erzieherin von Bedeutung waren und ihn geprägt haben.
1.1 Die Zuordnung der vorschulischen Erziehung zum Wohlfahrtssystem
Ich beginne meinen Rückblick im 18./19. Jahrhundert, obgleich die früheren Jahrhunderte die Wurzeln für die dann stattfindenden Entwicklungen gelegt haben. Aber das 19. Jahrhundert war die Zeit, in der Erziehung und Bildung stärker als je zuvor aus der Familie an andere Institutionen abgegeben wurden: durch die Schulpflicht und die sich entwickelnde Kindergartenlandschaft. Die Differenzierung der Gesellschaft in verschiedene, relativ unabhängige Systeme wie das Bildungs- und das Fürsorgesystem wurde vom Staat regulierend und kontrollierend gestaltet. Im Bildungssystem war eine breite Volksbildung, zwar mit Aufrechterhaltung hierarchisierender Strukturen, aber mit dem Ideal der Leistungsgerechtigkeit ein Gebot der Philosophie der Aufklärung, aber auch ein Interesse von Staat und Wirtschaft (vgl. Tenorth 2000). Das Fürsorgesystem hingegen hatte primär kontrollierende Funktionen.
Die Einordnung der vorschulischen Betreuung, Bildung und Erziehung in das Fürsorgesystem hatte infolgedessen zwei unterschiedliche, durchaus konträre Folgen: Einerseits dominierte die fürsorgerische Idee gegenüber dem Bildungsgedanken. Auf der anderen Seite war die Regulierung nicht so stark wie im Schulsystem, das letztlich ein extrem kontrollierendes war, und zwar gegenüber LehrerInnen wie SchülerInnen (vgl. ebd.: 156 ff.).
Unter den - zunächst männlichen - Pädagogen des 19. Jahrhunderts befanden sich durchaus auch solche, die in der außerfamilialen vorschulischen Erziehung Bildungsideale wie Förderung der Selbsttätigkeit realisieren wollten. An erster Stelle sei hier Friedrich Fröbel genannt. In der Zielsetzung, den Kindergarten als Bildungseinrichtung zu etablieren, wurde Fröbel u. a. durch Lehrervereine unterstützt, die 1848 die Nationalversammlung zur Einrichtung von Kindergärten aufriefen, um eine gleichmäßige Bildung der unteren Volksschichten zu ermöglichen (vgl. Balluseck 1992: 16). SPD, KPD und SchulreformerInnen forderten vergeblich die Kindergartenpflicht und die Integration des Kindergartens als erste Stufe im Bildungssystem. Erklärte Gegner dieser Auffassung waren die konfessionellen Träger, die eine Erziehung zur Sittlichkeit und zur Anpassung an die bestehenden Verhältnisse favorisierten.
Der Bedarf an Kindertagesbetreuung war, so zeigen die steigenden Zahlen eindeutig, sehr groß. Um 1910 betrug der Versorgungsgrad schon 13 % (vgl. Reyer 2006: 116 f.). Aber die noch geringe Anzahl der betreuten Kinder und der betroffenen Eltern, wie auch das Bewusstsein der gesamten Bevölkerung für die Bedeutung der vorschulischen Erziehung und Bildung reichten nicht aus, um ein staatliches Umdenken in Richtung des Bildungssystems zu erwirken.
So vertraten bei der Reichsschulkonferenz 1920 die konfessionellen Träger erneut die Auffassung, dass der Kindergarten einen fürsorgerischen Auftrag habe, der in der Hand privater, sprich konfessioneller Trägerschaft verbleiben solle. Der Deutsche Fröbelverein (DFV) und der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein (ADLV) plädierten zwar für eine Aufnahme des Kindergartens in das Bildungssystem - und damit für staatliche bzw. kommunale Trägerschaft, jedoch als ein freiwilliges Angebot (vgl. Ebert 2006: 128). Die Reichsschulkonferenz entschied sich dennoch gegen eine Zuordnung zum Bildungssystem. Bei der Integration des Kindergartens in das fürsorgerische System blieb es auch im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922. Darin wurde - trotz erneuter Forderungen auch des Fröbelvereins nach Integration in das Bildungssystem - der Kindergarten dem Kinder- und Jugendhilfebereich zugeordnet. Ein Kindergartenplatz sollte nur dann in Frage kommen, wenn die Familie ihre Aufgaben nicht erfüllte. Damit blieb auch im RJWG der Bildungsgedanke ‚auf der Strecke‘ (vgl. ebd.: 132f.).
Den freien Trägern - und dies waren primär die konfessionellen - wurde der Vorrang bei der Einrichtung von Kindergärten eingeräumt, die damit Einfluss auf die Vorschriften für den Betrieb von Kindertageseinrichtungen und die Ausbildung von Kindergärtnerinnen erhielten (vgl. ebd.: 129). Ein wesentlicher - wenn nicht der wesentliche - Grund für die Zurückhaltung des Staates war die Finanzierung (vgl. Erning 1987b: 87). Einerseits waren im 19. und 20. Jahrhundert die konfessionellen Träger erleichtert, trotz staatlicher Regelungen ihren Einfluss zu behalten und - mit steigender Anzahl von Kindertageseinrichtungen - zu erweitern. Andererseits hatten alle Träger Finanzierungsprobleme, weil der Staat sich für die entstehenden Kosten nicht verantwortlich fühlte. Die zunächst sich gründenden Vereine, dann die größeren Träger, erhielten nur von Fall zu Fall kommunale Hilfen. Gerade bei den Kindergärten für die Armen konnte mit Elternbeiträgen - wenn überhaupt - nicht fest gerechnet werden. Die Finanzierung der Kindertageseinrichtungen war von daher häufig gefährdet (vgl. Erning 1987e). Zunehmend beteiligten sich die Kommunen an der Finanzierung, es blieb aber dabei, dass im Prinzip - abgesehen von Ausnahmeregelungen - die Eltern zur Finanzierung beitragen mussten.Dies bedeutete eine auf Dauer gestellte finanzielle Benachteiligung der Kindergärten gegenüber der Schule, deren Besuch für die über 6-jährigen Kinder Pflicht und - entscheidend für die Durchsetzung der Schulpflicht in Preußen - ab 1888 für die Eltern kostenlos war (vgl. Reyer 2006: 106).
Die frühe Einordnung der vorschulischen Erziehung und Bildung in das Fürsorge- bzw. später das Wohlfahrtssystem ist ein wesentlicher Grund für die schleppende Professionalisierung des Erzieherinnenberufs. Im Bildungssystem sah sich der Staat gezwungen, Zugänge, Voraussetzungen, Ausbildungen und tarifliche Einordnung der LehrerInnenberufe zu reglementieren, weil Bildung als staatliche Aufgabe definiert wurde. Hingegen blieb die Kinder- und Jugendhilfe ein Feld, in dem sehr unterschiedliche Akteure ihre Interessen vertraten, so dass es erst sehr spät zu einheitlichen Regelungen kommen konnte.
Der Nationalsozialismus änderte an der Zuordnung zum Fürsorgesystem nichts. Nach dem Zusammenbruch 1945 zogen die sich formierenden beiden deutschen Staaten unterschiedliche Konsequenzen.
In der alten Bundesrepublik bestimmte eine nach rückwärts gewandte Familienpolitik das politische Klima; schon der Ausbau von Kindergärten wurde mit Argwohn betrachtet: „Dabei ist allerdings sehr sorgfältig zu erwägen, inwieweit die Familie durch Schaffung solcher Einrichtungen zwar von außen gestützt, aber von innen entkräftet wird“ (der damalige Familienminister Wuermeling 1960, zit. nach Colberg-Schrader 1988: 304). Dies entsprach der Auffassung der konfessionellen Träger, die die Mehrheit der Kindergärten stellten. Der deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen definierte 1957 zwar den Kindergarten als notwendig, allerdings begründet durch Defizite der familiären Erziehung (vgl. Reyer 2006: 195 f.). Damit wurde der Fürsorgegedanke wieder gestärkt.
In der Bildungseuphorie der 1960er Jahre erhielten die Zielvorstellungen von Gewerkschaften und SPD Auftrieb. Schon 1965 erklärte die Bundesregierung den Ausbau der Elementarerziehung für vordringlich und bezeichnete ihn als einen wesentlichen Ansatz für den systematischen Abbau von Milieusperren (vgl. Dornscheit/Kühn 1984: 85 ff.). Denn schon damals führte der ‚Sputnik-Schock‘ zur Ausrufung eines Bildungsnotstandes, der politische Reaktionen zur Folge hatte. Gefordert wurden kompensatorische Erziehung, Chancengleichheit und Frühförderung. Im Strukturplan für das Bildungswesen, den der Deutsche Bildungsrat 1970 vorlegte, wurde ein gestuftes Bildungssystem gefordert, das auch den Elementarbereich einschloss. Bis 1980 sollten die Kindergartenplätze für 75 % aller Drei- und Vierjährigen und Vorschulplätze für 100 % der Fünfjährigen zur Verfügung stehen (vgl. Aden-Grossmann 2002: 180). Dafür stellten Bund und Länder so viele Mittel, dass der Versorgungsgrad mit Kindergartenplätzen erheblich anstieg (vgl. Tab. 1). Auch der Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung von 1973 enthielt die Forderung nach einem Ausbau des Elementarbereichs. Die Zuordnung zum Bildungssystem scheiterte erneut - nicht nur, so ist zu vermuten, am Bildungsföderalismus (vgl. Ebert 2006: 197) - sondern auch an Finanzierungserwägungen.
Im Bildungsgesamtplan 1970 wurde der vorschulischen Erziehung und Bildung so viel Bedeutung zugemessen, dass die Länder sich zu Kindergartengesetzen veranlasst sahen, die eine reguläre Kostenübernahme der Kommunen vorsahen. Aber auch hier blieben die Elternbeiträge unerlässlich, um die Finanzierung einigermaßen zu sichern.
In dem Maße, in dem der Staat Regelungsbedarf für die Kindertageseinrichtungen sah, entstand ein im Vergleich zum Schulsystem durchaus komplexes System. Auf der einen Seite regelte der Staat zunehmend Mindestqualitätsstandards. Auf der anderen Seite wurden - wie in der gesamten Kinder- und Jugendhilfe - die Ausgestaltung dieser Standards und das Profil von den Trägern der Kindertageseinrichtungen definiert.
Diese Freiheit der Träger hat - auch heute - Vor- und Nachteile. Im Gegensatz zum Schulsystem unterlagen und unterliegen die Träger, vor allem aber die ErzieherInnen in ihrem täglichen Tun nicht so vielen Kontrollen wie Lehrkräfte an Schulen. Es gibt kein Curriculum, das ihnen vorschriebe, wann sie was zu tun haben. Dafür werden ErzieherInnen zeitlich stärker durch Aufgaben der Betreuung und Erziehung in Anspruch genommen und es gibt enorme Qualitätsunterschiede unter den Trägern.
In den 1980er Jahren begannen Überlegungen, einen Rechtsanspruch für einen Kindergartenplatz gesetzlich zu verankern. Damit sollte, wenn schon eine Herauslösung aus der inzwischen erstarkten Kinder- und Jugendhilfe nicht möglich war, der Kindergarten aufgewertet werden. Der im Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit vorliegende Entwurf wurde aber wegen des Widerstandes der Bundesländer nicht umgesetzt (vgl. ebd.: 198 f.).
Trotz der Hemmnisse bei der Anerkennung der Bedeutung des Kindergartens und der Finanzierungszwänge für die Eltern wurde das Angebot in der alten Bundesrepublik stetig ausgebaut. Im Vergleich zur DDR war das Angebot bis zur Wende jedoch immer noch nicht flächendeckend (Tab. 1), ganz abgesehen davon, dass die meisten Kindergärten in der BRD nur halbtags Plätze zur Verfügung stellten.
Tabelle 1: Versorgungsgrad mit Kindergartenplätzen in der BRD 1965-2006
Jahr | Versorgungsgrad in Prozent |
1965 | 28 |
1970 | 32,9 |
1975 | 56,1 |
1985 | 67,7 |
Exkurs DDR 1989 | 95 |
1998 | 89,5 |
2006 | 86,8 (ohne Krippenplätze) |
Quellen: Tietze 1993: 109, zit. n. Reyer 2006: 195, 198; BMBFSJ 2002: 129; Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 158; Riedel 2008a: 27.
Tabelle 2: Personal in Kindertageseinrichtungen in der BRD
Jahr | Personal | Einrichtungen |
1974 | 112.767 | 24.208 |
1982 | 134.649 | 26.013 |
1986 | 156.928 | 29.959 |
1990 | 185.065 | 32.905 |
Exkurs: ehem. DDR 1991 | 176.591 | |
1998 | 373.233 | 48.203 |
2002 | 379.723 | 48.017 |
2006 | 415.018 | 48.201 |
Quellen: Lange 2008: 74; Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 73, 101; Riedel 2008b: 171.
Die DDR hatte im Gegensatz zur Bundesrepublik von Anfang an - nicht zuletzt aufgrund des Arbeitskräftemangels, der wiederum durch die starken Abwanderungen bedingt war - auf weibliche Erwerbstätigkeit gesetzt; gleichzeitig hatte der Staat massives Interesse am Einfluss auf die Kindererziehung in öffentlichen Einrichtungen. Von daher war der Kindergarten- aber auch der Krippenbesuch nahezu selbstverständlich.
Entsprechend der Logik des Systems wurden Vorschulerziehung und Ausbildung zentral gesteuert. Die außerfamiliale Erziehung und Bildung war aufgeteilt: der Krippenbereich unterstand den Gesundheitsbehörden, der Kindergarten und der Hort der Schuladministration. Bildung in der Krippe war demnach - bei einem hohen Versorgungsgrad - auch in der DDR kein Thema, wohl aber im Kindergarten, der eindeutig zum Bildungssystem zählte. In der Arbeitszeit der ErzieherInnen im Kindergarten waren - bei 43,75 Stunden in der Woche - 5,75 bis 9,75 Stunden für Vorbereitung und Elterngespräche und -besuche kalkuliert (errechnet nach Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 159). In diesem Punkt war die DDR also der alten Bundesrepublik voraus. Im Übernahmerausch der Wiedervereinigung wurde jedoch auf die Evaluation der einzelnen Elemente des Bildungs- und Sozialsystems der DDR verzichtet.
Eine Eingliederung des Kindergartens in das Bildungssystem war auch nach der Wiedervereinigung kein Thema für die neue Bundesrepublik, ebenso wenig das Recht auf einen Kindergartenplatz. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz, das 1990 das Jugendwohlfahrtsgesetz ablöste, war dieses Recht zunächst nicht verankert. § 24 KJHG wurde erst nach Beratungen zur Novellierung des § 218 geändert. Nach diesem sollten ab 1996 alle Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt ein Recht auf einen Kindergartenplatz haben (vgl. Aden-Grossmann 2002: 284).
In dieser Entscheidung kamen zumindest drei Faktoren zum Tragen: Die aus der DDR stammenden GestalterInnen des Übergangs konnten eine liberalisierte Fassung des § 218 durchsetzen, was das Recht auf einen Kindergartenplatz zur Folge hatte. Bildung im Kindergarten war damals noch kein allgemein anerkanntes Ziel in der BRD. Dennoch drückte sich in dieser Entscheidung schon eine Aufwertung des Kindergartens zur Bildungseinrichtung aus. Es zeichnete sich ab, dass die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe als Teil der Sozialen Arbeit umfassender und weit über Fürsorge hinausgehend definiert wurden.
Die AkteurInnen der Kinder- und Jugendhilfe hatten damit den Spagat geschafft, die Kindertagesbetreuung dem Bildungssystem anzunähern, obgleich die Bildung nach wie vor auf Bundes-, aber auch auf Länderebene zumeist anderen Ministerien zugeordnet ist.
Der Spagat war durch großes Engagement einiger Organisationen, allen voran die GEW und die AGJ und das Deutsche Jugendinstitut gelungen. Diese Organisationen initiierten eine wissenschaftlich begründete politische Diskussion um die verschiedenen Formen und Orte von Bildung, die Bildung nicht mehr auf formale Bildung in schulischen Instanzen reduzierte, sondern non-formale und informelle Bildung in Familie und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe einschloss. Indem die Bildungsfunktion der Kinder- und Jugendhilfe stärker betont wurde, gelang es, die Bedeutung von Kindertageseinrichtungen für Bildungsprozesse im Vorschulalter hoch zu hängen (vgl. Rauschenbach u. a. 2004, BMBF 2005). Damit geriet auch die Ausbildung von ErzieherInnen in den Blick der Öffentlichkeit.
1.2 Geschlecht als Qualifikation
1.2.1 Kampf um Anerkennung: Frauenberufe im Kontext der Frauenbewegungen
Parallel zur Kindergärtnerin entstanden die Berufe der Wohlfahrtspflegerin bzw. Fürsorgerin und der Volksschullehrerin. Heute heißen diese Berufe Sozialarbeiterin und Grundschullehrerin. Beide sind von Frauen dominiert, wenngleich nicht in dem Maße wie der ErzieherInnenberuf. Aber sie sind seit Jahrzehnten akademisiert. Warum sie und nicht der Beruf der Erzieherin?
Ein wesentlicher Grund für die späte Akademisierung des ErzieherInnenberufs war seine Zuordnung zum Fürsorgesystem, wie oben dargestellt. Ein weiterer lag in seiner Verankerung in der Ideologie der Weiblichkeit, die zur geistigen Mütterlichkeit hochstilisiert wurde (vgl. Rabe-Kleberg 2006, Ebert 2006, Kruse 2004), und zwar intensiver und länger als dies bei anderen Frauenberufen der Fall war.
Die verheirateten oder eine Ehe anstrebenden bürgerlichen Frauen litten - bei zunehmender Bildung - daran, dass sie von öffentlicher Anerkennung ausgeschlossen waren. Die Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre sah für sie nur das Wirken in der Familie vor. Niemand Geringeres als Hannah Arendt - obgleich wahrlich nicht des Feminismus verdächtig - hat treffend die Problematik eines auf Privates reduzierten Lebens beschrieben. Für sie war der Ausschluss von der Öffentlichkeit ein Zustand „... in dem man bestimmter, wesentlich menschlicher Dinge beraubt ist ... nämlich der Wirklichkeit, die durch das Gesehen- und Gehörtwerden entsteht, beraubt einer objektiven, d. h. gegenständlichen Beziehung zu anderen, die sich nur dort ergeben kann, wo Menschen durch die Vermittlung einer gemeinsamen Dingwelt von anderen zugleich getrennt und mit ihnen verbunden sind, beraubt schließlich der Möglichkeit, etwas zu leisten, das beständiger ist als das Leben“ (Arendt 1981: 571).
Die bürgerliche Gesellschaft im aufstrebenden Kapitalismus und im Gefolge der Aufklärung fügte der Abtrennung der Frau von der Öffentlichkeit die Idealisierung ‚des‘ Weiblichen hinzu. Die Frau hatte nun die Aufgabe, die Kälte der Erwerbswelt in der Familie auszugleichen (vgl. Hausen 1989; Schütze 1987; Rabe-Kleberg 2006). Die Tätigkeit der Mutter wurde verklärt. Ihre Arbeit war Gefühl, war Natur, aber keine Leistung.
Die bürgerlichen Frauen drängten nach Anerkennung ihrer Kompetenzen, allerdings nicht fachlicher Qualifikationen, sondern solcher, die sie ‚qua Natur‘ besaßen. Sie ersehnten ihre eigene Emanzipation, ohne ihre Geschlechtsrolle in Frage zu stellen und ohne die Emanzipation der proletarischen Frauen zu thematisieren. Das blieb den Frauen der Arbeiterbewegung vorbehalten.
Es wäre eine Aufgabe, die dieser Artikel nicht leisten kann, Zeugnisse proletarischer Frauen zu suchen, die in ihrer Not - nicht zuletzt bedingt durch das Abtreibungsverbot - nicht ein noch aus wussten mit ihren Kindern, wenn sie nicht zu Hause als Heimarbeiterinnen (vgl. Rosenbaum 1982) ihr Geld verdienen konnten. Für sie stellte sich die Frage nach einer sinnvollen Betätigung in einem ansonsten öden Leben nicht: Sie mussten arbeiten, und zwar unter teilweise erbärmlichen Konditionen. Es wäre zu fragen, wie sie die entstehenden Kindergärten, in denen ihnen Frauen einer anderen Klasse als ‚bessere Mütter‘ gegenüber traten, erlebt haben. Ähnlich wie bei den armen Frauen, die Hilfe durch die Wohlfahrtspflegerinnen erhielten, gibt es von diesen Frauen keine Zeugnisse: Sie haben sich aufgrund von Zeit- und Bildungsmangel nicht artikuliert.
Kombiniert wurde das Interesse der bürgerlichen Frauen an gesellschaftlichem Ansehen, am Heraustreten aus der privaten Sphäre, mit dem Beharren auf der Frauen angeblich qua Natur eigenen Mütterlichkeit. Für die Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege und in Kindergärten beanspruchten die bürgerlichen Frauen daher nicht nur Priorität, sondern Ausschließlichkeit. ‚Geistige Mütterlichkeit‘ in Berufen, die definitionsgemäß frauenspezifische Aufgaben wahrnahmen, wurde zum Synonym für Menschlichkeit, für die Frauen angeblich eher disponiert waren als Männer (vgl. Ebert 2006: 76).
Mütterlichkeit wurde damit zum Kampfbegriff, der Frauen den Zugang zu bestimmten ‚weiblichen‘ Berufen sichern sollte (vgl. Balluseck 1992: 12). Berufe, in denen Mütterlichkeit keine Rolle spielte - technische, kaufmännische und handwerkliche -, kamen für diese Frauen nicht in Frage. Dafür wurde die Mütterlichkeit „gendermonopolisiert“ (Rabe-Kleberg 2006: 102), weshalb Männer - abgesehen von den Zulassungsbedingungen - gar nicht auf die Idee kommen konnten, in diese Berufe zu gehen, ohne ihre Geschlechtlichkeit zu gefährden. Die „Maternalisierung“ durch die „Verberuflichung der Mutterarbeit“ (ebd.: 96) der erzieherischen Tätigkeit stand dem im Wege. Solange der Beruf als wesentliche Voraussetzung die weibliche Natur (‚Mütterlichkeit‘) hatte, war der Weg zu einer höheren Anerkennung und Ausbildung verschlossen. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die bis vor kurzem konstatierten „tiefreichenden ... Ausbildungs- und Professionalisierungsdefizite erklären“ (Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 139).
Die Familienideologie der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg vertrat erneut diese Einseitigkeit. Generell war die Erwerbstätigkeit verheirateten Frauen bis 1967 nur bei Billigung durch den Ehemann gestattet. Kinder, deren Mütter erwerbstätig waren, galten als vernachlässigt. Bei den ErzieherInnen wirkte sich diese Ideologie so aus, dass der Beruf meist nur bis zur Heirat ausgeübt wurde. Eine Befragung 1951 ergab, dass über 90 % der ErzieherInnen ledig waren, die Verweildauer im Beruf betrug nicht mehr als 5 Jahre (vgl. Ebert 2006: 179).
Die feministische Bewegung, die im Gefolge der Studentenbewegung entstand, konzentrierte sich zunächst auf die weibliche Autonomie, die in der Abschaffung des § 218, in der Abschaffung des Ehegattensplittings und der Einführung einer vom Ehemann unabhängigen Versorgung sowie in der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt gesehen wurde. Da die Fixierung auf Weiblichkeit als Qualifikationsmerkmal abgelehnt wurde, fanden Erzieherinnen, die sich qua Ausbildung damit identifizierten, kein Interesse bei ihren akademisch gebildeten Geschlechtsgenossinnen. Die Mütterfrage wurde erst Ende der 1980er Jahre bei Feministinnen zum Thema (z.B. bei Stoehr 1989).
Die heutige Frühpädagogik findet ein koedukatives Schul- und Ausbildungssys-tem vor, in dem Frauen ermuntert werden, technische Berufe zu ergreifen, sich u.a. auch mit Naturwissenschaft - einst eine männliche Domäne - zu befassen, und Männer auch für kleinere Kinder als Bezugspersonen für erforderlich gehalten werden. Nun wird die Argumentation in gewisser Weise umgedreht: Waren es früher nur Frauen, die qualifiziert waren, mit Kindern umzugehen, so werden heute männliche Rollenvorbilder für die Sozialisation für unerlässlich gehalten.
Im Folgenden wird zunächst auf die Entwicklung von zwei Frauenberufen, die sich auch mit Kindern befassen, eingegangen, bevor die Berufsentwicklung der Kindergärtnerin näher betrachtet wird.
1.2.2 Die Volks- bzw. Grundschullehrerin
Die Geschichte der vorschulischen Erziehung und Bildung ist nicht getrennt von der Entstehung und Durchsetzung der Schulpflicht zu sehen, in der die Notwendigkeit ihren Ausdruck findet, die Bildung staatlich zu reglementieren. Die Schulpflicht wurde 1794 im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten festgelegt. Ausnahmen galten, wenn es keine örtliche Schule gab und/oder die Eltern unterrichteten die Kinder zu Hause (vgl. Reyer 2006: 31 f.).
Erst ab 1820 setzte sich der an Lehrerseminaren ausgebildete Volksschullehrer als Norm durch - vorher existierte keine Ausbildung für diese Tätigkeit. Lehrerseminare jedoch waren unterhalb der höheren Schulbildung angesiedelt. Die meist zweijährige Seminarausbildung gehörte zum niedrigen Schulwesen (vgl. ebd.: 40 f). Der Volksschullehrer war von der Herkunft und von der Bezahlung her meilenweit vom Lehrer an höheren Schulen entfernt. Er war nicht als weiblicher Beruf definiert, sondern ein Beruf für Männer mit geringerer Schulbildung und aus eher unteren sozialen Schichten, vor allem aus ländlichen Gebieten.
Die Lehrer des höheren, mittleren und niederen Schulwesens unterschieden sich nicht nur im Hinblick auf ihre Ausbildung, sondern auch im Hinblick auf ihre soziale Herkunft, auf Ansehen und Bezahlung (vgl. Titze 1991: 350). Dem niedrigen Status des Volksschullehrers entsprachen auch die Arbeitsbedingungen. Während 1911 auf einen Volksschullehrer - und dies galt als Verbesserung - 55 SchülerInnen kamen, waren es bei den Lehrkräften des höheren Schulwesens 17 SchülerInnen (vgl. ebd.: 357). Darüber hinaus war der Volksschullehrer vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Ende des Jahrhunderts hatte sich die finanzielle Situation verbessert, der Abstand zu den Lehrern höherer Schulen blieb aber (vgl. ebd.: 359 ff.). Die Aufgabe des Volksschullehrers bestand im autoritären Staat in der Erziehung der Kinder zu Untertanen und in der Verhinderung von Unzufriedenheit ob der sozialen Ungerechtigkeiten.
Frauen ‚eroberten‘ sich diesen Beruf. 1908 kam es im Gefolge der Preußischen Mädchenschulreform zu einer Zweiteilung des Mädchenschulsystems: Neben Studienanstalten für Mädchen mit Curricula und Berechtigungen für den Staatsdienst, die wie die Anstalten für Knaben für die höheren Schichten konzipiert waren, gab es die Frauenschule für die kleinbürgerlichen Schichten (vgl. Neghabian 1993: 28). Das Lehrerinnenseminar war der höchstqualifzierende Kurs der Studienanstalten (vgl. ebd.: 60). Die Berufsperspektiven der Frauenschulen hingegen waren hauswirtschaftliche (Handarbeit, Hauswirtschaft, Turnen) und wohlfahrtspflegerische Kurse.
1911 war jede fünfte im Volksschulwesen tätige Lehrkraft weiblich, im mittleren Schulwesen sogar fast die Hälfte, in den höheren Mädchenschulen (auf die sich die Frauen im höheren Schulwesen beschränken mussten) mehr als ein Viertel. Frauen wurden zum Lehrerberuf zugelassen, zum einen aufgrund des Nachwuchsmangels, zum zweiten, weil sie ‚billiger‘ waren (sie erhielten 20-25 % weniger Gehalt als Männer) und: „Drittens passten die Lehrerinnen wegen ihrer höheren sozialen Herkunft aus gebildeten Elternhäusern und aus dem besser situierten Mittelstand auch staatspolitisch ins Konzept: Mit ihrer konservativen Gesinnung bildeten sie gerade in den großen Städten ein Gegengewicht zu den männlichen Standesgenossen, die linksliberaler Neigungen verdächtigt wurden“ (Titze 1991: 364).
Von den männlichen Kollegen waren die Frauen nicht gern gesehen. Von Lehrervereinen wurde bezweifelt, dass sie überhaupt dem Lehrberuf gewachsen seien, allenfalls für die unteren Klassen seien sie geeignet (Reichert 1999: 446 f.). Die männlichen Volksschullehrer empfanden das Eindringen der Frauen teilweise als „Degradierung“ (ebd.: 448). Da es aber erlaubt war, nutzten die Frauen die Chance, einen Beruf zu ergreifen - und prägten insbesondere den Beruf der Grundschullehrerin entscheidend mit.
Die ersten Jahre der Volksschule waren schon im 19. Jahrhundert als Einheitsschule konzipiert, in der Kinder aller Schichten bzw. Klassen eine Grundbildung erhalten sollten (vgl. Götz/Sandfuchs 2005; Reyer 2006: 142 ff.). In der Reichsverfassung von 1919 wurde die vierjährige Grundschulzeit festgelegt, aber erst 1964 wurde die Volksschule aufgelöst und die Stufen der Grund- und der Hauptschule gebildet (vgl. Götz/Sandfuchs 2005). Erst jetzt wurde die Grundschule eine eigenständige Institution des Bildungswesens.
Drei Schübe kennzeichnen den Statuswechsel der GrundschullehrerInnen (vgl. Terhart 2005: 130). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden alle Volksschullehrer auf Seminaren ausgebildet. Ab 1925 wurden Pädagogische Akademien (ohne Hochschulstatus) in Preußen eingeführt, und zu Beginn der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, im Gefolge des Strukturplans für das Bildungswesen, wurde die Akademisierung durch die Integration der Pädagogischen Hochschulen in Universitäten, ihre Umwandlung in Universitäten und durch Neugründungen in der BRD realisiert (vgl. ebd.; Sandfuchs 2004: 28 f.).
Der Beruf der Grundschullehrerin basierte nicht auf Weiblichkeit als Qualifikationsmerkmal. Er wurde erst zum Frauenberuf, weil die Motivation der angehenden Grundschullehrerinnen - mehr als bei den LehrerInnen anderer Schulstufen - auf dem Wunsch, mit Kindern zu arbeiten und der Chance der Vereinbarkeit von Familie und Beruf basierte (vgl. Terhart 2005: 133). Im Schuljahr 2001/2002 waren 83 % aller Lehrkräfte an deutschen Grundschulen weiblich (vgl. OECD 2004b: 17).
1.2.3 Die Fürsorgerin
Ein Beruf, der sich zunächst als reiner Frauenberuf definierte, war der der Fürsorgerin, später als Wohlfahrtspflegerin bezeichnet. Heute lautet die Bezeichnung Sozialarbeiterin/Sozialarbeiter oder auch Sozialpädagogin/Sozialpädagoge.
Die erste Soziale Frauenschule wurde von Alice Salomon 1908 gegründet, vorher gab es Jahreskurse (vgl. Sachße 2003; Kruse 2004). Alice Salomon lehnte eine Ausbildung der Wohlfahrtspflegerin an der Universität ab (vgl. Kruse 2004: 83). Sie argumentierte aufgrund der damaligen Struktur des Hochschulwesens - möglicherweise auch eingedenk der fehlenden Hochschulzugangsberechtigung ihrer Schülerinnen - gegen die universitäre Ausbildung. Theoretiker und Philosophen forderten im späten 18. Jahrhundert „die Neubelebung der akademischen Gelehrsamkeit an den Universitäten, idealisierten das Ziel der wissenschaftlichen Entdeckung und verbanden beides zu einer ausgesprochenen Ideologie der Forschung.“ (Turner 1987: 225). Ausdrücklich waren die Universitäten nicht auf einen Beruf orientiert. Das entsprechende Argument lautete: „Zu große Beschäftigung mit der Berufsausbildung bringe die Universität von ihrem Hauptziel ab, die Urteilskraft zu bilden und das Wissenschaftsprinzip zu verankern“ (ebd.: 226). Dieser akademischen Sicht, im Volksmund auch heute noch als ‚Elfenbeinturm‘ diagnostiziert, stellte Salomon von Anfang an eine Verbindung von praktischer Arbeit und Theorie gegenüber. In ihrem Fall handelte es sich also nicht um Wissenschaftsfeindlichkeit angesichts der weiblichen Aufgabe, sondern um eine Definition dieser Aufgaben jenseits der herrschenden, männerdominierten Bildungsnormen.
Mit der Prüfungsordnung von 1920 war eine berufsbezogene Ausbildung auf mittlerer Ebene des Bildungssystems etabliert. Von diesem Zeitpunkt an drängten auch Männer in den Beruf. Zunächst wurden Männer in den 1920er Jahren durch Sonderregelungen in Ausbildungsstätten aufgenommen, 1927 ermöglichte ein preußischer Erlass Männern grundsätzlich den Weg zur Ausbildung, was zunächst die Einrichtung von Ausbildungsschulen für Männer zur Folge hatte (vgl. Kruse 2004: 45 f.).
Alice Salomon förderte die wissenschaftliche Fundierung der Ausbildung ab 1925 mit der Gründung einer Akademie zur Fortbildung und Forschungszwecken. Ihr Ziel war eine akademische Ausbildung (vgl. ebd.: 45f.), jedoch ohne sich dem Diktat der Universitäten - Verzicht auf praktische Erfahrungen zugunsten kognitiver Kompetenzen - zu unterwerfen.
Im Nationalsozialismus wurde Salomon neben vielen anderen zur Emigration gezwungen. Die Wohlfahrtspflege ordnete sich dem System unter.
Nach dem Krieg kam es langsam zu einer Anhebung des Status der Ausbildung. 1959 wurden die Fachschulen, die Fachschulen für Sozialarbeit jedoch erst 1967 zu Höheren Fachschulen umgewandelt. Mit Beschluss der Ministerpräsidenten vom 31.10.1968 wurden die Höheren Fachschulen auf den Status von Fachhochschulen angehoben (vgl. ebd.: 108). Dies geschah aufgrund einer Forderung der EWG nach Angleichung der Fachschulausbildung von Ingenieuren! Die Fachhochschulen hatten den Auftrag zu anwendungsbezogener Ausbildung, längerer Praktika, kürzerer Studiendauer, unterschieden sich in ihrem Auftrag also deutlich von den Universitäten (vgl. Kruse ebd.: 69-113).
Alice Salomon hatte versucht, der männlich strukturierten Universität, die praktische Erfahrungen zugunsten kognitiver ‚Höhenflüge‘ unterbewertete, eine andere Form der Wissenschaft entgegenzustellen. Erst in den letzten Jahren erkennen diverse Disziplinen den Wert dieser Auffassung. Die Wohlfahrtspflege hat schneller als die Pädagogik umgeschaltet von der Geschlechtlichkeit auf Fachlichkeit. Allerdings hat nicht allein diese Wissenschaftsorientierung zur Akademisierung - und damit auch besseren Bezahlung - des Berufs geführt, sondern die Tatsache, dass die Höheren Fachschulen ‚im Schlepptau‘ der Aufwertung von Ingenieuren mitgezogen wurden.
1.2.4 Die Erzieherin
Ganz anders verlief die Entwicklung beim Beruf der Erzieherin. Die ‚Aufbewahrung‘ der Kinder wich allmählich dem Anspruch, in den vorschulischen Einrichtungen auch zu erziehen und - hier schieden sich die Geister - zu bilden. Die Frauen des Bürgertums sahen in einer eigenen beruflichen Sphäre die einzige Chance, überhaupt einen Beruf ausüben zu dürfen. Und nur indem neue Berufe sich auf das weibliche Prinzip und Mütterlichkeit berufen konnten, bestand die Möglicheit, dem Ausschluss aus der männerorientierten Berufswelt zu entkommen (vgl. Taylor Allen 1994).
Als einer der ersten begann Theodor Fliedner 1837 in Kaiserswerth Kleinkinderschul-Lehrerinnen auszubilden. Zunächst gab es Kurse von zwei bis drei Monaten, die dann bis 1854 auf ein Jahr erweitert wurden. Leisten konnten sich diese Kurse nur Frauen aus dem Bürgertum, denn sie waren kostenpflichtig. Dennoch waren bis 1860 schon über 900 Elementar- und Kleinkinderlehrerinnen dort ausgebildet worden (vgl. Ebert 2006: 54). Die Inhalte der Kleinkinderschulen in Kaiserswerth und vieler anderer hatten allerdings nicht die Bildung von Kindern zum Ziel, sondern entsprachen fürsorgerischen und reglementierenden Absichten (vgl. Aden-Grossmann 2002: 26f.).
Anders war dies bei Friedrich Fröbel. Er sah die außerhäusliche Kindererziehung als Bildungschance für Kinder aller Schichten an (vgl. Ebert 2006: 75ff.). 1837 gründete er eine „autodidaktische Anstalt“, die im gleichen Jahr in „Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes der Kindheit und Jugend“ umbenannt wurde. Dabei handelte es sich um einen Betrieb, in dem die von Fröbel entwickelten „Gaben“ produziert werden sollten. 1838 sollte dieser Einrichtung eine Ausbildungsstätte angegliedert werden, in der Kurse für „Kinderführer“, also Männer, durchgeführt wurden (Amthor 2003: 176; Dammann/Prüser 1987: 22). Erst in den Folgejahren wurde der Kindergarten, vor allem durch die Schülerinnen Fröbels, eine Domäne von Frauen. (Derschau 1987: 71).
Seinen ersten Kindergarten gründete Fröbel 1840. 10 Jahre später gründete er den ersten Bürgerkindergarten in Hamburg mit dem erklärten Ziel, keine Standesunterschiede zu machen. Parallel dazu wurde die erste Frauenhochschule in Hamburg gegründet. Sie umfasste Ausbildungen zur Kindergärtnerin und zur Lehrerin sowie einen Kindergarten. 1851 kam es zum Kindergartenverbot in Preußen, auch die Hochschule musste schließen (vgl. ebd.: 33 ff.). Erst 1860 wurde das Verbot aufgehoben.
Die Ausbildungsstätten in Preußen wurden 1885 der staatlichen Aufsicht unterstellt. 1911 wurden Bestimmungen über Zugangsvoraussetzungen, Lehrplan und Prüfungsordnung für die Ausbildung von Kindergärtnerinnen festgelegt, die Ausbildung sollte ein Jahr umfassen. Damit war die Tätigkeit zu einem Beruf geworden (vgl. Derschau 1987: 72). Aber im Gegensatz zur Wohlfahrtspflege drängten keine Männer (mehr) in den Beruf, dazu war er als reiner Frauenberuf zu sehr abgeschottet.
Den staatlichen Regelungen schlossen sich bald auch kirchliche Ausbildungsstätten an, da staatlich geprüfte Absolventinnen bevorzugt eine Anstellung erhielten. Nach der einjährigen, später nach einer dreijährigen (vgl. Derschau 1987: 112) Erstausbildung zur Kindergärtnerin, die die Aufgabe hatte, Mädchen auf ihren ‚eigentlichen‘ Beruf der Mutter und Hausfrau vorzubereiten, gab es ausschließlich für unverheiratete und verwitwete Frauen die nochmals einjährige Weiterbildung zur Jugendleiterin. Die Weiterbildung berechtigte zur Leitung einer Einrichtung und war der Volksschullehrerin von Ausbildungsdauer und formalem Niveau der Ausbildung gleichgestellt (vgl. Ebert 2006: 107, 114). Dieser Beruf war also nicht nur an das Geschlecht, sondern darüber hinaus an den Familienstand gebunden. Unter diesen Umständen konnte sich eine Professionalisierung kaum entwickeln.
Für die pädagogische Arbeit mit Schulkindern war parallel der Beruf der Hortnerin entstanden (Balluseck 2000), die Ausbildung wurde 1915 in Preußen staatlich geregelt (vgl. Ebert 2006: 117 f.). 1929 wurden in Preußen die Ausbildungen der Kindergärtnerin und der Hortnerin zusammengefügt, die Ausbildung dauerte nun zwei Jahre. In Preußen und den meisten Ländern, die Preußen nachfolgten, war Zugangsvoraussetzung nun der mittlere Schulabschluss. Begabte Mädchen mit Volksschulabschluss mussten sich einer Aufnahmeprüfung unterziehen.
Der Beruf der Kindergärtnerin stand Mädchen aus dem Bürgertum offen, für die Mädchen der unteren Stände wurde der Beruf der Kinderpflegerin von den bürgerlichen Frauen geschaffen. Bei der Abgrenzung der Ausbildungen nach unten, wie auch bei der Abgrenzung der Volkskindergärten zu den Kindergärten für die bürgerlichen Schichten spielten die bürgerlichen Frauenverbände eine entscheidende Rolle. Sie wollten den Beruf der Kindergärtnerin für die jungen Frauen des Bürgertums reservieren und strebten eine Gleichstellung mit der Volksschullehrerin an. Mädchen ‚aus dem Volke‘ konnten sich die kostenpflichtigen Schulen für die Ausbildung ohnehin nicht leisten (vgl. ebd.: 103 ff.).
Die duale Ausbildung, die 1920 geschaffen wurde, orientierte sich an den männlichen Berufen. Fachschulen waren in diesem System weiterführende Schulen für Gesellen, die sich zum Meister ausbilden ließen. Den neu entstehenden Frauenberufen blieben die vollzeitschulischen Berufsfachschulen vorbehalten. In Sozialpädagogischen Seminaren, die dem formalen Niveau von Fachschulen entsprachen, fand nun auch die Ausbildung der Jugendleiterin statt. Der Beruf blieb nach wie vor strikt Frauen vorbehalten (vgl. ebd.: 119).
Ende der 1920er Jahre hatten sich also die Berufe der Kindergärtnerin und der Jugendleiterin etabliert. Das Konzept der ‚geistigen Mütterlichkeit‘ blieb aber als Relikt und schloss Männer aus (vgl. ebd.: 121f.).
In der Weimarer Republik prägte auch die reformpädagogische Bewegung die Kindergartenarbeit. Während des Nationalsozialismus wurden diese Keime erstickt. Voraussetzung für die Zulassung zur Kindergärtnerinnenausbildung war nun die deutsche Abstammung, die Ziele der Erziehung und Bildung orientierten sich an den nationalsozialistischen Vorstellungen (vgl. Derschau 1987). Diese konnten in ihrer Betonung der ‚natürlichen‘ Unterschiede zwischen Mann und Frau und der ‚natürlichen‘ Bestimmung der letzteren an die Weiblichkeitsideologie der bürgerlichen Frauenbewegung anknüpfen.
Daran hielten auch die Träger- und Fachvereinigungen nach dem Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘ fest. Im 1949 gegründeten Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) waren die kommunalen und konfessionellen Anstellungsträger zusammengefasst. Daneben gab es die ebenfalls 1949 gegründete Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ), in der alle Akteure und Akteurinnen der Kinder- und Jugendhilfe, also auch die Ausbildungsinstanzen kooperierten. Als Fachverband agierte der Pestalozzi-Fröbel-Verband, der 1948 neu gegründet wurde - als Wiederaufnahme des früheren Fröbel-Vereins. Dort hatten aber zunächst nach dem Krieg auch - genau wie in der Erziehungswissenschaft an den Universitäten - Männer das Sagen, die durchaus in das Horn der gelobten Mütterlichkeit bliesen. Das akademische Wissen, so die Meinung der ‚Experten‘ würde die Berufstauglichkeit der Erzieherinnen beeinträchtigen. Während es in der Sozialen Arbeit ab den späten 1950er Jahren einen Professionalisierungsschub gab - durch Aufwertung der Ausbildungsstätten, Impulsen aus den USA hinsichtlich der Methodik und gesetzlichen Rahmenbedingungen für theoriebasierte Kompetenzen - blieb dieser Schub für die Erzieherinnen aus. Für ihre Tätigkeiten sollte im Wesentlichen die Weiblichkeit als solche ausreichen (vgl. Ebert 2006: 190 f.).
1.3 Die Fachschulausbildung zur Erzieherin
Auch in den 1960er Jahren hielten die Spitzenverbände der Träger von Kindertageseinrichtungen eine Neuordnung der sozialpädagogischen Berufe nicht für erforderlich (vgl. Ebert 2006: 203). Immerhin wurden 1967 entsprechend der Rahmenbedingungen der Kultusministerkonferenz die Ausbildungen zur Kindergärtnerin und Hortnerin mit der zur Jugendpflegerin und Heimerzieherin zusammengefasst. Die Ausbildung erfolgte an Fachschulen für Sozialpädagogik (in Bayern an Fachakademien). Damit wurde ein mittlerer Schulabschluss und ein einjähriges Praktikum zur Zugangsvoraussetzung, die Ausbildungsdauer betrug drei Jahre und führte zum Abschluss ‚Staatlich anerkannte/r Erzieher (in)‘ (Amthor 2003: 433). Außerdem wurde der Beruf der Jugendleiterin wie der der Sozialarbeiterin an die Höheren Fachschulen, dann an die Fachhochschulen verlegt. Dies beinhaltete zwar eine Aufwertung des Berufs, den jetzt auch Männer leichter ergreifen konnten, unter der Bezeichnung SozialpädagogIn (vgl. Kruse 2004: 82). Jedoch gab es keine Durchlässigkeit mehr von der Ausbildung der Kindergärtnerin zur Jugendleiterin, da die Zugangsvoraussetzung das Abitur war. Damit war die einzige Aufstiegsmöglichkeit für Kindergärtnerinnen verschlossen (vgl. Ebert 2006: 208 ff.).
Die darauf folgenden Reformvorschläge zur Verbesserung der ErzieherInnenausbildung bewegten sich weiterhin im Rahmen schulischer Strukturen und legten sich „wie ein zu enges Korsett um den beruflichen Bildungsprozess angehender Erzieherinnen und Erzieher“ (ebd.: 213).
Auch in der „Rahmenvereinbarung über die Ausbildung und Prüfung von Erziehern/Erzieherinnen“ der KMK von 1982 (Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 178) gab es dazu keine wesentlichen Verbesserungen. Sigrid Ebert, langjährige Leiterin der Fachschule des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, kritisiert vor allem die fehlende Theorie-Praxis-Verzahnung, „weil an der herkömmlichen Fächerstruktur und der Aufgliederung in fachtheoretische und allgemeine Fächer festgehalten wurde, was eine den Praxisaufgaben angemessene Unterrichtung in fächerübergreifenden Projekten unmöglich machte“ (Ebert 2006: 218). Ferner beanstandet sie einen „Mangel an Aussagen zu Bildungszielen“ (ebd.: 219). Und überdies war es Erzieherinnen aus der Praxis aufgrund der fehlenden Durchlässigkeit nicht möglich, in einem gestuften System zu Lehrerinnen an Fachschulen aufzusteigen (ebd.: 220). Dies hatte auch für die Lehre an den Fachschulen negative Folgen. So hatten die Lehrkräfte an Fachschulen oft überhaupt keinen Bezug zur praktischen Arbeit der Erzieherin. Da der Beruf keine Aufstiegschancen bot und nach wie vor auch als Übergangsphase bis zur Heirat konzipiert war, blieb es bei einer relativ kurzen Verweildauer (vgl. ebd.: 228).
Die Basis des Berufs, nämlich Weiblichkeit, war nach wie vor nicht durch Fachlichkeit ersetzt worden. Dieser Mangel wurde Ende der 1980er Jahre zum Thema, denn die Anforderungen der Anstellungsträger waren gestiegen. Die Diskussionen erhielten neue Stoßrichtungen durch die Wiedervereinigung und die Einführung des KJHG.
In der DDR umfasste die Ausbildung für Krippe und Kindergarten 3 Jahre, die zur Horterzieherin bzw. Unterstufenlehrerin 4 Jahre. Voraussetzung für die Ausbildung war ein mittlerer Schulabschluss, die Ausbildungen fanden an Fachschulen statt.
„Insgesamt hatten die Erziehungs- und Sozialberufe in der DDR einen gesellschaftlich und politisch ungleich höheren Stellenwert als in der Bundesrepublik. Es bestand in allen Berufen die direkte Möglichkeit eines Aufstiegs zur nächsthöheren Ebene (allerdings nur auf Empfehlung von ‚oben‘), so dass die im Westen vielzitierte berufliche Sackgasse in der DDR nicht in gleicher Weise bestand, ja KindergärtnerIn, Krippen-, Hort- und HeimerzieherIn ein mit relativ großem Sozialprestige verbundener Wunschberuf mit lebenslanger Perspektive war“ (Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 159).
In der alten und neuen BRD war diese Durchlässigkeit nicht gegeben. Hier konnten (und können) AbsolventInnen der Fachrichtungen Sozialarbeit/Sozialpädagogik bzw. Soziale Arbeit (FH) und ErziehungwissenschaftlerInnen (Universität) rasch in Leitungspositionen der Träger von Kindertageseinrichtungen aufsteigen. Problematisch dabei war, dass in beiden Studienrichtungen die speziellen Qualifikationen für die Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern häufig - je nach Hochschule - kaum vermittelt wurden. Eine Durchlässigkeit der Fachschulausbildung gegenüber der Hochschulausbildung gab es nur in bestimmten Paragraphen der Hochschulgesetze, z. B. in Berlin § 11 BerlHG, wonach FachschulabsolventInnen dann zugelassen werden können, wenn sie vier Jahre Berufstätigkeit nachweisen können, jedoch nur bis zu einem Höchstanteil von - bis vor kurzem - 5 % aller zugelassenen Studierenden.
Auch die Durchlässigkeit der Fachschulausbildung gegenüber dem Dualen Sys-tem wurde lange nicht angedacht (vgl. Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 143). Vor allem aber wurde dem Dualen System über viele Jahrzehnte lang weit mehr Aufmerksamkeit zuteil als den vollzeitschulischen Ausbildungen.
Bei allen weiteren - und auch bei heutigen - Reformen der ErzieherInnenausbildung war und ist innerhalb der sozialen Berufe die „uneinheitliche Verteilung der Regelungs- und Zuständigkeitskompetenzen“ (ebd.: 137) ein Problem:
„Mit der Unterschiedlichkeit der Bezeichnungen, der Vielfalt der Bildungsgänge und der späteren Einsatzfelder sind neben einer schon fast abenteuerlichen Intransparenz eine nahezu strukturelle Beliebigkeit der Berufsbilder und der erforderlichen Qualifikationen verbunden“ (ebd.:136).
Auch die AGJ (2005: 3) kritisierte die „große Heterogenität und Differenziertheit der Ausbildungs- und Studiengänge sowie deren jeweilige Zugangsvoraussetzungen.“ Die Verbindung der Kinder- und Jugendhilfe zu den Trägern habe zwar einerseits Vorteile, „ist jedoch andererseits ein Strukturprinzip, das zu der Komplexität der Qualifizierungslandschaft beiträgt.“ Ein weiterer Komplexitätsfaktor sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten:
„Die Bereiche Jugendhilfe und Kultus fallen im föderalen System der Bundesrepublik in das Zuständigkeitsgebiet der Länder, was zu einer uneinheitlichen Verteilung der Regelungskompetenzen und zu einer kaum systematisierbaren Fülle von Sonderentwicklungen geführt hat. Auf Bundesebene fungiert die Kultusministerkonferenz (KMK) als zentrale Koordinationsstelle bei dem Bemühen, einheitliche Ausbildungsregelungen zu vereinbaren. Dabei zeigte sich jedoch in der Vergangenheit, dass die hier beschlossenen Rahmenvereinbarungen - da sie nur empfehlenden Charakter haben - lediglich eine vorübergehende Sicherstellung der gegenseitigen Anerkennung der Ausbildungsabschlüsse und eine tendenzielle Angleichung der Ausbildungsunterschiede zwischen den Ländern erreichen konnten. Weitergehende und grundlegendere Reformbemühungen liefen dagegen ins Leere und wurden von der Dynamik innerhalb der Länder rasch überholt“ (ebd.).
Neben dieser Unübersichtlichkeit von Trägern und Ausbildungsregelungen befindet sich die ErzieherInnenausbildung an Fachschulen „- strukturell gesehen - in einer misslichen ‚Zwitterlage‘, da sie prinzipiell eine vorherige Berufsausbildung voraussetzt, also dem tertiären Bildungssektor zuzurechnen ist, faktisch jedoch dort überwiegend SchülerInnen ausgebildet werden, die über keine abgeschlossene berufliche (Erst-) Ausbildung verfügen“ (ebd.).
Die länderspezifischen Zugangsregelungen haben das Ergebnis, „dass sich in der Frage der beruflichen Vorbildung inzwischen ein unüberschaubares ‚Regelungsdickicht‘ dokumentiert“ (ebd.: 4).
Die derzeitige Qualifikation des pädagogischen Personals ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich. Knapp drei Viertel des pädagogischen Personals verfügt im Bundesdurchschnitt über einen Fachschulabschluss, der im Ländervergleich zwischen 52 % und 94 % schwankt. Kinderpflegerinnen haben einen Anteil von 13,5 %, ihr Anteil schwankt zwischen den Ländern von 0,3 bis 37,5 % (BertelsmannStiftung 2008). Manche Bundesländer verschärften inzwischen die Voraussetzungen für eine Mitarbeit in einer Kindertageseinrichtung. Langfristig kann dies zu einer Verbesserung der Qualität der pädagogischen Arbeit führen, wobei gerade auch an diesem Beispiel die Notwendigkeit einer Durchlässigkeit deutlich wird. Denn was sollen die pädagogischen Fachkräfte tun, die jahre-, vielleicht sogar jahrzehntelang in einer Einrichtung mitgearbeitet haben ohne entsprechende formale Qualifikation?
2. Wege zur Akademisierung
2.1 Pädagogische Positionen und das ‚neue‘ Bild vom Kind
Pestalozzi, Fröbel, Montessori - um nur drei der bekanntesten PädagogInnen zu nennen - waren alle drei überzeugt, dass ohne die Selbsttätigkeit, ohne die Eigenaktivität des Kindes, ohne seine Motivation Pädagogik nicht gelingen kann und sie betonten, dass das Erleben mit allen Sinnen Ausgangspunkt für Entwicklungsprozesse ist. Auch für die schulische Bildung lagen diese Erkenntnisse vor (vgl. Herold: 114 ff.). Im 19. Jahrhundert also konnte man von einem neuen Bild vom Kind sprechen. Die pädagogischen Ideen wurden schon in den 1920er Jahren des vorigen Jahrhunderts durch die Entwicklungspsychologie Piagets und durch psychoanalytische Forschungen gestützt.
In den Ansätzen der psychoanalytischen Pädagogik und in Montessori-Kindergärten wurde während der Weimarer Republik versucht, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse umzusetzen. Sie wurden durch den Nationalsozialismus abgebrochen und zerstört (vgl. Aden-Grossmann 2002: 63 ff.).
Die reaktionäre Familien- und Weiblichkeitsideologie der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg, wie auch das Versagen der pädagogischen Wissenschaften nach dem Krieg, die gegen die angeblich schädliche außerfamiliale Betreuung nicht Front machten, waren auch bedingt durch den Exodus von WissenschaftlerInnen während des ‚Dritten Reiches‘ (vgl. Ebert 2006: 174 ff.). Die Aufarbeitung des großen Schweigens nach dem Zusammenbruch erfolgte erst während der Studentenbewegung der 1960er/1970er Jahre.
Im Gefolge der Studentenbewegung gab es viel versprechende Ansätze zur Gründung von Kitas mit Elternbeteiligung, Team-Mitbestimmung (vgl. Aden-Grossmann 2002: 132 ff.) und einer Pädagogik, die sich primär an den Bedürfnissen der Kinder orientierte. Unterstützt wurden viele dieser Anregungen durch Modellversuche. Die Auswirkungen sind noch heute an Kinderläden, Waldorfkindergärten und auch an dem Einfluss der antiautoritären Erziehungsideale auf Qualitätsmerkmale von Kitas zu spüren (z. B. im Kronberger Kreis).
Das angeblich ‚neue‘ Bild vom Kind in der Pädagogik ist also nicht neu, dieses Bild wurde nur neu entdeckt und durch weitere wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere der Neurophysiologie (z. B. durch Hüther 2005, Hüther/Krens 2005), der Psychologie (z. B. durch Dornes 1997) und den Konstruktivismus (vgl. Luhmann 2004) stärker abgesichert. Nun konnten auch diejenigen Kräfte in Wissenschaft und Politik, die einen eher autoritären pädagogischen Stil vertraten, diese Erkenntnisse nicht mehr negieren, wenngleich das Schulsystem sich immer noch nicht voll darauf eingestellt hat (vgl. Tillmann 2008; Köster/Balluseck 2008).
2.2 Das KJHG und der Qualitätsdiskurs
Mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1991 erlangten neue Regelungen für ganz Deutschland Gültigkeit. Erziehung und Bildung von Kindern in Tageseinrichtungen wurden zur gesetzlich festgelegten Aufgabe erklärt.
Das KJHG, das nach der Wende für das wiedervereinigte Deutschland in Kraft trat, enthält für die Tagesbetreuung von Kindern entscheidende Neuerungen, so die am Kind orientierte Pädagogik, die Betonung der Notwendigkeit, mit Eltern zusammenzuarbeiten, die Anerkennung von vorschulischer Erziehung und Bildung als sozialer Dienstleistung und die Forderung nach Qualitätskriterien. Diese Forderungen begünstigten den weiteren Ausbau von Kindertageseinrichtungen, der aber auch nun vehement eingefordert wurde, z. B. in den Empfehlungen des Arbeitsstabes Forum Bildung der Bund-Länder-Konferenz für Bildungsplanung (vgl. Forum Bildung 2001), in denen der vorschulischen Erziehung und Bildung große Bedeutung zugemessen wurde. Der nun beginnende Qualitätsdiskurs war aber auch durch die Wiedervereinigung bedingt, die in den neuen Ländern zu einer Neuorientierung führte (vgl. Tietze/Viernickel 2003: 9). Schon 1996 war ein Bericht der Europäischen Kommission für Qualitätsziele in vorschulischen Einrichtungen vorgelegt worden. In Deutschland kam es fast gleichzeitig zur Formulierung von Qualitätskriterien durch den Kronberger Kreis (1998) und das „Verfahren der Integrierten Qualitäts- und Personalentwicklung“ (IQUE, vgl. Ziesche 1999). In der Nationalen Qualitätsinitiative, die von 1999-2003 Fachleute aus den unterschiedlichen Handlungsfeldern Forschung, Praxis und Ausbildung an einen Tisch brachte, wurden Kriterien zur Erfassung der pädagogischen Qualität in Kindertageseinrichtungen für Kinder unter 3 Jahren und 3- bis 6-jährige Kinder entwickelt (vgl. Tietze/Viernickel 2003), die von den Bundesländern in unterschiedlicher Weise umgesetzt wurden. Gleichzeitig begannen die Bundesländer Bildungsprogramme für die vorschulische Erziehung und Bildung zu formulieren, die in allen Ländern Energien zur Verbesserung der Situation in den Kindertageseinrichtungen mobilisierten.
Alle Bundesländer haben Bildungspläne erstellt, ihre Bemühungen, diese in der Praxis umzusetzen, sind jedoch unterschiedlich. So ist nur in drei Bundesländern die Teilnahme an Informationsveranstaltungen für die Bildungspläne Pflicht. Wie viele ErzieherInnen daran teilgenommen haben, ist nicht bekannt. Informationsveranstaltungen über die Bildungspläne beschränken sich manchmal auf einen Tag, so dass es bei einer relativ oberflächlichen Information bleiben muss. FachberaterInnen werden nicht in allen Bundesländern fortgebildet, um der Praxis die Inhalte des Bildungsprogramms vermitteln zu können (Bertelsmann Stiftung 2008: 14/15).
2.3 Internationale Orientierung und Wettbewerbsdruck
Der PISA-Schock (http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien, 23.06.08) weckte Deutschland, das bis dahin an internationalen Vergleichsstudien nicht teilgenommen hatte, erstmals 2001 aus seinem trügerischen Dornröschen-Schlaf, in dem es sich an der Weltspitze auch der Bildungssysteme wähnte. Und die wirtschaftliche Globalisierung, d. h. die Abhängigkeit der deutschen von den internationalen Märkten tat ein Übriges, um Schrecken über die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der nachwachsenden Generationen zu verbreiten. Nicht nur die unzureichenden Leistungen deutscher SchülerInnen waren es, die aufrüttelten. Vielmehr wurde im internationalen Vergleich auch deutlich, dass die Kinder der unteren Schichten und/oder mit Migrationshintergrund in anderen Ländern weitaus mehr Schulerfolgschancen hatten als in Deutschland. Für die unzureichenden Leistungen der SchülerInnen wurden im OECD-Bericht auch Gründe genannt: Während die Ausbildungsdauer für Lehrkräfte im internationalen Vergleich in Deutschland zu den längsten gehört, weil Studium und Praxis nicht nebeneinander sondern nacheinander laufen, ist die Ausbildung für den Elementarbereich mit am kürzesten. Die Gruppengrößen im Elementarbereich sind die ungünstigsten in der OECD, und auch der Primarbereich ist diesbezüglich schlechter ausgestattet als der Durchschnitt (OECD 2004b).
ErzieherInnen, die in Deutschland ihre Fachschulausbildung absolviert hatten, wurden in den EU-Ländern, in denen weitestgehend akademische Abschlüsse für ErzieherInnen vorausgesetzt wurden, auf der AssistentInnenebene eingesetzt und nicht den akademisch ausgebildeten ErzieherInnen gleichgestellt. Dieser internationale Vergleich trug zur Unzufriedenheit auch der Bildungspolitik mit der Ausbildungssituation bei.
2.4 Neue und alte Anforderungen an die Kindertagesbetreuung
Die Anforderungen an die frühkindliche Bildung sind gestiegen. ErzieherInnen müssen heute in der Lage sein, unterschiedliche Bildungsbereiche im Rahmen einer ganzheitlichen Erziehung inhaltlich und didaktisch zu vertreten. Ferner wird der interkulturelle Dialog, jahrzehntelang durch eine fehlende Einwanderungspolitik ausgeblendet, nun eingefordert. Die Gender-Debatte erfordert Methoden und Reflexionsprozesse, um Mädchen und Jungen gleiche Chancen für ihre Entwicklung zu geben. Ähnliches gilt für die pädagogischen Anforderungen im Hinblick auf den Umgang mit Kindern mit Behinderungen. Insgesamt geht es dabei um die Fähigkeit, Unterschiede als Bereicherung zu erfahren und nicht als Hemmnis für die eigene Arbeit. Für die Fachkräfte in der Frühpädagogik bedeutet dies eine zunehmende Anforderung an die Kompetenz, mit Heterogenität umzugehen (vgl. AGJ 2005).
Die systemischen Erkenntnisse zur Interdependenz der unterschiedlichen AkteurInnen und Institutionen im Prozess von Erziehung und Bildung und die Bestrebungen zur Vernetzung beinhalten „fachkonzeptionelle und -methodische Weiterentwicklungen (bspw. Sozialraum- und Netzwerkorientierung, Regionalisierung und Lebensweltorientierung) und die Implementierung der so genannten Neuen Steuerung zu einem gestiegenen Anforderungsprofil hinsichtlich sozialanalytischer und sozialplanerischer, organisatorisch-verwaltungstechnischer, betriebswirtschaftlicher, kooperativ-moderierender und vor allem insgesamt reflexiv-professioneller Kompetenzen in weiten Teilen der Kinder- und Jugendhilfe“ (ebd.).
Diesen Anforderungen muss die ErzieherInnenausbildung heute genügen.
3. Bedingungen und Prozesse der Akademisierung
3.1 Bedeutung der Akademisierung
Die Akademisierung eines Berufs bedeutet in Deutschland, dass die VertreterInnen der Berufsgruppe sich von Berufen mit anderen Ausbildungsgängen abheben, durch
- Zugangsvoraussetzungen, v. a. das Abitur. Die kritische Frage dabei ist: Wer wird ausgeschlossen vom Beruf und was hat das für Folgen?
- Eine wissenschaftsbasierte Ausbildung an Hochschulen. Hier erhebt sich die Frage nach der Beziehung zwischen Theorie und Praxis. Wieviel praxisrelevante Kompetenzen kann und will die Hochschule vermitteln?
- Karrierechancen, die ein höheres Gehalt, in dem sich die gesellschaftliche Anerkennung ausdrückt, zur Folge haben.
- Voraussetzung für die Akademisierung eines Berufs ist die Etablierung der entsprechenden Disziplin in Forschung und Lehre an Hochschulen, insbesondere an Universitäten. Lehrkräfte müssen durch Forschungstätigkeiten ausgewiesen sein (in der Regel mindestens durch eine Promotion) und dazu auch die Möglichkeit an ihrer Institution haben. Diese Bedingungen sind an Fachschulen, schon allein durch das Lehrdeputat, nicht gegeben.
Inhaltlich und im Hinblick auf das Ausbildungsziel unterscheidet sich die Hochschulausbildung von anderen Niveaus des Bildungssystems:
„Das Absolventenbild, von dem Hochschulbildung ausgehen muss, zeichnet einen Akteur, der in komplexen und riskanten Handlungssystemen, die von gleichfalls komplexen und riskanten Umwelten umgeben sind, folgelastige Entscheidungen - also Entscheidungen, die nicht nur ihn, sondern auch andere berühren - treffen muss, der deshalb Situationsanalysen und Komplexitätsreduktionen solcher Art vornehmen können muss, wie sie auf Grund allein fachlicher Kenntnisse nicht vornehmbar sind“ (Pasternack 2008).
Neben diesen Fähigkeiten geht es um die Ausprägung eines professionellen Habitus, der eine „Verbindung zwischen internalisierter Erfahrung und Handeln“ herstellt (ebd.).
3.2 Die Frühpädagogik an Hochschulen
Seit 1976 gibt es an der FU den ersten Lehrstuhl für Kleinkindpädagogik in Deutschland (Krüger/Lütke-Entrup 2008). Und es war ein An-Institut der FU (die Internationale Akademie INA gGmbH), das von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport den Auftrag zur Erstellung des Berliner Bildungsprogramms erhielt.
Von der Vorreiterrolle der FU abgesehen gab es in Deutschland bis Ende 2004 nur fünf Lehrstühle für Frühpädagogik an Universitäten (ebd.: 318). Noch geringer war das Interesse der Universitäten an einer Akademisierung der ErzieherInnenausbildung. Der Anstoß dazu ging nicht von ihnen aus, im Gegenteil. Mitte der 1980er Jahre war für die GEW deutlich, dass die ErzieherInnenausbildung durch die Einrichtung von spezifischen Studiengängen reformiert werden müsse (vgl. GEW 2005). 1993 forderte dann der Gewerkschaftstag die Akademisierung der ErzieherInnenausbildung. Bei dem Versuch jedoch, die Kultusbürokratie mit wissenschaftlicher Unterstützung von einer Höherqualifizierung der ErzieherInnen zu überzeugen, stieß die GEW bei den Universitäten auf taube Ohren (ebd.: 9, Anm. 2). Die Kultusminister hatten daher von wissenschaftlicher Seite auch keinen Druck, ihre Meinung zu ändern.
Die KMK hatte zwar im Jahr 2002 Rahmenvereinbarungen für die Ausbildungsstrukturen an Fachschulen (KMK 2002) und an Hochschulen getroffen. Sie stellte aber keinen Bezug zwischen beiden Systemen her. Von daher waren die Ausbildungssysteme nicht kompatibel. Für die Fachschulen wurde die Einrichtung von Lernfeldern ab 1996 gefordert und mit den Beschlüssen der KMK von 2000 bestätigt. Hingegen wurde für die Hochschulen die Modularisierung sämtlicher Kompetenzen und Lerninhalte gefordert. Die Perspektive einer akademischen Erzieherinnenausbildung hatten die Kultusminister in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung im gleichen Jahr abgeschmettert. Schon im Jahr 2000 reichte die Alice Salomon Hochschule ihr erstes Konzept eines Modellstudienganges bei der BLK ein. Der Antrag wurde dreimal trotz Überarbeitung abgelehnt - mit immer neuen Begründungen. Es war deutlich, dass die Bund-Länder-Kommission dieses Projekt nicht wollte. Über die Gründe muss man nicht lange spekulieren: Einerseits hatten Länder und Kommunen Sorge vor den finanziellen Konsequenzen einer Aufwertung des Berufs. Zweitens - und dies wurde als ‚Flurgespräch‘ kolportiert - waren diverse MinisterInnen der Meinung, dass ein „mütterliches Herz“ und eine Fachschulausbildung völlig ausreichend seien für den Beruf. Dieser Einstellung entsprechen die immer wieder vorgebrachten Argumente gegen eine Akademisierung: Der Bildungsweg für Hauptschülerinnen werde versperrt und die Mütterlichkeit erleide Einbußen.
„In diesen Argumenten werden Wissen und Bildung auf der einen Seite sowie ‚Mütterlichkeit‘ auf der anderen als sich gegenseitig ausschließend gedeutet. Von Mütterlichkeit wird zudem eine Art Garantie gegen Ansprüche von Frauen auf berufliche Entwicklung und Karriere erwartet, vielleicht erhofft“ (Rabe-Kleberg 2006: 96).
Gegen eine Akademisierung sprach sich auch die damalige Kultusministerin von Baden-Württemberg, Annette Schavan, aus, heute Bundesministerin für Bildung und Forschung.
Die Unterstützung der von den Fachhochschulen ausgehenden Akademisierung (vgl. Krüger/Lütke-Entrup 2008) durch die Universitäten blieb weiterhin schwach. Erst 2005 entschloss sich die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, ein Symposium zur Frage ‚Akademisierung der Erzieherinnenausbildung?‘ zu veranstalten und im gleichen Jahr eine (positive) Stellungnahme zur Akademisierung zu formulieren (DGfE 2005).
Die ErzieherInnenausbildung, die sich nun an den Hochschulen etablierte, konzentrierte sich im Gegensatz zur Breitbandausbildung an Fachschulen auf die Frühpädagogik. Es lag also keine wirkliche Konkurrenzsituation vor. Dennoch nahmen die Fachschulträger die beginnende Akademisierung zum Anlass, mit einem Positionspapier (Bundesarbeitsgemeinschaft katholischer Ausbildungsstätten u.a. 2004), die Vorteile der Fachschulausbildung zu betonen. Gleichzeitig forderten sie die Durchlässigkeit der Fachschul- zur Fachhochschulausbildung.
Die Aufwertung der Ausbildung der Erzieherin durch die Verlagerung an die Hochschule und die stärkere Professionalisierung der entsprechenden Tätigkeiten tragen dem Erfordernis nach einer Höherbewertung typischer Frauenberufe Rechnung. Durch die Akademisierung steigen die Aufstiegschancen von Erzieherinnen. Die zunehmende Flexibilität ermöglicht lebenslange Lernprozesse, ohne die die Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr konkurrieren können. Durch die Aufwertung des Berufs sollen auch Aufstiegsmöglichkeiten geschaffen werden. Damit sollen ErzieherInnen motiviert werden, länger im Beruf zu verbleiben als bisher. Überdies soll die Präsenz von Männern dadurch gefördert werden.
Ebenso wie im Hochschulbereich waren die Reaktionen der Träger auf die Bemühungen um eine Akademisierung uneinheitlich. So unterstützte die Evangelische Kirche als größter Träger in Bremen das Weiterbildungsprogramm der Universität und dann auch den Studiengang für LehrerInnen und ErzieherInnen. In Berlin hingegen argumentierte die Vertreterin der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, Birgit Hoppe, anlässlich einer Anhörung im Abgeordnetenhaus (2002) gegen eine Heraufsetzung der Zugangsvoraussetzungen in der Fachschulausbildung und gegen eine formale Anhebung des Ausbildungsniveaus.
Die Mehrheit der Träger - dies kann hier nur für Berlin festgestellt werden, da überregionale Untersuchungen fehlen - reagierte jedoch positiv. Die AWO, der Paritätische und einzelne Mitglieder des Paritätischen (INA, FiPP, Klax) waren begeistert von der Idee einer Akademisierung der ErzieherInnenausbildung. Viele TrägervertreterInnen betonten mit Nachdruck, wie sehr sie auf qualifizierte ErzieherInnen angewiesen seien, um ihre eigenen Qualitätsansprüche, vor allem aber auch die des Berliner Bildungsprogramms realisieren zu können. Die hervorragenden Berufschancen, die AbsolventInnen von Studiengängen für ErzieherInnen haben, zeigen, dass diese Äußerungen den realen Erwartungen der Arbeitgeber entsprachen.
3.3 Kompetenzen von Erzieherinnen
Für die ErzieherInnen sind im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte immer wieder Kompetenzen formuliert worden. Angefangen von der Mütterlichkeit als Qualifikationsmerkmal über methodische Qualifikationen und kognitives Wissen bis hin zur ‚Haltung‘ oder zum ‚Habitus‘, der als grundlegender Unterschied zu Berufen anzusehen ist, die nicht pädagogisch arbeiten (vgl. dazu Balluseck 2008). Wie komplex die Kompetenzen von ErzieherInnen gesehen werden, zeigt sich in der Rahmenvereinbarung der KMK von 2002, die auf dem Beschluss der Jugendministerkonferenz von 1998 beruht. Dort werden die frühpädagogischen Kompetenzen in ihrer Komplexität dargestellt. Unklar erscheint jedoch, wie diese umfassenden Kompetenzen in einer Ausbildung erlangt werden können, die mit dem Mittleren Schulabschluss beginnt und teilweise 19-jährige Jugendliche in die Berufspraxis entlässt. Denn die Hochschulreife als Zulassungsvoraussetzung wurde von der KMK nicht festgelegt.
Das Jahr 2005 zeichnet sich durch eine Flut von Forderungen an die Kompetenzen von ErzieherInnen aus unterschiedlichen Perspektiven aus. Hervorstechend ist dabei das Votum der Jugendministerkonferenz, die „für die sozialpädagogischen Fachkräfte einen erweiterten Bedarf an fach- und arbeitsfeldübergreifenden Kompetenzen“ feststellt und zwar für die „sozialpädagogischen Ausbildungen auf allen Ebenen der Ausbildungspyramide“. Hier wurde endlich auf ministerialer Ebene die Fachschul- mit der Hochschulausbildung in einem Kontext gesehen (JMK 2005).
Mit den Kompetenzen mussten sich dann die Hochschulen im Zuge der Entwicklung von Studiengängen auseinandersetzen. Das Bildungssystem hat lange sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, welche Inhalte SchülerInnen und Studierenden zu vermitteln seien. Heute gibt es eine Verlagerung hin zu der Frage, welche Kompetenzen im entsprechenden Berufsfeld handlungsfähig machen. Diese Perspektive hat sich mit dem Bologna-Prozess verbunden, der eine Modularisierung sämtlicher Lehrinhalte vorsieht. Um Mobilität im europäischen Hochschulraum zu ermöglichen, sollen alle Lehrinhalte von Studiengängen im Hinblick auf die zu erwerbenden Kompetenzen dargestellt werden (vgl. dazu die Beiträge von Kruse und Schnadt in diesem Band). Für alle sich neu bildenden Studiengänge war dies eine Chance, von vorneherein die erforderlichen Kompetenzen der Studierenden zu reflektieren.
Die Studiengangsentwicklungen der Frühpädagogik wurden gestützt durch ein Projekt der Robert Bosch Stiftung: Profis in Kitas (Robert Bosch Stiftung 2008). Fünf Hochschulen haben dabei im Laufe von zwei Jahren (2005-2007) einen Orientierungsrahmen für frühpädagogische Studiengänge entwickelt, darunter auch einen Qualifikationsrahmen, in dem die für die Frühpädagogik erforderlichen Kompetenzen benannt werden.
Für die einzelnen Tätigkeiten von ErzieherInnen (Wissen & Verstehen, Analyse & Einschätzung, Forschung & Recherche, Planung & Konzeption, Organisation & Durchführung, Evaluation) wurden Kompetenzen im Hinblick auf die einzelnen Handlungsfelder formuliert. Als übergreifende Kompetenz erscheint die professionelle Haltung, die sowohl für die Prozesse wie für die Handlungsfelder relevant ist.
Alle Qualifizierungsinstanzen erhalten mit diesem Qualifikationsrahmen einen Leitfaden, an dem sie ihre Ausbildung orientieren können.
3.4 Der Lernort Praxis
Von Beginn der Ausbildungsbemühungen an bestand eine Spannung zwischen den Lernorten Seminar/Schule zur Praxis. Die Ausrichtung der Universität an theoretischen Inhalten, der fehlende Bezug zum praktischen Handeln, das letztlich dafür entscheidend ist, ob Gelerntes auch sinnvoll angewendet werden kann, führten häufig zur Distanz von Frauen gegenüber den Hochschulen, und die deutschen Hochschulen sahen lange keine Veranlassung, sich in die Niederungen der praktischen Arbeit zu begeben. Auch die Fachschulen waren durch das schulische „Korsett“ (Ebert) nicht geeignet, Theorie und Praxis optimal zu vermitteln. Die Reform der Fachschulausbildung und die Ausrichtung der Bachelor-Studiengänge an einer berufsqualifizierenden Ausbildung haben dazu geführt, dass der Lernort Praxis stärker in der Ausbildung berücksichtigt und neue Kooperationsformen gefunden wurden. In diesem Punkt ist auch die Durchlässigkeit zwischen Fachschulen und Hochschulen auf einem guten Weg. Ein Beispiel ist die Vereinbarung zur Qualität der Praktika, die von Berliner Fachschulen und der Alice Salomon Hochschule gemeinsam unterzeichnet wurde (vgl. Materialteil in diesem Band).
Gestärkt wurde die Bedeutung des Lernorts Praxis auch im Orientierungsrahmen der Robert Bosch Stiftung (ebd.). Den Ausbildungsinstanzen, den Trägern wie auch den Kindertageseinrichtungen selbst wird hier Verantwortung übertragen, für die Ausbildung am Lernort Praxis Kapazitäten bereitzustellen. Gleichzeitig wird der Lernort Praxis aufgewertet und dem Lernort Hochschule an die Seite gestellt.
4. Herausforderungen
4.1 Fachlichkeit als Qualifikation anstelle von Geschlecht
Die Akademisierung ist auch eine Chance, von der Festschreibung der Weiblichkeit als Qualifikationsmerkmal für ErzieherInnen wegzukommen.
In vielen Statements - auch in diesem Band (vgl. Herpich-Behrens) - wird gefordert, dass Männer den Beruf des Erziehers ergreifen. Ausgangspunkt für diese Umkehrung des Schlusses, nur das weibliche Geschlecht sei für die Erziehung junger Kinder geeignet, ist die Beobachtung, dass Jungen im Bildungssystem benach-teiligt scheinen, ganz entgegengesetzt zu den vorigen Jahrhunderten. In der Tat haben Jungen heute offenbar mehr Probleme, ihre Geschlechtsrolle zu finden. Die alten Schemata greifen nicht mehr, die qua Geschlecht gegebenen Privilegierungen werden im EU-Kulturraum zunehmend aufgeweicht und abgeschafft. Die Verunsicherung über diesen Machtverlust des männlichen Geschlechts trifft Frauen und Männer gleichermaßen, beide Geschlechter müssen sich neu orientieren. Die Frage ist, ob eine Orientierung entlang der Zweigeschlechtlichkeit hilfreich ist. Denn während vor ca. einhundert Jahren die Mütterlichkeit die Rettung für alle Kinder - ohne Ansehen ihres Geschlechts - war, weil diesen die Geschlechtlichkeit abgesprochen wurde, sollen heute männliche Erzieher die Kita-Welt und vor allem die Jungen retten, eben dadurch, dass sie männliche Rollenvorbilder bieten.
Gemeinsam ist der alten und der modernen Argumentationsschiene das Festhalten am binären Geschlechtercode und die Vernachlässigung der konstruktivistischen Perspektive. Männlichkeit und Weiblichkeit sind Konstruktionen, keine unabweisbare Realität. Professionalität kann sich jenseits dieses binären Codes etablieren. Dies ist dann möglich, wenn ständige Reflexionsprozesse die eigene Rolle als ErzieherIn begleiten und auch die Geschlechtsrolle mit einbeziehen (vgl. Rabe-Kleberg 2006: 106). Dann entwickeln sich die Rollenbilder möglicherweise anders. Wenn Männer mütterlich und fürsorglich und Frauen durchsetzungsfähig und analytisch sein können, dann haben beide Geschlechter alle Möglichkeiten des Menschseins zur Verfügung. Diese Erkenntnis der Geschlechterforschung ist in den Diskursen der Frühpädagogik noch nicht angekommen. Die Forderung nach einer Akademisierung der Erzieherinnenausbildung mit Blick auf Männer, die dann ebenfalls Erzieher werden wollen, ist von daher an traditionellen Mustern orientiert. Darüber hinaus ist die Forderung nach einer Aufwertung des Berufs im Hinblick auf die damit zu gewinnenden Männer ein Affront für alle Frauen, die als Erzieherinnen arbeiten. Wenn der Beruf eine hohe Qualifikation erfordert, die nicht an der Geschlechtlichkeit, sondern an Fachlichkeit orientiert ist, dann müssen in jedem Fall - auch wenn ausschließlich Frauen dort tätig sind - bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen erkämpft werden.
4.2 Der ganzheitliche Blick auf das Kind
Wenn über Erziehung und Bildung für Kinder unter Wettbewerbsgesichtspunkten (mehr und bessere Bildung) und/oder unter pädagogischen Gesichtspunkten nachgedacht wird, dann wird häufig vernachlässigt, dass Kinder in erster Linie Schutz brauchen: Sie sind verwundbar, körperlich, seelisch und geistig. Alle Faktoren, die die Befriedigung der tiefsten kindlichen Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Anregungen gefährden, sind daher auch Risikofaktoren für die künftigen Entwicklungen. Die Resilienzforschung zeigt, dass Kinder widerstandsfähig sein können (vgl. Wustmann 2004) - aber auch dazu bedarf es spezifischer Schutzfaktoren, die nicht immer gegeben sind.
Das ‚neue‘ Bild vom Kind suggeriert eine Kindheit, in der es der Lebenswelt primär um die persönliche Entwicklung von Kindern geht. Diese Lebenswelt gibt es jedoch für viele Kinder nur begrenzt oder gar nicht. Und die ihnen zugeschriebene Autonomie kann sich bei entsprechenden Gefährdungen nicht entfalten. Zwei dieser Gefährdungen seien hier zumindest erwähnt: Armut und Gewalt.
Armut von Kindern behindert Entwicklungsmöglichkeiten (vgl. u. a. Balluseck 1996, Lebenslagen 2008: 82). Die Armutsrisikoquote von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren liegt bei 17,3 % (vgl. BMFSFJ 2008: 12), in Haushalten mit allein erziehendem Haushaltungsvorstand jedoch bei 38,2 (1 Kind) bzw. 41,3 % (2 und mehr Kinder). In Familien mit einem als ausländisch bezeichneten Haushaltungsvorstand beträgt die Armutsrisikoquote 30,1 % (vgl. ebd.: 18) (mit deutschem Haushaltungsvorstand 15,5 %). Kinder in armen Familien haben geringere Schulerfolge und mehr gesundheitliche Probleme. Sie partizipieren in geringerem Maße als andere Kinder am sozialen und kulturellen Leben. Die Frühpädagogik kann die Soziale Ungleichheit nicht beseitigen. Sie kann aber mit Sensibilität und pädagogischen Kompetenzen auf die unterschiedlichen Lebenssituationen von Kindern reagieren und sie bzw. ihre Eltern unterstützen.
Die zweite Gefährdung, die hier angerissen werden soll, betrifft die häusliche Gewalt. Bei einer Befragung von 15- bis 16-jährigen Jugendlichen der 9./10. Klasse im Jahr 1998 gaben 17 % an, zu Hause körperlich schwer gezüchtigt worden zu sein, darüber hinaus 10 %, dass sie Misshandlungen ausgesetzt waren (vgl. BMFSFJ 2005a). Die Folgen von Gewalt, insbesondere in der frühen Kindheit, sind dramatisch. Kinder, die Gewalt erleben, erleiden tief greifende Schädigungen (vgl. Dornes 1997). Erziehung und Bildung in der Kindertageseinrichtung erfordert für solche Kinder als allererstes einen geschärften Blick und ein Interventionsrepertoire, das Bildungsprozesse auch unter solchen erschwerten Bedingungen ermöglicht. Erforderlich sind aber auch Kompetenzen, die ansonsten in Studiengängen der Sozialen Arbeit vermittelt werden (vgl. Kruse 2008), damit entsprechende Elterngespräche geführt und Kontakte zu anderen Diensten aufgenommen werden. Schließlich muss - bei Gefährdung des Kindeswohls - staatliche Kontrolle zu Hilfe gerufen werden. Dabei ist die schlechter werdende Ausstattung der Sozialpädagogischen Dienste in den Jugendämtern eine zusätzliche Gefährdungsquelle. Denn pädagogisch gut ausgebildete ErzieherInnen können den Personalmangel im Kinderschutz nicht kompensieren.
4.3 Arbeitsbedingungen von ErzieherInnen
ErzieherInnen haben heute neben der pädagogischen Arbeit mit den Kindern eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehören Beobachtung und Dokumentation, Gespräche mit den Eltern, Teamsitzungen, Vorbereitung und Auswertung von Projekten, Netzwerkarbeit usw. Diese Tätigkeiten machen schätzungsweise 25% der Arbeitszeit von ErzieherInnen aus (BertelsmannStiftung 2008). Für unter Dreijährige empfiehlt die BertelsmannStiftung einen Personalschlüssel von 1:3, was - bei einem 25%igen Anteil von Tätigkeiten ohne Kinder - einem Erzieherin-Kind-Schlüssel von 1:4 entspricht. Die entsprechenden Relationen für Kinder von 3 Jahren bis zum Schuleintritt betragen 1:7,5 (Personalschlüssel) bzw. 1:10 (Erzieherin-Kind-Schlüssel) (vgl. ebd.).
Die Personalschlüssel in den Bundesländern entsprechen diesen Erfordernissen nicht, dies ergaben auch andere Vergleiche zwischen den Personalschlüsseln in den verschiedenen Bundesländern (Schwarz 2007, Riedel 2008b).
Dieses Manko schlägt sich bei den ErzieherInnen als Belastung nieder. Entsprechend einer Studie der GEW erleben ErzieherInnen zu zwei Dritteln die fehlende Vorbereitungszeit und den Personalmangel als Belastungsfaktoren ihres Berufs. Deutschland gibt weniger für Bildung aus als andere EU-Nationen, weitaus
weniger als für andere Staatsausgaben und weniger für die Frühpädagogik als für Gymnasien und Hochschulen (OECD 2003). Schließlich ist die institutionelle Frühpädagogik auch für die Eltern kostenpflichtig. Wie die Finanzierung in den einzelnen Bundesländern geregelt ist, ist auch heute noch höchst unterschiedlich. Zunächst investieren die Bundesländer unterschiedlich hohe Beträge pro Kind, das eine Einrichtung besucht. Des Weiteren sind in den einzelnen Ländern die Akteure unterschiedlich an den entstehenden Kosten beteiligt. Die Eltern sind mit 11 bis 26 % beteiligt, die Ländern mit 7 bis 38 %, die Kommunen mit 45 bis 67 % und die Träger mit 0 bis 13 %. Die Auswirkungen der Finanzierungsmodi auf die Qualität der Arbeit in Kindertageseinrichtungen ist nicht untersucht (Bertelsmann Stiftung 2008: 12/13).
Alle diese Faktoren weisen auf eine nicht sachgerechte Gewichtung der Bildungspolitik im Hinblick auf die Frühpädagogik.
Ein weiteres Hemmnis für eine exzellente Pädagogik ist das gesellschaftliche Ansehen des Berufs. ErzieherInnen verdienen im Durchschnitt weniger als in anderen Frauenberufen verdient wird (GEW 2007).
Als Herausforderung stellt sich demnach die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Anhebung auch der Gehälter von Erzieherinnen dar.
4.4 Das System der Kinder- und Jugendhilfe und die Schule
Eine der Forderungen angesichts der Einführung der Frühpädagogik in die öffentliche Bildungsdiskussion ist der fließende Übergang von der Kindertageseinrichtung zur Schule. Dass sich ein solches Problem überhaupt stellt, ist der Tatsache der Zuordnung der Kitas und der Schulen zu unterschiedlichen Systemen, mit sehr unterschiedlichen Dynamiken geschuldet. Dies ist keineswegs selbstverständlich. In Kanada gehört zu jeder Schule ein Kindergarten, dessen Besuch kostenlos ist (vgl. Tillmann 2008: 170).
In Deutschland sollen die beiden Institutionen Kindertageseinrichtung und Schule unterschiedlichen Bildungsidealen gerecht werden. Die Kita soll entsprechend den Bildungsprogrammen der Länder eine Stätte ganzheitlicher Bildung und Erziehung sein, ohne den Zwang zu formaler Bildung, ohne didaktische Zwänge für die PädagogInnen und ohne Leistungzwänge für die Kinder. Die Schule hingegen ist Länderregelungen unterworfen, die Lehrkräfte und Kinder in ein schulisches Korsett (vgl. Ebert) zwängen, das den Selbstbildungsprozessen zu wenig Raum lässt (vgl. Köster/Balluseck 2008).
Die relative Freiheit der Kinder- und Jugendhilfe im Vergleich zur Schule und die Erkenntnis, dass letztlich nur Selbstbildungsprozesse Lernen fördern, sollte eigentlich dazu dienen, die Schule zu verändern. Die Schule ist aber nach wie vor ein erratischer Block, aus dem viele Eltern und Kinder fliehen, wenn sie es sich denn erlauben können. Das deutsche Schulsystem produziert Misserfolge, und zwar in hohem Maße. Nur 60,9 % aller 15-jährigen SchülerInnen erleben eine ‚glatte‘ Schulkarriere. 10,6 % der SchülerInnen werden von der Schule erstmal zurückgestellt, 3,5 % werden zu SonderschülerInnen erklärt, 24,1 % müssen (mindestens) eine Klasse wiederholen und 9,8 % werden von einer höheren Schule auf das darunter liegende Niveau verwiesen (z. B. vom Gymnasium in die Realschule) (vgl. Tillmann 2008: 164). Die Grundschule ist an diesem Selektionsprozess beteiligt, indem von dort die Empfehlungen für die weiterführende Schule ausgesprochen werden. Nach wie vor werden nur 12 % aller Arbeiterkinder, jedoch 70 % aller Beamtenkinder ans Gymnasium verwiesen (vgl. ebd.: 161).
Heute verfügen die Länder zumeist über Regelungen, die die Zusammenarbeit zwischen Grundschule und Kindergarten verbessern sollen (BertelsmannStiftung 2008). Es ist zu wünschen, dass dabei ganzheitliche Gesichtspunkte und Selbst-Bildung in der Schule stärker in den Vordergrund rücken. Auf keinen Fall darf die Schule zum Maßstab für die kindliche Bildung im Vorschulalter werden.
4.5 Arbeitszeiten und Berufsdauer
Die Phase der Erwerbstätigkeit hat sich mit steigender Lebenserwartung und der geplanten Verlängerung der Lebensarbeitszeit verlängert. So erfordert das Berufsleben in allen Sparten Weiterbildungen und - falls es zu Entlassungen kommt - Umschulungen bis hin zum Erlernen eines weiteren Berufs.
Für ErzieherInnen ist ein steigender Bedarf errechnet worden, zum einen, weil in den nächsten Jahren viele ErzieherInnen das Rentenalter erreichen, zum anderen aufgrund des geplanten Ausbaus der Krippenbetreuung (BMFSFJ 2005b). Der andere Grund ist aber eine Vernachlässigung der Flexibilität der ErzieherInnen selbst. Von daher ist anzunehmen, dass die Chancen für eine langjährige Berufsausübung gut sind. Die bislang unerforschte Frage ist, ob ErzieherInnen auch in diesem Beruf verbleiben wollen.
Die Daten der Kinder- und Jugendhilfestatistik von 2006 ergaben, dass 40 % des pädagogischen Personals voll in der Kita erwerbstätig sind (38,5 Stunden), also sind 60 % teilzeitbeschäftigt.
Tabelle 3: Beschäftigungsumfang des pädagogischen Personals in Kindertageseinrichtungen
Arbeitsstunden pro Woche | Anteil des pädagogischen Personals |
38,5 | Ca. 40 % |
32 bis unter 38,5 | Ca. 16 % |
21 bis unter 32 | Ca. 30 % |
Unter 21 | Ca. 14 % |
Quelle: Kinder- und Jugendhilfestatistik, zit. n. Bertelsmann Stiftung 2008: 16/17
Bei den Vollzeitbeschäftigten fragt sich, ob sie diese Tätigkeit in den nächsten 10, 20, 30 Jahren weiter ausüben wollen. Zwar ist die Dauer des Verbleibs von ErzieherInnen im Beruf gestiegen, aber es ist ungewiss, ob das so bleibt. Bei den Teilzeitkräften erhebt sich die Frage, wie viele von ihnen überhaupt eine Vollzeitbeschäftigung anstreben und wie viele diese Tätigkeit als vorübergehend ansehen und andere Berufsziele haben.
Die Frühpädagogik in Deutschland scheint ein expandierender Sektor zu sein. Dennoch kann man nicht davon ausgehen, dass eine ErzieherIn in ihrem Leben nur diesen einen Beruf erlernt und ausübt. Und es ist zu überlegen, welche Möglichkeiten ihr zur Verfügung stehen, um ihr Wissen ggf. in einem anderen Beruf zu nutzen.
5. Fazit
Die späte Akademisierung des Berufs der ErzieherIn hat ihren Grund in mehreren Faktoren, von denen die wichtigsten in diesem Beitrag dargestellt wurden. Dazu gehören die frühere Zuordnung der vorschulischen Erziehung und Bildung zum Fürsorgesystem, die jahrzehntelange Qualifikationszuschreibung aufgrund von Geschlecht und nicht von Fachlichkeit sowie die zersplitterte Ausbildungslandschaft in ihren verschiedenen Facetten.
Die heutige Akademisierung konnte greifen aufgrund von internationalen Vergleichsmaßstäben, Gender-Überlegungen, einem sich durchsetzenden Bild vom Kind als sich selbst bildenden Subjekt und neuen Anforderungen an die Frühpädagogik. Als Herausforderungen für die Frühpädagogik wurden benannt:
- Die Reflexion über die dualistische Auffassung der Geschlechter,
- die Berücksichtigung derjenigen Lebenswelten, in denen Bildungsprozesse aufgrund der Priorität anderer, wichtigerer Ziele gefährdet sind,
- die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von ErzieherInnen,
- das Neben- und Miteinander von Kindertageseinrichtungen und Schule,
- die Erforschung der Bedingungen für den Verbleib im Beruf.
Zu diesen genannten Herausforderungen gesellt sich die der Durchlässigkeit, die in den Beiträgen dieses Bandes ausführlich behandelt wird.
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