Lernen durch Bewegung: Der Zahlenweg in der frühen mathematischen Bildung
„Bewegung ist die erste Art des Denkens“
Dieser Artikel beruht auf zwei zentralen, gesicherten Annahmen.
Die erste Annahme besagt, dass ein mentaler Zahlenstrahl – also eine visuell-räumliche Vorstellung von Zahlen – bereits im Vorschulalter stabil aufgebaut werden kann. Für diesen Aufbau sind kinästhetische Erfahrungen, besonders in der Kindergarten- und Grundschulzeit, nicht nur hilfreich, sondern auch effektiv und effizient. Kinder erschließen sich ihre Umwelt maßgeblich über Bewegungserfahrungen. Diese Erkenntnis steht im Zentrum moderner Bildungsforschung und wird im Konzept der embodied cognition (verkörpertes Denken) aufgegriffen: Geistige Prozesse sind eng mit körperlicher Erfahrung verknüpft. Gerade in der frühen Kindheit, wenn Begriffe noch entstehen und Bedeutungen aufgebaut werden, ist das Lernen durch Bewegung besonders wirkungsvoll. Diese Erkenntnis sollte die Arbeit mit mathematischen Inhalten in der frühen Bildung prägen, da ein tragfähiger Zahlenbegriff essentiell für das mathematische Lernen ist.
Wird das Lernen im frühen Alter jedoch ausschließlich sprachlich oder kognitiv vermittelt, besteht die Gefahr, dass es sich zu weit von der Lebenswelt der Kinder entfernt. Wenn Lernprozesse hingegen mit passenden Bewegungsabläufen verknüpft werden, können diese eine unterstützende Funktion übernehmen. Sie helfen dabei, innere mathematische Vorstellungen zu festigen. Wie eng räumliche Orientierung und Mathematik miteinander verbunden sind, zeigt nicht zuletzt der Begriff „Zahlenraum“.
Die zweite Annahme ist pädagogischer Natur. Der Autor geht davon aus, dass gezielte Instruktion nicht im Widerspruch zu einem modernen Bild des Kindes als aktiven und kompetenten Lerner steht – im Gegenteil. Ein übertrieben freies Lernverständnis kann problematisch sein. In der angelsächsischen Fachliteratur wird in diesem Zusammenhang mitunter vom „Early Childhood Error“ gesprochen – also von dem pädagogischen Irrtum, aus der Wertschätzung kindlicher Selbsttätigkeit den Schluss zu ziehen, auf strukturierte Anleitung, gezielte Übung und fachlich fundierte Begleitung verzichten zu können. Pointiert formuliert: Ein Kind, das stets selbst entscheiden soll, „ob es heute schon wieder spielen muss, was es möchte“, wird kaum ein Musikinstrument erlernen. Lernen erfordert gezielte Anreize und qualifizierte Begleitung.
Genauso wenig, wie ein Musikpädagoge erwarten würde, dass ein Kind allein durch das Hören eines Musikstücks und das Bereitstellen eines Instruments das Instrument spielen lernt, kann ein Kind ohne didaktisch durchdachte Anleitung sinnvoll Schreiben oder Rechnen lernen. Fachkräfte sollten ihr Wissen über diese Bildungsbereiche gezielt einsetzen, um einen spielerischen, ko-konstruktiven Wissensaufbau zu ermöglichen. Auch wenn es altmodisch klingen mag: „Übung macht den Meister“ – besonders dann, wenn Kinder wenig Vorwissen in einem bestimmten Bereich haben.
Mathematisches Zahlverständnis und die Bedeutung interaktiver Gespräche
Ein grundlegendes mathematisches Zahlverständnis ist nur in Ansätzen angeboren. Daher ist es entscheidend, dass Kinder sich intensiv mit Zahlen auseinandersetzen – und zwar in Form ernsthafter Interaktionen mit Fachkräften. Es reicht nicht aus, lediglich ein Spielangebot zu initiieren oder Aktivitäten mechanisch vor- und nachzumachen. Vielmehr sollten vertiefende Gespräche über die mathematischen Inhalte geführt werden.
Wie genau diese Gespräche gestaltet werden können, ist nicht der zentrale Fokus dieses Artikels. Dennoch zeigen Erfahrungen aus der Praxis, dass spielerische Übungen oft zu vielfältigen sprachlichen Interaktionen führen. Offene und gezielte Fragestellungen können dabei helfen, die Kinder zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen. Beispiele für solche Fragen sind:
- Offene Fragen:
- „Wie bist du auf diese Lösung gekommen?“
- „Was vermuten die anderen?“
- Gezielte Fragen:
- „Von der Drei bis zur Sieben – ist das weit? Wie viele Schritte sind das genau?“
- „Ist der Abstand von Dreizehn zu Siebzehn genauso groß?“
Auch Kinderfragen führen häufig zu spannenden Diskussionen, etwa:
- „Was passiert mit den Zahlen, wenn ich einfach immer weiterlaufe?“
- „Wenn ich rückwärtslaufe, werden die Zahlen kleiner. Hört das bei der Null auf?“
Da solche Interaktionen stark von der jeweiligen Situation abhängen, wird am Ende des Artikels beispielhaft ein Spiel mit einer protokollierten Gesprächssequenz vorgestellt.
Im Mittelpunkt stehen also spielerische Aktivitäten und Impulse, die zeigen, wie sich mit einem Zahlenweg auf einfachste Weise zahlenbezogene Inhalte erarbeiten lassen. Diese Inhalte werden üblicherweise erst im ersten Grundschuljahr behandelt, können aber durch Bewegung und Interaktion nachhaltig bereits im Vorschulalter verankert werden.
Der Zahlenweg: Zahlen Schritt für Schritt erkunden
Ein Zahlenweg bietet eine besonders anschauliche Möglichkeit, die Welt der Zahlen zu entdecken – insbesondere ihre Reihenfolge (ordinaler Aspekt) in Verbindung mit Bewegung. Er kann von null bis zehn oder von null bis zwanzig reichen. Zur besseren Orientierung werden bestimmte Zahlen, wie Null, Fünf, Zehn, Fünfzehn und Zwanzig, farblich hervorgehoben.
„Auf dem Zahlenweg – strukturiertes Lernen mit Freude an der Bewegung“
Zahlen haben zwei wichtige Bedeutungen:
- Der kardinale Zahlaspekt beschreibt eine Anzahl, also die Menge von Dingen. Die typische Frage dazu lautet: „Wie viele (z.B. Bananen) sind das?“
- Der ordinale Zahlaspekt beschreibt die Position in einer Reihenfolge. Die dazugehörige Frage lautet: „Der, die oder das wievielte ist es?“
Darüber hinaus gibt es weitere Bedeutungen von Zahlen, doch diese beiden sind die zentralen im frühen mathematischen Lernen.
Der Zahlenweg hilft vor allem dabei, den ordinalen Zahlaspekt zu verstehen. Dennoch können beide Aspekte miteinander verknüpft werden, wie weiter unten gezeigt wird.
Erstes Kennenlernen
Im Gegensatz zum klassischen Zahlenstrahl, der von links nach rechts verläuft, ist der Zahlenweg als eine nach vorne gerichtete Zahlenreihe im Raum angeordnet. Diese Anordnung ermöglicht es den Kindern, Zahlen nicht nur abstrakt zu betrachten, sondern sie durch tatsächliche Bewegung schrittweise zu erleben.
Das Prinzip ist intuitiv verständlich: Jeder Schritt nach vorne führt zur nächsthöheren Zahl, jeder Schritt zurück zur nächstkleineren. Dadurch wird unmittelbar erfahrbar, dass Zahlen beim Vorwärtsgehen größer und beim Rückwärtsgehen kleiner werden.
Die erste Aktivität auf dem Zahlenweg besteht darin, die Zahlenfelder bewusst zu begehen – entweder laut zählend, leise sprechend oder innerlich nachverfolgend. Im Mittelpunkt steht dabei der Ordnungsaspekt der Zahlen.
„Jeder Schritt zählt – Zahlen mit dem ganzen Körper begreifen“
Kognitive Leistungen werden dabei durch körperliche Bewegung unterstützt. Eine besondere Herausforderung für viele Kinder besteht darin, das Aufsagen der Zahlwortreihe mit der eigenen Schrittfolge zu synchronisieren. Häufig zählen sie anfangs viel zu schnell und laufen dabei unkoordiniert über die Zahlenfelder. Durch wiederholtes Üben und aufmerksames Wahrnehmen der eigenen Bewegungen gelingt es den meisten jedoch bald, den Rhythmus von Schritt und Zahl zu finden und dabei exakt bei jedem Schritt die nächste Zahl auszusprechen.
Gehen mit Unterbrechungen
Die Kinder bewegen sich schrittweise auf dem Zahlenweg vorwärts, zählen dabei leise und stoppen, sobald ein Signalton (z. B. eine Glocke oder ein Klatschen) ertönt. Dann sagen sie laut, auf welcher Zahl sie stehen, bevor sie weitergehen.
Diese Aufgabe wirkt auf den ersten Blick einfach, erfordert aber einiges an Konzentration. Die Kinder müssen ihren Zählrhythmus unterbrechen, sich die letzte Zahl merken und danach wieder korrekt einsetzen. Dies stellt eine zusätzliche Gedächtnisleistung dar. Damit die Übung sicher beherrscht wird, sollte sie regelmäßig wiederholt werden – was in der Regel schnell gelingt. Ist die Sicherheit gegeben, kann der Schwierigkeitsgrad schrittweise erhöht werden.
Eine mögliche Erweiterung besteht darin, dass die Kinder mit geschlossenen oder verbundenen Augen laut zählend über den Zahlenweg gehen. Falls gewünscht, können sie dabei von einer pädagogischen Fachkraft oder einem anderen Kind an der Hand geführt werden. An einer beliebigen Stelle werden sie plötzlich gestoppt. Nun gilt es, die Zahl, auf der sie stehen, noch einmal zu nennen – und vor allem zu sagen, welche Zahl davor und welche danach kommt.
Natürlich wird im Anschluss mit offenen Augen überprüft, ob die Antwort stimmt. Sollte es Schwierigkeiten geben, darf zur Unterstützung kurz nachgeschaut werden. Das Spiel wird fortgesetzt, bis das Kind das Ende des Zahlenwegs (bis 10 oder 20) erreicht hat.
„Gemeinsam Schritte wagen – mathematisches Lernen wird zu einem Spiel aus Vertrauen, Bewegung und Forschergeist.“
Rhythmisches Gehen
Sobald sich die Kinder sicher auf dem Zahlenweg bewegen, kann das Gehen im 2er-Rhythmus eingeführt werden. Dabei sprechen sie nur jede zweite Zahl laut aus, während sie weiterhin bei jedem Schritt voranschreiten. Später lässt sich der Rhythmus variieren, indem sie im 3er- Rhythmus oder sogar 4er-Rhythmus zählen. So erleben sie spielerisch, dass sie dabei immer auf bestimmten Zahlen landen – eine erste, intuitive Annäherung an das Prinzip der Multiplikation.
„Bewegung und Rhythmus im Lernprozess: Mit Unterstützung des Tamburins erreicht das Kind das Ziel auf der Zahlenreihe – mit Freude und wachsendem Zutrauen in das eigene mathematische Können.“
Gerade und ungerade Zahlen entdecken
Die Unterscheidung zwischen geraden und ungeraden Zahlen lässt sich mit einem Zahlenweg anschaulich verdeutlichen. Eine Möglichkeit besteht darin, jede zweite Zahlenfliese umgedreht auszulegen oder mit einem Blatt Papier abzudecken. Alternativ kann der Zahlenweg so gestaltet werden, dass die Zahlen – ähnlich der Hausnummerierung – leicht versetzt liegen: links die ungeraden, rechts die geraden Zahlen. Eine gedachte „Straße“ zwischen den beiden Seiten lässt sich beispielsweise mit einem Seil markieren.
Diese Einteilung ist ein Beispiel für eine Klassifikation – das systematische Zuordnen von Objekten zu festen Gruppen. Eine Zahl ist entweder gerade oder ungerade, dazwischen gibt es keine Abstufungen. Dadurch wird das Prinzip der Klassifikation für die Kinder besonders anschaulich.
„Das Kind steht auf der 18 – einer geraden Zahl. Durch das Begehen des Zahlenwegs erleben Kinder die Einteilung der Zahlen in gerade und ungerade als körperlich erfahrbare Klassifikation.“
Rückwärtsgehen
Das Alphabet rückwärts aufsagen zu können, ist wenig sinnvoll. Da man mit Zahlen jedoch rechnen kann, ist es wichtig, dass Kinder auch das Rückwärtszählen beherrschen. Wenn das Vorwärtszählen bereits sicher mit einem gleichmäßigen Gehen verbunden ist, lohnt es sich, auch das Rückwärtszählen auf diese Weise zu verinnerlichen. Dabei sollten die Kinder nicht nur rückwärts zählen, sondern sich tatsächlich rückwärts bewegen. So wird die Vorstellung eines mentalen Zahlenstrahls nachhaltig gefestigt.
„Rückwärtsgehen – mit jedem Schritt die Zahl kleiner denken: Bewegung verankert das Zahlenverständnis.“
Ich weiß etwas, was du nicht siehst
Der Zahlenweg wird vollständig ausgelegt, jedoch werden einige Zahlenfliesen umgedreht – idealerweise genauso viele, wie Kinder teilnehmen. Die Aufgabe besteht darin, die verdeckten Zahlen zu erraten.
Um zur richtigen Lösung zu gelangen, nutzen die Kinder eine systematische Vorgehensweise: Sie begehen den Zahlenweg schrittweise, zählen dabei laut oder leise und rekonstruieren so die fehlenden Zahlen. Diese Aktivität fördert nicht nur das Zahlenverständnis und die Zahlwortreihe, sondern schult auch das logische Denken und die Fähigkeit zur Selbstkorrektur.
Erfahrungen zeigen, dass diese spielerische Herausforderung den Kindern große Freude bereitet und sie motiviert, sich intensiv mit der Zahlenreihe auseinanderzusetzen.
„Welche Zahl ist hier versteckt?“ – Die Kinder entdecken durch Umdrehen der Karten die verdeckten Zahlen.
Zahlenweg gestalten: Verbindung von Ordnungs- und Anzahlaspekt
Legen Sie den Zahlenweg aus und erklären Sie den Kindern, dass sie ihn mit kleinen Schätzen verzieren dürfen. Jedes Zahlenfeld bekommt dabei genauso viele Gegenstände, wie die darauf stehende Zahl angibt. Auf die 1 kommt ein einzelner Tannenzapfen, eine Murmel oder ein Blatt, auf die 2 zwei davon, auf die 3 entsprechend drei – und so weiter.
Um das Spiel noch lebendiger zu gestalten, können die Kinder die Materialien selbst in der Umgebung suchen. Vielleicht sammeln sie Kastanien, Blätter oder kleine Steine? Während sie die Gegenstände auf die jeweiligen Zahlen legen, können sie laut mitzählen, um die richtige Menge zu überprüfen.
Eine zusätzliche Herausforderung: Wenn der Zahlenweg fertig geschmückt ist, dürfen die Kinder ihn rückwärts durchgehen und dabei prüfen, ob die Anzahl der Gegenstände mit der jeweiligen Zahl übereinstimmt. So wird spielerisch sowohl das Zählen als auch das Verständnis für die Verbindung zwischen Ordnungs- und Anzahlen gefestigt.
„Fünf Punkte für die Fünf – durch das präzise Legen kleiner Schätze wird der Zusammenhang zwischen Zahlzeichen und Anzahl erfahrbar. Gleichzeitig erleben die Kinder die Reihenfolge der Zahlen ganzheitlich – mit Augen, Händen und Kopf.“
„Die 17, 19 und 20 sind exakt gelegt – bei der 18 entscheiden sich die Kinder bewusst für ein anderes Material. Zwischen strukturierter Ausführung und eigenständiger Gestaltung entfaltet sich ein handelnder Zugang zum Zahlenraum.“
Zahlen-Chaos ordnen: Die schnelle Ziffern-Jagd
Verteilen Sie die Fliesen des Zahlenwegs (bis 10 oder 20) wahllos im Raum – durcheinander und ohne Reihenfolge. Die Aufgabe der Kinder ist es nun, das Zahlenchaos zu entwirren!
Sobald das Startsignal ertönt, suchen sie blitzschnell nach der 1, stellen sich darauf und springen, rennen oder hüpfen dann so schnell wie möglich zur 2, dann zur 3 – und so weiter, bis die gesamte Reihenfolge richtig durchlaufen wurde.
Für eine zusätzliche Herausforderung:
- Zeit-Challenge – Die Kinder versuchen, beim zweiten Durchgang noch schneller zu sein!
- Team-Wettlauf – Zwei Teams und ordnen die Zahlen abwechselnd. D.h. ein Kind aus Team A sucht die 1, springt darauf und ruft laut: „Eins!“ Danach läuft das erste Kind aus Team B los, sucht die 2, springt darauf und ruft: „Zwei!“ So geht es im Wechsel weiter, bis alle Zahlen in der richtigen Reihenfolge betreten wurden.
- Rückwärts-Modus – Wer schafft es, die Zahlen in umgekehrter Reihenfolge von 10 oder 20 bis zur 1 zu durchlaufen?
Dieses rasante Spiel verbindet Bewegung mit schnellem Zahlenverständnis – und macht jede Menge Spaß!
Auf eine bildliche Darstellung wird hier verzichtet – die Bewegungsaktionen ähneln denen des nächsten Spiels, dort jedoch in einer sprachlich anspruchsvolleren und thematisch eingebetteten Variante.
Zahlenbilder bitte ganz schnell!
Dieses schnelle und bewegungsreiche Spiel verbindet das Erfassen von Zahlen mit Reaktionsvermögen und fördert spielerisch das Zahlenverständnis. Letztlich ist es eine schöne und sprachlich anspruchsvolle Variation des vorherigen Spiels.
Vorbereitung:
Die Zahlenfliesen bis 10 oder bis 20 werden wieder ungeordnet und mit etwas Abstand im Raum verteilt.
Spielablauf:
Die pädagogische Fachkraft denkt sich eine kurze Geschichte aus, in der alle ausgelegten Zahlen vorkommen. Zum Beispiel:
„Willkommen im Zoo! Gleich am Eingang sehen wir das große Elefantengehege. Dort stehen 4 Elefanten, die gemächlich mit ihren Rüsseln Heu aufheben. Weiter geht es zum Affenhaus – wow, die 7 Affen dort turnen wild herum und schwingen sich von Ast zu Ast! Wir laufen weiter zu den Pinguinen. Wie niedlich, 6 Pinguine watscheln nebeneinander in einer Reihe zum Wasser. Plötzlich platscht einer hinein! Nun sind es nur noch 5 Pinguine, die am Rand stehen. Ein paar Schritte weiter entdecken wir das Löwengehege. Dort ruhen sich 2 Löwen in der Sonne aus und gähnen herzhaft. Aber hört ihr das Fauchen? Da kommt noch ein dritter Löwe aus seiner Höhle! Zum Abschluss besuchen wir das Giraffengehege. 8 Giraffen strecken ihre langen Hälse nach den Blättern an den Bäumen. Leider gibt es keine Tierherden mit 9 oder 10 Tieren im Zoo!“
Jedes Mal, wenn eine Zahl in der Geschichte vorkommt, rennen alle Kinder los und suchen die passende Zahlenfliese. Wer als Erstes die richtige Zahl erreicht und darauf springt, darf sie behalten.
Das Spiel geht weiter, bis alle genannten Zahlen gefunden wurden. Zum Schluss werden die Fliesen gezählt. Wer die meisten gesammelt hat, gewinnt die Runde!
Durch Themenvorgaben wie die Zubereitung eines Obstsalats, einem Einkauf im Supermarkt oder einem Abenteuer auf dem Piratenschiff erhalten die Kinder eine thematische Hilfe, nach und nach eigene Geschichten zu finden. Hilfreich ist dabei, dass das Kind sieht, welches Ziffern nicht mehr verwendet werden müssen.
Beim Spiel „Ziffern bitte ganz schnell!“ lernen die Kinder, Ziffernbilder schnell zu erkennen und mit lebensbezogenen Themen bzw. Mengen zu verknüpfen. Sie üben den kardinalen Zahlaspekt, indem sie Zahlen mit konkreten Mengen in einer Geschichte verbinden. Gleichzeitig fördern sie ihre auditive Merkfähigkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und Koordination, da sie Zahlen hören, sich merken und schnell darauf reagieren müssen. Durch die spielerische Interaktion werden zudem soziale Kompetenzen gestärkt, während die Freude an Zahlen und Bewegung im Vordergrund steht.
„Acht, drei, neun – die letzte Zahl ist absehbar.“
Mit fortschreitender Geschichte wächst die Spannung: Alle wissen, welche Zahl gleich genannt wird – und möchten sie als Erste finden. In diesem Moment begleitet die pädagogische Fachkraft das Geschehen achtsam, greift moderierend ein, wenn nötig – und lässt zugleich Raum dafür, dass die Kinder selbst zu fairen Lösungen finden.
„Ich erzähle weiter!“ – Während ein Teil der Kinder Zahlenfliesen sucht, erfinden die anderen in einer Sitzreihe eigene Zahlengeschichten. Satz für Satz wächst eine gemeinsame Erzählung, in der Sprache, Vorstellungskraft und mathematisches Denken spielerisch miteinander verbunden werden.“
Rechnen heißt bewegen
Das Gehen auf dem Zahlenweg veranschaulicht grundlegende Rechenoperationen auf intuitive Weise. Jeder Schritt vorwärts entspricht einer Addition, jeder Schritt rückwärts einer Subtraktion. Die Anweisung „plus 2“ bedeutet, zwei Felder weiterzugehen, während „minus 3“ dazu auffordert, drei Schritte zurückzugehen.
Durch diese körperliche Erfahrung werden die Begriffe plus und minus spielerisch und ohne abstrakte Erklärungen verinnerlicht. Haben die Kinder diese Verknüpfung einmal hergestellt, können sie Rechenoperationen nicht nur besser nachvollziehen, sondern auch aktiv und handelnd erleben.
Rechnen in Bewegung
Dieses Spiel ermöglicht es Kindern, grundlegende Rechenoperationen durch körperliche Aktivität zu erfahren. Die Kinder stehen in einer Reihe am Beginn des Zahlenwegs. Das erste Kind würfelt – idealerweise mit einem großen Schaumstoffwürfel – und bewegt sich entsprechend der gewürfelten Zahl auf dem Zahlenweg vorwärts. Dort legt es eine Murmel oder ein Steinchen ab.
Das nächste Kind beginnt nun an dieser Stelle, würfelt erneut und setzt den Weg entsprechend fort. Durch gezielte Anweisungen wie „gehe vorwärts“ für Addition oder „gehe rückwärts“ für Subtraktion lassen sich die Bewegungen steuern. Das Spiel kann offen gestaltet sein oder durch eine Zielvorgabe ergänzt werden – beispielsweise das Erreichen einer bestimmten Zahl oder das Zurückkehren zum Ausgangspunkt.
An dieser Stelle wird auf ein Bild verzichtet – die Bewegungsabläufe und Rechenideen dieses Spiels führen direkt zum nächsten Spiel ‚Hin und Her‘ und bereiten es inhaltlich vor.
Addition und Subtraktion in Bewegung – „Hin und Her“
Die Kinder werden in zwei Gruppen eingeteilt, und der Zahlenweg wird ausgelegt (mindestens zwei Spieler sind erforderlich). In der Mitte des Zahlenwegs, auf der Zahl 10, wird ein Spielstein oder ein symbolischer „Schatz“ platziert. Ziel des Spiels ist es, diesen Schatz durch Würfeln und Ziehen in die eigene Zielrichtung zu bewegen.
Nach dem Auslosen der Startreihenfolge wählt jede Gruppe eine Bewegungsrichtung – entweder in Richtung der 0 oder in Richtung der 20. Anschließend wird abwechselnd gewürfelt, und der Schatz wird entsprechend der gewürfelten Augenzahl in die jeweilige Richtung verschoben. Da beide Gruppen in entgegengesetzte Richtungen spielen, wechselt der Schatz ständig die Position, bis es einer Gruppe gelingt, ihn über die eigene Ziellinie (0 oder 20) hinauszubringen.
Das Spiel endet, sobald eine Gruppe den Schatz erfolgreich „in Sicherheit“ gebracht hat. Die Dauer beträgt in der Regel etwa 10 Minuten, kann jedoch durch zufällige Würfelergebnisse variieren.
Variationen:
- Bei einer gewürfelten 6 darf ein zusätzlicher Wurf erfolgen.
- Der Zahlenweg kann auf die Zahlen von 0 bis 10 reduziert werden, wobei mit einem Würfel geworfen wird, der nur die Zahlen 1 bis 3 zeigt.
Beim Spiel „Hin und Her“ bewegt sich ein Kind konzentriert zur gewürfelten Zahl, um dort das Tuch abzulegen. Die übrigen Kinder beobachten jeden Schritt aufmerksam – sie achten darauf, dass richtig gezählt wird, kontrollieren die Ausführung und übernehmen Verantwortung für einen fairen Ablauf. So entstehen neben mathematischen Denkprozessen auch wertvolle soziale Lerngelegenheiten im gemeinsamen Spiel.
Zahlenpokern: Risiko abschätzen und strategisch handeln
Das Spiel „Zahlenpokern“ ähnelt in seiner Grundidee dem bekannten Kartenspiel „17 und 4“ (auch als „Blackjack“ bekannt). Es fördert die Fähigkeit zur Risikoabschätzung und strategischen Entscheidungsfindung.
Spielablauf:
Ein Spielstein startet auf der Null des Zahlenwegs. Die Kinder würfeln nacheinander mit zwei Würfeln und addieren die Augenzahlen. Nach jedem Wurf entscheiden sie, ob sie weiterwürfeln oder aufhören möchten. Ziel ist es, möglichst nah an die Zahl 20 heranzukommen, ohne sie zu überschreiten. Wer die 20 übertrifft, scheidet aus.
Eine vereinfachte Version kann mit nur einem Würfel gespielt werden, wobei sich die Zielzahl entsprechend reduzieren lässt, beispielsweise auf 10 oder 12. Das Spiel vermittelt spielerisch ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten und vorsichtige Entscheidungsfindung.
Die Kinder der roten Gruppe stehen auf der 19. Sie wissen: Ein Wurf mit der Eins bringt sie ans Ziel – aber die Wahrscheinlichkeit ist gering. Jeder andere Wurf würde sie das Spiel kosten. Dennoch entscheiden sie sich mutig fürs Weiterwürfeln – und tatsächlich fällt die Eins! Die überschwängliche Freude zeigt, wie im Spiel nicht nur mathematische Kompetenzen, sondern auch strategisches Denken, Risikobereitschaft und emotionales Erleben gefördert werden – auch wenn der Sieg noch nicht ganz sicher ist.
Rot gegen Geld – Ein strategisches Spiel auf dem Zahlenweg
Das klassische Nim-Spiel bietet einen spielerischen Zugang zu strategischem Denken und kann auf dem Zahlenweg in einer gut sichtbaren und verständlichen Variante umgesetzt werden. Dabei geht es darum, durch geschicktes Setzen von Spielsteinen die letzte Zahl zu besetzen und das Spiel zu gewinnen
Spielablauf:
- Die Kinder werden in zwei Gruppen eingeteilt, zum Beispiel in Rot und Gelb.
- Der Zahlenweg wird mit einer vorher festgelegten Länge ausgelegt (z. B. bis 12). Andere Längen wie 9 oder 15 sind ebenfalls möglich. Geeignet sind Vielfache der Zahl 3.
- Es wird ausgelost, welche Gruppe beginnt.
- Abwechselnd setzt jede Gruppe einen oder zwei Spielsteine auf das nächste freie Zahlenfeld, beginnend bei 1.
- Die Gruppe muss dabei immer gemeinsam entscheiden, ob sie einen oder zwei Steine setzt.
- Gewonnen hat die Gruppe, die die letzte Zahl auf dem Zahlenweg belegt.
Lernaspekte:
Dieses Spiel stellt bereits im Grundschulbereich eine anspruchsvolle Strategieaufgabe dar und ist für Kinder im Kita-Alter eine besondere Herausforderung. Das Verständnis für Zahlenmuster und vorausschauendes Denken wird hierbei intensiv gefördert. Besonders die Struktur der Dreierreihe spielt eine entscheidende Rolle für den Spielverlauf, allerdings wird es viele Durchgänge brauchen, bis Kinder selbst erste systematische Strategien entwickeln.
Für Kinder in der Kita ist das Erkennen von Mustern und strategischen Überlegungen meist noch neu. Dennoch lohnt sich das Spiel, da es eine hohe kognitive Anforderung mit einer klaren, handlungsorientierten Umsetzung verbindet. Zudem wird durch die gemeinsame Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppen die kommunikative und kooperative Kompetenz gestärkt.
Diese Variante des Nim-Spiels eignet sich daher besonders für Kinder, die Freude an herausfordernden Denkaufgaben haben und bereits erste Erfahrungen mit einfachen Spielstrategien gesammelt haben.
Strategien entdecken durch Interaktion: Ein Dialog zum anspruchsvollsten Spiel in dieser Spielesammlung zum Zahlenweg.
Die Kinder haben das Spiel „Rot gegen Gelb“ einige Male gespielt. Nun führt die pädagogische Fachkraft eine Reflexionsrunde durch. Dabei geht es darum, schrittweise zu erkennen, dass man von Anfang an sicher gewinnen kann – wenn man die richtige Strategie kennt.
Pädagogische Fachkraft:
„Das war ja ein spannendes Spiel! Sagt mal, ab wann habt ihr gemerkt, dass ihr verliert oder gewinnt?“
Kind 1:
„Ähm … als nur die 9 besetzt war. Da wusste ich, dass wir verlieren! Da hat man ja keine Chance mehr, entweder ich setze ein oder zwei Steine“
Pädagogische Fachkraft:
„Aha, die 9 also. Und was war davor? Hätte man da vielleicht schon merken können, dass es schlecht aussieht?“
Kind 2:
(überlegt kurz) „Vielleicht … als wir die 6 nicht bekamen? Weil dann die andere Gruppe auf die 9 gehen konnte. Das ist ja ähnlich, glaube ich. “
Pädagogische Fachkraft:
„Das ist eine gute Beobachtung! Wenn man auf der 6 steht, kann man danach gesichert zur 9 und dann …?“
Kind 3:
„Dann gewinnen die!“ (schlägt sich die Hand auf die Stirn) „Oh! Das heißt, als die auf der 6 waren, war es eigentlich schon zu spät?“
Pädagogische Fachkraft:
„Genau! Und wenn das bei der 6 so ist, was denkst du – gibt es noch eine Zahl davor, wo man schon verloren hat?“
Kind 1:
„Vielleicht bei der 3? Weil dann die andere Gruppe auch zur 6 kann?“
Pädagogische Fachkraft:
„Ja, das klingt logisch. Wenn du nicht auf der 3 stehst, kann die andere Gruppe zur 6, dann zur 9 und dann zur 12 … und dann ist das Spiel vorbei.“
Kind 2:
(aufgeregt) „Oh! Dann muss man versuchen, dass man gleich auf die 3 kommt! Dann verlieren die.“
Pädagogische Fachkraft:
„Sehr gut! Das heißt, es gibt Zahlen, auf denen man nicht landen sollte – weil man dann sicher verliert. Und es gibt Zahlen, die man ansteuern kann, um zu gewinnen. Wenn man das weiß, kann man von Anfang an so spielen, dass man sicher gewinnt. Könnt ihr euch vorstellen, was das bedeutet?“
Kind 3:
(lacht) „Dann weiß man schon am Anfang, wer gewinnt! Aber man darf nicht anfangen“
Pädagogische Fachkraft:
„Ganz genau! Ihr habt gerade eine richtig clevere Strategie entdeckt – fast wie ein Trick! Beim nächsten Mal könnt ihr mal ausprobieren, ob ihr von Anfang an gewinnen könnt, wenn ihr die richtigen Zahlen ansteuert.“
"Ein kluger Zug – und große Freude!"
Die gelbe Gruppe gewinnt das Spiel, indem sie genau die richtige Strategie anwendet: Wer bestimmte Schlüsselzahlen besetzt, kann das Spiel von Anfang an kontrollieren. Die Freude über den cleveren Sieg ist riesig – und zeigt, dass sich strategisches Denken und emotionales Erleben im Spiel auf besondere Weise verbinden.
Krönender Abschluss: Ein Kind erfindet ein Spiel – „Mensch ärgere dich nicht“ auf dem Zahlenweg
Manchmal entstehen die besten Ideen mitten im Spiel – so auch bei diesem Projekt. An einem der letzten Tage schlug ein Kind begeistert vor, „Mensch ärgere dich nicht“ auf dem Zahlenweg zu spielen. Die Grundidee war schnell erklärt: Jedes Kind wählte einen farbigen Bauklotz – Rot, Blau, Gelb oder Grün – als Spielfigur. Der Startpunkt war die Zahl Null, das Ziel lag bei der Zahl 20, wo farblich passende Kreisringe bereitlagen. Schon am nächsten Tag konnten die Kinder das Spiel mit passendem Material umsetzen.
Was diese Szene so besonders machte: Das Spiel war nicht nur eine eigene Erfindung – es wurde auch selbstständig den anderen Kindern erklärt: klar, strukturiert und mit echtem Spielverständnis. Die Gruppe griff die Idee begeistert auf, und innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich das Spiel zum neuen Favoriten.
Diese Episode zeigt in besonderer Weise, was durch eine bewegungsorientierte, spielerisch angelegte Lernumgebung möglich wird: Kinder beginnen, eigene Ideen zu entwickeln, sie mit anderen zu teilen und in die Tat umzusetzen – im wahrsten Sinne des Wortes „auf dem Weg“ zur mathematischen Bildung.
Der Erfolg dieses Spiels ist dabei nicht nur an der Freude und am Engagement der Kinder ablesbar, sondern auch daran, wie selbstverständlich sie mathematische Strukturen und Spielprinzipien miteinander verknüpften. So wurde das letzte Spiel auf dem Zahlenweg zugleich zum Höhepunkt eines Projekts, in dem Lernen, Bewegung und Kreativität Hand in Hand gingen.
„Spiel ist die höchste Form der kindlichen Entwicklung.“ Friedrich Fröbel (1782-1852)
„Die Kinder hören aufmerksam zu, wie ein Kind ihnen die Regeln seines selbst erfundenen Würfelspiels erklärt. Der Spielplan liegt bereit – der Zahlenweg beginnt bei null. Ein besonderer Moment: Ein Kind übernimmt Verantwortung, erfindet ein Spiel und teilt es mit anderen.“
→ Dieser Moment verdeutlicht die Fähigkeit der Kinder, selbstständig Ideen zu entwickeln.
„Das Spiel läuft: Die Kinder würfeln, ziehen ihre Spielfiguren voran und setzen sich mit den Spielregeln auseinander. Der Mechanismus greift – das Spiel trägt.“
→ Das Spielerlebnis entwickelt sich und verankert das mathematische Verständnis, das mit Bewegung und Handlung gekoppelt wird.
„Die blaue Spielfigur erreicht das Zielfeld mit der Zahl 20 – ein Moment des Stolzes für das Kind, das das Spiel erfunden hat, und für den Gewinner, der das Ziel erreicht hat. Doch der wahre Erfolg liegt nicht nur im Erreichen des Ziels, sondern im gemeinsamen Erleben: Ein Kind hat die Regeln entwickelt, erklärt und das Spiel mit der Gruppe zum Abschluss gebracht. Eigenverantwortung, Regelverständnis und soziale Interaktion kommen hier auf spielerische Weise zum Tragen.“
→ Diese Reflexion des Erfolges zeigt, wie sich durch kooperatives Handeln und das Verstehen von Regeln der Lernprozess auf verschiedenen Ebenen vollzieht.
Mein besonderer Dank gilt Frau Lisa Bühler (Pädagogische Leitung), Herrn Tobias Horn (Gesamtleitung) und Frau Daniela Keyser von der DRK Kita & Hort Geroldseck. Durch ihre wertvolle Unterstützung und die Möglichkeit, die beschriebenen Aktivitäten in ihrer Einrichtung praktisch umzusetzen, haben sie maßgeblich zum Gelingen dieser Erprobung beigetragen."
Dieses Bildungsprojekt wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von HABA Pro.
Autor
Dr. paed. habil. Gerhard Friedrich, der Autor dieses Beitrags, ist Diplom-Pädagoge und unterrichtete als Lehrer die Fächer Mathematik, Technik, Pädagogik und Psychologie. Er ist Privatdozent für Allgemeine Didaktik an der Universität Bielefeld sowie Buch- und Spielautor.
Kontakt: info.gfriedrich@gmail.com