mehrere Kinder

Multikulti?

Christian Koch

02.12.2010 Kommentare (0)

"Multikulti ist gescheitert." Gut, dass dies mal jemand gesagt hat! Ich hätte es sonst gar nicht gemerkt. "Deutschland ist kein Zuwanderungsland." Noch eine wichtige neue Erkenntnis, die meiner beschränkten Wahrnehmung unserer Gesellschaft bisher entgangen ist.

Im Kindergarten und in der Schule waren meine Töchter immer mit Kindern aus unterschiedlichen Herkunftsländern zusammen und auch befreundet. Die kulturelle Vielfalt wurde unter Einbeziehung der Eltern durch die ErzieherInnen in gelungener Weise aufgegriffen. Eine der besten Freundinnen einer Tochter hat türkische Eltern. Seit Jahren tanze ich internationale Volkstänze. In der Gruppe sind verschiedene Nationalitäten vertreten, ohne dass die nationale Herkunft von besonderer Bedeutung für das Miteinander wäre. Ein Neffe hat eine Chinesin geheiratet, die wegen des Studiums nach Deutschland gekommen ist.

Einkaufen tun wir in unserem Stadtteil bei deutschen Ladeninhabern, deren Familien seit über hundert Jahren in dem Stadtteil ein Geschäft betreiben, und bei Ladeninhabern, die in den letzten Jahrzehnten aus der Türkei, Italien, Iran, Sri Lanka und weiteren Ländern zugezogen sind. Wir hatten Schüleraustausche mit Israel und Großbritannien, für eine Tochter steht ein Auslandsaufenthalt in Australien an. Kein Wunder, dass ich das Scheitern von Multikulti in einem weltoffenen Deutschland so leicht übersehen konnte.

Sollte die Aussage allerdings etwas über die Assimilation von Zuwanderern aussagen, dann wäre sie vielleicht ein wenig undifferenziert. Studien zeigen, dass sich z.B. Zuwanderer türkischer Abstammung in sehr unterschiedliche Milieus aufteilen lassen, von weniger gebildet, sehr konservativ, stark religiös und gegenüber der deutschen Gesellschaft deutlich abgeschottet bis zu akademisch gebildet, stark assimiliert und eher wohlhabend.

Vergleichbare Milieubildungen werden auch von der Gesellschaft insgesamt, Jugendlichen oder anderen Teilgruppen beschrieben. Es entspricht der modernen "Risikogesellschaft" im Sinne Becks, dass vielfältige Lebensentwürfe möglich sind und sich die Gesellschaft in immer stärker differenzierte Bezugsgruppen segmentiert.

Segmentierungen in einer Gesellschaft sind ein normales, durchaus positives Phänomen, bieten sie den Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt doch jeweils passende Bezugssysteme, Stabilität und Heimat. Allerdings können Abgrenzungen, die auf der Herabwürdigung Anderer beruhen, auch zu einer Belastung und Bedrohung der Gesellschaft werden. Klassisches Beispiel sind - in letzter Konsequenz gewaltbereite - Fußballfans, die in Stadien grölend über "gegnerische" Vereine herziehen. Ist der Sport deswegen gescheitert?

Jede Gesellschaft, auch die Deutsche, steht vor der Aufgabe, den sozialen Frieden störende, den Rechtsstaat missachtende und die Menschenrechte verletzende Segmentierungen bzw. Milieuaktivitäten entschieden entgegenzutreten. Ob es sich dabei um Zwangsverheiratungen in türkischstämmigen Familien, organisierte Kriminalität der italienischen Mafia im Ruhrgebiet, Gewalt gegen Fußballfans (und oft auch Polizisten) oder rassistische Ausschreitungen Rechtsextremer in den neuen Bundesländern handelt, spielt dabei keine Rolle.

Ethnische Unterschiede bieten immer kulturelle Bereicherungen und zugleich Reibungsflächen. Assimilation reduziert die Vielfalt und damit die gesellschaftlichen Potentiale, Lösungen für soziale Probleme zu finden.

Gab es da nicht in letzter Zeit auch Positives zu hören? "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Integration erfordert nicht nur Lern- und Anpassungsbereitschaft von Zuwanderern, sondern auch von der übrigen Gesellschaft, Neues willkommen zu heißen und Vielfalt zu akzeptieren.

Staatlicher Rassismus in Form von Kasernierung von Asylbewerbern, Verweigerung von Arbeitserlaubnissen und jahrelanger Duldung = täglich drohender Abschiebung sind auch ein trauriges Beispiel für fehlende Integrationsbereitschaft in unserer Gesellschaft.

Weniger offensichtlich ist der alltägliche, oft den beteiligten Personen nicht einmal bewusste Rassismus, der sich z.B. in geringeren Chancen auf einen Ausbildungsplatz bei fremdländisch anmutenden Namen zeigt.

socialnet beschäftigt sich langfristiger und differenzierter mit Fragen der Migration, Integration und des Rassismus, als manche Politiker in ihren aktuellen Auftritten.

Christian Koch ist Geschäftsführer von socialnet, zu dem auch das Internetportal ErzieherIn.de gehört. Sein Beitrag erschien im Newsletter für die Sozialwirtschaft, den Sie bestellen können unter http://socialnet.de/newsletter/index.php

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