drei Jungen

Nicht weniger wichtig als die frühkindliche Bildung: Die Aufsichtspflicht

Angelika Mauel

21.07.2021 | Fachkommentar Kommentare (0)

Warum wir ihre Bedeutsamkeit durch Beispiele aus der Praxis klar herausstellen sollten

Es ist zwar ärgerlich, aber nicht tragisch, wenn spielende Kinder vom Gelände des Kindergartens aus Steinchen auf parkende Autos werfen. Es soll hier nicht um zivilrechtliche Ansprüche und auch nicht vorrangig um juristische Konsequenzen für Aufsichtspflichtige gehen. ErzieherInnen atmen auf, wenn ein Unfall nur eine Bagatellverletzung oder materielle Schäden zur Folge hat und kein Kind ernsthaft zu Schaden gekommen ist. - Doch eine Reihe durchaus vermeidbarer Todesfälle von Schul- und Kitakindern sind ein triftiger Grund, Gefährdungen der Kinder nicht zu verdrängen oder als abwegig abzutun. Nur weil beispielsweise andere bestimmte Ausflüge unternehmen oder mit Events Maßstäbe gesetzt haben, müssen wir es ihnen nicht gleichtun.

Zwischen Anpassungsdruck und Erklärungsbedarf: Sind Eltern „unsere Kunden“?

Schon jetzt werden Stimmen laut, dass Schüler nach Corona zuerst einmal eine Klassenfahrt machen sollten. Und auch die Begehrlichkeiten gestresster Eltern richten sich schon mal auf einen Ausflug der Kitakinder mit mindestens einer Übernachtung.

Vor Jahren hat man ihnen und uns gesagt, dass sie die Kunden seien. Kunden wollen üblicherweise, dass ihre (Konsum)wünsche erfüllt werden. Doch was macht es mit uns, wenn höhere Erwartungen an uns gestellt werden, als wir mit unserer Aufsichtspflicht vereinbaren können? Kranke Kinder werden auch deshalb schon mal in die Kita gebracht, weil unerfahrene Mütter oder Väter den ErzieherInnen zutrauen, besser auf einen möglichen Fieberkrampf ihres Kindes einzugehen als sie selbst. Doch wie sollen die Eltern umfangreiche Erfahrungen mit Kindern sammeln, wenn sie sie so lange wie möglich betreuen lassen?“ fragen sich Erzieherinnen insgeheim.  Schulen und Kitas bekommen Preise und zusätzliche Fördergelder, wenn sie möglichst umfangreiche Öffnungszeiten anbieten und augenscheinlich besonders viel leisten... 

Manche Leitung genehmigt wegen des „guten Rufs“ riskante Unternehmungen. Früher haben die AusbilderInnen zu Lehramtskandidaten gesagt „Ihr geht auf keinen Fall mit Grundschülern in ein öffentliches Bad.“ Und obwohl die Schwimmbäder heute weitläufiger sind als früher, wollen Fachkräfte in Kitas und Schulen ausgerechnet das Risiko Nummer eins „Wasser“ eigens aufsuchen. Sie meinen es gut. Kinder sollen Spaß haben und Schwimmen lernen. - Ja. Aber nur wenn eine Erzieher*in unmittelbar an der Pfütze oder dem Plantschbecken stehen bleibt. Und wie sehr Lichtreflexe auf dem Wasser blenden, muss allen Aufsichtspflichtigen eines Schulausflugs bewusst sein.

Ein Gedankenspiel: Was wäre in Krippen, Kitas und Schulen los, wenn es keine ernst zu nehmende Aufsichtspflicht und keine Aufsicht über die Kinder gäbe? Man stelle sich ErzieherInnen vor, die nur noch aufmerksam auf die Bildung der Kinder achten. Ein Kleinkind kehrt nicht vom Toilettengang zurück. Es öffnet die Nottür in einem oberen Stockwerk und verlässt selbstständig seinen Kindergarten. Aus dem Büro winkt ihm die Kitaleitung zum Abschied aufmerksam zu. Sie muss sich gerade entscheiden, welches von zwei Bildungsprogrammen in ihrer Kita eingeführt werden soll. Es geht (das meine ich ironisch und sachlich zugleich) um Bildungspunkte oder Bildungssterne und darum, erfolgreich rezertifiziert zu werden.

Heimweh, Abenteuerlust oder Frust? - Wenn ein Kind entwischt...

Der Adrenalinspiegel steigt, sobald ein auf der Liste der ErzieherInnen stehendes Kitakind vermisst wird. Fast immer werden Kinder, die sich versteckt haben, den Anschluss an die Gruppe verpasst haben oder fortgelaufen sind, schnell aufgefunden. Und wenn nicht, kommen die meisten dennoch wohlbehalten zu Hause an oder werden zurück gebracht. Doch nicht immer geht es gut aus. 

Es mangelt nicht an mehrgeschossigen Kitas, in denen anders als früher auch die Jüngsten legal in oberen Geschossen betreut werden. Zu erkletternde Treppengeländer, Fenster, Balkone und im Notfall zu öffnende Türen tauchen immer wieder in Teambesprechungen als Problem auf. Es gibt auch Beiträge von Bloggerinnen. Dass bereits mehrere Krippen- und Kitakinder aus den oberen Geschossen ihrer Kitas gefallen sind, wurde von den Leitmedien bislang in keinen Zusammenhang gebracht. Als ob ein schwerst verletztes Kind einfach nur „Pech“ gehabt hätte und als ob es tabu wäre, die Ursachen zu ergründen. Dass ErzieherInnen während der Pandemie wesentlich häufiger als sonst die Räume lüften mussten und dabei höllisch aufgepasst haben, dass sich kein Kind zu weit aus einem Fenster lehnte – kein Thema! Die in Kitas entsandten Alltagshelfer hatten oftmals die Aufgabe, unmittelbar am offenen Fenster eines Obergeschosses zu stehen. Wer weiß, ob ohne sie nicht doch wieder ein Kind mehrere Meter tief abgestürzt wäre.

Schon bevor in Bad Breisig ein Junge im Teich des Nachbargrundstücks seines Kindergartens ertrank, wurden während der Eingewöhnungsphase und auch danach noch, in zahlreichen Kitas Notausgangstüren verbotenerweise blockiert. Das Risiko, dass ein Kind oder mehrere durch einen Brand zu Schaden kommen könnten, ist wesentlich geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass sich „ein Wegläuferkind auf die Stoppersocken macht“... Manchmal kommt die Anregung, einen Notausgang vorübergehend abzuschließen oder zu blockieren auch von den Eltern. 

Sobald die „neuen Kinder“ verstärkt die Aufmerksamkeit der ErzieherInnen bekommen, fühlen sich einige der im Vorjahr eingewöhnten Kinder vernachlässigt. Ein triftiger Grund, um nach Hause zu wollen. Immer wieder reizt es Kinder, etwas Verbotenes zu tun. Wie schnell dann ein Großer zur Stelle ist! Trauen sich Mädchen und Jungen in der Betreuung, gegen Regeln zu verstoßen, kann das auch ein Zeichen dafür sein, dass sie jetzt wirklich angekommen sind. Jetzt haben sie wirklich Vertrauen zu den fremden Erwachsenen gefasst. Und weil Vertrauen im großen Ganzen wichtig ist:

Wer traut sich mit Eltern offen über Sicherheitsmängel – und Probleme mit wenig geeigneten oder für einzelne Aufgaben ungeeigneten Fachkräften zu reden? 

Arbeitsrechtliche Verpflichtungen zur Verschwiegenheit und auch der Datenschutz sorgen dafür, dass ein chronischer Mangel an Offenheit zwischen Eltern und ErzieherInnen herrscht. Nicht wenige ErzieherInnen fürchten sich, zu viel preiszugeben und möchten es vermeiden, bei den Eltern oder dem Träger Anstoß zu erregen. Auch wird oft so getan, als müsse ein wahres Team mit einer Stimme sprechen. Doch diese Form der Gleichschaltung funktioniert allenfalls auf Papier.

Sobald SchülerInnen ein Kurzpraktikum in Krippe oder Kita machen, tuscheln sich Fachkräfte manches zu, nur um keinen Anlass zu einem Weitertragen von Interna zu geben. Über vertraulich-leise Gespräche taucht dann manchmal Unmut in der Elternschaft auf. Dann heißt es schon mal, „die Weiber“ hätten nichts Besseres zu tun, als bei einem Kaffee über sie oder den netten Praktikanten herzuziehen. - Vorbei sind die Zeiten, wo das Arbeiten im Schichtdienst angesichts kürzerer Öffnungszeiten die Ausnahme war. Es war leichter möglich für ErzieherInnen, sich untereinander über zu klärende berufliche Angelegenheiten auszutauschen. - Heute wird mehr „verschriftlicht“. Das begünstigt „Rasterdenken“ und der spontane Austausch unter Kollegen kommt im verdichteten Gruppendienst oft zu kurz. „Warum hast du mir/uns nicht gesagt, dass ...“

ErzieherInnen hatten so sehr gehofft, dass ihre Rolle im Bildungsprozess der Kinder und die immer wieder noch so genannte „Elternarbeit“ wirklich geschätzt werden würde. Sie haben das Kaffeetanten- und Basteltantenimage satt. (Auch früher war es eine besondere Leistung, auf die Kinder der noch größeren Gruppen mit Bedacht zu achten. Basteln, Singen und Klatschen war nie die Hauptaufgabe!) Da uns viele Eltern nur Nettigkeiten ins Gesicht gesagt haben, sah es oftmals so aus, als ob der Wunsch in Erfüllung gehen würde. Vor allem Eltern, die ihre Kinder länger als andere betreuen lassen, tun immer wieder so, als seien die ErzieherInnen ihrer Kinder die allerbesten... 

Doch wie früher gibt es unter den Eltern „solche und solche“. Wir wissen nicht, wie lange die Dankbarkeit wegen unserer Arbeit während der Pandemie anhält. Nicht selten sinkt sie, wenn Eltern gebeten werden, ihre Kinder früher abzuholen oder nicht mehr krank in die Kita zu bringen. Und bevor Betreuungszeiten verkürzt oder Gruppen gar nicht erst errichtet werden, sind viele Mütter und Väter gern damit einverstanden, dass auch Ungelernte oder Fachkräfte aus dem Ausland ihre Kinder betreuen. Das aber zieht Risiken nach sich.

Vielerorts wurde der Druck auf die ErzieherInnen erhöht

Kinder werden ohne große Klagen zu eigentlich nicht zu verantwortenden Konditionen betreut. „Bei Affenhitze gehen wir mit den Knirpsen an den Brunnen.“ Früher war in vielen Städten das Spielen und Plantschen in städtischen Brunnen nicht erlaubt. Doch wo keine Verbotsschilder stehen, müssen Polizei und Ordnungsamt nicht darauf achten, dass ein Verbot eingehalten wird. Und nicht wenige Brunnen werden im Hochsommer als Ersatzspielflächen für die Tagespflege und für Krippen ohne Garten dringend gebraucht. Würde ein Krippenkind längelang hinter eine Wasserfontäne fallen, könnte es in dreißig Sekunden im flachen Wasser ertrinken.

Gestresste Frauen, die mit den Kindern zum Brunnen ziehen, haben dafür gesorgt, dass alle Krippenkinder ihrer Gruppe einheitliche Kappen tragen. Die Hände, die zuvor Windeln gewechselt haben, reichen im ungewaschenem Zustand aufgespießte Melonenstückchen an Kinder. Ab und zu rennt ein Kleinkind beinahe vor ein Fahrrad oder einen Rollator. - „Hoppla!“ Der Anblick vergnügter Kinder gefällt - und kaum jemand achtet darauf, wie entsetzlich überfordert ihre BetreuerInnen sind.

Tagespflegestellen, Krippen und Kitas ohne eigenes Außengelände sind ein Problem! Corona hat das Problem noch deutlicher zutage treten lassen. Das Außengelände vieler Kitas war zu klein, um Abstandsregeln einhalten zu können. Geschwiegen wird dennoch weiterhin. Warum eigentlich?

Was ist besser: Mehr Erwachsene in einem Raum oder weniger Kinder?

Es stellt sich die Frage, ob mehr für eine Kindergruppe gemeinsam zuständige Erwachsene insgesamt die Kinder besser im Blick haben. Was ist, wenn sich alle in einem heiklen Moment nur intensiv um einzelne Kinder kümmern und darauf vertrauen, dass die anderen gut aufpassen, während sie sich ausgiebig Zeit für „ihr Bezugskind“ oder nur zwei oder drei Kinder nehmen?

Auf Ausflügen kam es schon dazu, dass ein Kleinkind von sechs oder sieben versehentlich zurückgelassen wurde.

Alltagshelfer: Eine gute Idee oder nur noch mehr Pfusch am Betreuungssystem?

Damit ErzieherInnen sich besser ausschließlich um die Kinder und ihre frühkindliche Bildung kümmern können, wurden zu ihrer Unterstützung während der Pandemie „Alltagshelfer*innen“ angeworben. Sie sollten Flächen und Spielzeug desinfizieren, beim Händewaschen der Kinder und bei diversen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten helfen, aber keineswegs pädagogisch tätig sein. Als ob es eine strikte Trennung zwischen „pädagogisch und nicht pädagogisch“ inmitten einer Kindergruppe geben könne! Es kommen Menschen und keine Roboter – und Kinder wollen diese interessanten Menschen kennenlernen. Das ist ihr Recht und wir sollten sie nur in begründeten Ausnahmefällen davon abhalten den Alltagshelfern unbefangen zu begegnen. Viele Teams können auf Erfahrungen mit Ein-Euro-Jobbern zurückgreifen. Manche waren ein Gewinn für alle in der Kita. Umsichtig, lebenserfahren und verantwortungsbewusst wie erfahrene Fachkräfte oder gute PiA-Kräfte. Andere musste man nach kurzem Kennenlernen ablehnen. „Es war kein Vergnügen, das Erbrochene eines Alkoholikers aufwischen zu müssen!“ Die  „Ein-Euro-Küchenhilfe“ hatte als neuer Koch drei Wochen lang lecker gekocht. Dann kam der Rückfall.

Das Denken „Mit Kindern kann doch jeder“ ist noch nicht überwunden. NRW hat für 55 Millionen eine Ausbildungsoffensive für Alltagshelfer gestartet. Nach Plänen von Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Stefanie Drese sollen die Kita-Alltagshelfer in Mecklenburg-Vorpommern ab 2022 dauerhaft zum Einsatz kommen. Jährlich sollen dafür drei bis vier Millionen zur Verfügung gestellt werden. Drese hofft, dass sich diese Alltagshelfer später zu Fachkräften weiterbilden lassen. Viele Erzieher*innen erreichen bald das Rentenalter und die von einem Fachkräftemangel ausgehenden vielen Probleme, Belastungen und Gefahren werden nicht kleiner werden. 

Bevor noch ein Kitakind ins Wasser fällt 

Nachdem die siebenjährige Ashley im Schwimmbad ertrank, zeigte eine Überwachungskamera des Schwimmbades, dass ihre Betreuerinnen sich angeregt unterhalten haben. Eine Hauswirtschaftskraft war mit von der Partie. Warum hat die einzige ausgebildete Erzieherin, die die höchste Strafe erhalten hat, nicht gesagt „So geht das nicht. In der Besetzung können wir unmöglich mit 17 Kindern in eine Art Spaßbad gehen! Das ist verantwortungslos!“ 

Seit der oben verlinkte Artikel erschienen ist, verloren nach Devin in Schwäbisch Gmünd noch mindestens zwei weitere Kleinkinder während der Betreuungszeit ihr Leben im Wasser. In Magdeburg wurde wegen des Todes des zweijährigen Adam lange ermittelt. Dann wurde das Verfahren gegen drei ErzieherInnen eröffnet. Und in Minden fiel ein Junge anlässlich eines Ausflugs auf einen Spielplatz in den Mindelkanal und ertrank. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aufgenommen. 

In Eisenhüttenstadt hatte man in einer privaten Kita ein Gefäß mit einem circa zehn Zentimeter tiefen Wasserstand zum Erfrischen, Plantschen und Matschen neben den Sandkasten gestellt. Ein Mädchen wurde kopfüber im Wasser entdeckt, reanimiert und kam auf die Intensivstation.

Über jedes Kind, und sei es auch noch so gut entwickelt und sozialkompetent, muss eine Bildungsdokumentation erstellt werden (Es sei denn, Eltern hätten ihr Einverständnis verweigert). Politisch ungewollt hingegen wäre es, wenn ErzieherInnen ausgiebig die Zustände dokumentieren und für die Eltern einsehbar kritisieren, die sie zu beanstanden haben. Tapfer mitmachen und lächeln sieht die uns zugemutete Berufsrolle vor. Und falls mal die eine oder andere dennoch einmal aus der Rolle fällt, gibt es bestimmt ein paar allzu patente BerufskollegInnen, die treuherzig versichern, dass die Aufsichtspflicht bei ihnen selbstverständlich nicht zu kurz kommt und dass alle mit Herzblut bei den Kindern sind und sie sich keinen schöneren Beruf vorstellen können. - Wegen dieser „SuperheldInnen mit Herzblut“ haben schon einige kritische ErzieherInnen, den Berufsfeldern Krippe oder Kita den Rücken gekehrt. Sie ziehen es vor in Heimen oder als fachliche Schulbegleitung zu arbeiten.   

Wie unschuldig sind ErzieherInnen mit Mitläufermetalität?

Als Devin in Schwäbisch Gmünd von einem unzureichend gesicherten öffentlichen Spielplatz zur Rems lief und in dem Niedrigwasser des Flusses einen Kälteschock erlitt und starb, wurde das Verfahren gegen die drei ErzieherInnen eingestellt. Doch wie in Magdeburg hätte ein Gericht auch eine andere Entscheidung treffen können. Auch ohne eine mehrjährige Ausbildung hätten die ErzieherInnen und die Kindergartenleitung in Schwäbisch Gmünd als Fachkräfte nur durch unbefangenes Nachdenken feststellen können, dass es viel zu  riskant ist, einen Haufen hin- und herlaufender Kinder auf einen offensichtlich lückenhaft gesicherten Spielplatz zu betreuen. Verantwortungsbewusste Alleinerziehende meiden manchmal schon mit drei Kindern bestimmte Spielplätze. Warum wurden in Magdeburg die ErzieherInnen angeklagt und in Schwäbisch Gmünd nicht? - Betrachtet man die im Netz eingestellten Bilder des Spielplatzes an der Rems und des Spielplatzes am Mindelkanal, fallen mehr Parallelen als Unterschiede auf. Es scheint prozentual mehr schlimme Unfälle außerhalb einer Kita zu geben als im vertrauten und sorgsam geplanten Außengelände eines Kindergartens.   

Wo überall finden eigentlich Kita-Ausflüge auf öffentliche Spielplätze, in Parks oder zu Brunnen statt, nur weil Tagespflegende oder ErzieherInnen Kindern kein oder nur ein beschämend kleines Außengelände bieten können? 

Wie viele Ausflüge finden unter der Aufsicht von noch nicht oder nicht mehr für diese Aufgabe geeigneten Personen statt? Heute müssen fast alle Eltern einer Erwerbsarbeit nachgehen. Früher begleiteten in westlichen Bundesländern in der Regel mehrere Eltern (meist Mütter) die Kindergartenausflüge. Mittlerweile trauen sich Eltern kaum noch, ihre Hilfe anzubieten. „Das sieht doch nach Misstrauen gegenüber den Erziehern aus. Bei uns wollen die nicht, dass wir mitkommen“ - „Wir haben unserer ehemaligen Kinderfrau Geld angeboten, damit sie den Ausflug mitmacht und so hatten wir ein gutes Gefühl. Die Erzieherinnen haben die Unterstützung angenommen und uns ist es wurscht, wenn wir für andere Eltern nun lächerliche Helikopter sind.“

Erheblich übergewichtige Menschen sind nicht immer fit genug, um ein Zweijähriges einzuholen. Passanten sehen es und sagen auch schon mal was beim Zurückbringen eines Kindes... Aber welche berufserfahrene Kraft meldet sich selbst bei der Leitung und sagt „Sorry, das kann ich jetzt nicht mehr!“? Auch möchten KollegInnen einander nicht immer auf die Problematik ansprechen. Tränen, Mobbingvorwürfe und Querelen im Team könnten die Folgen sein. Schon eher wird in der Praxis Kritik an Praktikanten und an Berufsanfängern geübt. Vielen ist nicht bewusst, dass ein Kind schon nach 30 bis 90 Sekunden ertrinken kann. Dass niemand im Alltag mit den Kindern nach Belieben sein Handy checken darf, versteht sich von selbst und ist dennoch nicht selbstverständlich.

Finden genug Fortbildungen in erster Hilfe am Kind statt?

Ob der Personalmangel bald dazu führen wird, dass Kurse in erster Hilfe am Kind für Fachkräfte noch seltener als bisher stattfinden werden? Man kann sich doch alles aus dem Netz reinziehen... Aus jährlichen Auffrischungskursen in erster Hilfe am Kind wurden alle zwei Jahre stattfindende Kurse. Auch soll es reichen, wenn nicht alle regelmäßig in erster Hilfe am Kind fortgebildet werden. Überflüssige Zertifikate oder nützliche Geldprämien für die Kita mit einer vorbildlich ausgeübtem Top-Aufsichtspflicht werden auch nicht vergeben. - Mit „Bildung“ lässt sich wesentlich imposantere Schaumschlägerei betreiben als mit der drögen Aufsichtspflicht. Dass diese stets erfüllt wird, ist nur das Mindeste... Nichts Besonderes? - Auch wenn wir im Kontakt mit den Kindern niemals wegdösen dürfen? - So was können wir uns nur bei den Dokumentationsarbeiten mal gönnen.

Wie wird es weitergehen? Was lernen wir aus den Todesfällen? 

Wäre Elif im Schwimmbad unverhofft und ohne Fremdeinwirkung überraschend auf den Hinterkopf gefallen, wäre es eindeutig ein Unfall gewesen. Ihre Halbschwester Aylin kann nach über fünf Jahren des Wartens auf ein Urteil die Bezeichnung „Unfall“ für die zum Tod von Elif führenden Umstände nicht mehr hören. Dass eine fremde Lehrerin die Siebenjährige aus dem See an Land trug, gibt zu denken. Und überhaupt: 72 Kinder in einem öffentlichen Schwimmbad an einen See durch insgesamt 6 Erwachsene beaufsichtigen zu lassen erscheint im Nachhinein als „Wahnsinn“. - Warum nicht schon vorher? Nicht an jeder Schule, nicht in jedem Bundesland wäre ein derartiger, von der Leitung erlaubter Schwimmbadbesuch möglich gewesen. Vierzig ehemalige Grundschüler und Grundschülerinnen sollen noch -  mehr als fünf Jahre nach dem Unfall – als Zeugen verhört werden. Vor Ende September ist mit keinem Urteil zu rechnen. Ein kritischer Kommentar aus der Gransee Zeitung bringt einiges auf den Punkt. Und Christoph Rührmeier stellte die Frage „Wie misst man Schuld zu, wenn ein Fehler ein Kind das Leben kostet?“ Es ist etwas passiert, was wirklich niemand wollte. Auch den BetreuerInnen wird meist viel Mitgefühl entgegengebracht. Viel mehr als vor einem Unfall.

Die beiden Leserbriefe zum Tod des dreizehnjährigen Leo, zeigen uns, wie wichtig es für Hinterbliebene und Freunde ist, dass trauernde Angehörige und ihre berechtigten Fragen und Anliegen ernst genommen werden.

Geständnisse und Bitten um Entschuldigung wären für Eltern und Geschwister wichtig gewesen. Langes Schweigen der Aufsichtspflichtigen wurde als belastend empfunden. „Es muss alles getan werden, damit so etwas Schreckliches nicht noch einmal passiert“ ist ein Gedanke, der Angehörige eines Opfers dazu veranlasst, als Nebenkläger über Monate und sogar viele Jahre nicht aufzugeben.    

Meine Freundin Christine (Ihr Name wurde nicht geändert) hat nach den tödlichen Ertrinkungsunfällen von Kleinkindern in Norddeutschland ohne zu zögern gesagt, dass sie sofort den Eltern gesagt hätte, wie unendlich leid es ihr tun würde. Jede Strafe des Gerichts wäre von ihr akzeptiert worden. Für viele von uns wäre der Tod eines Kindes die lebenslange, schlimmste Strafe gewesen. Dass unter Christines Aufsicht ein Unfall – wie zuletzt in Eisenhüttenstadt – passiert wäre, kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Als Krippenerzieherin hat sie sich geweigert, die Küche zu machen und „ihre Kinder“ währenddessen den KollegInnen zur Aufsicht zu überlassen. Diese fanden es übertrieben, dass „die aus der Krippe“ sich so abgesprochen hatten. Eine der beiden stand immer fest neben einer einzigen, riesigen Pfütze, in der die Kinder immer wieder besonders gern gespielt haben.

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