mehrere Kinder

NST beklagt dramatischen Fachkräftemangel in den Kindertagesstätten und fordert längerfristige Anpassung der Standards

24.04.2023 Kommentare (3)

Mehr Kinder bedeuten, weniger Fachkräfte in den Kitas statt mehr Fachkräfte.

Wo bleibt der Schutz der vorhandenen Fachkräfte und der unserer Kinder?

In der Pressemitteilung heißt es „Vielfach kommen Betreuungsgruppen nicht zustande oder es müssen Kernzeiten dramatisch reduziert werden. Wir fordern daher eine längerfristige Anpassung und Flexibilisierung der Standards in den Kindertagesstätten, bis dieses Fachkräfteproblem gelöst ist.“ (Städtetag, 2023)

Das Problem des Fachkräftemangels wird sich in den nächsten zwei Jahren nicht lösen lassen. Wie bereits der Fachkräfteradar ergab, fehlen in Niedersachsen um die 12.000 Fachkräfte (Bock-Famulla, 2022). Wir und weitere Akteure aus der frühkindlichen Bildung gehen davon aus, dass uns dieses Problem in den nächsten 5-10 Jahren begleiten wird. Bereits in einer Pressemeldung vom 21.10.2022 mit dem Titel "Das Kitasystem steht vor dem Kollaps" wiesen wir auf die Umstände hin.

Eine Absenkung der Standards würde bedeuten, dass wir in den nächsten 10 Jahren mit 26 Kindern und geringerer Qualifikation der Fachkräfte in den Kitas arbeiten müssen. Unsere Kitas sind keine Aufbewahrungsstätten. Wir sind nach dem SGBVIII Bildungseinrichtungen und dies gilt es zu wahren!

Eine Absenkung der Fachkraft-Kind-Relation bedeutet für die Fachkräfte eine höhere Belastung und dies führt zu vermehrter Erkrankung und noch höherer Abwanderung. Bereits das Forschungsprojekt "STEGE – Studie zu Strukturqualität und Erzieher-Innengesundheit in Kindertageseinrichtungen" (Susanne Viernickel, 2012-2013) untersuchte welche Zusammenhänge zwischen den Rahmenbedingungen und der Gesundheit der pädagogischen Fachkräfte in der Kita bestehen. Diese Studie ergab, dass die strukturellen Bedingungen in der Kita dringend Verbesserungen benötigt, um das System Kita zu stärken.

Bereits hier wurde das Fazit gezogen, dass häufig eine schlechte Fachkraft-Kind-Relation unter dem rechnerischen Personalschlüssel aufgrund von Personalausfällen liegt. Wie zu erkennen ist, ist diese Studie bereits 10 Jahre alt. Und dennoch hat sich nichts verändert! Werden nun die Kinderzahlen erhöht, so wird weiterhin der Fachkraft-Kind-Schlüssel unterschritten. Dies liegt entgegen der Empfehlung der Bertelsmann-Stiftung und wurde auch im Oktober 2022 durch einen Brief von Wissenschaftlern untermauert. Das selbige ergab die Studie „Burnout in der Kita und der Zusammenhang zu Aspekten der Arbeitszufriedenheit“ (Trauernicht, 2022).

Neben den bereits benannten Kriterien, die Fachkräfte vor Herausforderungen stellen, muss der Blick einer zu etablierenden Partizipation unserer Kinder im pädagogischen Alltag unserer Einrichtungen und die Aufklärung und Stärkung ihrer Recht Berücksichtigung finden.

Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der Blick und die Haltung auf "Erziehung" derzeit ganzheitlich verändert. Kinder sind Menschen und haben Rechte sowie eine Würde, die es zu achten gilt. Die geforderten Maßnahmen lassen diese Tatsache außer Acht und stehen im Widerspruch zu elementaren Grundrechten, die Kindern zustehen.

Stellen wir diese Grundrechte unserer Kinder in den Fokus, muss die Diskussion in die andere Richtung gehen: Um dem frühkindlichen Bildungsauftrag und dem aktuellen wissenschaftlichen Diskus in unserer Arbeit gerecht zu werden, müssen wir darüber sprechen, wie wir Fachkräfte (nach)qualifizieren und Gruppengrößen nach unten anpassen (weniger Kinder!), um den Bedarfen der Kinder und ihren Grundrechten gerecht zu werden.

Die Aufsichtsbehörden in Niedersachsen fordern den Trägern derzeit moderne Kinderschutzkonzepte ab. Kinderschutz ist nur dann möglich, wenn jedes Kind im Blick der Fachkräfte steht. Jedes weitere Kind in Gruppen bedeutet, dass weniger Zeit, weniger Fokus und weniger individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes und jeder einzelnen Familie zur Verfügung steht. Es ist zu befürchten, dass der Kinderschutz so an Qualität einbüßen muss. Auch eine Herabsenkung der personellen Mindestausstattung geht damit einher: Weniger Ausbildung = weniger Blick für das Kindeswohl. Wollen wir das wirklich? Kurzfristige Hilfe kann langfristige Folgen haben. Die Kindergartenkinder von heute sind die Arbeitskräfte von morgen.

Daher stellen wir uns die Frage, wo bleibt der Kinderschutz? Die Meldungen nach § 47 SGBVIII haben sich verstärkt. Diese Meldungen kommen bedingt auch durch den Zeitmangel, durch einen erhöhten Förderbedarf der Kinder oder auch die Überforderung einzelner Fachkräfte.

Doch was hilft wirklich aus dem Dilemma? Hinsichtlich der Perspektive und dem Marathon gegen den Fachkräftemangel können unteranderem Familien kurzfristig gestärkt werden:

  • Kindkranktage (erneut) erhöhen, um auch bei Gruppenschließungen Lohnersatzleistungen in Anspruch nehmen zu können
  • Verlängerungsmöglichkeit des Elterngeldbezugs, wenn kein (geeigneter) Betreuungsplatz zur Verfügung steht
  • Kündigungsschutz für Eltern, die nachweislich ihrer Arbeit nicht nachkommen können, da ihr Kind nicht außerfamiliär kurz- oder mittelfristig betreut werden kann
  • verpflichtende Notfallpläne und transparente Maßnahmen bei Personalnotstand in Kitas und Krippen

Mehr Kinder in den Gruppen bedeutet gleichzeitig auch mehr Eltern. In den letzten Jahren haben wir bemerkt, dass das Thema Elternarbeit einen immer größeren Stellenwert in unserer Arbeit eingenommen hat. Immer mehr Eltern wünschen sich von uns Unterstützung in Erziehungsfragen, Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen, Begleitung von der Beantragung für eine Frühförderung, Intergrativplätzen usw.

Auch die sprachliche Barriere nimmt einen größeren Stellenwert ein, da es immer mehr Eltern mit einem Migrationshintergrund gibt und auch diese eine adäquate Begleitung ihrer Kinder wünschen. Doch hierfür benötigen wir entsprechende Zeitressourcen.

Nun wurde am 17.03.2023 vom Kultusministerium den Leitfaden „PrAK - Qualitätsmerkmale für die praktische Ausbildung in Kindertagesstätten“ veröffentlicht. Dieser sieht vor, dass für die Praxismentoren Zeitressourcen für eine adäquate und qualitativ gute Ausbildung im „Lernort Praxis“ vorhanden sind. Diesen können wir bei einer Anhebung der Kinderanzahl nicht gerecht werden. Es wird unsere Fachkräfte noch weiter ausbrennen. Daher fordern wir eine Erhöhung der Verfügungszeiten, um dem Anspruch gerecht werden zu können.

Seit vielen Jahren wird angemahnt, dass wir uns in eine Krise reinmanövrieren und doch wurde nichts getan. Viel eher sollte die Verantwortung an das Land Niedersachsen abgegeben werden und die Finanzierungen erhöht werden. Wir benötigen mehr Zeit und Geld für die frühkindliche Bildung, um unseren Kindern und damit unserer Zukunft wieder gerecht werden zu können. Wir benötigen eine qualitativ gute und vergütete Ausbildung.

Wir fordern daher den Diskurs in die andere Richtung zu führen! Was muss getan werden, um die noch vorhandenen pädagogischen Fachkräfte zu halten und wieder Bildungsarbeit leisten zu können?

Quelle: Kita Fachkräfteverband e.V. Niedersachsen - Bremen 

 

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Kommentare (3)

Angelika Mauel 10 Mai 2023, 21:48

Liebe Frau Krause,

was den Einsatz von Ungelernten angeht, habe ich übrigens einen ziemlichen Sinneswandel hinter mir. Ich habe als Ungelernte auf der Stelle einer Kinderpflegerin mit Berufserfahrung angefangen. Nach einem Pädagogik Leistungskurs vor dem Abi, den ich in guter Erinnerung behalten habe, fand ich den schulischen Teil der Erzieherausbildung als unbefriedigend - und später ging es für mein Empfinden noch mehr in Richtung "Schaumschlägerei". Eine Straffung hätte ich gut gefunden. Wesentlich besser dagegen fand ich die praktische Ausbildung in den Kindergärten und anderen Einrichtungen. In NRW gab es Anfang der Neunziger noch zahlreiche Kindergärten, die über Mittag geschlossen hatten. Nachmittags kamen recht wenig Kinder, für die man dann wirklich Zeit hatte. Und es blieb Zeit für den Gedankenaustausch mit Kolleginnen. Als Fachschülerin konnte man nicht nur die eigene Gruppeneleiterin fragen, sondern auch von dem profitieren, was die Kolleginnen aus den Nachbargruppen beobacher hatten und sagten. - Heute dagegen mangelt es oft an Zeit für die Auszubildenden. Und was die Ungelernten oder kurz geschulten Kräfte angeht, wird es ähnlich sein!

Was an der Erzieherfachschule vermittelt wurde, wurde früher von den mittlerweile meist schon in Rente gegangenen selbstständig denkenden Praxisanleiterinnen sehr fundiert und lebenspraktisch kritisiert. Bei der Einstellung von Personal - auch damals war es knapp! - wurde weniger auf Noten als auf den eigen Eindruck geachtet. Bei Vorstellungsgesprächen zählte die Wahl der ErzieherInnen vor Ort und vom Träger wurde erwartet, dass er die von der Leitung übermittelte Empfehlung annahm. Dank flacher Hierarchie im Kindergarten handelte es sich oft um Teamentscheidungen, die diesen Namen verdienten. Sie wurden nicht von übermüdeten Fachkräften nach einer sich in die Länge ziehenden Großteamsitzung entschieden, sofern die Teams überhaupt noch miteintscheiden können...

Seit die Bildungspläne gelten, habe ich (als Springerin) den Eindruck gewonnen, dass Träger angesichts des chronischen Personalmangels bedenkenlos jemanden einstellen, den das Team nicht einstellen möchte. Da bekommt dann bei der Kirche beispielsweise die bekennende Katholikin trotz psychischer Probleme die Stelle, "weil man dieser Frau unbedingt eine Chance geben müsse". Oder es werden Kräfte aus anderen Ländern in die Metropolen geholt und es wird ausgeblendet, dass es manchen kaum möglich ist, Kleinkinder in einer fremden Sprache zu verstehen. Absprachen mit Kollennen misslingen. - In der Jugendarbeit habe ich in einem emanzipatorischen Mädchentreff sehr gern mit Migrantinnen zusammengearbeitet - aber in Kitas kann es zu erheblichen und folgenschweren Missverständnissen kommen.

Bitte setzt euch für mehr Entscheidungsspielräume der Kitas ein. So wie wir gegen Zwangsverheiratungen sind, sollte es auch selbsverständlich sein, dass nirgendwo Fachkräfte unter den derzeitigen Rahmenbedingungen gezwungenermaßen mit Ungelernten arbeiten.

Einen handfesten Ehrenkodex für Erzieherinnen fände ich gut. Einen, an dem keine externen Berater als Experten mitwirken. "Nur ErzieherInnen!"

Melanie Krause 07 Mai 2023, 20:01

Sehr geehrte Frau Mauel,

vielen Dank für die Ausführung und das Statement. Dies spiegelt genau das wieder, was wir auch denken. Ungelernte Kräfte können unterstützen aber sollen und dürfen nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden.
Ende Mai sind wir bei einer Konferenz zusammen mit dem Kultusministerium und hoffen, dass wir dort Gehör finden.

Angelika Mauel 25 April 2023, 17:57

Eine kluge Emtscheidung, die Forderung, dass der Diskurs in eine andere Richtung gehen muss. Fachkräfte sind doch nicht dazu da, gute Miene zum bösen Machtspiel zu machen.

Man erinnere sich nur an die Blütezeit des forcierten Betreungsplatzausbaus: Damals sollten Kinderpflegerinnen nicht in den hoch gelobten Krippen arbeiten dürfen! Nur studierte KindheitspädagogInnen und ErzieherInnen sollten für die Arbeit mit den Kleinsten qualifiziert sein. - Doch dann musste die Politik erkennen, dass es ohne die verschmähten Kinderpflegerinnen und SozialassistentInnen nicht gehen würde. Sie hatten meist übrigens mehr über Kleinkinder in ihrer Ausbildung gelernt als ErzieherInnen. - Und nun wetteifern die Bundesländer darum, wie sie am effektivsten Standards missachten können. Besonders erbärmlich finde ich das Ansinnen, dass Ungelernte das Wickeln übernehmen und dadurch die Erzieher entlasten könnten.

Obwohl ich weiß, dass sich einige Ungelernte in Kitas durchaus sinnvoll einbringen können und sogar beliebter bei Kindern und Kolleginnen sind als manche berufsmüde Fachkraft, plädiere ich trotzdem dafür, dass Ungelernte grundsätzlich nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden dürfen. - Lasst euch nicht unterkriegen!

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