Qualität im Kindergarten. Wie gut ist das Niveau der Kindertagesbetreuung in Deutschland und wie wird es gemessen?
Diskussionen um die Qualität der Kindertagesbetreuung werden in Deutschland seit den 1990er Jahren verstärkt geführt. Neben internationalen Entwicklungen können als Gründe dafür der quantitative Ausbau und die Bemühungen der Träger um pädagogische Profilierung und Rechenschaftslegung aufgeführt werden. Neuere entwicklungspsychologische Erkenntnisse zur Entwicklung von Kindern nahmen ebenfalls Einfluss auf die Qualitätsdiskussion. Internationale Forschungsbefunde weisen auf positive Zusammenhänge zwischen einer guten Qualität der Kindertagesbetreuung und einer besseren Entwicklung der Kinder hin (Roßbach/Kluczniok/Kuger 2008). In Deutschland gibt es allerdings erst wenige Untersuchungen zum spezifischen Einfluss der Qualität von Kindertagesbetreuung auf eine gelingende kindliche Entwicklung und zum Einsatz und Umfang konkreter Maßnahmen der Qualitätssicherung beziehungsweise -weiterentwicklung in der pädagogischen Praxis.
Vier unterschiedliche
Qualitätsbereiche
Internationale und nationale Forschungen zur Qualität von Kindertagesbetreuung unterscheiden vier übergreifende, in den sozialökologischen Kontext eingebettete Qualitätsbereiche, auch strukturell-prozessuales Qualitätsmodell genannt (Tietze u.a. 1998): die Orientierungs-, die Struktur- und die Prozessqualität sowie die Qualität des Familienbezugs und der Vernetzung.
Nach dem strukturell-prozessualen Qualitätsmodell ist Qualität dann gegeben, wenn Kinder in ihrer körperlichen, emotionalen, sozialen und intellektuellen Entwicklung gefördert, ihr Wohlbefinden sowie ihre gegenwärtige und zukünftige Bildung in den Blick genommen und auch die Familien in ihrer Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsverantwortung unterstützt werden (Tietze u.a. 2007). Darüber hinaus basiert das Modell auf der Annahme, dass erstens Qualität messbar ist, zweitens jeder der vier Qualitätsbereiche für sich und drittens alle vier in ihrem Zusammenspiel Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und deren Familien haben.
Die einzelnen Qualitätsbereiche können wie folgt ausdifferenziert werden: Orientierungsqualität schließt Werte und Überzeugungen der für die pädagogischen Prozesse verantwortlichen Erwachsenen ein (dazu zählt zum Beispiel die Haltung zur Zusammenarbeit mit Eltern). Strukturqualität beschreibt Rahmenbedingungen (zum Beispiel die Gruppengröße und die Fachkraft-Kind-Relation). Unter Prozessqualität wird die Gesamtheit der Interaktionen von Kindern mit den pädagogischen Fachkräften, mit anderen Kindern und mit dem Raum sowie den darin befindlichen Materialien, zum Beispiel dem Spielzeug, zusammengefasst.
Die Prozessqualität kann zusätzlich in allgemeine und bereichsspezifische Aspekte unterteilt werden. Die allgemeine Prozessqualität bezieht sich unter anderem auf Pflege- und Betreuungsaspekte, räumlich-materiale Umgebung, Supervision des Geschehens oder allgemeine Förderaspekte. Die bereichsspezifische Prozessqualität thematisiert die Qualität der Förderung spezifischer Bereiche wie frühe schriftsprachliche oder mathematische Kompetenzen. Zudem kann Prozessqualität auf Gruppenebene und auf der Ebene des einzelnen Kindes erfasst werden. Diese beiden Ebenen können durchaus von unterschiedlicher Qualität sein. Qualität für eine ganze Gruppe sollte alle Alters- und Entwicklungsbereiche der Gruppe berücksichtigen, wohingegen Qualität auf der Ebene des einzelnen Kindes an dem Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes ausgerichtet sein sollte. Der Qualitätsbereich Familienbezug und Vernetzung fokussiert schließlich auf die Zusammenarbeit mit den Eltern oder auf Hilfen bei besonderen Herausforderungen, zum Beispiel durch die Vernetzung mit sozialen Diensten.
Standardisierte Instrumente, die auf Basis dieses Modells Prozessqualität messbar machen, erfassen pädagogische Umwelten und stehen damit im Gegensatz zu Verfahren, die sich auf Beschreibungen und Dokumentationen kindlicher Bildungs- und Lerngelegenheiten beziehen (Tietze 2006). Im deutschsprachigen Raum am weitesten verbreitet sind die aus den USA und England adaptierten Environment Rating Scales (zusammenfassend Tietze 2006; Roßbach/Tietze in Vorbereitung).
Prozessqualität wird dabei auf einer siebenstufigen Skala eingeschätzt. Werte unter drei stehen für unzureichende Prozessqualität, Werte zwischen drei und fünf für mittelmäßige und Werte von fünf bis sieben für gute bis ausgezeichnete Qualität. Neben ihrer Verwendung als Forschungsinstrument kommen diese Skalen auch bei Evaluationen zum Beispiel im Rahmen des Berliner Bildungsprogramms (Preissing u.a. 2011), im Rahmen kommunaler Qualitätsentwicklungsmaßnahmen (Braun 2003) oder frühpädagogischer Modellprojekte zum Einsatz, wie zum Beispiel bei dem Modellversuch »Kindergarten der Zukunft in Bayern« (KiDZ). Dieser hatte zum Ziel, alle Kinder individuell und begabungsgerecht zu fördern und die Bildungsbereiche Kindergarten und Grundschule stärker zu verzahnen (Roßbach/Sechtig/Freund 2010).
Studien messen mittleres
Qualitätsniveau
Für den Krippen-Bereich ist in Deutschland ein Defizit von größer angelegten Untersuchungen zu konstatieren. Vorhandene Studien beschränken sich auf regionale und kleine Stichproben. Der IFP-Krippenstudie des Staatsinstituts für Frühpädagogik (Wertfein/Kofler/Müller 2011) zufolge ist die Prozessqualität in den untersuchten 81 Münchner Einrichtungen im mittleren Qualitätsbereich einzustufen. Dieser Befund findet sich auch in anderen nationalen Untersuchungen (zusammenfassend Braun 2003).
Zur Bildung
Im Rahmen der Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK) zeigt sich, dass mehr als 80 Prozent der 188 untersuchten Krippengruppen ein mittleres Qualitätsniveau und weniger als zehn Prozent gute Qualitätswerte aufweisen (siehe dazu Kalicki/Egert: Effekte der Früh-Erziehung. In: DJI Impulse 98).
Für den Kindergartenbereich zeigt die BiKS-Studie der Universität Bamberg (Kuger/Kluczniok 2008), dass die allgemeine Prozessqualität in den 97 untersuchten Kindergärten in Bayern und Hessen im Mittelmaß und damit geringfügig unter nationalen und internationalen Vergleichsdaten liegt (zum Beispiel Tietze u.a. 2007 und Pianta u.a. 2005). Der Gesamtwert der bereichsspezifischen Prozessqualität, die die Förderung bestimmter Inhalte, wie zum Beispiel frühe sprachliche Kompetenzen, misst, fällt niedriger aus als die allgemeine Prozessqualität, die sich unter anderem auf Aspekte der Betreuung und räumlichen Umgebung bezieht. Dieses Ergebnis findet sich auch in anderen Studien (zum Beispiel Sylva u.a. 2004). Differenziertere Analysen für einzelne Qualitätsbereiche (Gruppenführung/Klima, Förderung in Schriftsprache und Förderung in Mathematik) weisen ebenfalls auf ein mittleres Qualitätsniveau hin.
Gute soziale Fähigkeiten, aber Defizite beim Sprechen und Rechnen
Wie sieht es nun mit dem Qualitätsniveau auf der Ebene des einzelnen Kindes aus? Analysen zeigen, dass sich die Qualität insgesamt auf einem unzureichenden Niveau befindet (Smidt 2012). Dies gilt insbesondere für die Bereiche »globale kognitive Förderung«, »Förderung von Literacy«, also der frühen schriftsprachlichen Kompetenzen, und »Förderung von Numeracy«, also der frühen mathematischen Kompetenzen. Als deutlich besser wird hingegen die »Förderung sozialer Fähigkeiten« beurteilt.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Prozessqualität in den untersuchten Gruppen im mittleren Bereich liegt. Es ist also ein deutlicher Verbesserungsbedarf der Qualität der Kindertagesbetreuung zu konstatieren. Zudem gibt es Hinweise, dass Kinder nur dann von einer hohen Prozessqualität profitieren, wenn diese zusätzlich durch Anregung aus der Familie gestützt wird (Anders u.a. 2012). Das bedeutet, dass es nicht ausreicht, die Qualität in den Einrichtungen zu verbessern, sondern es müssen zusätzlich auch die Eltern eingebunden und bei der Förderung ihrer Kinder unterstützt werden. Allerdings darf dabei nicht die große Spannbreite der Qualität in den verschiedenen Einrichtungen vergessen werden. Zudem müssen einrichtungsspezifische Schwerpunktsetzungen pädagogischer Arbeit berücksichtigt werden. Es muss auch betont werden, dass die Interpretationen nur für die mit den Environment Rating Scales gemessene Qualität gelten. Daher bleibt offen, wie sich das Qualitätsniveau mit anderen Instrumenten darstellen würde, die sich auf andere, zum Beispiel relativistische Zugänge berufen, bei denen im dialogischen Austausch mit allen an der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern Beteiligten definiert wird, was unter Qualität verstanden wird (Roux 2006).
Um zukünftig die Qualität der Kindertagesbetreuung zu steigern, sind Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen bedeutsam. Dazu gehören Steuerungsmaßnahmen (wie zum Beispiel die Umsetzung der Bildungspläne und deren Überprüfung sowie systematische Qualitätsentwicklungs- und -sicherungsprozesse etwa in Form eines allgemeinen pädagogischen Gütesiegels), Maßnahmen zur Weiterentwicklung professioneller Handlungskompetenzen frühpädagogischer Fachkräfte (wie die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte WiFF) sowie verstärkte Forschungsbemühungen. Eine weitgehende Qualitätsverbesserung ist vermutlich nur zu erwarten, wenn diese Maßnahmen auf mehreren Ebenen ansetzen.
DIE AUTORINNEN, DER AUTOR
Dr. Katharina Kluczniok ist Diplom-Pädagogin und seit 2012 Akademische Rätin am Lehrstuhl Elementar- und Familienpädagogik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Ihre Schwerpunkte sind pädagogische Qualität in Familie, Kindergarten und Grundschule sowie der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, insbesondere die Entscheidung von Eltern für oder gegen eine vorzeitige Einschulung.
Kontakt: katharina.kluczniok@uni-bamberg.de
Jutta Sechtig ist Diplom-Pädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Evaluation Offensive Frühe Chancen – Schwerpunkt-Kitas Sprache und Integration« am Lehrstuhl Elementar- und Familienpädagogik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Tagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren, die alltagsintegrierte sprachliche Bildung sowie die Diskussion um die Sicherung, Feststellung und (Weiter-)Entwicklung pädagogischer Qualität – insbesondere unter dem Fokus der Gestaltung der Freispielzeit.
Kontakt: jutta.sechtig@uni-bamberg.de
Prof. Dr. Hans-Günther Roßbach ist Inhaber des Lehrstuhls Elementar- und Familienpädagogik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Sprecher der Forschergruppe »BiKS – Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter« sowie Leiter der Abteilung »Lernumwelten« des Nationalen Bildungspanels. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bildung in der frühen Kindheit, pädagogische Qualität, Längsschnittforschung sowie Modellversuche und deren Evaluation.
Kontakt: hans-guenther.rossbach@uni-bamberg.de
LITERATUR
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Braun, Ulrich (2003). Eine Premiere in der Frühpädagogik! Qualitätsfeststellung in Göttinger Kindertagesstätten und »Evaluation der Evaluation«
Im Internet verfügbar unter: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1121.html (Zugriff am 17.02.2012)
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Pianta, Robert / Howes, Carollee / Burchinal, Margaret / Bryant, Donna / Clifford, Richard / Early, Diane / Barbarin, Oscar (2005): Features of pre-kindergarten programs, classrooms, and teachers: Do they predict observed classroom quality and child-teacher interactions? Applied Developmental Science, Heft 3, S. 144–159
Preissing, Christa / Heimgaertner, Henriette, Schneider, Björn / Hiller, Milena (2011): Interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm in den Berliner Kindertagesstätten. Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung. Berlin
Roßbach, Hans-Günther / Kluczniok, Katharina / Kuger, Susanne (2008): Auswirkungen eines Kindergartenbesuchs auf den kognitiv-leistungsbezogenen Entwicklungsstand von Kindern. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 11, S. 139–158
Roßbach, Hans-Günther / Sechtig, Jutta / Freund, Ulrike (2010). Empirische Evaluation des Modellversuchs »Kindergarten der Zukunft in Bayern – KiDZ«. Ergebnisse der Kindergartenphase. Bamberg
Im Internet verfügbar unter: http://www.opus-bayern.de/uni-bamberg/volltexte/2010/289/pdf/KiDZopus1Ae.pdf (Zugriff am 8.3.2012)
Roßbach, Hans-Günther / Tietze, Wolfgang (in Vorbereitung): Kindergarten-Skala Erweiterung (KES-E). Deutsche Fassung der »The Early Childhood Environment Rating Scale-Extension (ECERS-E)« von Sylva, Kathy / Siraj-Blatchford, Iram / Taggart, Brenda (2003)
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Smidt, Wilfried (2012): Zielkindbezogene pädagogische Qualität im Kindergarten. Eine empirisch-quantitative Studie. Münster
Sylva, Kathy / Melhuish, Edward / Sammons, Pam / Siraj-Blatchford, Iram / Taggart, Brenda / Elliot, Karen. (2004): The Effective Provision of Pre-School Education Project – Zu den Auswirkungen vorschulischer Einrichtungen in England. In: Faust, Gabriele / Götz, Margarete / Hacker, Hartmut / Roßbach, Hans-Günther (Hrsg.): Anschlussfähige Bildungsprozesse im Elementar- und Primarbereich. Bad Heilbrunn, S. 154–167
Tietze, Wolfgang (2006). Frühpädagogische Evaluations- und Erfassungsinstrumente. In: Fried, Lilian / Roux, Susanna (Hrsg.): Pädagogik der frühen Kindheit. Handbuch und Nachschlagewerk. Weinheim, S. 243–253
Tietze, Wolfgang / Meischner, Tatjana / Gänsfuß, Rüdiger / Grenner, Katja / Schuster, Käthe-Maria, Völkel, Petra / Roßbach, Hans-Günther (1998): Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität in deutschen Kindergärten. Neuwied
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Wertfein, Monika / Kofler, Anita / Müller, Kerstin (2011): Kleine Kinder – großer Anspruch 2010! Ausgewählte Ergebnisse der 2. IFP-Krippenstudie. Staatsinstitut für Frühpädagogik (Hrsg.): IFP-Infodienst, 16. Bildung Erziehung Betreuung von Kindern in Bayern. München
Diesen Beitrag haben wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übernommen aus DJI Impulse 2/2012
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