Ringen, rangeln, Kräfte messen: Wichtig für Jungs - und Mädchen
Wir übernehmen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion aus dem neuen Heft von Welt des Kindes.
Oft reagieren Erzieherinnen ängstlich und besorgt, zumindest aber unsicher, wenn Kinder – vor allem Jungs –miteinander kämpfen oder sich balgen. Diese Besorgnis führt dazu, dass Rangeleien rasch unterbunden werden, auch wenn es sich offensichtlich nicht um einen Konflikt handelt, der gewaltsam ausgetragen wird.
Dieser Beitrag soll zum einen verdeutlichen, dass Ringen, Rangeln und Raufen für Kinder ein pädagogisch wertvolles, wirkungsvolles und entwicklungsförderndes Thema ist, wenn es bestimmten Regeln folgt und von gegenseitigem Respekt getragen ist. Zum anderen soll mit Hilfe einiger praktischer Beispiele gezeigt werden, wie die Umsetzung in die Praxis gelingen kann.
In der Tat sieht es gefährlich aus, wenn zwei Jungs sich eng umklammert auf dem Boden wälzen und dabei versuchen, sich gegenseitig „bewegungsunfähig“ zu machen oder sich in eine Position zu bringen, aus der ein Entwinden nicht mehr möglich ist. Vielfach ist es jedoch kein Streit, der da so wild und ungestüm, ja oftmals aggressiv und „grenzwertig“ erscheint. Vor allem Jungs wollen ihre Kräfte erproben, sich spielerisch mit und an einem anderen messen. Sie wollen – und müssen – Erfahrungen im Umgang mit (körperlicher) Nähe und Distanz beziehungsweise mit eigenen und fremden Grenzen sammeln. Es handelt sich dabei um eine Form „selbstinitiierter Entwicklungsför-derung“, die sich in einem wechselvollen Geschehen von körperlichem und seelischem „Berührt-Werden“ abspielt.
Bei der das Geschehen beobachtenden Erzieherin mag dabei bisweilen der Eindruck entstehen, dass die rangelnden Jungs in ihrem Tun keiner Regel folgen und keine Übereinkünfte und Absprachen getroffen werden. Wenn man jedoch genauer hinschaut (und den Kampf nicht vorschnell aus Sorge unterbricht), ist zu erkennen, dass meist auch die „wildesten Jungs“ beim Rangeln respektvoll und sensibel miteinander umgehen. Das Wenige, das notwendig ist, um ein Kämpfchen freudvoll aus- und zu Ende zu führen, wird nicht selten währenddessen ausgehandelt. Dies erfolgt häufig ohne Worte allein durch das Gefühl für Grenzen und Grenzüberschreitungen und durch das Bewusstsein, für den eigenen Körper wie für den des Partners mitverantwortlich zu sein.
Sowohl in der „Turnstunde“ wie auch im Alltag kann Raum für ein faires und freudvolles Ringen und Rangeln geschaffen werden. Eine spezielle Methodik ist dazu nicht erforderlich. Viel wichtiger sind eine kind- und entwicklungsgemäße Gestaltung der Rahmenbedingungen sowie im Vorfeld eine aktive körperliche Auseinandersetzung der pädagogischen Fachkräfte mit dem Thema – es kann nicht „angelesen“ werden.
Selbsterfahrungen bilden die Vorausset-zung, um Vorgänge und Empfindungen der Kinder beim Ringen und Rangeln einschätzen zu können (zum Beispiel im Hinblick auf Faktoren wie „Körperkontakt“, „Halten“und „Gehalten werden“). Dabei helfen einige wenige, allerdings unverzichtbare Regeln. So gibt es keinen „Gegner“, sondern immer nur einen „Partner“. Zudem herrscht das Prinzip der „Freiwilligkeit“. Die umfassendste und grundlegendste Regel aber lautet: „Es ist alles verboten, was wehtut!“ Dieses „Nicht-Wehtun“ bezieht sich dabei sowohl auf die eigene Person wie auf das Gegenüber. Weiterhin hat jede(r) jederzeit das Recht, einen Kampf, aus welchen Gründen auch immer, abzubrechen. Dies kann durch Worte und/oder bestimmte Zeichen, wie zum Beispiel „Abklopfen“, erfolgen.
Praktische Übungen
Bevor gerangelt und gerauft werden kann, geht es darum, die Kinder (Jungs wie Mädchen) in die Lage zu verset-zen,Körperkontakt aufzunehmen und zu akzeptieren. Ringen und Rangeln ist ohne Körperkontakt nicht möglich. Hier muss sicherlich eine Reihe von Vorbehalten und Ängsten abgebaut werden. Dazu bieten sich Übungen und Spiele an, die zunächst nur indirekten (über Materialien) und flüchtigen beziehungsweise unverbindlichen (zum Beispiel in Fangspielen) Körperkontakt erfordern.
Beispiel „Klebemeister“
In Kleingruppen (drei bis sechs Mitspieler) „klebt“ ein Mitspieler die anderen mit Hilfe von Bierdeckeln an unterschiedlichen Körperteilen aneinander. Dann bewegt sich die Gruppe möglichst so durch den Raum, dass kein Bierdeckel verloren geht.
Vertrauen aufzubauen und zu stabilisieren ist das nächste Ziel bezieungsweise der nächste Baustein in der Umsetzung des Themas. Ohne Vertrauen zu sich selbst und zu anderen, wird sich kein Kind wirklich darauf einlassen. Voraussetzung ist hier eine positive Einstellung zum eigenen Körper, aber auch die Gewissheit, sich in neuartigen und kritischen Situationen auf den Partner und die Gruppe verlassen zu können.
Beispiel „Überlaufen-Umgehen“
Die Hälfte der Gruppe legt sich mit dem Rücken auf den Boden. Die Liegenden schließen die Augen, während die anderen Spieler zunächst an den Liegenden vorbeilaufen und später diese auch überspringen beziehungsweise„überlaufen“. Diese dürfen nach einiger Zeit die Augen öffnen. Zum Schluss geht jeweils ein Mitspieler um einen liegenden Partner so herum, dass er immer mit einem Fuß Körperkontakt hält.
Können die Kinder Körperkontakt akzeptieren und haben ein solides „Vertrauensfundament“, kann damit begonnen werden, nach Regeln „mit einem Partner zu kämpfen“. Zunächst werden kämpferische Grundelemente des „Miteinanders“ (wie Halten, Stützen, Tragen, Rollen, Auffangen…) entwickelt, bevor dann das „Gegeneinander“ (wie Ziehen, Schieben, Wegdrängen, Festhalten, Drehen gegen Widerstand…) vorwiegend in 1:1-Situationen erprobt und erfahren wird. Die Art und Weise der Annäherung erfolgt spielerisch und benötigt keine technischen und nur wenige koordinative Fertigkeiten.
Beispiel „Gegenüberstellung“
Die beiden Mitspieler stellen sich einander gegenüber und legen ihre Handflächen aneinander. Die Beine sind leicht gegrätscht. Ziel ist, durch Drücken und Nachgeben den Partner aus dem Gleichgewicht zu bringen. Verloren hat derjenige, der seinen Fuß anhebt oder versetzt.
Beispiel „Rückenschieben“
Jeweils zwei Kinder sitzen Rücken an Rücken auf dem Boden in der Mitte einer ungefähr vier bis sechs Meter breiten Gasse, die von zwei Auslinien markiert wird. Auf ein Startsignal hin wird versucht, den Partner über die jeweilige Auslinie zu schieben.
Beispiel „Käseklau“
Partner A kniet am Boden und beschützt mit seinem Körper einen Ball („Käse“), den Partner B ergattern will. Er darf dazu alle fairen Mittel anwenden. Das Spiel kann erweitert werden, indem zwei Angreifer versuchen, den Ball zu bekommen.
Beispiel „Sockenklau“
Alle Spieler bewegen sich im Spinnengang (Vierfüßlergang rücklings) vorwärts, seitwärts und rückwärts über die Mattenfläche. Treffen sie auf andere Mitspieler, versuchen sie diese festzuhalten und ihnen die Socken auszuziehen. Gleichzeitig versuchen alle, das Ausziehen ihrer eigenen Socken zu verhindern. Die ausgezogenen Socken bleiben auf der Mattenfläche liegen.
Beispiel „Mausefalle“
Die „Mausefalle“ (Partner A) befindet sich in der Bankstellung. Die „Maus“ (Partner B) robbt unter die Mausefalle, die zuschnappt (vorsichtiges Hinlegen), sobald die Maus mit der Hüfte darin ist. Die Maus muss versuchen, sich zu befreien.
Beispiel „Inselkampf“
Auf einer Weichbodenmatte, die außen herum mit Gymnastikmatten abgesichert ist, befinden sich bis zu zehn Kinder. Auf ein Zeichen hin versuchen sich alle gegenseitig von der Matte zu drängen; dabei ist maximal Kniestand erlaubt. Sieger ist, wer zuletzt auf der Matte („Insel“) übrig bleibt.
Schlussbemerkung
Ich hoffe, dieser Beitrag hat Mut gemacht, sich intensiver mit dem Thema auseinander-zusetzen und entsprechende Angebote im Alltag der Kita,zum Beispiel in der Bewegungserziehung, zu verankern. Dass Kinder – Jungs wie Mädchen – darüber auch lernen, gewaltsam körperlich ausgetragene Konflikte von freudvollem Kämpfen zu unterscheiden, macht die abschließende Gegenüberstellung von Kinderaussagen deutlich:
Kämpfen im Streit |
Ringen und Rangeln im Spaß |
• „Es gibt keine Regeln“ | • „mit Regeln und manchmal auch mit Schiedsrichter“ |
• „Gegner“, „Feind“ | • „Partner“, „Freund“, „Freundin“ |
• „Man will sich wehtun“ | • „Ich will wissen, wer der Stärkere ist“ • „Ich passe auf, dass der andere sich nicht wehtut“ |
• „Der Stärkere sagt, wann der Kampf zu Ende ist“ • „Manchmal dauert der Kampf so lange, bis einer weint oder abhaut“ |
• „Jeder darf sagen, wann der Kampf zu Ende ist“ • „Einer hört auf, wenn der andere nicht mehr will oder kann“ • „Mein Freund hört sofort auf, wenn ich das sage“ |
• „Man bleibt Feinde“ | • „Man bleibt Freunde, auch wenn man selbst den Kampf verloren hat“ |
• „macht keinen Spaß, sondern wütend“ • „lieber nicht noch einmal“ |
• „macht Spaß“ • „Ich versuche es noch einmal, vor allem, wenn ich einen neuen Trick gelernt habe“ |
Autor
Prof. Dr. Wolfgang Beudels
Leiter des Studiengangs "Pädagogik der frühen Kindheit" am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Koblenz, ausgebildeter Lehrer für Sport und Geschichte.
Literatur
Wolfgang Beudels, Wolfgang Anders: Wo rohe Kräfte sinnvoll walten. Ringen, Rangeln und Raufen in Pädagogik und Therapie; Dortmund: Borgmann Verlag 2005
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