SGB VIII-Reform: Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe erleichtern und alle freien Träger gleichbehandeln
Das Rechtsinstitut der Anerkennung ist aus unserer Sicht und aus Sicht führender Sozialrechtsexperten insgesamt als rechtlich kritisch bis rechtswidrig zu bewerten.
Das Rechtsinstitut der Anerkennung mit den damit verbundenen Folgewirkungen für den Tätigkeitsbereich freier Kita-Träger hat diskriminierenden Charakter und verstößt gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 GG) sowie gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 GG).
Ein sachlicher Differenzierungsgrund zwischen gemeinnützigen und nicht-gemeinnützigen Trägern ist vor dem Hintergrund des Pluralitätsgebots (§ 3 SGB VIII), aber auch des der Ausgestaltung der Entgeltfinanzierung zugrunde liegenden Wettbewerbsgebots nicht erkennbar.
Die Verfassungsmäßigkeit von § 75 SGB VIII muss vom Gesetzgeber neu beurteilt werden. Andernfalls sollten die betroffenen Träger eine gerichtliche Kontrolle in Betracht ziehen.
Die heutige Situation führt dazu, dass dringend benötigte Ausbaupotenziale ungenutzt bleiben, Innovation, Vielfalt und Qualitätsentwicklung behindert werden. Eltern haben heute nicht die Auswahl, die ihnen zur Verfügung stehen könnte.
Ziel einer Reform muss es sein, alle Organisationen, die die fachlichen Voraussetzungen besitzen, als Träger der freien Jugendhilfe anzuerkennen.
1. Anerkennung kraft Gesetzes
Situation heute: Kraft Gesetzes anerkannte Träger der freien Jugendhilfe sind die Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Der Begriff „Verbände der freien Wohlfahrtspflege“ wird gesetzlich nicht näher definiert.
Lösungsvorschlag: § 75 (3) des SGBVIII sollte aufgrund der sich gewandelten Trägerlandschaft im Bereich Kindertagesstätten und generell in der Kinder- und Jugendhilfe folgendermaßen geändert werden:
Die Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts, sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Fachverbände sind anerkannte Träger der freien Jugendhilfe.
Argumentation: Es erscheint nicht mehr plausibel, bei der Anerkennung kraft Gesetzes nur diese Träger in den Blick zu nehmen, die der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des KJHG vor 32 Jahren tatsächlich kannte und damit zum Ausdruck brachte, dass dieser enge Kreis die Voraussetzungen, die in allen anderen Fällen im Einzelfall nachzuweisen sind, tatsächlich erfüllt. Er hat damit eine konkrete aber auch relativ willkürliche Entscheidung zu den damals agierenden Trägern getroffen. Der Kreis muss jetzt erweitert werden.
Für die Akkreditierung der Fachverbände, die konkret für eine Anerkennung kraft Gesetzes qualifiziert sein müssen, muss es ein geregeltes Verfahren geben, z. B. über die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ).
1.1. Wertewandel bedingt Strukturwandel
Historisch gesehen ist die Pluralität von Weltanschauungen und normativen Orientierungen eine zentrale Legitimation für eine privilegierte Stellung bestimmter freier Träger. Diese Legitimation hat jedoch mit dem kontinuierlichen Zerfall von Weltanschauungen und Wertegemeinschaften im Kontext einer zunehmenden Individualisierung von Wertorientierungen und Lebensführungen an Bedeutungskraft verloren. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich dieser Prozess weiter beschleunigt. So steigt etwa die Zahl der Kirchenaustritte weiter an.
Damit verliert das Strukturprinzip eines pluralen Angebots aber nicht an Bedeutung. Sein Sinn ist nicht der Schutz oder die Privilegierung bestimmter Organisationen, Einrichtungen oder Dienste, sondern die Realisierung der Interessen, Wünsche und Bedürfnisse der Menschen in einer pluralen Gesellschaft. „Vielfalt ist erforderlich, damit angesichts der unterschiedlichen Lebenswelten und Problemlagen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten Jugendhilfe wirksam werden kann“ (Achter Jugendbericht Bundestags-Drucksache 11/6576, S. 175 und Elfter Kinder- und Jugendbericht Bundestagsdrucksache 14/ 8181, S. 105). So ist in § 3 Abs.1 SGB VIII nicht nur von einer Vielfalt der Träger unterschiedlicher Wertorientierungen, sondern auch von einer Vielfalt der Inhalte, Methoden und Arbeitsformen die Rede. Dementsprechend gewinnen andere Kriterien wie etwa das fachliche Konzept einer Einrichtung, ihr Leitbild, ihr Kinderschutzkonzept usw. zunehmend an Bedeutung.
Die Grundlage für das Wirken freier Träger ist das öffentliche Interesse an einem pluralen, bedarfsgerechten Angebot. Dieses wiederum wird von den Interessen, Wünschen und Bedürfnissen der Leistungsadressaten bestimmt, die bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen von ihrem Wunsch- und Wahlrecht Gebrauch machen (wollen) und die sich nur partiell auf die Wertorientierung und zunehmend auf methodische und konzeptionelle Fragen beziehen.
1.2. Wandel der Trägerlandschaft und Gleichbehandlung
In nahezu allen Bundesländern sind es die freien Träger, die den seit 2013 bestehenden Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz überhaupt ermöglichen. Denn sie stellen zwei Drittel der bundesweiten Kitaplätze. Dabei haben vor allem die „jüngeren“ freien Träger1 einen überproportionalen Beitrag zum Ausbau der Kitaplätze geleistet.2 Mit anderen Worten: Ohne die freien „unabhängigen“ Träger könnte der gesetzlich geregelte Anspruch auf einen Kitaplatz häufig gar nicht umgesetzt werden. Damit übernimmt diese, auch als sozialunternehmerisch charakterisierte Trägergruppe, eine hohe Verantwortung, sie stellte und stellt sich trotz aller Hindernisse dem Wettbewerb und setzt den staatlich zugesagten Anspruch häufig überhaupt erst um. Zudem ist diese Trägergruppe häufig innovations- und qualitätsgetrieben. Formal sind die freien Träger den öffentlichen Trägern gleichgestellt, ja, im Gesetz sind sogar ausdrücklich Prinzipien wie Vielfalt, partnerschaftliche Zusammenarbeit, das Wahlrecht der Eltern und eine plurale Angebotsstruktur verankert. Gleichwohl gestaltet sich in der Realität die Arbeit der freien Träger erheblich schwieriger als die der öffentlichen Träger., Dies trifft noch mehr auf die freien Träger zu, die nicht in den Wohlfahrtsverbänden organisiert sind. Denn allenthalben haben sie in der täglichen Arbeit mit Benachteiligungen zu kämpfen, die es erheblich erschweren, sich auf das zu konzentrieren, was sie als ihre eigentliche Aufgabe sehen: die qualifizierte Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung.
Diese unterschiedliche Behandlung der Träger basiert auf einer gesellschaftlichen, sozialen und historischen Situation, die inzwischen nicht mehr gegeben ist. Denn die Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie der Wohlfahrtsverbände in der Gesellschaft und in der Jugendhilfe ist heute eine deutlich andere als in den frühen Jahren der Bundesrepublik. Und auch die Bedeutung von Jugendhilfe hat sich erheblich gewandelt: Während früher staatlich organisierte Kinderbetreuung als Nothilfe für solche Familien angesehen wurde, die aus gesundheitlichen oder familiären Gründen nicht in der Lage waren, selbst die Betreuung der Kinder zu gewährleisten, ist ein ausreichendes Angebot von Kinderbetreuung heute die Basis für das Familien- und Gesellschaftsbild des 21. Jahrhunderts. Und es ist weit mehr als Notbetreuung, es ist frühkindliche Bildung, also ein substanzieller Beitrag zur Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und damit zur Zukunft der Gesellschaft.
Heute bestimmen die staatlichen und in den großen Wohlfahrtsverbänden („G5“) organisierten Kitaträger kartellartig das System der Kinderbetreuung. Die Träger bieten für den Staat mehrere Sachleistungen an und erfüllen damit unter anderem den Rechtsanspruch auf den Kitaplatz, indem sie für die Kinder Kitaplätze zur Verfügung stellen. Es handelt sich nicht um ein nachfrageorientiertes System, sondern vielmehr um ein angebotsorientiertes System. Wirkliche Wahlfreiheit für die Eltern besteht auch aufgrund der Dominanz der staatlichen und vor allem kirchlichen Träger nicht. Fairer Wettbewerb wird so unterbunden. Nur dann, wenn wirklich freier und fairer Wettbewerb um Qualität und Innovation ermöglicht wird, kann die Wahlfreiheit für Eltern hergestellt werden. Auch die Monopolkommission hat dies bereits vor 20 Jahren zum ersten Mal festgestellt und entsprechende Reformen gefordert, um die kartellartigen Verkrustungen zu öffnen. Und nicht zuletzt ist anzuzweifeln, ob das gegenwärtige System dem Beihilferecht der Europäischen Union entspricht.
Viele freie Träger werden benachteiligt, da sie zumeist nicht über die historisch gewachsenen Strukturen verfügen wie die sogenannten „G5“. Zum Beispiel sind sie meist nicht in den Jugendausschüssen vertreten, wo die Anerkennungsverfahren diskutiert und entschieden werden. Die Forderung nach einem verbesserten Verfahren bei der Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe ist deshalb ein wichtiger Gleichbehandlungsaspekt mit dem Ziel allen freien Trägern eine gute Basis für deren Arbeit zu sichern.
1.3. Bundesweit tätige Fachverbände
Von den Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege wird erwartet, dass sie die Qualifikation der in ihnen zusammengeschlossenen Landes- und Regionalorganisationen bei der Aufnahme in den Spitzenverband und deren laufender Tätigkeit überwachen und begleiten. Es ist fraglich, ob sie diese Kontrolle leisten können aufgrund der Vielzahl an kleinen Einrichtungen (z. B. Elterninitiativen mit wechselnden Vorständen). Die Träger, die sich in Fachverbänden organisiert haben, sind meist professioneller und näher am Geschehen.
Tatsächlich gibt es immer wieder Beschwerden über intransparente, parteiische oder voreingenommene Verfahren beim Aufnahmeprozess der Wohlfahrtsverbände. Die Vorgehensweise kann dort von Landesverband zu Landesverband stark abweichen, was für ein eher willkürliches Verfahren spricht.
Mit dem Wandel der Trägerlandschaft haben sich in den letzten Jahren entsprechende neue Verbände herausgebildet mit dem Ziel
- der Förderung und Professionalisierung der freien Träger von Kindertagesstätten und Hilfen zu Erziehung etc. in Deutschland,
- der Förderung von Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungskompetenz sowie der Entwicklung innovativer (Elementar-)pädagogik,
- der Förderung des Informations- und Erfahrungsaustausches der freien Träger von Kindertagesstätten, Hilfen zur Erziehung etc. und deren Beratung in fachlichen und organisatorischen Belangen,
- Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften und deren Trägern anzubieten.
Diese bundesweit tätigen Fachverbände (wie der VPK – Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e.V. und der Deutsche Kitaverband. Bundesverband freier unabhängiger Träger von Kindertagesstätten e.V.) verfügen über eine hohe Fachlichkeit, einen großen Praxisbezug, Innovationskraft und eine hohes Qualitätsbewusstsein. Sie sind mindestens ebenso gut wie die Wohlfahrtsverbände in der Lage, die Prüfung der fachlichen, organisatorischen und satzungsmäßigen Voraussetzungen für eine Anerkennung vorzunehmen. Sie bieten die Gewähr, die übrigen Voraussetzungen des §75 Absatz (1) stets zu erfüllen.
2. Anerkennung kraft behördlicher Entscheidung
Für die Anerkennung einer anderen juristischen Person oder einer Personenvereinigung als Träger der freien Jugendhilfe müssen heute die in § 75 Absatz (1) geregelten Voraussetzungen erfüllt sein (Nummer 1, 3 und 4). Das heißt, sie müssen:
- auf dem Gebiet der Jugendhilfe im Sinne des § 1 tätig sein,
- aufgrund der fachlichen und personellen Voraussetzungen erwarten lassen, dass sie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe zu leisten imstande sind, und
- die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten.
Hinsichtlich der Rechtsfolgen unterscheidet die Norm nach der Dauer der Tätigkeit, nämlich zwischen solchen Trägern, die weniger als drei Jahre auf dem Gebiet der Jugendhilfe tätig sind und solchen, die länger als drei Jahre tätig sind. Während die Anerkennung im ersten Fall im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe liegt (Abs. 1: „können ... anerkannt werden“), besteht im anderen Fall ein Rechtsanspruch auf Anerkennung (Abs. 2).
Nach Absatz 1 ist die Anerkennung „zulässig“, wenn der Träger eine juristische Person oder eine Personenvereinigung ist und die in den Nrn. 1, 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erfüllt ein Träger der freien Jugendhilfe diese Voraussetzungen und beantragt er die Anerkennung, dann wird das für die Anerkennung zuständige Jugendamt laut gängiger Rechtsmeinung in seiner Ermessensentscheidung kaum entgegenstehende öffentliche Interessen aufzeigen können, die eine Ablehnung des Antrags begründen könnten. Deshalb wird auch vor Ablauf des in Absatz (2) bestimmten Drei-Jahreszeitraums in den meisten Fällen die Anerkennung nicht verweigert werden können, wenn die in Absatz 1 beschriebenen Voraussetzungen erfüllt werden.
Oft werden die Verfahren von den zuständigen Jugendämtern verschleppt und die Anträge willkürlich und nicht nach fachlichen Gesichtspunkten behandelt. Wir fordern, dass die Verfahren beschleunigt werden und die Träger fair und gleich behandelt werden. Nach Ablauf der drei Jahre muss es einen Automatismus ohne weiteren Aufschub geben.
Da die Anerkennung im SGB VIII geregelt ist, sollte die Anerkennung eines Trägers auch bundesweit gelten. Anderenfalls kann es zu der absurden Situation führen, dass ein Träger diesseits der Landesgrenze agieren darf und wenige Kilometer weiter im anderen Bundesland ggf. nicht. Die Regelung des Bundesgesetzes sollte auch bundesweit gelten. Eine Anerkennung auf der oben genannten Grundlage ist zwar durch die Landesbehörden durchzuführen, aber nicht vom Land abhängig.
3. Gemeinnützigkeit vs. Verfolgung gemeinnütziger Ziele
Zur Anerkennung kraft Entscheidung zählt bis jetzt auch die Verfolgung gemeinnütziger Ziele (Nummer 2). Dieses Kriterium wird vom Deutschen Kitaverband als kritisch betrachtet bzw. als rechtswidrig eingestuft.
Mit den Bestimmungen der Nummer 2 werde zwar laut Gesetzesbegründung „nicht die Gemeinnützigkeit im Sinne des Steuerrechts verstanden“ (BT-Drucks. 11/ 6748 S. 82). Allein aus Praktikabilitätsgründen kann aber einem freien Träger, der von der zuständigen Steuerbehörde zumindest als vorläufig gemeinnützig anerkannt wurde, die Anerkennung nicht aufgrund fehlender Gemeinnützigkeit verwehrt werden. Das heißt, die Voraussetzung der Nr. 2 wird in jedem Fall durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit i.S.v. § 51 AO erfüllt. Wenn diese Anerkennung der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit fehlt, muss geprüft werden, ob nicht dennoch aus der selbstbestimmten Aufgabenstellung des freien Trägers heraus (im Allgemeinen anhand des Satzungs-, Gesellschaftsvertrags- und Stiftungsurkundentexts zu beurteilen) und anhand seiner Tätigkeit die Verfolgung gemeinnütziger Ziele angenommen werden kann (FK-SGB VIII/Schindler/von Boetticher § 75 Rn. 11; Grundsätze für die Anerkennung Nummer 2.2). Dieser Prüfschritt erfolgt aber gerade in den meisten Fällen fälschlicherweise nicht, sondern nur die steuerliche Seite wird begutachtet!
Für ein autonomes jugendhilferechtliches Verständnis der Gemeinnützigkeit sprechen auch grundrechtliche sowie europarechtliche Überlegungen. Die Bevorzugung freier gemeinnütziger Träger bei der Zugrundelegung eines steuerrechtlichen Gemeinnützigkeitsbegriffs tangiert die verfassungsrechtliche Stellung der freien gewerblichen Träger nach Art. 2 und Art. 12 GG. Hinsichtlich der unionsrechtlichen Wettbewerbsbestimmungen ist zu beachten, dass die gewerblichen Träger bei der Leistungserbringung im Wettbewerb zu gemeinnützigen Trägern stehen können. Die den gemeinnützigen Trägern eingeräumte privilegierte Stellung nicht nur bei der Förderung, sondern auch in institutioneller und statusrechtlicher Hinsicht hat Auswirkungen auf die wirtschaftliche Betätigung zwischen gemeinnützigen und gewerblichen Trägern (FK-SGB VIII/Schindler/von Boetticher § 75 Rn. 11).
Für eine weite Auslegung des Begriffs der gemeinnützigen Ziele spricht bereits die Gesetzeshistorie: Die Voraussetzungen für die Anerkennung finden sich im SGB VIII bereits in der im Rahmen des KJHG im Sommer 1990 verabschiedeten Fassung und wurden seit diesem Zeitpunkt nicht geändert. Während im Regierungsentwurf zum KJHG zu den Voraussetzungen für die Anerkennung nicht die Verfolgung gemeinnütziger Ziele enthalten war (BT-Drs. 11/ 5948 S.239), folgte der Bundestag dem Votum des Bundesrates, dem die Bundesregierung schließlich zugestimmt hatte, und beschränkte den Adressatenkreis der Anerkennung auf gemeinnützige freie Träger. Die Bundesregierung hat also bereits bei der Verabschiedung des KJHG eine Gleichstellung gewerblicher und gemeinnütziger Träger angestrebt. Bereits das Jugendwohlfahrtsgesetz hatte gewerbliche Träger in das Spektrum der Leistungserbringer einbezogen. Und in den nachfolgenden Jahrzehnten hat der Wandel von der Werteorientierung zum Dienstleistungsunternehmen das Verhältnis zwischen öffentlichen und freien Trägern geprägt und verändert (Manderscheid in Olk/Rauschenbach/Sachse S. 228; FK SGB VIII/ Münder § 4 Rn. 9).
Eine Legitimation für eine Ungleichbehandlung frei gemeinnütziger und frei gewerblicher Träger lässt sich aus der besonderen Bedeutung der Aufgaben und Ziele des Gesetzes nicht mehr herleiten. Die zentrale Anknüpfung an das steuerrechtlich vorgeprägte Kriterium der Gemeinnützigkeit und damit ein Bezug zur körperschaftsrechtlichen Struktur der Träger anstelle des Bezugs auf die Fachlichkeit der Arbeit ist als Kriterium insbesondere unter Gleichbehandlungsaspekten rechtlich problematisch (FK-SGB VIII/Schindler/von Boetticher § 75 Rn. 5; dazu im Einzelnen Wiesner VPK 2019 Heft 5 S. 3 und 2020 Heft 1 S. 3).
In gleichheitsrechtlicher Hinsicht kommt es hier zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung. Eine höchstrichterliche Entscheidung durch das Bundesverfassungs- oder Bundesverwaltungsgericht zu dieser Frage ist bislang - soweit ersichtlich - (noch) nicht ergangen. Eine weite, ggf. verfassungskonforme, Auslegung des Begriffs der Gemeinnützigkeit ist jedoch auch nach der jetzigen Rechtsprechung geboten.
Die bisherige Praxis der Ungleichbehandlung hat Konsequenzen: In einigen Bundesländern werden nicht-gemeinnützige Träger ungerechtfertigterweise von der öffentlichen Förderung gänzlich ausgeschlossen. Da der Bundesfinanzhof entschieden hat, dass Kitas nicht gemeinnützig sind, wenn sich deren Betreuungsangebot vorwiegend an die Kinder von Mitarbeiter*innen in einem bestimmten Unternehmen richtet (Betriebskitas), droht der Verlust dieser Kita-Plätze, da die Finanzierung nicht mehr gesichert ist.
Der Deutsche Kitaverband fordert daher das steuerrechtlich vorgeprägte Kriterium der Gemeinnützigkeit fallen zu lassen und die fachliche Qualifikation eines Trägers sowie die Verfolgung gemeinnütziger Ziele als einzige Kriterien zur Grundlage zu nehmen.
4. Zusammenfassung und Forderungen
Der Deutsche Kitaverband möchte die Rechtspositionen der freien Träger in Bezug auf die Anerkennung als freie Träger sowie auf das Tatbestandsmerkmal der Gemeinnützigkeit stärken.
Der Absatz (1) Nummern 1, 3 und 4 sowie der Absatz (2) des § 75 SGBVIII sind unstrittig bzw. müssen konsequenter umgesetzt werden. Die bundesweit tätigen Fachverbände sind geeignet diese Kriterien im Einzelfall zu prüfen.
Die Nummer 2 des Absatzes (1) ist überflüssig und wird oft falsch interpretiert. Darunter wird nicht die Gemeinnützigkeit im Sinne des Steuerrechts verstanden. Verfahrensökonomische Gründe sprechen dafür, die Verfolgung gemeinnütziger Ziele dann anzunehmen, wenn der Träger von der zuständigen Steuerbehörde (zumindest vorläufig) als gemeinnützig anerkannt worden ist. Wenn nicht, soll geprüft werden, dass die Tätigkeit des Trägers nicht nur einem geschlossenen Kreis von Mitgliedern oder anderer begünstigter Personen zugutekommen. Die Tätigkeit darf nicht in erster Linie auf eigenwirtschaftliche Zwecke ausgerichtet sein. Insbesondere dürfen den Mitgliedern Gewinnanteile weder in offener noch in verdeckter Form, z. B. durch unverhältnismäßig hohe Vergütung, zufließen. Die Verfolgung gemeinnütziger Ziele muss aus dem Organisationsstatut ersichtlich sein.
Das Kriterium der Verfolgung gemeinnütziger Ziele ist im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts und im Hinblick auf die grundrechtlich garantierte Berufsfreiheit verfassungskonform über das Steuerrecht hinausgehend jugendhilferechtlich auszulegen und weit zu interpretieren.
Beim Absatz (3) müssen aufgrund der geänderten Kita-Landschaft und aufgrund ihrer großen Fachlichkeit die auf Bundesebene tätigen Fachverbände aufgenommen werden.
1 Der allergrößte Teil dieser Träger agiert als gemeinnützige Gesellschaft (e.V. oder gGmbH), nur die wenigsten als gewerblich.
2 Zwischen 2008 und 2018 haben in Deutschland laut BMFSFJ sonstige gemeinnützige Träger und nicht-gemeinnützige Träger zusammen 2.925 Kindertagesstätten geschaffen - fast so viele wie alle anderen Träger (Städte, Gemeinden und Wohlfahrtsverbände) zusammen: 3.272. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP KA 19/16106.
Quelle: Deutscher Kitaverband