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Spielend lernen?! Qualität und Quantität in der Kinderbetreuung
Kinder müssen lernen! Am besten besonders viel, besonders früh und besonders effizient. Wer im frühen Kindheitsalter, so heißt es in der aktuellen Diskussion, nicht ausreichend gefordert und gefördert wird, hat später schlechtere Chancen auf eine erfolgreiche Schul- und Berufskarriere.
Hektische Bildungsreformen nach dem Vorliegen internationaler Vergleiche sorgten unter anderem für eine Erweiterung der Kindertagesplätze auch für unter Dreijährige, eine frühere Einschulung und verkürzte Schulzeit. Bildung von Anfang an steht in groß geschriebenen Lettern über Bildungsplänen, die in den frisch getauften vorschulischen Bildungseinrichtungen zum Tragen kommen sollen.
Wäre die Lage nicht so ernst, müssten so manche KindheitspädagogInnen über diese aktuellen Bildungsdiskussionen im Kindergarten schmunzeln. Denn bereits in den Anfängen der Kindergartenbewegung, man denke da zum Beispiel an Friedrich Fröbel und an die Reformpädagogik, stand neben der Betreuung und Erziehung auch immer die Bildung als gleichwertiges Element im gesamtpädagogischen Konzept. Und auch Bildungspläne sind keine Erfindung jüngster Überlegungen, sondern spätestens seit den 60er und 70er Jahren selbstverständlicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit.
Es sind mehr die Begriffe und die Verantwortlichkeiten, die vor allem auch Eltern beunruhigen. Es wird von kognitiv anregenden Lernarrangements gesprochen, die Kinder in sensiblen Entwicklungsphasen zwingend im Elternhaus und in der Betreuungseinrichtung erfahren müssen, um sich altersgerecht entwickeln zu können. Kinder sollen frühzeitig Kompetenzen in spezifischen Lernfeldern, wie zum Beispiel in den Naturwissenschaften erhalten. Begriffe wie Schulreife, Schulfähigkeit und Schulbereitschaft geistern durch die Kindergartenflure und veranlassen Eltern dazu Kurse zu buchen, die die Aufmerksamkeitsspanne des Kindes trainieren oder – noch besser – bereits fremdsprachliche Vokabeln pauken. Im Internet findet man spielend Kurse, die selbst die Schule an sich üben.
Qualität in der frühkindlichen Bildung wird hier missverstanden. Statt des passiven Konsums von Lehrbüchern und Kursen geht es vielmehr darum, individuell auf die Bedürfnisse, Talente und Interessen des Kindes einzugehen, natürliche Situationen zu nutzen und fachlich zu begleiten, in denen die Kinder mit allen Sinnen Dinge begreifen und Zusammenhänge erkennen können. „Naturwissenschaftliche Kompetenzen“ – oder sollte man besser sagen: Naturerfahrungen und –erkundungen? - werden zum Beispiel im Spiel mit Schnee erlangt. Durch Experimente und eigene Erfahrungen (der Schnee fühlt sich kalt an, er wird zu Wasser, wenn ich ihn ins Warme trage) erweitern die Kinder ihr Erfahrungsspektrum und ihr Weltwissen. Hier bedarf es einer aufmerksamen und beobachtenden Begleitperson, die sensibel Erfahrungen würdigt, weitere Anregungen schafft und die Kreativität nicht durch schablonenartige Musteraufgaben zerstört. Dazu braucht es Ruhe und Gelassenheit, kleine Gruppengrößen und fachlich geschulte sowie hochmotivierte Mitarbeitende. Und es bedarf vor allem der seelischen Nähe und Geborgenheit, die, so die – für PädagogInnen wirklich nicht neuen - Erkenntnisse der Neurowissenschaften, es jedem Individuum erst möglich machen zu lernen. Kuschelstunden auf dem Sofa mit einem Lieblingsbilderbuch sind daher als DIE Lernarrangements schlechthin zu bezeichnen. Nirgends wird besser und mehr gelernt als in entspannten „Wohlfühlzonen“. Zugegeben, diese sehen meist unspektakulär aus, doch sind sie es, die Kindern den nötigen Halt geben, sich auf die Abenteuer des Wissens einzulassen.
Aber welche Situation finden wir heute in den Einrichtungen vor? Welche Ziele der Bildungspläne können tatsächlich umgesetzt werden? Die jüngst veröffentlichten Ergebnisse der nationalen Untersuchung zu Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK) sind alarmierend: In weniger als zehn Prozent der untersuchten Fälle konnte eine gute pädagogische Prozessqualität, d.h. eine gute Umsetzung der pädagogischen Orientierung festgestellt werden. Nicht zuletzt wird in der Studie neben anderen Faktoren betont, dass eine gute Umsetzung mit qualifiziertem Personal auch Hand in Hand mit der Verbesserung der Rahmenbedingungen einhergehen muss. Masseneinrichtungen, wie sie aktuell in Dresden und anderen ostdeutschen Städten mit mehr als 300 Kindern entstehen, um den angekündigten Rechtsanspruch für unter Dreijährige gerecht zu werden, können sicher keine Lösung sein. Auch nicht die erhofften „Schlecker-Frauen“, die mehr oder weniger freiwillig als Erzieherinnen ausgebildet und den Fachkräftebedarf abdecken sollen. Es bedarf vielmehr auch des Verständnisses darüber, was ErzieherInnen heute in ihren Einrichtungen unter erhöhten Anforderungen leisten. Und dies zunehmend unter unsicheren und prekären Arbeitsverhältnissen! Erziehung darf nicht unverbindlich sein. Das heißt, dass das Engagement der PädagogInnen belohnt werden muss. Es muss sich (auch und besonders finanziell) positiv in der Anerkennung des Berufes und in angemessenen Rahmenbedingungen niederschlagen.
Nur dann kann wirklich spielend gelernt werden!
Stefanie Greubel ist Juniorprofessorin für Kindheitspädagogik an der staatlich anerkannten Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn und lehrt in den Bachelorstudiengängen Kindheitspädagogik/Vollzeit und Kindheitspädagogik/Teilzeit. Ihre forschungsschwerpunkte sind Transitionsforschung, frühkindliche Bildung und Familienbildung
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