mehrere Kinder

Stellungnahme der Kita-Fachkräfteverbände zur Reportage Team Wallraff Undercover in Kitas unterwegs

02.10.2023 Kommentare (8)

Die Kita-Fachkräfteverbände der Bundesländer fordern eine Qualitätsdebatte über entwicklungsförderliche Bedingungen in Kitas und konsequenten institutionellen Kinderschutz. Das Wohl des Kindes muss im Kita-Alltag an erster Stelle stehen.

Der Filmbeitrag vom 28.9.2023 rüttelt auf. Dass es viele Kita-Fachkräfte und Einrichtungen gibt, die Kinderschutz großschreiben und verantwortungsbewusst und kompetent mit den ihnen anvertrauten Kindern umgehen, relativiert nicht das massive Fehlverhalten, welches der Journalistin in verschiedenen Einrichtungen begegnete. Die Reportage zeigt drastische Fälle von übergriffigem Verhalten und körperlichen, sowie psychischen Misshandlungen. Die im Beitrag zitierten Stellungnahmen der Träger bieten wenig Hoffnung, dass die Probleme konstruktiv bearbeitet und Verbesserungen herbeigeführt werden. Wenn Träger Fehlverhalten zudecken oder die Aufrechterhaltung der betrieblichen Abläufe und wirtschaftliche Aspekte über das Wohlergehen von Kindern und Mitarbeitenden stellen, besteht die Gefahr, dass das Kindeswohl nicht mehr gewährleistet werden kann.

Jede Kita ist gesetzlich verpflichtet, ein Kinderschutzkonzept zu erstellen. Solange diese Konzepte in der Praxis nicht gelebt und umgesetzt werden, verfehlen sie ihren Sinn. Die Kita-Fachkräfteverbände appellieren an jede einzelne Fachkraft, das eigene Verhalten zu reflektieren und übergriffiges, gewaltvolles Verhalten anzusprechen beziehungsweise zu melden. 

Als Nährboden für verletzendes Verhalten und Vernachlässigung in Kitas sind neben persönlichem Fehlverhalten schlechte Rahmenbedingungen zu nennen. Überforderung und Stress des Personals führen dazu, dass auf kindliche Grundbedürfnisse nicht adäquat eingegangen wird und es an individueller Zuwendung und Fürsorge fehlt. (Siehe https://www.gew.de/fileadmin/media/publikationen/hv/Kita/Kita_Verschiedenes/20210928-verletzendes-verhalten-web.pdf). 

Wenn der Fernsehbericht beispielsweise zeigt, dass in der Mittagspause der Erzieherinnen niemand für die Kinder zuständig ist oder Kinder mit Beeinträchtigungen nebenher von Menschen ohne entsprechendes Fachwissen betreut werden, werden strukturelle Mängel sichtbar. Eine Betreuung um jeden Preis darf es nicht geben. 

Kita-Teams müssen über folgende Fragestellungen mit den verschiedenen Kita-Akteuren ins Gespräch gehen und gemeinsam Lösungen erarbeiten: 

Unter welchen Bedingungen tun Fachkräfte ihren Dienst und welche prekären Bedingungen tragen sie mit? Welche Möglichkeiten erhalten Sie, ihr Verhalten und die angewendeten Methoden zu reflektieren? Welche Fehlerkultur wird in Einrichtungen eingeübt und gelebt? Welche Ressourcen stehen hierfür zur Verfügung? 

Wenn Institutionen wie Städte- und Gemeindebünde oder der Deutsche Kitaverband fordern, dass eine Fachkraft noch mehr Kinder betreuen und Personal rekrutiert werden soll, das kein oder wenig frühpädagogisches Fachwissen mitbringt oder auf persönliche Eignung des Personals wenig Wert gelegt wird, leistet das prekären Bedingungen Vorschub (siehe https://www.deutscher-kitaverband.de/kindertagesbetreuung-zukunftsfaehig-aufstellen-den-realitaeten-ins-auge-schauen/).  Forderungen nach einer weiteren Absenkung bereits unzureichender Standards fokussieren nicht Bildung, Förderung und bedürfnisorientierte Betreuung, sondern stellen die Betreuungszeiten an erste Stelle. Dabei gerät aus dem Blick, ob es Kindern und Fachkräften im Kita-Alltag gutgeht. Der Wunsch nach Gewährleistung möglichst langer Betreuungszeiten darf nicht dazu führen, dass elementaren kindliche Bedürfnissen nicht mehr entsprochen werden kann. 

Für einen gelebten Kinderschutz brauchen Kita-Fachkräfte gesetzlich verankerte und verpflichtende Fortbildungsangebote und Reflexionsmöglichkeiten. Nur so kann gewährleistet werden, dass sie auf dem Stand der neuesten entwicklungspsychologischen und bindungstheoretischen Erkenntnisse sind und lernen, das eigene Verhalten zu reflektieren und an der eigenen Haltung zu arbeiten. Gleichzeitig muss der Kita-Alltag so gestaltet werden, dass er weder Kinder noch Fachkräfte überfordert und zu Dauerstress führt. 

Wir müssen der Realität ins Auge sehen. Unser Kitasystem und damit das Fundament der deutschen Bildungslandschaft hat ein massives Qualitätsproblem. Der jährlich erscheinende Ländermonitor der Bertelsmann- Stiftung, aber auch aktuell erschienene Bücher wie „Der Kita-Kollaps“ von Dr. Ilse Wehrmann oder „Satt und sauber reicht nicht“ von Dr. Anke Ballmann belegen dies genauso eindrücklich, wie die Tatsache, dass es Schulen gibt, an denen viele Kinder die erste Klasse wiederholen, 25% der Viertklässler die Mindestanforderungen im Lesen, Schreiben und Rechnen verfehlen und jährlich 50 000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen.


Quelle: Kooperation der Kita-Fachkräfteverbände in Deutschland


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Kommentare (8)

Kerstin Goldmann 04 November 2023, 10:11

Wann wird der Politik endlich klar. Wir können nicht mehr !!!

Gizi 05 Oktober 2023, 20:52

Lasst die Kinder doch einfach Kinder sein, Sie brauchen keine 60 Minuten in der Stunde gegängelt und bespastbespasst zu werden. Sie spielen einfach gerne ohne Anleitung.

Claudia Theobald 03 Oktober 2023, 17:15

Antwort auf das Kommentar von Bianca: Wir brauchen nicht radikal zu werden. Wir müssen lediglich lernen, konsequent zu handeln. Wenn wir das Kindeswohl an erste Stelle setzen und nicht gegen unser pädagogisches Gewissen handeln, ist viel gewonnen, auch wenn unsere Kitas dann immer noch weit davon entfernt sind, vorbildliche Bildungseinrichtungen zu sein. Warum arbeiten Erzieher*innen zum Beispiel immer noch alleine in der Gruppe, obwohl ihnen bewusst ist, dass sie ihre Aufsichtspflicht verletzen? Oder warum kürzen Kitas aus personellen Gründen Ruhezeitenoder schaffen sie ab, obwohl jede Fachkraft weiß, wie wichtig ausreichend Schlaf für das Wohlbefinden und die Hirnentwicklung von Kleinkindern ist? Es wird alles schräg (und dazu gesetzeswidrig), wenn die Bedarfe von Eltern, Trägern oder Arbeitgebern über die Gewährleistung kindlicher Grundbedürfnisse gestellt werden.

Bianca 03 Oktober 2023, 11:01

Das deutsche Bildungssystem ist doch schon längst kollabiert, wenn wir doch endlich mal ehrlich wären und es deutlich aussprechen. Alle Länder rund um den Erdball hängen uns immer weiter ab und wir versinken in Bürokratie und Sparwahnsinn . Immer wieder werden Schwachstellen aufgedeckt, eine weitere Studie in Auftrag gegeben, neue Umfragen gestartet. Die Ergebnisse gleichen sich, egal wer der Auftraggeber ist. Gelder werden nicht zur Verfügung gestellt, da wird lieber diskutiert , mit welchen Fortbildungen die aktuellen Erzieher und Erzieherinnen noch zusätzlich qualifiziert werden müssen, damit die Kinder einen optimalen Start bekommen. Die Bürde haben die Mitarbeitenden in den Bildungseinrichtungen, da wird an die soziale Ader appelliert, das Gewissen rüttelt Druck vom Träger aufgebaut und sch9n wird das zusätzliche Programm gestartet: Überforderung, Überlastung, Druck, kaum Zeit, und anstatt die Gruppen ENDLICH zu verkleinern, damit entwicklungsfördernd gearbeitet werden können, werden die Gruppen vergrößert.Wen bitte schön wundert es denn da noch, das die Kollegen und Kolleginnen aus dem Beruf ausscheiden und sich andere Wirkungskreise suchen? Bildung in unserem Land wird nur dann wichtig, wenn Wahlen vor der Tür stehen, da macht sich so schön auf den Wahlplakaten und Politiker lassen sich ja so gerne mit Kindern fotografieren und predigen Versprechungen vom Himmel. Am Ende bleibt alles beim Alten. Wenn wir nicht radikaler werden ( und ich mag dieses Wort nicht) wird sich nichts ändern. Traurig, das alles so hingenommen wird, das Träger nicht in die verpflichtende Verantwortung genommen werden. Schön das alle eine Schutzkonzept haben, aber das liegt doch auch nur in der Schublade, denn was. Muss ich denn jetzt grad aktuell mit den Kollegen und Kolleginnen erarbeiten, anstatt mich weiter intensiv mit dem Kinderschutz zu beschäftigen : digitalie Medien für 1-6 jährige etablieren. Bravo !

Angelika Mauel 03 Oktober 2023, 10:24

Liebe Frau Braekow,

dieses Zitat möchte ich angesichts der uns bekannten Misere - und auch als Resonanz auf den Beitrag von Frau Dr. Butzmann - hier verlinken:

«Am besten wäre es, das System einfach mal gegen den Baum fahren zu lassen», sagt Braekow. Sie setzte sich erneut nachdrücklich dafür ein, den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz auszusetzen – und zwar den für die unter Dreijährigen genauso wie für den für die über Dreijährigen. «Wir können den nicht erfüllen.» https://www.news4teachers.de/2023/06/wir-koennen-den-nicht-erfuellen-fachkraefteverband-fordert-den-rechtsanspruch-auf-einen-kita-platz-auszusetzen/

EINE, nur eine sehr konkrete, unmissverständliche Forderung wird viel mehr auslösen als ein Bündel an Erwartungshaltungen und Ansprüchen an Bund und Länder. Sie werden sich einiges dabei gedacht haben, für eine komplette Aussetzung des Rechtsanspruchs auf Betreuung der Kinder im Elementarbereich zu sein. Aber auch diejenigen, die für eine Aufhebung des Rechtsanspruchs auf Betreuung der Kinder unter drei Jahren sind, können dafür triftige Argumente anführen.

Bloß weil es jetzt endlich viele Kitafachkräfteverbände gibt, müssen nicht viele Forderungen auf einmal gestellt werden. Und weil wirklich viele Erzieherinnen eine gute Arbeit leisten: Diese Kräfte brauchen ganz bestimmt keine verpflichtenden Fortbildungen und müssen auch nicht in Kinderschutzkonzepten nachlesen, um zu wissen, wann sie wie reagieren müssen.

Freundliche Grüße

Angelika Mauel

Daniel 03 Oktober 2023, 08:09

Warum sollte der Rechtsanspruch ausgehoben werden? Der Träger sollte nur die Anzahl von Kindern betreuen lassen wie das Personal dies auch leisten kann. Der Rechtsanspruch liegt ja nicht beim Träger.
Diese Recherche müsste durch die kitaufsichtsbehörde genauso als Praktikum durchgeführt werden. Es macht kein Sinn das Kontrollen angekündigt, bzw. Bei unangekündigten Besuch es offensichtlich ist und das Verhalten temporär gedeckelt wird. Solche Kontrollen wären die einzige Möglichkeit wirklich adhoc auch als Aufsichtsbehörde eingreifen zu können.

Carolin 02 Oktober 2023, 18:54

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Fachkräfte die massives Fehlverhalten gezeigt haben oder Schwarze Pädagogik betreiben müssen leichter zu händeln sein. Derzeit ruhen sich viele auf unkündbar aus. Oft dauert es lange Personen zu entfernen die gänzlich ungeeignet sind. Jahre in den andere gute Pädagogische Kräfte aufgerieben werden.
Ebenso fände ich es sinnig in Arbeitszeugnissen entsprechendes zu vermerken. Denn sonst geht es beim nächsten munter weiter... und ja ich weiss wohlwollend formuliert, aber mal ehrlich es geht hier um Kinder...

Dr. Erika Butzmann 02 Oktober 2023, 17:58

So muss doch vehement gefordert werden, dass Naheliegende in Angriff zu nehmen: Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz muss aufgehoben werden, damit die Überforderung der Kita-Fachkräfte weniger und die Personalsituation insgesamt verbessert wird. Hinzu kommt, dass die Kinder unter zwei Jahre mit der Krippenbetreuung grundsätzlich überfordert sind; die daraus entstehenden Entwicklungseinschränkungen dürften Grund genug sein, hier richtig umzudenken.

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