mehrere Kinder

Stellungnahme zum KitaG des Kita-Fachkräfteverband e.V. Niedersachen und Bremen

01.06.2021 Kommentare (0)

Sehr geehrter Kultusminister Tonne,
sehr geehrte Damen und Herren des Kultusausschusses,
wir sind sehr erfreut, dass nach fast 30 Jahren das niedersächsische Kindertagesstättengesetz evaluiert wird. Die anfängliche Euphorie wich jedoch schnell der schmerzlichen Wahrheit.
In den Kindertagesstätten in Niedersachsen, aber auch in ganz Deutschland, hat sich in den letzten 30 Jahren viel verändert und gewandelt. So sind die gesellschaftlichen Ansprüche an die frühkindliche Bildung und Betreuung stetig gewachsen. Im gleichen Atemzug haben sich die Lebenssituation der Familien stark gewandelt.
Ein Großteil der Eltern ist Vollzeit berufstätig, ein Einkommen reicht in vielen Regionen längst nicht mehr zum Leben.
Seit 2013 hat jedes Kind mit dem Erreichen des 1. Geburtstages einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. 2020 nutzen dies bereits, laut dem statistischen Bundesamt, knapp 32% aller Kinder in Niedersachsen.
In punkto Betreuungszeiten haben die Kindertagesstätten einen Wandel durchlebt die kaum vergleichbar sind. Als in den 90er Jahren noch die meisten Kinder um 12:00 Uhr zuhause bei der Familie am Mittagstisch saßen, ist heute eine Betreuung bis 17:00 Uhr selbst bei den Kleinsten keine Seltenheit mehr.
All diese Veränderungen im Alltag der Kindertagesstätten ist Grundlage genug eine Evaluierung des KitaG zu veranlassen, leider bringen die bisherigen Entwürfe keine Besserungen, sondern in manchen Punkten wie beispielsweise des Platzsharings sogar Verschlechterungen für Fachkräfte, Eltern und besonders für die Kinder.
Mehrere Verbände, Gewerkschaften, Experten und Eltern haben bereits durch zahlreiche Aktionen, einzelne Positionspapiere und Gespräche gezeigt, weshalb dieser Entwurf nicht akzeptabel ist. Als Kita-Fachkräfteverband und der Stimme aus der Praxis, möchten wir Ihnen genau dieses noch einmal mit auf den Weg geben.

Wir bemängeln:

  • Den Fachkraft-Kind-Schlüssel

Wir vom Kita-Fachkräfteverband Niedersachsen-Bremen e.V. fordern eine dringende Anpassung des Fachkraft-Kind-Schlüssels. Bereits im Jahr 2016 besagt die Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass in einer Krippe der Schlüssel 1:3 bei max. 12 Kindern in der Gruppe geschaffen werden sollte. In der Kita sollte der Fachkraft-Kind-Schlüssel bei 1:7,5 und einer maximalen Gruppengröße von 20 Kindern herrschen. Die ausgebildeten Fachkräfte können unter den bisherigen und gestiegenen Anforderungen den Kindern nicht mehr gerecht werden. Denn nicht nur die individuelle Förderung der Kinder bleibt auf der Strecke, sondern auch die intensive Elternarbeit. Es ist eine Anpassung durch Verkleinerung der Gruppengröße und die Schaffung der 3. Kraft in den Kitas dringend notwendig. In Folge dieser Anpassung würde nicht nur der Geräuschpegel verringert werden, sondern schafft den Kindern gleichzeitig mehr Entfaltungsmöglichkeiten durch die erweiterten Raumkapazitäten.
Weiterhin ist zunehmend zu beobachten, dass die Kinder einen erhöhten Unterstützungsbedarf haben. Hier ist der § 4 KitaG Neu, welcher besagt „dass jedes Kind einen Anspruch auf eine gezielte und regelmäßige Beobachtung zur Evaluierung der Förderung, um dessen Entwicklungs- und Bildungsprozess bestmöglich begleiten zu können zu berücksichtigen.“ Ebenso findet es sich in § 14 KitaG Neu wieder, worin die Sprachförderung des Kindes erfasst wurde.
Um diese gesetzlichen Anforderungen des neues KitaG jedoch erfüllen zu können, benötigen die Fachkräfte einen entsprechenden Personalschlüssel.

  • Verfügungszeiten

Die zu erledigenden Aufgaben innerhalb der Verfügungszeit sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Nicht nur durch die gesetzlichen Mindeststandards, sondern auch durch die veränderten Bedürfnisse von Familien. Kindertagesstätten sind per Gesetz familienergänzend tätig. Dazu zählt neben einer adäquaten und notwendigen Beratung in Erziehungsfragen in Form der verschiedensten Arten der Erziehungspartnerschaft, auch eine intensive Begleitung jeder einzelnen Familie mit ihren individuellen Bedürfnissen.
Weiterhin fallen in die Verfügungszeiten die Fortschreibung des pädagogischen Konzeptes, die Zusammenarbeit innerhalb des Teams, sowie die sozialraumorientierte Netzwerkarbeit.
Auch die Vorbereitung von Projekten, Angeboten, Gesprächen und die Entwicklungsdokumentation. Fortgeschrieben in §§ 2; 3; und §14 KitaG Neu.
Sowohl im Alten, als auch im Neuen KitaG werden diese Aufgaben aufgeführt, welche hier hineinfallen und sind dadurch für die Fachkräfte verbindlich. Damit sie dieser Verbindlichkeit nachkommen können, ist die Ausweitung der Verfügungszeit auf 25% der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit unerlässlich.
Sowohl im Alten als auch im Neuen KitaG wurde verfasst, dass den Fachkräften 7,5 Stunden pro Woche und Gruppe zur Verfügung stehen. Das entspricht einer wöchentlichen Zeit von 2,5 Stunden pro Fachkraft einer durchschnittlichen Krippengruppe. Wie dies ausreichen soll, um all die oben genannten Aufgaben zu bewältigen ist mehr als fraglich!

  • Leitungszeit

Ebenso verhält es sich mit den Aufgaben der Einrichtungsleitung.
Das Aufgabenfeld der Einrichtungsleitung ist ebenso, wie das der Fachkräfte, mit den Jahren kontinuierlich gestiegen. Denn die Führungskraft einer Kita ist längst nicht mehr nur Pädagog*in, sondern es ist eine Managementaufgabe geworden.
Neben Personalführung, Budgetverwaltung, Tagesorganisation, Statistiken, Vertragsgeschäften und sonstigen Aufgaben trifft vor allem Leitungen in kleineren Einrichtungen noch etwas Zusätzliches – der Gruppendienst. Leitungen in Kindertagesstätten mit ein bis drei Gruppen arbeiten durch die gesetzliche Freistellung im aktuellen KitaG zwischen 5-15 Stunden als Leitung, die übrige Zeit stocken diese mit der Arbeit am Kind als „gewöhnliche“ Fachkraft auf. Wie jedem Arbeitnehmer mit Verwaltungsaufgaben klar ist kommen Anrufe, E-Mails und persönliche Anfragen nicht nach bestimmten Uhrzeiten, sondern innerhalb der Öffnungszeit der Einrichtung. Für Leitungen in Teilzeit bedeutet dies einen Spagat zwischen Aufsichtspflicht der Kinder und der Wahrung ihrer Leitungsaufgaben. Beides gleichwertig zu erledigen ist nicht nur schwierig, es ist schlichtweg unmöglich! Aus diesem Grund ist es von höchster Wichtigkeit das jeder Leitung eine Mindestfreistellung von 20 Stunden pro Woche zugesichert wird, damit auch kleine Kitas in den Genuss einer adäquaten Führung kommen.

  • Platzsharing

Des Weiteren möchten wir das Platzsharing hier noch einmal in den Fokus stellen, welches nach § 8 Abs. 3 KitaG Neu möglich werden soll. Diese Möglichkeit führt zu einem erheblichen Mehraufwand innerhalb des organisatorischen Rahmens der Kita. Auch wenn ein Platz geteilt wird, wird dadurch die Möglichkeit geschaffen eine Gruppe mit 28 Kindern innerhalb der Kita zu führen. Dieses führt zu einer erheblichen Einschränkung des Wohls der Kinder. Das Kind, welches sich mit einem zweiten Kind den Platz teilt, hat nicht die Möglichkeit „richtig“ in der Gruppe anzukommen. Es findet nur erschwert Freunde in der Gruppe und eine gezielte Förderung wird zur Teilzeitarbeit. Zudem besteht die Gefahr, dass bei pädagogischen Projekten dem Kind der Zusammenhang fehlt, wodurch es von der Gruppe ausgegrenzt werden kann.
Diese Form der Betreuung ist unseres Erachtens nach weder kindgerecht, noch bietet sie eine kontinuierliche Beziehungsarbeit zwischen Fachkraft und Kind. Es wird hier lediglich das Bedürfnis der Eltern nach flexibleren Betreuungsmodellen in den Vordergrund gestellt, jedoch nicht das Bedürfnis des Kindes. Daher fordern wir die Streichung des § 8 Abs. 3 KitaG Neu.
Weiterhin steht dieser Paragraph im Widerspruch zu § 20 Abs. 3 und Abs. 4 dem Anspruch auf einen Kita- oder Krippenplatz mit einer Kernzeit und es steht im Widerspruch zu § 6 in welchem aufgeführt wird, dass den Kindern eine Förderung innerhalb der Kernzeit zu steht und den Kindern mind. eine Kernzeit von 4 Stunden an 5 Tagen in der Woche gewährleitet werden muss.
An dieser Stelle geben wir noch einmal zu bedenken, dass das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen sollte, denn sie sind unsere Zukunft und benötigen unsere Unterstützung.

Abschließend möchten wir sagen:
Wie bereits in der Plenarsitzung vom 16.3.2021 festgestellt wurde, werden wir uns mit einem Erschliessungsantrag für die 3. Fachkraft nicht mehr abspeisen lassen. Wir fordern eine Verbindlichkeit der 3. Kraft in Form eines Stufenplans bis 2030!
Weiterhin fordern wir eine Anpassung der Verfügungs- und Leitungszeiten sowie die Streichung des § 8 KitaG Neu.
Sehr geehrter Kultusminister Tonne, sie selbst sagten in der 102. Plenarsitzung am 16.03.2021 „Mit dem Gesetzentwurf stellen wir die Weichen für die Weiterentwicklung der Kita-Landschaft hier in Niedersachsen.“ Dann fordern wir sie dazu auf, dieses auch umzusetzen.
Gerne möchten wir Ihnen die geforderten Punkte in einem persönlichen Gespräch nochmals näher erläutern.
Wie Herr Försterling sagte: „Geben wir eine langfristige Perspektive! Gehen wir diesen Weg gemeinsam! Das haben alle Fachkräfte in diesem Land verdient.“
(Björn Försterling vom 16.03.2021, 102. Plenarsitzung des Landtages Niedersachsen)

Mit freundlichen Grüßen,
Kita-Fachkräfteverband Niedersachsen-Bremen e.V.

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