Studieren nach der Erzieherinnenausbildung - ECVET als Brücke zur Weiterqualifizierung
Studieren nach der Erzieherinnenausbildung - ECVET als Brücke zur Weiterqualifizierung
Inhalt- Aktuelle und künftige Anforderungen an Kita-Fachkräfte
- Die Vergleichbarkeit von Abschlüssen: Die Leistungspunktesysteme ECVET und ECTS
- Die Vielfalt der Ausbildungen für die Kindertagesbetreuung und die Gestaltung der Übergänge
- Die Übergänge zwischen beruflicher Bildung und akademischer Ausbildung in der Frühpädagogik
- ECVET– ein Plädoyer für Durchlässigkeit
- Fazit
Aktuelle und künftige Anforderungen an Kita-Fachkräfte
Seit August 2013, also seit einem Jahr, besteht in Deutschland der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und seit mehreren Jahren läuft der Ausbau der Kindertageseinrichtungen auf Hochtouren. Dies hat zur Folge, dass allein dadurch eine zunehmende Menge an Fachkräften benötigt wird, die traditionell in Deutschland innerhalb der beruflichen Bildung ihre Erstausbildung als Kinderpflegerinnen oder Erzieherinnen (1) durchlaufen. Weiterhin nimmt die Anzahl der Kinder in Kindertagesbetreuung auf Grund des gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels stetig zu.
Auch die Ansprüche und Erwartungen an Kindertagesbetreuung sind gestiegen. Die Trias von Bildung, Erziehung und Betreuung hat seit der Jahrtausendwende und dem "Pisa-Schock" erhebliche inhaltliche Veränderungen erfahren. Bundesprojekte wie das Projekt "Frühe Chancen" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) oder die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) reagieren darauf und setzen bei der Förderung der Kinder und bei der Weiterbildung der Fachkräfte an.
Die Kultusministerkonferenz hat auf Grund der gestiegenen Anforderungen an die Berufsgruppen der Kinderpflegerinnen/Sozialassistentinnen und Erzieherinnen und infolge der europäischen Bildungsreform einen bundesdeutschen Referenzlehrplan für die berufliche Ausbildung von Erzieherinnen entwickelt, der kompetenzorientiert ausgerichtet ist. Einige Bundesländer ziehen nach und überarbeiten ihre Lehrpläne, wie zum Beispiel das Kultusministerium in Bayern. Darüber hinaus empfiehlt der Wissenschaftsrat eine Verbesserung der Weiterbildungsmöglichkeiten und eine deutlichere Verzahnung von beruflicher und hochschulischer Bildung und wirbt im Sinne lebenslangen Lernens für Phasen der akademischen Weiterbildung auch berufsbegleitend oder mittels Freistellung durch die Arbeitgeber.
Die Vergleichbarkeit von Abschlüssen: Die Leistungspunktesysteme ECVET und ECTS
Um die Mobilität der Studierenden in der EU zu fördern, müssen die Lernergebnisse vergleichbar sein. Dazu waren in den europäischen Mitgliedsländern weitreichende strukturelle Reformen der Bildungssysteme erforderlich. Berufliche und hochschulische Bildung wurden jeweils kompetenzorientiert ausgerichtet, den Anfang machten die Hochschulen im Rahmen des Bologna-Prozesses ab 2003. Damit verbunden war die Einführung eines Kreditpunktesystem ECTS, das für alle zu erwerbenden Kompetenzen eine Punktzahl und die durchschnittliche Arbeitszeit ("workload") anrechnet. Dieses System stellt Transparenz hinsichtlich der Studieninhalte, der Lernergebnisse und des Gewichts einer Studienleistung her. Es erleichtert Studienaufenthalte im Ausland sowie die nachfolgende Anerkennung der im Ausland erworbenen Kompetenzen an der Heimathochschule und unterstützt die internationale Anerkennung von Abschlüssen.
2009 wurde die Einführung eines Europäischen Leistungspunktesystems für die Berufsbildung (ECVET) gestartet. Bis Herbst 2013 wurde ECVET europaweit erprobt. Dieses System hat eine ähnliche Zielsetzung wie das Kreditpunktesystem im Hochschulbereich:
"Ziel des Europäischen Leistungspunktesystems für die Berufsbildung (ECVET) ist es,
- dafür zu sorgen, dass in unterschiedlichen Systemen und Ländern erworbene arbeitsbezogene Fähigkeiten und Kenntnisse leichter validiert und anerkannt werden, damit sie auf die berufliche Qualifikation angerechnet werden können;
- mehr Anreize dafür zu schaffen, sich in verschiedenen Ländern und Lernumgebungen aus- und weiterbilden zu lassen;
- die Kompatibilität zwischen den verschiedenen Berufsbildungssystemen in Europa und den angebotenen Qualifikationen zu erhöhen;
- die Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen beruflicher Bildungsmaßnahmen zu verbessern und das Vertrauen der Arbeitgeber zu stärken, dass jede berufliche Qualifikation ganz bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse erfordert."
Weitere Infos hierzu finden Sie hier.
Um die in beruflicher Bildung und Hochschulausbildung erworbenen Kompetenzen miteinander vergleichbar und innereuropäisch kompatibel zu machen, wurde darüber hinaus der Europäische Qualifikationsrahmen geschaffen, der im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) auf die deutschen Bedingungen herunter gebrochen wurde. Im DQR geht es um verschiedene Qualifikationsstufen, die auf unterschiedlichen Aus- bzw. Weiterbildungswegen erreicht werden können.
Die Vielfalt der Ausbildungen für die Kindertagesbetreuung und die Gestaltung der Übergänge
Was bedeutet nun ECVET für den Bereich der Kindertagesbetreuung? Um dies zu verstehen, muss das Ausbildungssystem für werdende frühpädagogische Fachkräfte genauer betrachtet werden.
Fünf verschiedene Berufsgruppen arbeiten in deutschen Kitas: Kinderpflegerinnen oder auch Sozialassistentinnen, Erzieherinnen, Heil- und Sozialpädagoginnen (2) und seit wenigen Jahren auch Kindheitspädagoginnen, die sich mittels Hochschulausbildung mit einem Bachelor- oder Master-Abschluss für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen qualifiziert haben. Da die Zuständigkeit für den Bildungsbereich in der Hand der Bundesländer liegt, variiert die Ausbildung aller Berufsgruppen in Deutschland von Bundesland zu Bundesland.
Die Ausbildung zur Kinderpflegerin und Sozialassistentin
Auch institutionell gibt es unterschiedliche Formen der beruflichen Bildung. So gibt es zum Beispiel in Sachsen die Berufsfachschule (BFS) für Sozialwesen ", während in Hessen die gleiche Art der Schule "BFS für Sozialassistenz" heißt (vgl. Schreiber, 2012: 11 ) (3). Der bayerische Bildungsweg zur Kinderpflegerin sieht an der sogenannten "Berufsfachschule für Kinderpflege" zwei Jahre vollschulischer Ausbildung auf Stufe 3 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) vor, wobei der Erwerb eines mittleren Bildungsabschlusses möglich ist, um nur einige Beispiele zu nennen. Nach dem Abschluss an der Berufsfachschule können die AbsolventInnen als qualifizierte HelferInnen in Kindertagesstätten oder -zentren arbeiten.
Die Lehrpläne der Länder weisen ebenfalls eine hohe Varianz auf, sowohl die Lehrinhalte, wie auch die Form der Darstellung betreffend. In Bayern – wie in vielen anderen Bundesländern auch – sind die Inhalte nach Lernfeldern geclustert, jedoch leider nicht in Lerneinheiten gefasst, die die von den SchülerInnen zu erwerbenden Kompetenzen im Detail darlegen. In einigen Bundesländern, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, weisen sie trotz der Lernfeldorientierung in Struktur und Aufbau der Stundentafel eine hohe Nähe zu allgemeinbildenden Schulen aus. In manchen Bundesländern gibt es neben der schulischen Ausbildung auch zusätzlich Weiterbildungskurse, die von privaten Weiterbildungsträgern angeboten werden. Für die Berufsgruppe der Kinderpflegerinnen ist – bei aller Varianz – die Möglichkeit der Weiterbildung als Erzieherin möglich und der Übergang als integraler Bestandteil der beruflichen Bildung innerhalb Deutschlands gestaltet, indem die ersten beiden Jahre dieser Ausbildung auf die ersten beiden Jahre der Erzieherinnenausbildung angerechnet werden können - was jedoch nicht in allen Bundesländern praktiziert wird.
Herausforderungen bestehen jedoch noch hinsichtlich der Anerkennung von im europäischen Ausland erworbenen Kompetenzen. In der Regel ist der gangbarste Weg die Anerkennung von Auslandspraktika, die oft durch europäische Bildungsprojekte wie vormals im Programm Lebenslanges Lernen-Leonardo Mobilität und nun in Erasmus+ ermöglicht und gefördert werden. Hierbei kamen in den letzten Jahren die ECVET- Prinzipien zur Anwendung. Sie schufen Transparenz und erleichterten die Anerkennung wie zum Beispiel in dem Projekt IMPAECT, in dem Strukturen für ein Auslandspraktikum entwickelt worden sind.
Die Ausbildung zur Erzieherin
Die Ergebnisse dieses Projekts beziehen auch Praktika in der Erzieherinnenausbildung ein. Die Ausbildung zur Erzieherin ist im Gegensatz zu anderen beruflichen Sektoren eine vollschulische Ausbildung an Fachschulen, Fachakademien, Instituten der Beruflichen Bildung oder an Berufskollegs die sich in Deutschland je nach Bundesland ebenso vielfältig darstellt wie bei der Kinderpflege/Sozialassistenz. Zusätzlich gibt es inzwischen in vielen Bundesländern parallel eine berufsbegleitende Ausbildung, die eine stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis beinhaltet, vor allem aber ein Praktikantinnengehalt, das eine Finanzierung der Ausbildung ermöglicht.
In der Regel ist die Erzieherinnenausbildung dem Bereich der beruflichen und nicht tertiären Bildung zugeordnet. In Bayern jedoch nehmen die Fachakademien durch einen Landesbeschluss eine Zwitterstellung ein und werden auch dem tertiären Sektor zugeordnet.
2013 ist ein neuer bundesweiter Rahmenlehrplan für Erzieherinnen von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) veröffentlicht worden. Novum ist die Orientierung an dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) und die Beschreibung von Lernergebnissen. Einige Länder überarbeiteten daraufhin ihre Lehrpläne, so auch Bayern, das den neuen Lehrplan mit Beginn des Schuljahres 2013/2014 implementierte. Bemerkenswert ist bei aller sinnvollen Überarbeitung jedoch, dass zwar die Lernergebnisorientierung in den Lernfeldern eingeführt, eine Modularisierung in Form von Lernergebniseinheiten jedoch nicht vorgenommen wurde und dies, obwohl der alte bayerische Lehrplan zur Erleichterung der Anerkennung durch die Hochschule auch in modularer Form vorlag. Vielmehr wurde nun wieder an den Lernfeldern und der in den 1990er Jahren in der beruflichen Ausbildung implementierten Lernfelddidaktik festgehalten, was innerhalb Deutschlands die Anerkennung auf ein anschließendes oder weiterbildendes Studium nicht fördert.
In anderen Bundesländern wie z. B. in Niedersachsen werden derzeit Curricula entwickelt, die eine Modulstruktur aufweisen. Dies wird die Anerkennung auf ein Studium innerhalb Deutschlands sicherlich erleichtern, weil so eine gemeinsame Struktur vorhanden ist. Bislang weisen nur eine sehr geringe Zahl von Ausbildungseinrichtungen für Erzieherinnen auf ihrer Homepage auf die Möglichkeiten eines weiterführenden Studiums unter Anerkennung der bereits erworbenen Kompetenzen hin und auch etliche Hochschulen zeigen nur ein geringes Interesse an einer Gewinnung von Erzieherinnen als Studierende.
Die Ausbildung zur Kindheitspädagogin
Die Studiengänge für Kindheitspädagogik in Deutschland sind etwa zehn Jahre nach ihrer Einführung immer noch recht neu und der Beruf der Kindheitspädagogin setzt sich nur allmählich durch, macht aber große Fortschritte wie eine eben erschienene Studie des Studiengangstages Pädagogik der Kindheit und der BAG-BEK e.V. ergab.
Die Studiengänge sind sehr unterschiedlich und decken ein breites Spektrum unterschiedlicher Zielrichtungen und Formate ab. Einige sind als sechs-semestrige Studiengänge konzipiert, einige als sieben-semestrige Bachelor-Programme. Es gibt duale Studiengänge, gemeinsam durchgeführt mit Fachschulen/-akademien und solche, die grundständig sind, während andere wiederum aufbauend auf der Anerkennung der beruflichen Bildung konzipiert sind.
Bedingt durch den Bologna-Prozess sind die Studiengänge zu akkreditieren. In diesem umfangreichen Prüfprozess sind Modulhandbücher, Prüfungsordnungen, Formate, etc. vorzulegen. In den Modulhandbüchern sind Inhalte und von den Studierenden zu erwerbende Kompetenzen festgelegt. Allen Studiengängen – nicht nur in Deutschland – liegt also dieselbe Struktur zu Grunde und jede Hochschule muss Aussagen dazu treffen, wie und in welchem Umfang bereits erworbenen Kompetenzen anerkannt werden.
Die Übergänge zwischen beruflicher Bildung und akademischer Ausbildung in der Frühpädagogik
Die Anerkennung der in der beruflichen Bildung erworbenen Kompetenzen durch die Hochschulen und Universitäten variiert stark. Schon der Übergang von der Kinderpflege/Sozialassistenz zur Erzieherinnenausbildung ist in den 16 Bundesländern völlig unterschiedlich geregelt (Platzhalter Artikel Balluseck auf ErzieherIn.de). Immerhin sind die Vorschriften innerhalb der einzelnen Bundesländer klar. Hingegen ist der Übergang von der Erzieherinnenausbildung zum Hochschulstudium für die Fachkraft, die diesen Weg gehen möchte, ein Dschungel. Zunächst muss sie sich durch die Homepages der Hochschulen arbeiten und stellt fest:
- An manchen Hochschulen werden individuelle Prüfungen vorgenommen und individuell vorherige Lernergebnisse anerkannt, oder aber es wird die berufliche Ausbildung pauschal anerkannt.
- An anderen Hochschulen werden unterschiedliche Umfänge von Vorleistungen auf das Studium angerechnet, so dass sich die Studienzeit meistens um ein oder zwei Semester je nach vorliegenden Lernergebnissen verkürzt.
- Nur in einem Fall, an der Hochschule München, wird in Deutschland die Erzieherinnenausbildung pauschal mit 75 ECTS anerkannt und Studierende können dort sofort ins 4. Semester durchstarten, da weitere 15 ECTS in Sommerkursen erworben werden.
ECVET– ein Plädoyer für Durchlässigkeit
Bei all der dargestellten Vielfalt erscheint es wie ein Wunder, dass im Rahmen transnationaler europäischer Mobilität mit ECVET ein System implementiert werden konnte, welches Vertrauen, Transparenz, Bewertung und Anerkennung von Ausbildungssegmenten ermöglicht. Dies wirkt jedoch nicht nur im Bereich europäischer Mobilität von Studierenden, sondern bietet ebenso die Chance, innerhalb Deutschlands den Übergang von der Ausbildung in ein Studium zu erleichtern. Zur Erläuterung sollen nun zwei Fallbeispiele dienen:
Anna und Emma sind beide erfolgreiche Absolventinnen der Erzieherinnenausbildung. Anna plant, ihr einjähriges Berufspraktikum in der Türkei zu machen. Sie tut dies, weil sie türkische Wurzeln hat, neugierig ist und ein vertieftes kulturelles Verständnis erwerben möchte. Dies ist ein Mehrwert, den sie so nicht ohne Auslandsaufenthalt erzielen könnte. Dank festgelegtem Umfang des Praktikums und klar beschriebenen Lernergebnissen sowie Vereinbarung des Prüfungsformats und einer langjährigen vertrauensvollen Kooperation ihrer Fachakademie mit einer Praxiseinrichtung in Ankara kann sie dort das Jahr verbringen, ihre Prüfungen ablegen und erhält nach erfolgreichem Abschluss in Deutschland die staatliche Anerkennung als Erzieherin.
Es bleibt noch anzumerken, dass Anna nach ihrem Berufspraktikum in Ankara "Flügel bekommen hat" und sich entschließt, nach einer Möglichkeit des Studiums im Ausland zu suchen. Dazu sucht sie eine Hochschule, die möglichst viel anerkennt. Sie macht sich auf den Weg und stellt fest, dass die Anerkennung überall in Europa unterschiedlich gehandhabt wird. Als Grundlage für die Anerkennung ihrer Kompetenzen stellt sie schließlich ein individuelles Portfolio zusammen und reicht es bei verschiedenen Hochschulen ein.
Emma dagegen hat schon ihr Berufspraktikum gemacht und ist staatlich anerkannte Erzieherin. Sie war an einem Berufskolleg, das den Landeslehrplan umgeschrieben hat in Module und über Kooperationen mit mehreren Hochschulen verfügt, denn das erleichtert die Anerkennung ihrer Kompetenzen. Sie bewirbt sich mit ihren Nachweisen bei den Hochschulen und wählt schließlich die, bei der ihr pauschal am meisten anerkannt wird, denn sie muss sich das Studium von Ersparnissen selbst finanzieren.
Den beiden Beispielen liegt trotz der verschiedenen individuellen Wege von Anna und Emma die Idee der Transparenz und Anerkennung von erworbenen Kompetenzen nach dem Prinzip von ECVET zu Grunde.
Die beiden Fallbeispiele sind Leuchttürme für individuelle Lernwege von Studierenden. Die Frage ist, wie die Brücke zwischen ECVET und ECTS geschlossen werden kann, um den Übergang von der beruflichen zur hochschulischen Bildung für die einzelnen Lernenden weiter zu erleichtern und auch zu standardisieren. Zur Zeit entscheiden die Hochschulen unterschiedlich, wie auch die Suche von Emma zeigt. Dies erfordert von den BewerberInnen aus der Berufspraxis aufwändige Suchprozesse. Erst wenn auf Landes- und Bundesebene verlässliche Standards und Strukturen für die Anrechnung gegeben wären, bestünden gute Chancen für die Anerkennung der Lernergebnisse aus der beruflichen Bildung.
Betrachtet man den Übergang sowohl auf europäischer Ebenen als auch in Deutschland, so sind zur flächendeckenden Implementierung von ECVET weitere Maßnahmen notwendig für die Übergangsgestaltung:
- Module bzw. Lernergebniseinheiten werden auf der Grundlage bestehender Curricula konzipiert, die die Lernfelder inhaltlich mit zu erwerbenden Kompetenzen füllen. Auf den ganzheitlichen Ansatz zum Erwerb der beruflichen Handlungsfähigkeit und das Berufsprinzip muss dabei keineswegs verzichtet werden!
- Aus einer Vielzahl von Lernergebniseinheiten können Lernende mit Lehrenden Projekte zusammenstellen, die handlungsorientiert geplant, durchgeführt, evaluiert und bewertet werden. Dieses Vorgehen ist besonders für Kurzzeitpraktika im Ausland geeignet. Mehrere Projekte können so ein Lernfeld abbilden.
- Die dann vorhandenen Lernergebniseinheiten erleichtern zugleich eine modularisierte Beschreibung der Ausbildung. Viele Ausbildungsinstitute haben hier schon institutsbezogene Modulhandbücher erstellt. Im Rahmen der Ausbildung erzielte Teilleistungen ergeben in der Summe das gesamte Ausbildungsprofil und sichern das Berufsbild.
- Da Inhalte und Kompetenzen genau beschrieben werden, sind Ziele und auch die Ergebnisse der Lernenden mittels Validierung in geeigneten Prüfungsverfahren festzustellen und durch geeignete Dokumentation transparent zu machen. Auf dieser Grundlage kann Vertrauen zwischen den Bildungsbereichen – Berufliche Schulen und Hochschulen – entstehen. Neben individuellen Kooperationsvereinbarungen – wie inzwischen auch verbreitete Praxis – wäre die Anerkennung generell erleichtert.
- Auf eine Vergabe von Leistungspunkten kann, muss aber nicht verzichtet werden, ebenso wie auf einen Umrechnungsschlüssel von ECVET credits zu ECTS credits, da es um eine qualitative Anrechnung von Kompetenzen geht. Der Vorteil der Maßeinheit "Zeit = workload" bringt allerdings den einer neutralen Währung mit sich und stellt neben qualitativ inhaltlichen Parametern einen quantitativen Maßstab dar.
Fazit
Es zeigt sich, dass die Subsysteme der Bildungslandschaft für angehende frühpädagogische Fachkräfte stark versäult sind. Berufliche Bildung und hochschulische Bildung folgen jeweils eigenen Systemlogiken, was es der weiterbildungswilligen Fachkraft im Übergang von der beruflichen zur hochschulischen Bildung nicht leicht macht. Es gibt keine verlässliche Struktur und nicht immer verkürzt die berufliche Ausbildung die Studienzeit, was jedoch einen wichtigen Faktor bei der Entscheidung für ein aufbauendes Studium darstellt.
ECVET hat die Möglichkeit der transnationalen Anerkennung von an unterschiedlichen Orten erworbenen Lernergebnissen deutlich erhöht. Dies ermutigt, die Ergebnisse auf die nationalen Gegebenheiten zu übertragen, um die hier vorhandenen systemischen Grenzen zu überwinden. Werden die oben angeführten Maßnahmen in Deutschland durchgeführt, so stellt dies einen Beitrag zur Professionalisierung in der Kindheitspädagogik dar und ermöglicht den Studierenden, sich weiter zu qualifizieren.
Daher erscheint es sinnvoll, das Beste aus beiden Systemen – ECVET und ECTS – zu nutzen. Im Interesse der Lernenden ist es, historisch gewachsene Vorbehalte und Hürden zwischen den Institutionen zu überwinden, statt sich aus Angst vor Identitätsverlust daran zu klammern. Denn es ist auf Grund transnationaler Erfahrungen anzunehmen, dass alle Akteure von diesem Annäherungsprozess profitieren, zuallererst aber die Fachkräfte in Kitas und die Kinder, die von Fachkräften betreut und gebildet werden, die sich selbst dem Lebenslangen Lernen verschrieben haben.
Anmerkungen:
(1) Da ca. 95 Prozent des Personals in Kitas weiblich sind, wird in diesem Text wegen der Lesbarkeit ausschließlich das Femininum verwendet. Alle Männer in Kitas mögen sich bitte berücksichtigt fühlen, denn sie sind ausdrücklich gemeint.
(2) Die Heil- und Sozialpädagogen werden in diesem Artikel nicht berücksichtigt, weil sie besondere Zielgruppen adressieren und diese beiden verwandten Berufszweige wegen des Umfangs des Artikels gesondert betrachtet werden müssten, da sich die Lage in beiden Fällen divers und sehr spezifisch darstellt.
(3) s. Schreiber, Norbert (2012): Die Ausbildung von Kinderpflegerinnen und Sozialassistentinnen. Eine bundesweite Befragung der Leitungen von Berufsfachschulen: Zehn Fragen - Zehn Antworten. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. WiFF Studien, Band 18. München; URL: http://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/details/data/die-ausbildung-von-kinderpflegerinnen-und-sozialassistentinnen/
Die Autorin:
Prof. Dr. Claudia M. Ueffing, Staatlich anerkannte Erzieherin, Studium der Pädagogik und Philologie, Promotion. Seit 2009 Professorin an der Hochschule München Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften mit den Arbeitsschwerpunkten
- Interkulturelle Pädagogik/Interkulturelles Lernen
- Sprache und Sprachförderung, Literacy-Erziehung
- Mehrsprachigkeit
- Bildungsberichterstattung/ Bildungsplanung
- Europäische Bildungsprojekte
- Internationale Zusammenarbeit im Bereich Early Childhood Education (ECE)
- Forschung und Entwicklung im Bereich ECE
Seit 2012 Nationale Expertin zu ECVET in Deutschland und Koordinatorin europäischer Projekte finanziert von der EACEA