mehrere Kinder

System der Notbetreuung während der Coronakrise

Gizzela Hoy

27.04.2020 Kommentare (1)

Im folgenden sollen unterschiedliche Aspekte der aktuellen Situation der Notbetreuung aufgegriffen und näher beleuchtet werden.

Seit Mitte März befindet sich Deutschland im Ausnahmezustand. Kitas, Schulen und Geschäfte sind geschlossen. Damit verbunden sind eine Vielzahl von Ängsten, Fragen und Verunsicherungen.

Diese Zeit, wird ähnlich wie der zweite Weltkrieg, die Menschen in diesem Land traumatisieren. Traumatisierungen werden entstehen, weil Gewohntes auf einmal wegbricht. Eine zuvor geglaubte Sicherheit, sich nun in Unsicherheit wandelt.Das Ausmaß dieser Traumatisierungen ist noch nicht erkennbar, doch es zeichnet sich ab, dass die psychologischen Folgen uns noch einige Zeit begleiten werden.

Für einige Familien ist plötzlich die Lebensgrundlage weggebrochen Zurück bleibt die Ungewissheit darüber, wie es weiter geht. Gerade im urbanen Bereich sind in der Regel 2x 40h Einkommen nötig, nur um die Miete für die Wohnung zu finanzieren, bzw. um den Kredit zu bedienen, mit dem das Eigentum erworben wurde. Berechtigterweise sind Eltern nach über einem Monat Schließung höchstwahrscheinlich mit Ängsten konfrontiert, mit denen sie sich bisher wenig auseinandersetzen mussten. Auf einmal wird Zeit mit Personen verbracht , mit denen bisher wenig Zeit verbracht wurde. Das positive daran ist, dass viele Familien gerade jetzt erst die Chance haben sich näher kennen zu lernen. Bindungen und Beziehungen zu intensivieren. Das negative ist eine Zunahme von häuslicher Gewalt gegen Kinder und Frauen, dem man recht hilflos gegenüber steht.

Aber kann die Ausweitung des Angebotes der Notbetreuung die Lösung für diese Probleme sein?

Das Prüfen, wer die Berechtigung für eine Notbetreuung hat obliegt der Leitung.

  • Was ist, wenn diese auch Personen zulässt, die sich sozusagen mit einschmuggeln?
  • Gibt es da Konsequenzen für Leitung und Träger, wenn diese Leute nicht zulassen obwohl diese berechtigt wären und vice versa?

Denn seit der Ankündigung, dass die Notbetreuung ausgeweitet werden wird, kann sich unsere Einrichtung vor Anfragen von Eltern kaum noch retten. Diesen Absagen erteilen zu müssen, schadet der Beziehung zwischen Kindertageseinrichtung und Elternhaus enorm. Dieses trägt nicht zu einer positiven Erziehungspartnerschaft bei. Die Erziehungspartnerschaft ist Grundlage für die Betreuung und Bildung in Kindertageseinrichtungen und wird in allen Bildungsplänen hervorgehoben.

  • Nun sollen auf einmal Kinder, die wochenlang ausschließlich bei ihren Eltern waren wieder stundenlang in der Einrichtung verbringen?

Die vormals bekannten Bezugserzieher könnten Ihnen fremd sein. Eigentlich eine neue Eingewöhnung von Nöten. Gerade für Kinder, die noch keine lange Zeit in der Einrichtung verbracht haben. Vor allem für die U3 Kinder, sollte eine neue Eingewöhnung bedacht werden.

  • Die ausgearbeitete Konzepte der Eingewöhnung über Bord geworfen werden?

Ja Kinder haben ein Bedürfnis danach mit anderen Kindern in Kontakt zu sein. Vor allem für Kinder im Schulalter ist dieses wichtig. Für Kinder im Ü3 bzw. U3 ist dieses Bedürfnis noch weniger ausgeprägt. Der Fokus auf die Eltern meist enorm, weshalb im Regelbetrieb für die meisten Kinder eine Eingewöhnung in den Kindergartenalltag vollzogen wird.

Kitas stehen unter dem Trias Betreuung, Bildung und Erziehung. Auch unter normalen Bedingungen ist der Nutzen eines Besuches von Kitas besonders im Bereich U3 kritisch zu betrachtern. Viele Einrichtungen arbeiten qualitativ schlecht. Auch jetzt in der Krise sollte bedacht werden, nur weil Notbetreuung besteht, heißt es nicht dass diese Betreuung qualitativ ist!!Eventuell könnte die Notbetreuung zu einem Trauma beitragen, wenn diese schlecht organisiert ist.

Gerade jetzt sollte bedacht werden, dass Personal welches die Kinder betreut, selber psychologisch die Kapazität hat, Kinder die nun z.B. häuslicher Gewalt ausgesetzt waren auch adäquat auffangen zu können. Viele Kollegen sind gerade selber verängstigt, traumatisiert und schockiert.

  • Wer weiß, was so manchen Kollegen in deren Haushalt passiert ist?
  • Welche Belastungen und Sorgen bringen die Betreuungspersonen in den Alltag mit hinein?

Die Berücksichtigung von Risikogruppen im Einsatz der Notbetreuung ist trägerabhängig, gleicht also einem Russisch Roulette. So hat z.B. eine/n Ü60 Mitarbeiter/in Glück, wenn sie bei einem Träger ist, dem der Gesunheitsschutz für seine Beschäftigten ein Anliegen ist und, welcher vorrausschauend handelt und diese/n Mitarbeiter/in bei vollem Lohnausgleich freistellt oder im Homeoffice arbeiten lässt. Wenn dann eine/r der Ü60 leider bei einem Träger arbeitet, der nicht vorrausschauend handelt und diese/n Mitarbeiter/in womöglich dann auch noch gefährdet, durch Heranziehung zum Notdienst, sagt man dann 'shit happens'? und zuckt mit den Schultern wenn sich diese dann womöglich während der Dienstzeit ansteckt.

Über Langzeitschäden die das CoVid 19 verursacht kann derzeit nur spekuliert werden.

  • Wie sollen Träger in dieser Zeit sinnvolle Entscheidungen zu Gunsten Ihrer Beschäftigten Treffen, wenn diese nicht die nötigen Kenntnisse und Expertise bei diesem Thema verfügen?

Es besteht ein dringender Bedarf einer einheitlichen Regelung in Bezug auf Risikogruppen und deren Einsatz in der Notbetreuung.

Regelungen die von den Ländern getroffen werden und nicht auf die Leitungen oder Träger abgewälzt werden sollten.

Immer noch Kurzarbeit ist bei einigen Trägern ein Thema. Dieses sorgt für zusätzliche Verunsicherung bei Betreuungspersonen.

Der berechtigte Personenkreis, welcher auf Notbetreuung zurückgreifen darf wurde für den 27.4.2020 ausgeweitet. Es wurde mehrmals betont, dass z.B. in Bayern in den letzen Wochen die Kapazitäten für Notbetreuung nicht ausgeschöpft wurden.

  • Wird denn berücksichtigt, dass nicht alle derzeit arbeitsfähigen pädagogischen Fachkräfte bedingungslos einsetzbar sind?

  • Mussten Träger die Anzahl der Mitarbeiter melden, die derzeit erkrankt sind oder einer Risikogruppe angehören?

    In der Woche vor der Schließung der Kindertageseinrichtungen und Schulen, konnte man z.B. auf der Website der Stadt München zuletzt stündlich verfolgen, wie immer mehr Kindertageseinrichtungen und Schulen aufgrund von Coronafällen geschlossen wurden. Der Überblick war verloren gegangen.

    Zur Veranschaulichung sollte der Bereich Kita sollte man in Zahlen betrachtet werden.

  • Regulär sind bei uns in der Kindertageseinrichtung 62 Kinder in 3 Gruppen. Dazu kommen für jede der Gruppen 2 pädagogische Fachkräfte und 2 Praktikanten, der Koch mit Küchenhilfe und das Reinigungspersonal.62 Kinder haben ja in der Regel auch Eltern, bei uns wächst der Großteil mit 2 Eltern auf. Das macht dann für unsere Einrichtung schon ca. 200 betroffene Menschen.

  • Bei nur einer Gruppe mit 5 Kindern und jeweils 2 Eltern, macht es im Gegegensatz dann 15 Menschen aus die betroffen sind. Doch bei 3 Gruppen a 5 Kindern macht es immerhin schon wieder ca. 45 betroffene Familien.

    Schnell werden Veranstaltungsgrößen erreicht werden, die grenzwertig sind, weil eine zuverlässige Kontaktnachverfolgung kaum noch möglich ist. Dazu steht allen 3 Gruppen ein Gemeinschaftsbad zur Verfügung.
    Die Räumlichkeiten sind eher beengt. Ein Abstand halten und dafür zu sorgen, dass Kinder sich wenig begegnen ist quasi ein Ding der Unmöglichkeit.

    Betreuungseinrichtungen sind keine kurzfristige Kinderbetreuung wie das Ikea Smalland, wo nach kurzer Zeit eine Durchsage gemacht werden kann a la ('der kleine Nick möchte gerne aus dem Smalland abgeholt werden'). In der Regel verbringen die Kinder einen großen Teil ihres Alltags in der Einrichtung.

    Vor allem aus virologischer und epidemiologischer Sicht, ist die Ausweitung der Notfallbetreuung für Kinder eventuell eine tickende Zeitbombe, denn die Rolle der Kinder bei der Virusübertragung ist bis heute nicht abschliessend geklärt.

Anregungen und Ideen, wie mit der Situation auch umgegangen werden könnte:

  1. Einen Pool von pädagogischen Fachkräften jeweils wohnortnah, als 'Flying Nanny' dann Zuteilung zu einer max. 2 Familien in der Nähe, die gerade Hilfe benötigen im Postleitzahlenbereich. Das würde die Wege in einer Stadt wie München reduzieren und die Kontakte überschaubar machen

  2. Betreuter Spielplatz für 1-2 Stunden (Aufenthalt im Freien, Bewegungsangebote), Hier wäre eine Umzäunung wichtig, nach der Benutzung sollte natürlich eine Desinfizierung der Spielgeräte durchgeführt werden. Geeignet für Kinder ab ca. 5 Jahren bis Ende der Grundschule

  3. Ausweitung der Notbetreuung, aber deutliche Reduzierung der angebotenen Stunden (8:00-12:00 Uhr), ohne eine gemeinsame Mahlzeit, denn insbesondere bei Mahlzeiten husten und niesen Kinder gerne auf die Speisen

Folgende Forderungen ergeben sich:

  1. Verbindliche Vorgaben der Länder in Bezug auf den Einsatz von Risikogruppen

  2. Verbindliche Vorgaben der Länder in Bezug auf Gruppengrösse/ räumliche Vorraussetzungen

  3. Enge Psychologische Begleitung der Fachkräfte insbesondere in Bezug auf das Thema häusliche Gewalt

  4. Differenzierung zwischen U3 und Ü3, Betreuung von U3 nur in seltenen Ausnahmefällen/ echten Notsituationen

Zusammenfassend gibt es noch einige Punkte und Aspekte, die bei dem Thema Notfallbetreuung Arbeitschutz, Entlastung der Eltern angeführt werden könnten. Es bleibt noch zu sagen, dass auch in Dänemark, die Betreuung nicht wieder so statt findet, wie vor Corona, sondern sich die Bedingungen unter denen aktuell betreut wird an Corona anpassen. Ob dieses letztlich dem Wohl der Kinder dient, oder ausschliesslich dem Wohl der Wirtschaft, dass müssen nun die Funktionsträger dieses Landes in hoffentlich verantwortungsvoller Art und Weise entscheiden.

Autorin Gizzela Hoy
Gizzela Hoy ist 38 Jahre alt und staatlich anerkannte Erzieherin. Sie hat an der Open University, Uk den Bachelor Childhood and Youth Studies absolviert. Es folgte ein Master an der Universität Flensburg 'Kita Management'. Diesen hat sie 2018 beendet. Frau Hoy ist wohnhaft in München und dort stellvertretende Leitung in einem Haus für Kinder mit 3 Gruppen und 62 Kindern. 

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Kommentare (1)

Manuela Rümmele 28 April 2020, 16:26

Ich finde die Darstellung sehr gut. Es fehlt meiner Meinung nach der Fokus auf das zu betreuenden Fachpersonal. Wird politisch nie erwähnt. Sehr traurig.

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