Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern erfordern intensive Erziehungspartnerschaft mit den Eltern
Inhalt- Warum sind diese Eltern schwierig für mich?
- Wie gelingt mir trotzdem ein partnerschaftlicher Kontakt?
- Vorbereitung des Elterngesprächs
- Das Gespräch
- Zusammenfassung oder was können Sie gewinnen, wenn die Erziehungspartnerschaft gelingt?
Die Erziehungspartnerschaft mit Eltern verhaltensauffälliger Kinder gestaltet sich besonders schwierig, wenn problematische Familienverhältnisse zugrunde liegen und die Eltern zur Zusammenarbeit mit der Kita nicht willens oder kaum in der Lage sind. Der Kontakt muss jedoch hergestellt werden, um die Entwicklungschancen dieser Kinder zu verbessern und den Kita-Alltag zu entlasten. Bei der Vorbereitung und Durchführung eines solchen Gespräches sind besondere Voraussetzungen zu beachten, damit eine Erziehungspartnerschaft zustande kommen kann. Um diese Voraussetzungen soll es im vorliegenden Artikel gehen. Anhand von Praxisbeispielen werden mögliche Vorgaben aufseiten der Eltern dargestellt und Wege zur Vorbereitung eines schwierigen Gespräches aufgezeigt. Daraus ergeben sich Richtlinien für die Kontaktaufnahme und Durchführung eines Gespräches.
Warum sind diese Eltern schwierig für mich?
Auch wenn die Erziehungspartnerschaft mit Eltern insgesamt gut funktioniert, können Probleme auftreten mit Eltern verhaltensauffälliger Kinder, die sich als schwierig erweisen oder gar abstoßend verhalten. So wie dies eine Erzieherin zu berichten weiß: „Die vierjährige Anna besucht seit zwei Monaten unsere Kita. Als der Vater sie eines Tages abholt, pfeift er nach ihr und sagt dann zufrieden zu mir: ‚Die funktioniert wie ein Hund‘. Mir verschlug es die Sprache! In der Kita zuckt Anna sofort zusammen, wenn wir sie ansprechen. Sie zeigt ständig große Angst, Fehler zu machen.“ Diese beiden Wahrnehmungen mobilisieren viele negativen Gefühle: Ablehnung des Vaters, Mitleid mit dem Kind, Angst um das Kind und eigene Hilflosigkeit.
Natürlich sind solche Eltern schwierig. Diese durch das Elternverhalten ausgelösten Gefühle bestimmen meine Einstellung, man möchte nicht gern mit ihnen etwas zu tun haben.
Die Mutter, mit der Sie schon viele erfolglose Gespräche über die Verhaltensauffälligkeiten ihres Sohnes geführt haben, hinterlässt ebenfalls starke negative Gefühle und Resignation. Der sechsjährige Ben steht ständig unter Strom, zuckt mit Händen und Schultern beim Sprechen, rastet immer wieder aus, übertritt alle Regeln. Die Mutter weist dies vehement von sich, sieht nur das Fehlverhalten der anderen, betont ständig ihre Sorge, dass der Junge in der Schule nicht funktionieren könnte und erwartet von der Erzieherin, ihn schulfähig zu machen.
Hoffnungslosigkeit im Hinblick auf die eigenen Einflussmöglichkeiten entsteht, wenn der familiale Hintergrund des hochaggressiven fünfjährigen Jannis von Alkohol und Gewalttätigkeiten geprägt ist. Sie wissen, der Vater schlägt die Mutter, diese ist mit dem Kind vollkommen überfordert und übt ebenfalls Gewalt aus.
Mit solchen oder ähnlichen Fällen hat jede Erzieherin zu tun. Sie lösen die ganze Bandbreite negativer Gefühle aus, sodass eine Erziehungspartnerschaft mit solchen Eltern unmöglich erscheint. Gleichzeitig ist der Anspruch da, den betroffenen Kindern zu helfen. Wie lässt sich unter diesen Bedingungen eine Erziehungspartnerschaft aufbauen?
Wie gelingt mir trotzdem ein partnerschaftlicher Kontakt?
Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, die Erziehungspartnerschaft mit schwierigen Eltern sei unter allen Bedingungen möglich. Das ist sie wahrscheinlich nicht. Die zentralen Begriffe einer Partnerschaft wie Vertrauen, Toleranz und Respekt lassen sich nur schwer umsetzen, wenn starke negative Gefühle die Einstellung zu diesen Eltern bestimmen. Es sind dann besondere Anstrengungen nötig, um das Ziel des Kindeswohls ins Auge zu fassen.
Am Anfang steht die Bemühung, die eigenen Gefühle erst einmal wegzuschieben, um den Blick frei zu haben für die Gegebenheiten. Natürlich wissen Sie Bescheid über die Hintergründe von schwierigem Elternverhalten. Doch mit der nachfolgende Abbildung will ich trotzdem aufzeigen, welche Einflüsse das Elternverhalten und die Entwicklung eines Kindes steuern:
Der Bericht eines 35-jähriger Vaters soll illustrieren, wie diese Einflüsse wirken können: „Meine Kindheitserfahrungen waren geprägt von Vernachlässigung und Gewalt. Ich konnte nur lernen zu überleben. Aggressionen haben geholfen, Schmerz, Kummer, Hilflosigkeit und Einsamkeit zu überdecken. Die Umwelt reagierte mit deutlicher Ablehnung. Später bin ich immer wieder von zu Hause weggelaufen. Als Jugendlicher habe ich mein Elternhaus zeitnah dann endgültig verlassen. Nach einer längeren Zeit mit Ausbildungsabbrüchen, Drogen und Gewalttätigkeiten lernte ich eine Frau kennen. Sie hatte auch nur Stress mit ihren Eltern. Sie schaffte es, mich aus dem Milieu herauszuholen. Wir haben uns gut verstanden und sind bald zusammengezogen. Mit 17 wurde sie schwanger, wir freuten uns auf das Kind und wollten alles besser machen als unsere Eltern. Als das Baby dann da war, haben wir uns sehr angestrengt, alles auf die Reihe zu bekommen. Es war unendlich schwer. Der Stress wurde mehr und mehr, wir stritten uns ständig, das Kind schrie ununterbrochen. Meine Arbeitsstelle verlor ich auch. Die Nerven lagen blank. Da kam es immer öfter vor, dass ich meine Wut an meiner Frau und dem Kleinen ausließ. Als der Junge mit drei Jahren in den Kindergarten kam, gab es nach wenigen Tagen schon die ersten Beschwerden, weil er andere Kinder immer wieder schlug.“
Die hier beschriebene Weitergabe gewalttätiger Beziehungsmuster ist dann unvermeidlich, wenn die in der Abbildung genannten Einflussfaktoren nicht positiv wirksam werden. Das bedeutet, positive Veränderungen im negativen Lebenslauf sind zum größten Teil von Zufällen abhängig: Gibt es Verwandte oder Freunde, die willens und in der Lage sind, einzugreifen? Werden Erzieherinnen oder Lehrer aktiv, um dem auffälligen Kind zu helfen? Hat das Kind ein ruhiges und pflegeleichtes Temperament oder ist es sehr lebendig und leicht aufbrausend? Ist ein Partner in der Beziehung weniger belastet und kann dem anderen helfen? Wirken Arbeit und Beruf ausgleichend?
Gelingt es Ihnen unter Beachtung dieses Wissens, eine relativ neutrale und akzeptierende Einstellung zu schwierigen Eltern zu entwickeln, schaffen Sie die Voraussetzungen für die Herstellung eines partnerschaftlichen Kontakts und das Erreichen des Kindeswohls.
Vorbereitung des Elterngesprächs
Ein Leitfaden für Gespräche mit schwierigen Eltern verhaltensauffälliger Kinder
Bei Gesprächen mit den hier im Mittelpunkt stehenden Eltern geht es in erster Linie um die Herstellung einer vertrauensvollen Beziehung. Das ist nicht einfach, da diese Eltern entweder gar keine Probleme bei ihren Kindern sehen oder sich abwehrend verhalten, um sich auf ein Gespräch nicht einlassen zu müssen.
Zur Vorbereitung eines Gesprächs mit schwierigen Eltern ist es sinnvoll, sich vorher die Besonderheiten deutlich klarzumachen. Folgender Leitfaden soll dabei helfen:
- Gedankliche Fixierung auf den Sinn des Elterngesprächs: Dem Kind soll geholfen werden und das geht nur gemeinsam mit den Eltern.
- Die Situation der schwierigen Eltern sich erneut vergegenwärtigen, um eine förderliche Haltung für das Gespräch zu entwickeln. Darüber das Verständnis für die vorhandene Problematik aufbauen.
- Ein Problemgespräch berührt grundsätzlich das Selbstwertgefühl von Eltern und dieses wirkt sich auf den weiteren Verlauf aus. Deshalb muss alles vermieden werden, was die hier beschriebenen Eltern in ihrer Selbstachtung verletzt, auch wenn sie unvernünftige Einstellungen und Verhaltensweisen zeigen.
- Die Erziehungskompetenz der Eltern deshalb nicht thematisieren oder anzweifeln. Stattdessen nach ihrer Erfahrung und Meinung zu den kindlichen Verhaltensweisen fragen.
- Die gemeinsame Suche nach Ursachen und Lösungsmöglichkeiten sollte immer wieder ausdrücklich betont werden, um das Gefühl der partnerschaftlichen Vorgehensweise zu entwickeln. Im positiven Fall entsteht bei den Eltern das Empfinden, gebraucht zu werden, was sie stolz und zugänglicher macht.
- Dabei die Beachtung des Gleichgewichts in der Gesprächsführung einplanen, damit die Eltern nicht in die Passivität geraten.
- Optimale Klarheit für den Ablauf des Gesprächs schaffen, denn alle Beteiligten stehen unter Stress, der die Wahrnehmung einschränkt.
Um diese Punkte im Gespräch mit schwierigen Eltern meistens zu berücksichtigen, benötigen Sie sicher einige Praxiserfahrung. Sie können jedoch auch die im nächsten Abschnitt dargestellte Methode zur Vorbereitung nutzen, um sicherer in das nächste Gespräch mit schwierigen Eltern zu gehen.
Eine Methode zur Vorbereitung
Das oben beschriebene Beispiel des sechsjährigen Ben soll als Vorlage dienen.
Bitten Sie eine Kollegin, der sie schon häufig von Ben und seiner uneinsichtigen Mutter erzählt haben, Ihnen bei der Vorbereitung zu helfen. Schlüpfen Sie in die Rolle der Mutter. Die Familiensituation ist durch vorangegangene Gespräche bekannt: Die Mutter ist voll berufstätig, dem Kind gegenüber sehr inkonsequent, hektisch. Der Vater ist auch voll berufstätig, hält sich bei der Erziehung raus. Ben ist der Jüngste, ein 14jähriger Bruder betreut ihn häufig an den Nachmittagen. Der schlägt ihn auch mal.
Ihre Kollegin übernimmt die Rolle der Erzieherin. Schreiben Sie dann für sich auf, was in der Mutter vorgehen könnte, wenn sie zu dem Gespräch kommt. Sie haben die Mutter zu einem erneuten Gespräch eingeladen und möchten ihr nahelegen, den Jungen noch ein Jahr im Kindergarten zu lassen, was sie ablehnt.
Notieren Sie auf einem Blatt Papier, mit welchen Ängsten, Befürchtungen, Erwartungen oder auch Aggressionen diese Mutter erscheint; soweit Sie das aufgrund Ihrer bisherigen Kontakte einschätzen können.
Inzwischen versucht Ihre Kollegin, anhand eigener Erfahrung und mithilfe des obigen Leitfadens einen groben Plan für das Gespräch zu erstellen. Anschließend überprüfen Sie beide, inwieweit das geplante Verhalten der Erzieherin auf die Befindlichkeit der Mutter passt, was an der Planung geändert werden kann oder was zusätzlich berücksichtigt werden muss.
Damit haben Sie sich selbst gedanklich intensiv mit den Gefühlen und der Sichtweise der Mutter auseinandergesetzt. Durch die Überlegungen der Kollegin gibt es einen ersten Entwurf für die Gesprächsplanung. In der Diskussion mit Ihrer Kollegin sind neue Ideen entstanden.
Zielfestlegung und Planung des Gesprächs
Die konkrete Planung des Gesprächs beginnt mit der Festlegung der Ziele, d.h. mit der Entwicklung klarer Vorstellungen, welche Punkte angesprochen werden müssen. Im Fall der vierjährigen Anna wäre es kontraproduktiv, den Vater auf das abfällige Verhalten seiner Tochter gegenüber anzusprechen. Das Kindeswohl wird nur erreicht, wenn Annas Ängste nachlassen, denn ständige Angst verhindert Entwicklung. Das Ziel wäre also, mit den Eltern gemeinsam herauszufinden, was Annas Ängste auslöst und wie sie reduziert werden können.
Mit der Zielfestlegung kann nun die Planung erfolgen.
Die nachstehenden 10 Punkte sollen als Richtschnur dienen:
- Notizen anfertigen über die genauen Beobachtungen des Kindes in unterschiedlichen Situationen mit dem positiven und dem auffällligen Verhalten.
- Formulierung des Gesprächsbeginns und der Beschreibung des Problems unter den o.g. Gesichtspunkten. Den Eltern zu Beginn Danke sagen für ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit.
- Fragen einplanen nach der Erfahrung und Meinung der Eltern zu den Ursachen und nach dem Verhalten des Kindes zu Hause.
- Informationen sammeln zu den möglichen Ursachen des auffälligen Verhaltens. Die gemeinsame Suche nach den Ursachen ist der kritischste Teil des Gesprächs, aber ohne Kenntnis der Ursachen gibt es keine nachhaltige Veränderung. Mit Hilfe des obigen Leitfadens wird eine vorsichtige Vorgehensweise möglich sein.
- Notieren Sie sich zu den möglichen Ursachen konkrete Sätze. Eine neutrale und sachliche Erklärung zu Annas Verhalten vonseiten der Erzieherin wäre: „Zu strenges Erziehungsverhalten löst bei sensiblen Mädchen große Ängste aus. Diese Kinder müssen auch gar nicht so streng erzogen werden, weil sie im Normalfall eher als andere gehorchen.“ Darauf kann die gemeinsame Suche folgen, was z. B. für Anna zu streng ist.
- Beachten Sie bei den Formulierungen die besonderen Bedingungen dieser Eltern. Das bedeutet: Schuldgefühle vermeiden, Kompetenzen der Eltern im Blick haben, auch wenn deren Bemühungen fehllaufen; immer wieder die gemeinsame Suche nach Lösungen betonen.
- Mögliche Lösungsvorschläge durchdenken, z.B. was im Kindergarten und zu Hause anders laufen könnte, um Annas große Angst vor Anforderungen zu reduzieren. Dazu Vorbereitung eines Blattes zum Aufschreiben der Lösungsvorschläge beider Seiten, damit eine Entscheidung darüber getroffen werden kann, was die beste Lösung für Anna ist.
- Informationen beschaffen, ob und wo es Elternkurse und Beratungsstellen in der Nähe gibt, die für diese Eltern geeignet sind.
- Abschluss des Gesprächs überdenken: Herstellung einer Vereinbarung über die angestrebten Veränderungen im Verhalten bei den Eltern und im Kindergarten, Verabredung eines neuen Gesprächs mit Angaben über die Inhalte.
- Strategien überlegen, was zu tun ist, wenn das Gespräch aus dem Ruder läuft.
Nun ist es so weit, die Eltern zu dem Gespräch einzuladen.
Der Kontakt wird hergestellt
Die Eltern des hochaggressiven Jannis sind bisher kaum aufgefallen. Seine Mutter bringt ihn morgens und holt ihn mittags pünktlich ab. Ein Gespräch hat sich bisher kaum ergeben, weil sie immer schnell verschwindet.
Die Herstellung des Kontakts wird hier etwas mehr Zeit benötigen. Nutzen Sie in solchen Fällen die nächste Kita-Aktion, an der alle Eltern mitarbeiten sollen. Laden Sie die Eltern von Jannis dazu ein und bitten Sie um Mithilfe bei bestimmten Tätigkeiten. Machen Sie dabei deutlich, wie wichtig Ihnen die Teilnahme ist, weil z. B. alle Väter und Mütter dringend gebraucht werden. Versuchen Sie gezielt, bei dieser Gelegenheit eine Beziehung besonders zur Mutter aufzubauen. Auch zum Vater sollten Sie Kontakt aufnehmen, selbst wenn Sie wissen, dass er seine Frau und das Kind schlägt. Einige unverfängliche Anmerkungen zu den laufenden Aktionen reichen aus, damit er Sie als Erzieherin wahrnimmt. In den darauffolgenden Tagen kann die Beziehung gezielt weiterentwickelt werden beim Bringen oder Abholen von Jannis aus der Kita.
In einem solchen Rahmen lässt sich der Wunsch nach einem Gespräch mit den Eltern äußern. Dabei ist es hilfreich, die eigenen Sorgen um das Kind in den Vordergrund zu stellen. Nennen Sie die Befürchtung, dass es Jannis in irgendeiner Form nicht gut geht, denn er schlägt in letzter Zeit häufig andere Kinder. Mit einer solchen Problemformulierung haben die Eltern die Möglichkeit, sich selbst auf das Gespräch vorzubereiten. Der Vorschlag, in einem Gespräch gemeinsam herauszufinden, ob und warum es ihm nicht so gut geht, kann so der Mutter unterbreitet werden. Ein für beide Seiten passender Termin lässt sich sicher finden. Es wäre gut, wenn beide Eltern daran teilnehmen könnten. Geben Sie dann bekannt, wo das Gespräch stattfinden soll und wie lange es dauern wird.
Das Gespräch
Was zu beachten ist
Die letzten Vorbereitungen für das anstehende Gespräch mit Jannis Eltern sind getan: Ein ruhiger Raum mit einem Tisch ist vorhanden. Kalte Getränke oder Tee und ein paar Kekse sollen dazu beitragen, dass sich alle wohlfühlen. Die intensive Vorbereitung hat eine positive Einstellung zur bevorstehenden Situation bewirkt, auch die evtl. zu erwartenden Schwierigkeiten sind im Blick.
Die Eltern erscheinen zum verabredeten Termin, ihre Anspannung ist spürbar. Mit der freundlichen Begrüßung und dem Dank für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit überspielen Sie dies. Das bei der Kontaktaufnahme formulierte Problem und das Ziel des Gesprächs wird wiederholt und betont, dass gemeinsam nach Lösungen gesucht werden soll. Eltern und Erzieherin versuchen also gemeinsam herauszufinden, warum Jannis so häufig andere Kinder schlägt und was getan werden kann, damit es ihm besser geht und er andere nicht mehr schlagen muss. Auch die bei der Kontaktaufnahme gegebenen Erklärung, dass es Kindern, die andere viel schlagen, selbst nicht gut geht, sollte wiederholt werden.
Nach diesem Gesprächseinstieg können Sie jetzt die notierten positiven und negativen Beobachtungen schildern und die Eltern bitten, über ihre Erfahrungen mit ähnlichen Verhaltensweisen des Kindes zu berichten. Es ist gut, wenn einige Zeit über die positiven Seiten von Jannis geredet wird, nämlich dass er eigentlich ein fröhliches und intelligentes Kind ist. Die starken Stimmungsschwankungen und sein aggressives Verhalten weisen allerdings auf Probleme für das Kind hin. Seine Gewalterfahrung in der Familie sollte nicht direkt thematisiert, sondern nur das aufgenommen werden, was die Eltern dazu äußern. Wird darüber nichts erzählt, wäre hier so zu verfahren, wie dies in der Vorbereitungsphase beim Fall Anna angeregt ist. Die Erzieherin könnte hier sagen: „Wenn Kinder häufig Schläge bekommen, geben sie ihren Frust darüber an andere weiter. Eltern wollen in der Regel ihre Kinder nicht schlagen. Wenn sie jedoch als Kind selbst immer wieder geschlagen wurden, kann es passieren, dass sie in Stress-Situationen trotzdem zuschlagen.“ Nach einer solch allgemeinen Aussage lässt es sich einfacher darüber sprechen, welche Möglichkeiten es statt Schläge bei „Ungehorsam“ von Kindern gibt.
All dies sollte immer unter Beachtung der Besonderheiten bei Gesprächen mit solchen Eltern geschehen. Es ist bei dieser Elterngruppe allerdings anzuraten, am Anfang des Gesprächs weitgehend ohne Papiere oder schriftliche Vermerke vorzugehen. Das könnte dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung abträglich sein, weil einerseits der „Papierkram“ Misstrauen erzeugt und andererseits diese Eltern die volle Aufmerksamkeit des Gegenübers brauchen. So haben Sie auch die Befindlichkeiten der Eltern im Blick und können bei Auftauchen negativer Emotionen gleich reagieren.
Wenn das Gespräch soweit gut gelaufen ist, die Lösungsmöglichkeiten diskutiert, Entscheidungen über das weitere Vorgehen getroffen sind und Sie das Gesagte kurz zusammengefasst haben, kann ein neuer Gesprächstermin festgelegt werden, um zu schauen, ob sich das Verhalten von Jannis verbessert hat. Mit dem ausdrücklichen Dank an die Eltern ist das Gespräch nun zu beenden. Die Erziehungspartnerschaft ist damit hergestellt.
Wenn das Gespräch aus dem Ruder läuft
Bei Eltern verhaltensauffälliger Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Gespräch immer gut verläuft. Es wird sicher auch zu Situationen kommen, die schwer oder gar nicht mehr zu steuern sind; trotz der guten Vorbereitung und der Toleranz, die Sie den Eltern bisher entgegengebracht haben.
Schwierige Persönlichkeitstypen und psychisch Kranke befinden sich häufig unter den hier beschriebenen Eltern, da unzuträglichen Kindheitserfahrungen solchen Auswirkungen haben können. Manchmal sind vererbte Dispositionen vorhanden, die durch falsches Elternverhalten zu psychischen Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter führen. Im Alltag bringen diese Eltern ihre Mitmenschen schnell an ihre Grenzen. Ein Gespräch über Probleme mit dem eigenen Kind verursacht bei ihnen u.U. großen Stress, der zu unkontrolliertem Verhalten wie Anbrüllen und verbalem Niedermachen führt. Zu den stark kontrollierten Verhaltensweisen in Stress-Situationen gehören bei Vätern häufig ironische oder zynische Bemerkungen.
Damit ist ein normales Gespräch nicht mehr möglich. Was ist dann zu tun?
Reagieren Sie nicht betroffen, denn Sie wissen ja, wie dieses Verhalten zustande kommt. Sagen Sie sofort laut und deutlich: „Bitte sprechen Sie leise und ruhig mit mir!“, um dem anderen die Grenze klarzumachen.
Ebenso sollte bei dauernden ironischen Einwänden gesagt werden, dass man mit dieser Gesprächsform nicht umgehen will bzw. sich nicht ernst genommen fühlt. Häufig reicht dies, damit der andere wieder zu sich kommt und das Gespräch fortsetzen kann - wenn es Ihnen gelingt, ruhig zu bleiben. Fassen Sie dann das bisher Erreichte kurz zusammen und führen Sie das Gespräch sehr aufmerksam und ruhig weiter. Aktives Zuhören und Ich-Botschaften helfen dabei.
Gelingt das nicht, weil der andere sich nicht beruhigt oder Sie selbst zu sehr erregt und verletzt sind, brechen Sie das Gespräch ab. Teilen Sie den Eltern mit, dass Sie eine Pause benötigen oder die Weiterführung des Gesprächs für Sie nicht mehr möglich ist. Fragen Sie vorher die Eltern, ob diese trotz der angespannten Situation noch weiter an der Problemlösung arbeiten wollen oder ob das Gespräch unterbrochen und vertagt werden soll. Wünschen beide Seiten den Abbruch des Gesprächs, vereinbaren Sie einen neuen Termin, an dem wieder ein Versuch unternommen wird.
Neben diesen starken Reaktionen in einem Gespräch mit schwierigen Eltern verhaltensauffälliger Kinder gibt es weitere problematische Verhaltensweisen, die zum Abbruch führen können. Dazu gehört das totale Ignorieren des Problems („Mein Kind schlägt nicht!“), das penetrante Ausweichen („Mir ist noch nie aufgefallen, dass Anna ängstlich ist!“) oder das Beschuldigen der Erzieherin („Sie haben nichts getan, um Ben schulfähig zu machen!“). Hier kommt es darauf an, ob die Erzieherin dem etwas entgegenzusetzen hat. In der Vorbereitungsphase sollten deshalb solche Gesprächssituationen mitgedacht werden, um vielleicht im akuten Fall handlungsfähig zu bleiben. Video-Aufnahmen vom auffälligen Verhalten des Kindes könnten notfalls helfen, die Eltern zu überzeugen. Hilft das nicht, sollte auch hier die Frage gestellt werden, ob die Eltern an einer Problemlösung interessiert sind, d.h. ob sie ihrem Kind wirklich helfen wollen. Wird das verneint, muss das Gespräch ohne Ergebnis beendet werden.
Anders verhält es sich, wenn besonders Mütter in einer problematischen Gesprächssituation zu weinen beginnen. Dabei kann es sich um eine Strategie handelt oder um stark empfundene Hilflosigkeit.
Unabhängig davon sollten Sie sich nicht irritieren lassen, sondern ihr ein Taschentuch reichen und fragen, ob das Gespräch fortgesetzt werden kann. Sollte darauf keine eindeutige Antwort kommen, warten Sie eine kurze Weile ab und führen dann das Gespräch wie bisher fort. Das hilft in der Regel zur Beruhigung. Falls das nicht klappt, liegt möglicherweise eine tiefere emotionale Verletzung vor, die nicht gleich erklärbar ist. Fragen Sie dann nach, wie es sich damit verhält und entschuldigen Sie sich, wenn sie unwissentlich der Auslöser dafür waren. Sagen Sie, dass Sie die Mutter jetzt besser verstehen können und schlagen dann vor, das Gespräch weiterzuführen.
Nachbereitung des Gesprächs
Die Kollegin, die bei der Vorbereitungsmethode mitgemacht hat, ist sicher schon sehr gespannt auf den Ausgang des Gesprächs. Nutzen Sie ihr Interesse für eine Nachreflexion. Schildern Sie den Ablauf, die Besonderheiten, die Krisen, die Lösungen oder das Scheitern. Der unverstellte Blick der Außenstehenden wird Dinge zutage fördern, die Sie selbst vielleicht aufgrund der stressbedingten eingeschränkten Wahrnehmung während des Gesprächs nicht bemerkt haben.
Suchen Sie gemeinsam nach den Hürden, die sich während des Gesprächs aufgebaut haben und grübeln Sie nach über anderen Vorgehensweisen in Krisensituationen. Notizen über die neuen Erkenntnisse sind sicher selbstverständlich. Der Vorteil für die Kollegin liegt darin, dass sie Neues lernt über schwierige Eltern, über neue Lösungswege bei Konflikten, über Strategien in problematischen Situationen.
Auch für die anderen KollegInnen im Team ist es interessant, etwas über den Ablauf des Gesprächs mit schwierigen Eltern zu erfahren. In der nächsten Teambesprechung wäre eine gute Gelegenheit, über das abgelaufene Gespräch und die Ergebnisse zu berichten. Die KollegInnen erhalten somit neue Lösungsansätze für die eigene Arbeit, neue Informationen über die Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten und befremdliches Elternverhalten und vermindern damit ihre Befürchtungen vor derartigen Gesprächen. Wenn solche Berichte in den Teambesprechungen allgemein eingeführt werden, profitieren alle von diesen speziellen Erfahrungen.
Zusammenfassung oder was können Sie gewinnen, wenn die Erziehungspartnerschaft gelingt?
Die im Kinder- und Jugendhilfegesetz festgelegte Forderung an Kindertagesstätten, die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person zu fördern, gestaltet sich dann besonders schwierig, wenn Eltern aufgrund ihrer eigenen unverträglichen Geschichte ihren Anteil dazu nicht leisten können. In diesen Fällen werden die Anforderungen an Mitarbeiterinnen von Kindertagesstätten höher, d.h. sie müssen bei diesen Kindern mehr leisten. Die Lernbereitschaft von kleinen Kindern ist von Natur aus ungebremst, sie stürzen sich auf alles Neue. Kinder, die durch ihre Herkunftsfamilie belastet sind, können das nicht in normalem Maß, weil vielfältige Probleme sie blockieren. Das heißt, als Erzieherin müssen Sie erst versuchen, einige der Probleme wegzuschaffen, damit auch diese Kinder lernen können. Das geht nur mit den Eltern.
Wenn ein partnerschaftlicher Kontakt mit diesen Eltern zustande kommt, passieren viele positive Dinge auf einmal:
- Die Eltern sind motiviert, ihre Erziehungsverhalten zu ändern;
- sie erleben Erfolg, weil das Kind sich positiver verhält;
- ihr Selbstwertgefühl verbessert sich, die Motivation zu weiteren Veränderungen steigt an;
- die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes werden weniger, es kann besser spielen und lernen.
- Die Arbeit in der Kita wird einfacher und macht mehr Freude.
Das haben Sie alles durch Ihre intensive Beziehungsarbeit erreicht!