Verwahrlosung, Stress und Erschöpfung in vielen Kitas
Der Frage, ob Krippen bei den Kindern wie beabsichtigt Stimulation oder doch eher Stress erzeugen, ist Prof. Dr. Rahel Dreyer, Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der ASH Berlin, bereits vor der Pandemie in einer
Studie zum Wohlbefinden von Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr in Kindertageseinrichtungen (StimtS) nachgegangen. 20 Prozent der 140 Kinder aus 35 verschiedenen Berliner Kindertageseinrichtungen zeigten während der Beobachtungen im Kitaalltag deutliche Anzeichen von Anspannung, Teilnahmslosigkeit und Niedergeschlagenheit oder traten kaum in sozialen Kontakt mit den Fachkräften oder anderen Kindern. Dabei lag die formale Qualität fast aller teilnehmenden Einrichtungen sogar im mittleren bis guten Bereich.
Seit der Pandemie hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Viele Fachkräfte sind aufgrund der durch Pandemie und Flüchtlingskrise weiter gestiegenen Belastungen emotional wie körperlich am Ende. Auch die Kinder zeigen zum Teil extreme Formen von Unwohlsein. Neben dem Personalmangel sind viele Gruppen überfüllt, was sowohl bei den Kindern als auch Fachkräften den Stresspegel steigen lässt und sichtbar zur Erschöpfung führt.
Die Ergebnisse der aktuellen
Kita-Studie des Paritätischen Gesamtverbands unterstreichen die alarmierende Situation in den Kitas. Die im Rahmen der Pandemie nochmals gestiegene Arbeitsbelastung, die verschlechterten Rahmenbedingungen und mangelhafte Ausstattung sowie der anhaltend eklatante Personalmangel verhindern es, angemessen auf die Bedürfnisse der Kinder zu reagieren. Dazu kommt, dass in vielen Regionen ein unzureichender Personalschlüssel in den Einrichtungen vorliegt. 60 Prozent der Befragten machen deutlich, dass sie in der derzeitigen Situation nicht ausreichend auf die kindlichen Bedürfnisse eingehen können. Mehr als ein Drittel der Befragten gibt außerdem an, dass die bereitgestellten Finanzmittel nicht ausreichen, für die Kinder eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten.
„Wir sorgen für einen denkbar schlechten Start unserer Kleinsten ins Leben. Wir übersehen und übergehen die seelischen Bedürfnisse unserer Kinder. Das sind verwahrlosende Tendenzen, denen wir entschieden entgegentreten müssen!“ – so Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medical School Hamburg.
Besorgt zeigt sich Frau Prof. Dr. Dreyer auch um die Situation der Fachkräfte: „Viele stehen kurz vor einem Burnout, sie sind körperlich und emotional am Ende. Die desaströse Situation wird zu weiteren Personalausfällen führen.“
Es fehlt eine Lobby für die Kinder, die Vulnerabelsten in unserer Gesellschaft, und für die Fachkräfte, die beide – nicht erst seit der Pandemie – Schlusslicht in der gesellschaftlichen Diskussion sind.
Dreyer und Schulte-Markwort sind sich einig: Das Wohl zu vieler Kinder scheint uns derzeit gefährdet.
Die Folgen für Kinder, Fachkräfte, Eltern und die gesamte Gesellschaft sind jetzt schon durch eine Zunahme psychischer Auffälligkeiten sowie einer wachsenden Bildungslücke insbesondere sozioökonomisch benachteiligter Kinder fast irreparabel.
Interview
Im
Interview mit Der Spiegel warnt Kindheitspädagogin Prof. Rahel Dreyer (ASH Berlin) vor den Zuständen in Kitas. Sie beleuchtet, wie dies Kinder gefährden kann – und welcher Lösungen es bedarf.
Quelle: Alice Salomon Hochschule Berlin
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Kommentare (2)
Wie in der o.g. Studie beschrieben, wird bei ca. 20 % der Krippenkinder auffälliges Verhalten beobachtet, wie Anspannung, Teilnahmslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Mangel an Kontaktaufnahme. Dies bedeutet eine hohe seelische Belastung der Kleinen, was ein Risiko für eine gesunde Entwicklung darstellt.
Wie in der Wiener Krippenstudie (2012) durch Messung des Stresshormons festgestellt wurde, haben jedoch auch oft besonders lebhafte und aggressive Kinder und sogar viele Kinder, die sich völlig unauffällig und angepasst zeigen (z.B. zufrieden im Spiel scheinen) auffallend hohe Stresslevels .
So kann man schließen, dass der Anteil der durch die Krippenbetreuung geschädigten Kinder weit höher liegt als 20 %. Das wird auch durch viele andere Studien belegt, die Messungen des Stresshormons Cortisol ihren Studien zugrunde legen.
Die Zahl von 20 % der Krippenkinder, die deutlich geschädigt werden, wird immer wieder erhoben, trotzdem reicht es nicht, um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zumachen, was hier mit den Kindern geschieht. Neben den 20 % gibt es weitere Kinder, die belastet sind, so dass keiner davon ausgehen kann, das dies ein harmloses Unterfangen ist. Besonders die derzeitige prekäre Personal-Situation in den Kitas verursacht unzuträglich Belastungen für fast alle Kinder, besonders für die unter Zweijährigen.
Es ist dringend nötig, den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz auszusetzen und die Eltern darüber zu informieren, dass die Krippe nicht für jedes Kind geeignet ist und dass dort keine Bildung stattfinden kann.