"Was guckst du?"
Ein Fazit der Fachtagung „Was guckst Du?“ über Mediennutzung in Migrantenfamilien am 23. 11. 2010 in Hannover: Vor jedem medienpädagogischen Gespräch mit Migranteneltern sollten die höfliche Annäherung und Respekt vor der anderen Erziehungskultur stehen
Eine freundliche Begrüßung, ausreichend Zeit, um sich auch privaten Fragen zu stellen und der Verzicht auf jegliche Schuldzuweisungen: Wer ein medienpädagogisches Gespräch mit Eltern aus türkischstämmigen Migrantenfamilien führen möchte, sollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sondern sich erst einmal den Fragen des Gegenübers stellen – und wenn es die nach der eigenen Familie sind. Wie erfolgreich derartige „Türöffner“ sein können, war einer der Schwerpunkte des Vortrages von Prof. Achmed Toprak von der FH Dortmund auf der Fachtagung der LJS zum Thema „Medienarbeit mit Migranteneltern“. In seinem Eingangsreferat beschrieb der türkeistämmige Wissenschaftler auch die Erziehungsziele türkischer Familien, bei denen Werte wie Autorität, Respekt und Ehrenhaftigkeit ganz oben stehen. Entsprechend werde auch von der Schule erwartet, den Kindern Grenzen zu setzen und Respekt beizubringen. Deshalb stießen Schule und Jugendamt erst einmal auf Unverständnis, wenn sie sich, ihrerseits mit der Disziplinierung ihrer Schüler häufig überfordert, bei Problemen mit den Schülern an die Eltern wenden. Wer dieses „interkulturelle Missverständnis“ umgehen möchte, sollte nach Toprak das eigene Arbeitsgebiet im Gespräch mit den Eltern genau beschreiben – und so auch um Verständnis für die Grenzen des pädagogischen Einflusses werben.
Wie wichtig die gezielte Ansprache von Migrantenfamilien in der medienpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist, erläuterte Dr. Ursula Aumüller-Roske, Leiterin der Abteilung Jugend und Familie im Niedersächsischen Ministerium für Soziales zu Beginn der Tagung. Fast jedes dritte Kind in Niedersachsen hat einen Migrationshintergrund. Um diese Familien zu erreichen, stellt das Land seit 2006 die Projektmittel für die Ausbildung von „Eltern-Medien-Trainern“ zur Verfügung, die gezielte Beratungen für Migranteneltern anbieten. In Zusammenarbeit mit der LJS ist es bisher gelungen, 95 Trainer in ganz Niedersachsen auszubilden. Die Kosten für den Einsatz der pädagogischen Fachkräfte werden vom Sozialministerium übernommen.
Andrea Urban, Leiterin der LJS, betonte diesbezüglich, wie hilfreich es sein kann, das mediendidaktische Gespräch mit Eltern mit einer Reflektion der eigenen TV-Erlebnisse zu beginnen. „So kann man zeigen, dass es auch Spaß bringt, sich mit den Medien zu beschäftigen“, betonte Urban in ihrer Begrüßung. Das Angebot der LJS, sich an runden Tischen mit den Eltern-Medien-Trainern selbst einen Eindruck vom Verlauf solcher Gespräche zu machen, fand großen Zuspruch bei den über 100 Tagungsgästen. „Das ist eine sehr lebendige Form, ein eigentlich trockenes Thema zu behandeln“, wie es eine Teilnehmerin im Anschluss beschrieb.
In ihrem Vortrag zur „Medienutzung junger Menschen mit Migrationshintergrund“ verwies Anett Heft von der FU Berlin auf die strukturellen Gemeinsamkeiten bei der Mediennutzung unter Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. So gibt es einer Umfrage in NRW zufolge, deren Daten mit den Erkenntnissen der JIM-Studie abgeglichen wurden, nur geringe Unterschiede in der Ausstattung mit Handys, Computern und TV-Geräten bei türkeistämmigen, russischstämmigen und deutschstämmigen Jugendlichen. Die größte Differenz: Radio und Tageszeitungen werden in Familien deutscher Herkunft deutlich stärker genutzt. Die Wissenschaftlerin führte dies auf die unterschiedlichen Bildungsniveaus der befragten Gruppen zurück; insbesondere Familien mit Migrationshintergrund kommen überwiegend aus eher ländlichen, bildungsfernen Schichten.
In diesen Familien werden weniger Zeitungen und Radio genutzt, überdies wird der Medienkonsum der Kinder selten begleitet und noch seltener kritisch kommentiert. Eine hohe Ausstattung mit TV und Computern wird dagegen als status- und bildungsfördernd eingeschätzt. Die Wissenschaftlerin betonte in diesem Zusammenhang die Gemeinsamkeiten mit bildungsfernen Familien deutscher Herkunft.
Wie ein Fernsehabend in türkeistämmigen Familien aussehen kann, zeigten im Anschluss Elke Schlote und Nurgül Dogan vom IZI. Anhand kurzer Filmbeiträge konnten sich die Tagungsteilnehmer ein Bild von türkischen Erfolgsprogrammen wie „Yaprak Dökümü“ machen. Wie aus Interviews der Referentinnen mit türkischen Familien deutlich wurde, werden hier mehrheitlich sowohl türkische als auch deutsche TV-Programme gesehen. Während man mit Hilfe von türkischen Familienserien, Sport- und Kulturprogrammen den Kontakt zur alten Heimat halten will, erhofft man sich von deutschsprachigen Programmen Informationen über die neue Heimat – und Hilfe beim Spracherwerb. Bedingt durch die eigene Biographie stehen hier Auswanderer-Dokus hoch im Kurs.
Wie Elke Schlote betonte, findet eine Regulierung des kindlichen Medienkonsums in Migrantenfamilien kaum statt. Das TV-Gerät im Kinderzimmer sei hier eher der Garant für Ruhe und Kontrolle; insbesondere in den Nachmittagsstunden sei ein nahezu grenzenloser TV-Konsum üblich. Diesbezüglich formulierte sie einen deutlichen Handlungsbedarf für die medienpädagogische Arbeit.
Wie diese in der Praxis der bisher für die Arbeit mit Migranteneltern ausgebildeten Eltern-Medien-Trainer aussieht, wurde zum Abschluss der Tagung in einer Diskussionsrunde erörtert, die von Andrea Urban und Eva Hanel von der LJS moderiert wurde. Auch hier wurde deutlich, wie wichtig es ist, sich das Vertrauen der Eltern zu erarbeiten. „Oft ist es schon ein Schritt, wenn die Eltern in einem zweiten Gespräch lernen, dass man Fernsehen reglementieren kann!“, betonte Andrea Urban.
In den Erfahrungsberichten der Trainerinnen und Trainer wurde anschaulich, wie bedeutsam oft die niedrigschwelligen Tipps zur Begrenzung des Medienkonsums der Kinder sein können – so der Rat, das TV-Kabel in die Handtasche zu stecken und mit zur Arbeit zu nehmen.
Medienpädagogik kann manchmal so einfach sein!
©Ulrike Beckmann, Konzept+Kommunikation, www.ulrike-beckmann.de
Quelle: Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen, www.jugendschutz-niedersachsen.de