viele Hände im Sand, die aufeinander ausgerichtet sind

Was heißt hier eigentlich Qualität?

Rainer Strätz

16.11.2010 Kommentare (0)

Zur Qualitätsdiskussion übernehmen wir den Leitartikel aus Heft 6/2010 der Fachzeitschrift Welt des Kindes, zu finden unter http://www.ktk-bundesverband.de/74256.html

 Das Wort "Qualität" erscheint in immer neuen Zusammensetzungen, zum Beispiel als "Qualitätsmanagement" oder "Qualitätssicherung". Man könnte den Eindruck bekommen, Qualität habe es in den Tageseinrichtungen für Kinder früher nicht gegeben - was natürlich Unfug ist. Allerdings wurde zumeist "input-orientiert" argumentiert: Die fachliche Qualität werde durch die Ausstattung sichergestellt, also vor allem dadurch, dass in den Einrichtungen Fachkräfte mit bestimmten Qualifikationen arbeiten, der Träger als Träger der Jugendhilfe anerkannt wurde, räumliche und personelle Standards festgelegt werden und den Einrichtungen ein Fachberatungs- und Fortbildungsangebot zur Verfügung steht.

Das bleibt nach wie vor unersetzlich, die notwendige Strukturqualität muss gewährleistet sein. Zwei weitere Fragen sind aber dazugekommen: Was fängt eine Einrichtung mit ihrer Ausstattung an, wie gestaltet sie Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsprozesse (Prozessqualität) und welche Auswirkungen auf die Kinder und Familien hat das (Ergebnisqualität)?

Was ist Qualität?

Qualität bedeutet zunächst nur "Beschaffenheit" - ohne jede Bewertung. Bei Kartoffeln gibt es das noch: Ob Sie eine "festkochende Qualität" vorziehen oder lieber eine mehligere Sorte essen, ist Geschmackssache. Abgesehen von solchen Fällen ist "Qualität" heutzutage automatisch gleichbedeutend mit "guter Qualität" - und sofort entsteht die Frage, wo die Bewertungsmaßstäbe herkommen sollen. In der Literatur finden sich zwei grundsätzliche Richtungen:

Die eine lautet in Alltagsdeutsch: "Qualität ist das, was die Leute wollen." Die Erwartungen und die Zufriedenheit der Eltern sowie das Wohlbefinden der Kinder sind die wichtigsten Qualitätskriterien. Das kann nicht alles sein.

Die andere Richtung, wieder umgangssprachlich formuliert: "Qualität ist, wenn das getan wird, was getan werden soll." Qualität ergibt sich aus der Übereinstimmung der Abläufe mit den Erfordernissen, die sich ableiten lassen aus rechtlichen Vorgaben zum Beispiel des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) beziehungsweise aus Vorgaben des Trägers sowie aus fachlichen Kriterien wie zum Beispiel entwicklungspsychologischen Erkenntnissen. Gerade im pädagogischen Bereich ist aber ein weiteres Moment besonders wichtig: "Qualität ergibt sich, wenn das geschieht, was wir wollen." Qualität leitet sich nicht zuletzt ab aus unseren pädagogischen Zielvorstellungen. Erst wenn wir uns darüber im Klaren sind, worin wir die Aufgaben einer Kita sehen, welches Bild vom Kind wir haben, welche Vorstellungen von einer menschlichen Gesellschaft und vom Zusammenleben der Menschen, erst dann können wir darüber reden, ob das, was in einer Einrichtung geschieht, diesen Vorstellungen und Zielsetzungen entspricht. Was macht zum Beispiel ein "gutes" Gespräch mit Eltern aus? Alle vier genannten Gesichtspunkte müssen berücksichtigt werden:

  • Die Erwartungen der Eltern sind zu berücksichtigen.
  • Rechtliche Bestimmungen beispielsweise zum Daten- oder Vertrauensschutz müssen befolgt werden.
  • Fachliches "Know-how" über effiziente Gesprächsführung muss erkennbar sein.
  • Und - nicht zuletzt: Ein gutes Gespräch muss unseren Vorstellungen davon entsprechen, wie Menschen miteinander umgehen sollten.

Daraus folgt: Qualität lässt sich nicht allein empirisch begründen, weil Wertvorstellungen einfließen. Sich diese selbst klarzumachen, sie zu begründen und anderen zu vermitteln (Orientierungsqualität) macht einen wichtigen Teil der Qualitätsfeststellung und -entwicklung aus: Die Entwicklung von Qualitätsmaßstäben ist eine Herausforderung an die Dialogbereitschaft der Beteiligten (Kronberger Kreis 1998).

Wer bestimmt Qualitätsmaßstäbe?

Es kommt auf die Perspektive an: Erzieherinnen, Eltern, Kinder, Träger, Lehrer oder Politiker können sehr unterschiedliche Sichtweisen davon haben, was die Qualität einer Einrichtung ausmacht. Das ist auch eine Chance: Gerade die Unterschiede in den Sichtweisen können wertvolle Hinweise geben; das Wissen um andere Perspektiven kann die eigene korrigieren. Allerdings können auch innerhalb jeder Gruppe die Meinungen deutlich auseinandergehen: Was zum Beispiel die eine Erzieherin unter einem "guten" Tagesablauf versteht, wird die Kollegin vielleicht heftig kritisieren. Wieder kommt es auf den Dialog an.

Verantwortlich für die Qualität in der Einrichtung sind viele - bestimmt nicht nur die Erzieherinnen. Sie können weder fehlende Räume ersetzen noch fehlende Zeit für die Vorbereitung und Reflexion ihrer pädagogischen Arbeit. Bei allem, was als Qualitätsmerkmal verwendet wird, muss der jeweils Verantwortliche durch die Frage markiert werden: "Wer könnte es ändern?" Das wird oft die Erzieherin sein, wenn es beispielsweise um die Art des Umgangs mit Kindern geht. Das wird aber vielfach auch jemand anders sein - der Träger vielleicht oder der Landes-Gesetzgeber.

Die Entwicklung von Kindern hängt zudem von den familiären Gegebenheiten und den Bedingungen im Umfeld beziehungsweise der Kinderfreundlichkeit unserer Gesellschaft mindestens ebenso ab wie von der Förderung in der Tageseinrichtung. Das Ziel einer möglichst hohen Qualität der Einrichtungen bedeutet also nicht, dass andere (Eltern, Politik) aus ihrer Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern entlassen werden.

Eine Qualität für alle?

Die Abläufe in einer Einrichtung sind von Tag zu Tag, von Gruppe zu Gruppe, von Erzieherin zu Erzieherin, von Kind zu Kind unterschiedlich. Was kann da überhaupt prüf- und vergleichbar sein? Die Antwort: Es kommt darauf an, auf welcher Ebene die Qualitätskriterien formuliert werden. Projektarbeit mit Kindern zum Beispiel hat unterschiedliche Anlässe, Inhalte und Verläufe. Aber es gibt immer wiederkehrende Schritte der Planung, Durchführung und Reflexion bei Projekten - und um deren Qualität geht es. Gespräche mit Eltern betreffen unterschiedliche Themen und haben sehr verschiedene Ergebnisse. Aber es gibt bewährte allgemeine Regeln für die professionelle Vorbereitung, Durchführung und Auswertung solcher Gespräche, und es kann festgestellt werden, inwieweit sie befolgt wurden.

Manche Qualitätsmerkmale gelten für alle Einrichtungen gleichermaßen. Aber gute Qualität entsteht nicht, wenn alle Einrichtungen genau dasselbe tun. Eine Einrichtung in einem sozialen Brennpunkt zum Beispiel muss andere Schwerpunkte haben als eine im gutbürgerlichen Wohnviertel. Ob denjenigen Schulkindern, die bereits vor der Schule in den Hort kommen, dort ein Frühstück angeboten werden soll, hängt davon ab, ob sie zu Hause eins bekommen oder nicht. Qualität bemisst sich also auch daran, inwieweit eine Einrichtung die jeweils spezifischen Lebenssituationen und Bedürfnisse der Kinder erfasst und wie sie darauf antwortet. Es ist ein übergeordnetes Qualitätsmerkmal, dass jede Einrichtung ihr Profil "kontextabhängig" definiert.

Qualität entsteht natürlich auch nicht, wenn für alle Kinder dasselbe getan wird. Das übergeordnete Qualitätskriterium ist hier, inwieweit die Individualität jedes einzelnen Kindes nicht nur berücksichtigt, sondern gefördert wird.

Qualitätsmaßstäbe ändern sich, wenn sich die Lebenswelt von Kindern und Familien ändert: Was heute richtig ist, kann morgen falsch sein. Entwicklungsqualität äußert sich darin, inwieweit sich eine Einrichtung als "lernende Organisation" versteht und wie professionell sie den fortdauernden Prozess der eigenen Weiterentwicklung gestaltet.

Die Kinder- und Jugendhilfe ist geprägt von der Vielfalt und der Autonomie der Träger. Alle Träger auf dieselben Qualitätskriterien und damit auf dieselben dahinterstehenden Wertorientierungen und Zielvorstellungen festlegen zu wollen, würde dem Prinzip der Trägerautonomie widersprechen.

Lässt sich also über die Qualität von Kitas überhaupt verallgemeinernd sprechen? Teilweise sicherlich, zum Beispiel bei den Rahmenbedingungen (Raumgrößen, Gruppenstärken und Arbeitszeiten) oder bei den fachlichen Standards etwa zur Planung von Projekten oder zur Gestaltung von Teamsitzungen. Außerdem gibt es Orientierungen, bei denen sich die Fachszene trägerübergreifend einig ist (oder werden kann), zum Beispiel das Ziel einer Partizipation von Kindern oder das Leitbild der Inklusion. Für die darüber hinausgehenden, für einen bestimmten Träger oder ein bestimmtes pädagogisches Konzept spezifischen Gesichtspunkte müssen dann spezifische Qualitätskriterien entwickelt werden wie zum Beispiel in den Materialien des KTK-Gütesiegels für die katholischen Einrichtungen (KTK 2009) oder in den Materialien zur "Qualität im Situationsansatz" (Preissing/Heller 2009).

 Wer bestimmt die Qualität einer Einrichtung?

Dass Einrichtungen bewertet werden, klingt neu, ist es aber nicht. Die Erzieherinnen selbst haben - zumindest unausgesprochen - Maß­stäbe dafür, was für sie eine "gute" Leiterin oder Kollegin, eine "gute" Einrichtung und "gute" pädagogische Arbeit bedeuten. Wenn sie einen Vormittag lang in einer fremden Einrichtung hospitieren oder sich vielleicht auch nur eine Stunde umschauen, bilden sie sich eine Meinung darüber, ob sie selbst in dieser Einrichtung gern arbeiten würden oder nicht. Erzieherinnen bewerten Einrichtungen und Kolleginnen, wobei ihre Maßstäbe erstens recht verschwommen und zweitens sehr unterschiedlich sein können. Es geht also darum, diese Maßstäbe zum einen offenzulegen und zum anderen konsequent und selbstkritisch anzuwenden. Das sind die Aufgaben, die bei der "Evaluation" einer Einrichtung anstehen.

Dabei sind zwei Wege möglich: eine interne Evaluation durch das Team selbst (gegebenenfalls mit Unterstützung von außen) oder externe Feststellung durch Außenstehende. Eine externe Feststellung kann eine Einrichtung unter Umständen "über sich ergehen lassen", ohne dass etwas Nachhaltiges passiert. Selbst eine Evaluation durchzuführen, setzt dagegen zwangsläufig Prozesse in Gang, die der Einrichtung zugutekommen: Die Reflexion der eigenen Arbeit wird zielgerichteter, die Diskussion im Team intensiver und so weiter. Voraussetzung ist natürlich, dass die Fragen, die das Feststellungsinstrument dem Team stellt, so herausfordernd, präzise und fachbezogen sind, dass sie keine bequemen, ausweichenden Antworten zulassen. Die externe Feststellung hat ergänzend ihren Wert als Korrekturfaktor, weil sie eine weitere Perspektive in den Diskussionsprozess einbringt.

Eine Evaluation kann auf verschiedenen Ebenen (= Aufwandsstufen) stattfinden:

  1. Entsprechend dem Prinzip "Qualität bedeutet, die Versprechen, die wir machen, auch zu halten" wird reflektiert, inwieweit die in der pädagogischen Konzeption der Einrichtung formulierten Prinzipien auch in der täglichen pädagogischen Arbeit umgesetzt werden. Dabei findet allerdings ein Vergleich mit Ansprüchen "von außen" nicht statt.
  2. Durch die Verwendung veröffentlichter Evaluations-Materialien wird die eigene Praxis zusätzlich mit Ansprüchen konfrontiert, die sich durch die laufende fachliche Diskussion "von außen" ergeben. Das kann viel frischen Wind in die Einrichtung bringen.
  3. Ein Verbund von kooperierenden Einrichtungen durchläuft selbst den gesamten Prozess der Ableitung, Begründung und Formulierung von Qualitätskriterien ("integrierte Qualitätsentwicklung" - Ziesche/Gebauer-Jorzick 2002). Das bedeutet einen hohen Aufwand, hat aber zwei zusätzlich positive Effekte: Die Qualitätskriterien können genau auf die jeweiligen Einrichtungen zugeschnitten werden und die Beteiligten lernen, die Aussagekraft und die möglichen Probleme eines Evaluationsprozesses beziehungsweise die Stärken und Schwächen von Evaluationsmaterialien genauer einzuschätzen.

Womit und wie eine Einrichtung in die Evaluation entsteigt, sollte sie selbst entscheiden können. Wichtig ist, dass sie einsteigt .

Prof. Dr. Rainer Strätz

Stellvertretender Leiter des Sozialpädagogischen Instituts NRW (SPI) - zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Fachhochschule Köln, Lehrtätigkeit in der Pädagogik der (frühen) Kindheit.

Literatur

  • Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen (Hrsg.): Qualität im Dialog entwickeln. Wie Kindertageseinrichtungen besser werden; Seelze: Kallmeyer 1998
  • Christa Preissing, Elke Heller (Hrsg.): Qualität im Situationsansatz. Qualitätskriterien und Materialien für die Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen; 2. Aufl.; Berlin: Cornelsen Scriptor 2009
  • Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V. (Hrsg.): KTK-Gütesiegel. Bundesrahmenhandbuch; 3. Aufl.; Freiburg: 2009
  • Ulrike Ziesche, Silke Gebauer-Jorzick: Qualitätswerkstatt Kita. Bildungsprozesse in Kindertagesstätten; Neuwied/Berlin: Luchterhand 2002

 

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