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Was Kinder und Jugendliche uns und dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zu sagen haben
Beteiligungsrechte kommen in der gesellschaftlichen Diskussion oftmals zu kurz. Die bundesweite Debatte über Missbrauch von Kindern hat die Schutzrechte in den gesellschaftlichen Fokus gerückt. Auch, dass Kinder Förderrechte haben, ist spätestens nach dem PISA-Schock in aller Munde. Aber was ist mit den Beteiligungsrechten von Kindern?
Wir übernehmen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung aus der neuen Ausgabe von KiTa Recht aktuell.
Beteiligung ist kein Luxus. Es geht um völkerrechtlich verbriefte Kinderrechte, die Berücksichtigung des Kindeswillens und Mitwirkung von Kindern auf der einen Seite und um gesellschaftliche Verantwortung für die Gestaltung einer kinderfreundlichen Gesellschaft auf der anderen.
Kinder haben Rechte
„Mama, ich möchte da nicht weiterdrüber reden, ich darf selbst entscheiden, mein Körper gehört mir!"
Diesen Satz schmetterte mir meine damals 5-jährigeTochter entgegen. Ein paar Monate zuvor hatte sie an einemGewaltpräventionskonzept der Kita teilgenommen.
Was war passiert?
Meine Tochter ging seit ein paarMonaten in die Vorschule. Die Gruppe war neu durchmischt. Die Erzieherinnen undErzieher und wir Eltern hatten den Eindruck, dass unsere Tochter sehr wenig mit Kindern ihrer Gruppe spielte, den Kindern, mit denen sie im kommenden Sommerzur Schule gehen würde. Sie genoss es hingegen sichtlich, bei den jüngerenKindern „den Ton anzugeben."
Darüber wollte ich mit meiner Tochter an diesem Tag reden. Ihr energischer Ausruf stimmte mich nachdenklich. Ich gab ihr Recht,dass sie ihre Spielpartnerinnen und Spielpartner eigenständig wählen könne. Ich sprach aber auch laut meine Gedanken aus, dass ich besorgt sei, dass die anderen Kinder in ihrer Gruppe denken könnten, dass sie diese nicht mag und sie sich, wenn sie in die Schule kommt, ohne Freundinnen und Freunde in ihrem Alter vielleicht einsam fühlen könnte. An diesem Abend war das Thema nach der kurzen Aussprache erst einmal beendet. Ich respektierte ihren Wunsch, merkte aber auch, dass es in ihr arbeitete. Nach einiger Zeit und mehreren meist kurzen Gesprächen über dieses Thema war zu beobachten, dass meine Tochter nach wie vor sehr in der Rolle als „Hilfserzieherin" aufging, sie sich aber auch von jüngeren Kindern abgrenzte und aktiv neue Kontakte in ihrer Gruppe knüpfte.
Warum diese private Episode aus dem Familienleben? Für mich, die ich beruflich und vom Herzen „Lobbyistin für Kinderrechte" bin, verdeutlicht das Beispiel, dass Kinder sich von klein auf als aktiv handelnde und eigenständige Persönlichkeiten mit ganz eigenen Interessen sehen. Sie möchten ernst genommen werden und selbst bestimmen bzw. mitbestimmen, z.B. wie und mit wem sie ihren Alltag verbringen. Impulse und gezielte Anregungen von Außen können sie auf diesem Weg zur Eigenständigkeit unterstützen.
Die UN-Kinderrechtskonvention
Am 20.11.1989 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen die „Konvention über die Rechte des Kindes". Im Jahr 2014 wird das 25-jährige Jubiläum gefeiert. 192 Staaten haben derzeit die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) unterzeichnet. Sie ist damit das internationale Menschenrechtsabkommen mit dem größten Zuspruch. Deutschland hat die UN-KRK am 05. April 1992 ratifiziert. In insgesamt 54 Artikeln drückt die UN-KRK Grundwerte für Kinder und Jugendliche im Alter von 0 – 18 Jahren aus.
Kinder sind Träger eigener, ganz subjektiverRechte, die unter den sogenannten drei P's – protection (Schutz), provision(Förderung) und participation (Teilhabe und Mitbestimmung) zusammengefasstwerden.
Im Lebensalltag gilt es für ein ausgewogenes,individuelles Mischungsverhältnis zu sorgen. Dieses Mischungsverhältnis bezogen auf jedes Kind zu finden, ist nicht immer einfach und verlangt mitunter Fingerspitzengefühl. Für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern ist es wichtig, dass sie sich altersangemessen mit eigenen Ideen in die Gestaltung ihres Lebensalltags einbringen dürfen, zum Beispiel gemeinschaftlich das Motto des nächsten Sommerfests festlegen, bei der Aufstellung des Speiseplans mitwirken oder entscheiden, wie der Gruppenraum gestaltet wird.
Kinder haben aber auch ein Recht gefördert zu werden, zum Beispiel bei der Ausbildung neuer Kompetenzen und ein Recht darauf geschützt zu werden, zum Beispiel, wenn sie ausgegrenzt werden, Gewalt erfahren oder überfordert werden.
Die UN-Konvention macht Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu einem zentralen Recht. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen nach Art. 12 der UN-KRK ist der wichtigste Ausdruck ihrer Subjektstellung als eigenständige Persönlichkeit. Laut Artikel 12 haben Kinder- und Jugendliche ein Recht darauf, an sie betreffenden Belangen beteiligt zu werden.
Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch einfordern. Dass Kinder eigene, ganz spezifische Rechte haben, wissen Kinderund Jugendliche oftmals nicht, wie viele Umfragen, z.B. des Deutschen Kinderhilfswerks e.V., in der Vergangenheit belegt haben. Auch unter Eltern,Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern ist oft nicht bekannt, dass es die „UN-Kinderrechtskonvention" gibt.
Das Wissen, dass Kinder Rechte haben und das Wissen, dass sie ein Recht drauf haben, dass ihr Wille berücksichtigt wird, sollte für Kinder- und Jugendliche nicht auf einen theoretischen „Lernstoff" in Kitas, Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, etc. beschränkt werden.
Das Erleben, beteiligt und aktiv mit einbezogen zuwerden, muss zu einer Alltagserfahrung werden. „Es geht um eine Begegnungsqualität von Achtung und Selbstbestimmtheit, die Kinder und Jugendliche erleben, zu Hause und in Einrichtungen, die sie täglich besuchen.So verlieren Kinderrechte alles juristisch Theoretische – sie verwirklichen sich im gegenseitigen Gefühl der Würde, des Selbstwertes und der gleichberechtigten Zugehörigkeit der Gemeinschaft." [1] Kinderrechte müssen im alltäglichen Miteinander, in der „Haltung" der pädagogischen Fachkräfte im Umgang mit Kindern und Jugendlichen erfahrbar werden. Sie sollten sich auch im Leitbild einer Einrichtung widerspiegeln.
„Kinder sind die Zukunft"
Im Kontext des Weltkindergipfels im Jahr 2002 verwehrten sich die rund 360 am children's forum Kinder in New York gegen diesen Slogan. Sie konterten, „Wir sind nicht die Zukunft, wir sind jetzt schon da ... und wollen gehört werden".
Die Botschaft an die Erwachsenen könnte klarer nicht sein. Kinder- und Jugendliche wollen in der Gegenwart ernst genommen werden und bei der Gestaltung ihrer Lebenswelt, ob nun in der Kita, in der Schule, im Familienalltag, aber auch bei sie betreffenden politischenEntscheidungen beteiligt werden. Viele Erwachsene erinnern sich gut an den in der Kindheit oft gehörten Satz: „Das darfst, oder kannst Du erst, wenn Du groß bist ..."
Die Devise alles auf später zu verschieben, ist für die heranwachsende Generation frustrierend und eine Bremse fürWeiterentwicklung.
„Meine eigene Meinung wird nicht wahrgenommen und angegriffen, also ich werde verletzt dadurch, dass man meiner Meinung keine Beachtung schenkt und sie schlecht redet."
„Wenn die Familie einen Ausflug macht, dann sollen die Kinder mitbestimmen, wo man hinfährt [....]"
„Ich würde gerne mitbestimmen können, wenn z.B. ein Kinderspielplatz oder Sporthalle gebaut wird."[2]
Erleben sich Kinder schon früh als aktiv handelnder Akteur, kommt dies der Persönlichkeitsentwicklung zugute.Partizipationserfahrungen sollten nicht auf die „Lange Bank" geschoben werden. Partizipation von Kindern und Jugendlichen wird von Rüdiger Hansen als der Schlüssel zu Bildung und Demokratie beschrieben [3].
Partizipation setzt rechtliche Rahmenbedingungen voraus
Bezogen auf Kinder und Jugendliche sind rechtliche Rahmenbedingungen ergänzend zur UN-KRK, vor allem das Kinder- undJugendhilfegesetz (SGB VIII) und die von den Ländern festgelegten Beteiligungsformen in Kindertagesstätten und Mitwirkungsrechte in der Schule. Darüber hinaus haben einige Bundesländer in ihren Gemeindeordnungen ausdrückliche Regelungen zur Mitgestaltung auf kommunaler Ebene gesetzlich verankert.
Für die kommunale Bauleitplanung gilt die Richtlinie, die sozialen und kulturellen Bedürfnisse junger Menschen und ihre Beteiligung zu berücksichtigen [4].
Schleswig-Holstein wird attestiert, bereits seit vielen Jahren ein „Leuchtturm" in Sachen der kommunalen Kinder- und Jugendbeteiligung zu sein. 1996 war Schleswig-Holstein das erste Bundesland, in dem Partizipationsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Kommunalverfassung verankert wurden. Knapp 7 Jahre später wurden diese zunächst als „Soll-Bestimmung" ausgewiesenen Rechte im § 47 f der Gemeindeordnung im Rahmen einer Kommunalverfassungsänderung dann zu einer sog.„Muss-Bestimmung" umformuliert [5].
Im Jahr 2011 hat auch Bremerhafen den Artikel 15c der Stadtverfassung hinsichtlich der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen von einer „Soll" in eine „Muss Bestimmung" umgewandelt. Dort heißt es jetzt: „Kinder und Jugendliche müssen bei Planungen und Vorhaben der Stadt, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise über die in dieser Verfassung vorgesehene Beteiligung der Einwohner hinaus beteiligt werden" [6].
Den Empfehlungen des Runden Tisches Kindesmissbrauch ist es zu verdanken, dass mit dem am 01. Januar 2012 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetz die Anwendung von Beteiligungsverfahren und Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche nun Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung ist. So sind „zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Maßnahmen der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten" zu finden [7]. Der Bundestag wollte das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Beteiligung stärken, um die Prävention im Kinderschutz zu befördern. Auch wurde klargestellt, dass Kinder und Jugendliche einen eigenen Beratungsanspruch in Not- und Krisensituationen haben – im Bedarfsfall auch ohne Kenntnis der Eltern [8].
Beteiligung beginnt im Alltag, in individuellen und vertrauensvollen Beziehungen, im Einbezug von Kindern und Jugendlichen in alltägliche Entscheidungen sowohl persönlicher Art als auch bezüglich der gesamten Einrichtung" bringt es Prof. Dr. Urban Stahl auf den Punkt: „Eine gute Basis für die Umsetzung von Partizipation ist ein Rechtekatalog als gemeinsam erarbeiteter und schriftlich fixierter Konsens zwischen Fachkräften sowie Kindern und Jugendlichen in einer Einrichtung" [9].
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am UN-Dialog
Spannend wird es, wenn Kinder- und Jugendliche, wie jüngst, am 27.01.2014 von dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes eingeladen werden, zu berichten, wie es mit der Verwirklichung der Kinderrechte in Deutschland steht. Wie muss man sich das vorstellen? Alle Staaten, die die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert haben, werden vom UN-Ausschuss alle 5 Jahre eingeladen, um zu berichten, was sie in ihrem Land alles für die konkrete Umsetzung der Kinderrechte unternommen haben. Die deutsche Bundesregierung war am 27. und 28. Januar 2014 vom UN-Kinderrechtsausschuss geladen hierüber zu berichten. Die National Coalition, ein Zusammenschluss von über 100 Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, die sich für die Verwirklichung der Kinderrechte einsetzten und weitere eingeladene Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erstatteten dem UN-Gremium bereits im Sommer 2013 Bericht.
In Vorbereitung auf die Anhörungen, auch UN-Dialog genannt, hat der Kinderrechtsausschuss von der Bundesregierung dazu einen 126 Seiten umfassenden Staatenbericht erhalten. Die National Coalition übermittelte einen Ergänzenden Bericht, auch Schattenbericht genannt, da er einen ergänzenden, meist kritischen Blick auf den Stand der Umsetzung der Kinderrechte werfen soll.
3500 Kinder- und Jugendliche im Alter von 10 –18 Jahren haben im Jahr 2009 mittels eines Fragebogen den Stand der Umsetzung der Kinderrechte bewertet. Sie haben der Bundesregierung mit dem Ersten Kinder- und Jugendreport ein Zeugnis über die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland ausgestellt. Auch dieser Bericht wurde dem UN-Ausschuss Anfang 2010 übermittelt.
Am 27. Januar 2014 haben zehn Kinder und Jugendliche vor dem UN-Ausschuss im Rahmen eines „side events" berichtet, in welchen Bereichen sie Kinderrechtsverletzungen in Deutschland sehen [10].
Kinder- und Jugendliche im Alter von 10 – 18 wurden in den Monaten zuvor aufgefordert, sich an dem Projekt zu beteiligen und ihre Sicht über den Stand der Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland zu schildern. 60 Kinder- und Jugendliche aus den unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen, aus Kinder- und Jugendparlamenten, verschiedenen Schulformen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Jugendliche mit Behinderungen oder mit Erfahrungen als Flüchtlingskind haben sich hierfür zu drei Arbeitstreffen getroffen. Ergebnis ist ein Forderungskatalog, der Mitgliedern des UN-Ausschusses im Rahmen eines persönlichen Gesprächs vorgestellt wurde und nachfolgend auszugsweise vorgestellt werden soll.
Was Kinder wollen ... Forderungskatalog zuKinderrechten
Flüchtlingskinder
Besonders beschäftigt hat die Kinder- und Jugendlichen die Situation von in Deutschland lebenden Flüchtlingskindern. Sie konnten nicht nachvollziehen, warum Flüchtlinge hierzulande in Angst leben, ihre Eltern nicht arbeiten dürfen und sie oftmals mit 18 in ihr Heimatland geschickt werden oder Kinder von Angehörigen zweiten Grades, z.B. von ihrem Onkel oder ihrer Tante bei der Einreise getrennt werden. Deutschland hat unterschrieben,dass alle Leute unter 18 Jahren Kinder sind. Wenn Kinder aber mit 16 nachDeutschland kommen, haben sie die Regeln von 18-Jährigen und kein Recht auf einen Dolmetscher. Warum? In Schulen sollte auf ihre Situation Rücksicht genommen werden und sie sollten besser integriert werden.
Chancengleichheit
Auch das Thema Chancengleichheit bei körperlicher Behinderung war den Kindern und Jugendlichen ein wichtiges Anliegen. Freizeitangebote für Kinder mit Behinderungen wurden als nicht ausreichend bewertet. Eingefordert wurde ein Standard an deutschen Schulen, der besagt, dass diese barrierefrei werden. Dies ist ein Problem, dass hierzulande auch auf die Kindertagesstätten zutrifft.
Auch die Chancengleichheit an Deutschlands Schulen wurde kritisiert. Es wurde bemängelt,dass nicht alle Familien die Möglichkeit haben Nachhilfe zu finanzieren und Eltern mit Migrationshintergrund oder allein erziehende, viel arbeitende Eltern nicht so gut bei den Hausaufgaben helfen können: „Dadurch fehlende Erfolgserlebnisse führen zum Gefühl des Versagens". Eine Änderung in Bezug auf den Leistungsdruck in Schulen wäre, dass Eltern und Lehrern bewusst klargemacht wird, dass Kinder Freizeit brauchen und sich selbst die Frage stellen, was ihr Kind wirklich will.
Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Spiel und Freizeit. Im ersten Kinder- und Jugendreport bewerten die meisten Kinder und Jugendlichen die Umsetzung der Kinderrechte in ihrer Freizeit positiv. Hauptkritikpunkte hingegen sind der Mangel an freier, selbst bestimmter Zeit sowie die Kosten für bestimmte Freizeitaktivitäten. Je älter die Kinder werden, desto schlechter werden die Noten, die sie für die Verwirklichung ihres „Rechts auf Freizeit" vergeben, und desto größer wird ihr Bedürfnis nach „Auszeiten und selbst bestimmter Zeit" [11].
Es ist, so das Fazit von Dr. Reinald Eichholz, ehemaliger Kinderbeauftragter der Landesregierung Nordrhein-Westfalen „vor allem das Maß der Fremdbestimmung, das Kindern und Jugendlichen das stressige Gefühl vermittelt, vollständig verplant zu sein und keine Zeit zum Spielen zu haben. Es geht deshalb nicht nur darum, die für wirkliches Spielen notwendigeZeit frei zu halten, sondern um ein Problem mangelnder Partizipation im Alltag" [12]. Wenn Kinder und Jugendliche hier stärker die Erfahrung konkreter Beteiligung machen würden, würde sich auch das Gefühl fremdbestimmter Verplanung vermindern.
Nahezu alle Bundesländer haben in den vergangenen Jahren begonnen, die Schulzeit am Gymnasium von 9 auf 8 Jahre (G8), in der Regel aufsteigend von Jahrgangsstufe 5 an, zu verkürzen [13]. Anliegen der sogenannten G8-Reform war, die deutschen Schülerinnen und Schüler fit für den europäischen bzw. globalen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu machen. Sie sollten bei Studienbeginn und Eintritt in das Berufsleben jünger sein. In vielen Bundesländern wurde auch der Stichtag der Einschulung vorverlegt. Nach Einführung der G8-Reform fühlen sich die betroffenen Schülerinnen und Schüler – aber auch Eltern und Lehrer – vielerorts überfordert.Sie beklagen die fehlende „Entrümpelung" der Lehrpläne und „eine Arbeitswoche",die zuweilen weit mehr als 40 Stunden hat [14].
„Ich möchte mehr Zeit für Freunde haben sowieweniger Zeit fürs Lernen verbrauchen. Nach täglich 6 – 10 Stunden nichtnoch 3 Stunden Hausarbeiten erledigen, sondern mehr Zeit in soziale Arbeitinvestieren können." (Junge aus Thüringen, 13 Jahre).[15]
Recht auf Privatsphäre
Das Recht auf Privatsphäre war ebenfalls ein wichtigesThema. In Deutschland wird die Privatsphäre der Kinder und Jugendlichen soverletzt, dass die Eltern/Erziehungsberechtigten die Zimmer aufgrund fehlenden Vertrauens durchsuchen. Kinder in Deutschland sollen über ihre Rechte informiert werden, und einen Beschwerdeweg vorgelegt bekommen, damit siewissen, was sie machen können, wenn ihre Rechte vernachlässigt werden, forderten die die Kinder und Jugendlichen.
Das Recht auf Privatsphäre werde häufig auch in Jugendhilfeeinrichtungen vernachlässigt. „Geschwisterwerden teilweise getrennt und haben nur eingeschränktes Besuchsrechtfüreinander."
Gewaltfreie Erziehung
„Es gibt einfach zu viel Gewalt in Familien, die nicht gesehen wird. Wenn Kinder lügen müssen, wenn sie von ihren Eltern blau geschlagen werden, ist das nicht gut. Meine Freundin wird so behandelt" [16].
Im Jahr 2000 wurde das Gesetz auf eine gewaltfreie Erziehung verabschiedet. Die Kinder und Jugendlichen gaben an, dass immer noch viele Kinder und Jugendlichen in ihrem Lebensumfeld Gewalterfahrungen machen.„Vielleicht schlagen Kinder andere Kinder, weil sie auch geschlagen werden. Aber manchmal verletzen Worte mehr als ein Schlag. Die meisten Kinder werden durch Schläge eingeschüchtert. Sie schreiben deswegen schlechte Noten" heißt es im Forderungskatalog an den UN-Ausschuss.
Die Kinder und Jugendlichen forderten den UN-Ausschuss auf, dass dieser die Bundesregierung auffordert, Maßnahmen zu ergreifen, die dazu beitragen, dass Eltern sich Gedanken über ihre Erziehung machen müssen. Eltern sollen die Probleme anders lösen.
Mobbing
„Schülerinnen und Schüler werden gemobbt, Erwachsenen sind oft die Aufklärungsmethoden des Mobbings nicht bewusst". Die Kinder undJugendlichen waren der Ansicht, dass Kinder, die mobben, nicht gelernt haben, sich in die Lage des Opfers zu versetzen. Sie forderten Mobbingaufklärung an allen Schulen, auch für Erwachsene und Lehrerinnen und Lehrer sowie gut ausgebildete Streitschlichter. Sie adressierten an die Bundesregierung die Frage, welche Konsequenzen diese zukünftig vorschlagen möchte.
Worten folgen Taten
Den Kindern und Jugendlichen war es im Gespräch mit den Mitgliedern des UN-Ausschusses ein großes Anliegen, dass ihre Fragen und Anliegen ernst genommen werden. Sie haben ihren Forderungskatalog in Genf auch den Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung und der NationalCoalition als Zusammenschluss der Nichtregierungsorganisationen in Deutschland überreicht.
In den sogenannten „Concluding Oberservations", d.h.den an Deutschland gerichteten „Abschließenden Bemerkungen" werden die Mitglieder des UN-Ausschusses Ende Januar 2014 die Bundesregierung auffordern, sich für die für Deutschland identifizierten Problemfelder einzusetzen. Für die Kinder und Jugendlichen wäre es ein großer Erfolg, wenn diese Bemerkungen viele von ihnen angesprochenen Problemfelder aufgreifen. Der Handlungsauftrag des UN-Ausschusses richtet sich neben der Bundesregierung auch an alle in derKinder- und Jugendhilfe tätigen Personen, die Lehrkräfte, Eltern, etc.
Den am Projekt beteiligten Kindern und Jugendlichen war durchaus bewusst, dass verschiedene Probleme komplex sind und Zeit brauchen. Sie wünschen, sich beim UN-Dialog in Genf „Gehör verschafft zu haben". Und: dass Deutschland seine Hausaufgaben ernst nimmt und bei der nächsten Anhörung in Genf schon ein ganzes Stück weiter ist. Seitens der Kinder und Jugendlichen war großes Engagement zu spüren, dazu beizutragen, dass den Worten schnellstmöglich Taten folgen.
Um Fortschritte messen zu können, ist es jedoch wichtig, dass endlich Indikatoren für ein Monitoring der UN-Kinderrechtskonvention entwickelt werden. Eine unabhängige Monitoringstelle für die Kinderrechte mahnte der UN-Ausschuss bereits mehrfach in seinen Abschließenden Bemerkungen an.
Fazit
Schützen, Fördern und erst recht beteiligen ... Auf diesen Dreiklang kommt es bei der Verwirklichung der Kinderrechte an. Kinder und Jugendliche haben uns viel zu sagen. Beteiligung ist kein Luxus, kein überflüssiges Sahnehäubchen. Sie fängt im Kleinen, in der Familie, in der Kita an und sollte in der Schule nicht nur theoretisch auf dem Lehrplan stehen. Das Projekt „UN-Dialog-Beteiligung junger Menschen" zeigt, dass Beteiligung auch über die kommunale Ebene hinaus durchaus Sinn macht. Bei der Gestaltung einer kindergerechten Welt sollte auf die Expertise von Kindern und Jugendlichen nicht verzichtet werden.
Kirsten Schweder: Diplom-Pädagogin, Wissenschaftliche Referentin bei der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ inBerlin. Projektleiterin des Projektes „Beteiligung junger Menschen am UN-Dialog". Lehrbeauftragte an der Evangelischen Hochschule in Berlin (ehb) im Studiengang Soziale Arbeit.
Weitere Infos:
[1] Dr.Eichholz, Reinald: „Mehr Rechte für Kinder, aber Erwachsene dürfen nicht aus ihrer Verantwortung für die nachwachsende Generation entlassen werden". In: frühe Kindheit, die ersten 6 Jahre 6/2013; S. 58
[2] Erster Kinder- und Jugendreport zur UN-Berichterstattung über die Umsetzung derUN-Kinderrechtskonvention in Deutschland. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- undJugendhilfe - AGJ. Berlin 2010. S. 14; S. 25. Abrufbar als PDF unter:www.kinder-jugendreport.de
[3] Hansen,Rüdiger: Partizipation von Kindern und Jugendlichen als gesellschaftliche Utopie. Kindergartenpädagogik- Online-Handbuch - Herausgeber: Martin R. Textor.Aus: Freistaat Thüringen, Landesamt für Soziales und Familie (Hrsg.): Dokumentation zur Fachtagung Partizipation - "Kinder und Jugendliche als Expertinnen und Experten in eigener Sache". 25. 26. Juni 2003 in Weimar,Erfurt 2004 (http://www.kindergartenpaedagogik.de/1113.html, abgerufen am 10.01.2013
[4] Vgl. auch http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/nap/Nationaler-aktionsplan/Ii-handlungsfelder-fuer-ein-kindergerechtes-deutschland/2-4-Beteiligung-von-kindern-und-jugendlichen/2-4-1-Grundlagen/2-4-1-1-rechtliche-rahmenbedingungen-formen-strukturen,did=78530,render=renderPrint.html (abgerufen am 12.01.2014)
[5] Vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag. Bericht der Landesregierung. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Drucksache 17/583: http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl17/drucks/0500/drucksache-17-0583.pdf (abgerufen am 14.01.2014.
[6] Vgl. auch http://www.soziales.bremen.de/sixcms/media.php/13/Kinder-%20und%20Jugendbeteiligung%20im%20Land%20Bremen.pdf S. 4(abgerufen am 12.01.2014)
[7] Neufassung des § 45 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch (SGB VIII)www.dejure.org/gesetze/SGB_VIII/45.html (abgerufen am 12.01.2014)
[8] RunderTisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich, 2011,S. 21 ff. (abgerufen am 14.01.2014) undhttp://www.dksb.de/images/web/PDFs/Arbeitshilfe_BKiSchG.pdf (abgerufen am14.01.2014)
[9] Prof. Dr.Urban Stahl, Ulrike auf der Fachtagung „Wir sind nicht die Zukunft, wir sind jetzt schon da" (Veranstalter Deutsche Liga für das Kind in Kooperation mit der National Coalition Deutschland. Netzwerk für die Umsetzung derUN-Kinderrechtskonvention im November 2013) im Rahmen ihres Inputs zum Thema:„Bestimmen die Kids jetzt alles? Partizipations- und Beschwerdemöglichkeiten inder Kinder- und Jugendhilfe".
[10] Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt „UN-Dialog- Beteiligung junger Menschen" wurde im Mai 2013 auf Initiative derNational Coalition, unter Rechtsträgerschaft der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe-AGJ initiiert.
[11] AGJ:Erster Kinder- und Jugendreport zur UN-Berichterstattung. Berlin 2010. S. 42f.
[12] Dr.Eichholz, Reinald (2013): Mehr Rechte für Kinder, aber Erwachsene dürfen nicht aus ihrer Verantwortung für die nachwachsende Generation entlassen werden. In: frühe Kindheit, die ersten sechs Jahre 6/2013; S. 58
[13] Vgl. auch: http://www.kmk.org/bildung-schule/allgemeine-bildung/sekundarstufe-ii-gymnasiale-oberstufe.html (abgerufen am 18.01.2014)
[14] Vgl. auch http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/g8-eltern-lehnen-turbo-abitur-ab-a-854096.html und http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/ndr/2012/turboabitur-100.html (abgerufen am 15.02.2013);
[15] Vgl.Erster Kinder- und Jugendreport S. 41
[16] Ebd. S. 15.
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