
Wie entwickelt sich das Demokratieverständnis bei Kindern?
Inhalt- Einleitung
- Die sichere Bindung als wesentliche Voraussetzung für demokratisches Verständnis
- Partizipation in der Krippe als Vorläufer für das Demokratieverständnis?
- Selbstwirksamkeit als Ziel bei der Erziehung zur Demokratiefähigkeit
- Die mangelnde Entscheidungsfähigkeit kleiner Kinder bei Auswahlmöglichkeiten
- Soziales Verhalten als Vorläufer des Demokratieverständnisses
- Das Regelverstehen als konkreter Vorläufer für das Demokratieverständnis
- Das Demokratieverständnis bei den Fünf- und Sechsjährigen
- Bildungsprogramme zur Demokratiebildung in den Kitas
- Demokratieverständnis bei Grundschulkindern
- Zusammenfassung
- Literatur
Einleitung
Die Krippe wird inzwischen von den pädagogischen Experten als „Kinderstube der Demokratie“ bezeichnet, weil sie dort erleben, wie große und kleine Menschen zusammen ihren Alltag organisieren. Die Organisation des Alltags ist jedoch noch lange nicht im Wahrnehmungsbereich der Kinder, um daraus für das Demokratieverständnis etwas zu lernen. Die Partizipationsangebote laufen ins Leere, weil für die Krippenkinder ein ganz anderes Thema wesentlich ist: sie sind aufgrund ihrer psychischen Verletzlichkeit in den ersten drei Jahren gerade in der Fremdbetreuung vollständig auf das Versorgt- und Geschütztwerden durch die Erwachsenen angewiesen. Ihr Ichbewusstsein ist noch im Aufbau, so dass die Geschehnisse um das Kind herum noch nicht auf die eigene Person bezogen werden können. Ohne voll ausgebildetes Ichbewusstsein kann auch der Sinn von Partizipation als Vorläufer des Demokratieverständnisses nicht erfasst werden.
Um den normalen sozial-kognitiven Entwicklungsprozess zu fördern sind bei der Entwicklung des Demokratieverständnisses besondere Voraussetzungen zu beachten. Diese werden im Folgenden näher erläutert, damit deutlich wird, warum Kinder erst im späteren Grundschulalter den Sinn der Demokratie verstehen.
Die sichere Bindung als wesentliche Voraussetzung für demokratisches Verständnis
Die sichere Bindung und die weitgehende Anwesenheit der Eltern in den ersten zwei bis drei Jahren ist die wichtigste Voraussetzung, um allen emotionalen und kognitiven Fähigkeiten, die in ihrem Ursprung angeboren sind, zur Ausbildung zu verhelfen. Die Krippe kann nicht als Kinderstube der Demokratie gelten, da sie keinen Ersatz für die Eltern-Kind-Bindung bietet und der Bezug zu den Gleichaltrigen noch keinen sozialen Effekt hat. Denn in den ersten beiden Lebensjahren sind die Kinder aufgrund der fehlenden Ich-Andere-Unterscheidung noch ganz auf sich selbst bezogen und reagieren auf andere nur über die Gefühlsansteckung (Bischof-Köhler 1989, Butzmann 2020a, S. 78f.). Erst zum Ende des dritten Lebenjahres kommt es zum bewussten gemeinsamen Spiel, das in den folgenden zwei bis drei Jahren zu sozialen Erkenntnissen führt.
Partizipation in der Krippe als Vorläufer für das Demokratieverständnis?
Die vermeintliche Selbstbestimmung der vorsprachlichen Kinder in der Krippe klappt durch die angeborene hohe Anpassungsbereitschaft und die in den ersten beiden Jahren noch weitgehend unbewusste Nachahmung gleichaltriger und älterer Kinder. Die von den Experten als Partizipation genannten Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf den Platz am Tisch, die selbstständige Essensaufnahme, die Auswahl eines Spiels, die Art des Zähneputzens oder Wickelns, das Anziehen in der Gruppe oder das Aussuchen des Schlafplatzes und der Schlafenszeit (Durand/Birnbacher 2021) laufen fast automatisch ohne dass dem Kind die ‚Selbstbestimmung‘ bewusst wird. Diese setzt voraus, dass das Kind sein Handeln reflektieren und Situationen einschätzen kann. Das ist erst möglich, wenn das Ichbewusstsein zwischen drei und vier Jahren stabil genug ist und dann äußere Vorkommnisse auf die eigene Person bezogen werden können. Bei den Fachkräften kommen solche Handlungen als bewusstes und kompetentes Handeln und als Selbstbestimmung an. Es wird dabei möglicherweise übersehen, wenn das Kind unter Anspannung steht aufgrund seiner hohen Anpassungsleistung, die ihm noch nicht bewusst ist. Zum Beispiel sind viele der Einjährigen noch darauf fixiert, gefüttert zu werden. Wenn das nicht passiert, müssen sie sich anpassen; der Hunger ist ein effektiver Antrieb. Ein so angestoßenes Training zur Selbstbestimmung führt zur äußeren Selbstständigkeit (Butzmann 2021 a). Der Sinn des Tuns kann noch nicht erfasst und die Leistung nicht bewusst der eigenen Person zugeordnet werden. Zu Hause führt das zum Rückfall in die totale Abhängigkeit von den Eltern. Die Kinder sind dort auf die volle Versorgung fixiert, da im positiven Fall kein Anlass zur Anpassung besteht. Insofern ist mit einer derartigen Partizipation weder ein Nutzen für die Selbstständigkeit noch für die ‚Demokratiefähigkeit‘ vorhanden, sondern die ständigen Anpassungsleistungen der Kinder führen möglicherweise zu Dauerstress, der die Entwicklung einschränkt. Die Selbstversorgung beim Essen verlängert darüber hinaus die Essenszeiten. Das kommt den Kleinsten durchaus entgegen, denn das enge Zusammensitzen mit den anderen Kindern und einer Betreuungsperson kann den Kindern, die sich in der Krippe nicht sicher fühlen, ein wenig Sicherheit bieten. Für die anderen Kinder vermindert sich dadurch das entwicklungsfördernde freie Spiel oder die Schlafenszeit.
Selbstwirksamkeit als Ziel bei der Erziehung zur Demokratiefähigkeit
Die durch Partizipation zu erreichende Selbstwirksamkeit kann aus den geschilderten Gründen von den Kleinsten nicht empfunden werden. Zumal die von den Experten genannten verschiedenen Bereiche der Möglichkeiten für Krippenkindern, Selbstwirksamkeit zu erfahren, in den ersten zwei bis drei Jahren weitgehend durch biologische Antriebe gesteuert werden. Solange die Impulskontrolle noch nicht ausgebildet ist, handeln die Kinder nach ihre Impulsen, die in den ersten drei Jahren durch eine starke Ichbezogenheit (Piaget 1999) gesteuert werden. Sie reagieren ansonsten nur auf Anregungen und über die Nachahmung. So kommen die vermeintlich selbstwirksamen Aktionen zustande, der Sinn der Übung erschließt sich den Kindern jedoch noch nicht. Die ersten Anzeichen eines deutlichen Gefühls der Selbstwirksamkeit sind zu erkennen, wenn das Kind in die Phase kommt, alles allein machen zu wollen (Butzmann 2021a). Dieser Wunsch wird mit Vehemenz vertreten und mit Wutanfällen begleitet, wenn das nicht gelingt. Die dabei erlebten starken Gefühle führen zur Speicherung der Erfahrung und hinterlassen bei Erfolg ein positives Empfinden, ohne dass den Kindern dieser Prozess bewusst ist. Sie nehmen nur die guten Gefühle wahr, die sie zum Weitermachen motivieren. Bei Anleitungen zur Parzipation ist eine Auswirkung auf das Gefühl der Selbstwirksamkeit unwahrscheinlich, weil hier solche Gefühle kaum eine Rolle spielen. Lediglich die Herausforderungen beim Freispiel, wenn die Kinder diese selbstständig bewältigen und die dann auch mit starken Gefühlen verbunden sind, haben eine positive Wirkung auf das Selbstempfinden.
Die mangelnde Entscheidungsfähigkeit kleiner Kinder bei Auswahlmöglichkeiten
Die altersgemäße Mitbestimmung ist in der Krippe noch weitreichend fehl am Platz, weil die Kinder bis ins fünfte Lebensjahr hinein Probleme haben, sich zwischen zwei oder mehreren positiven Dingen zu entscheiden. In der Praxis ist täglich zu sehen, wie das abläuft. Entweder wechseln die Kinder zwischen den angebotenen Möglichkeiten hin und her, ohne sich für eine Sache letztendlich entscheiden zu können oder sie entfernen sich, weil ihnen das Prozedere zu viel ist. Durch die besondere Denkstruktur der zwei bis vierjährigen Kinder fallen ihnen Entscheidungen schwer. Sie können verschiedene Dinge nicht gleichzeitig bedenken und wahrnehmen, sondern nur nacheinander (Kegan 1986, S. 126; Butzmann 2011, S. 33). Das führt zum Wechsel von Aussagen ohne dass dies dem Kind bewusst ist. Nur in Fällen, wo die Alternative für das Kind unannehmbar ist, kann es sich gegen das Negative entscheiden. Dann will es einfach etwas nicht. Eine immer wieder angebotene Auswahlmöglichkeit setzt das Kind jedoch unter Druck. Krippenkinder erwarten von den Erwachsenen, dass diese sagen, was ansteht. Ihr Denken verschafft ihnen noch keinen Überblick über Situationen, so dass sie auf die Ansagen der Fachkräfte angewiesen sind.
Soziales Verhalten als Vorläufer des Demokratieverständnisses
Soziales Verhalten als Vorläufer des Demokratieverständnisses lernen Kinder erst bei einer Gruppenbetreuung ab drei Jahre, und zwar in erster Linie durch das Rollenspiel. In der Zeit vorher wird soziales Verhalten wie Trösten und Helfen durch die unbewusste Gefühlsansteckung hervorgerufen und danach verhindert das ichbezogene Denken der Zwei- und Dreijährigen häufig noch empathisches Verhalten (Butzmann 2020 b). Zwischen drei und vier Jahren schlüpfen die Kinder im Spiel in bestimmte Rollen bevor sie begreifen, was soziales Verhalten bedeutet. Um die Spielhandlung aufrecht zu erhalten oder Konflikte aufzufangen, können sie von einer Rolle in die andere wechseln, da die rege Phantasietätigkeit aufgrund des transduktiven Denkens (Butzmann 2021b) solchen Wechsel ermöglicht. Der Rollenwechsel geschieht unabhängig von der noch nicht vorhandenen Fähigkeit zur kognitiven Rollenübernahme, denn zu Beginn des sozialen Rollenspiels kann das Kind nur Schlussfolgerungen über das Verhalten eines anderen ziehen, die seinen eigenen Ansichten entsprechen. Die egozentrischen Bedürfnisse des Kindes stehen beim Spiel noch im Mittelpunkt, die Bedürfnisse des anderen werden jedoch registriert. Der Wunsch zum Weiterspielen führt dann ab vier Jahren zur wechselseitigen Anpassungsbereitschaft. So kann das beiderseitige Bedürfnis, eine dominante Rolle im Spiel zu übernehmen, jeweils akzeptiert und befriedigt werden. Die Aufrechterhaltung des Spiels ist damit gesichert und müheloses soziales Lernen möglich, obwohl die Fähigkeit zur echten Kooperation noch nicht vorhanden ist. Erst im Alter von fünf bis sechs Jahren wird den Kindern soziales Verhalten bewusst. Sie bemühen sich dann um regelkonforme Umgangsweisen.
Erzieherinnen haben im Sinne eines demokratischen Verständnis-Vorlaufs die Aufgabe, den Kindern bei Konflikten zu helfen, wenn diese es selbst nicht schaffen. Dabei darf nicht mit den Kindern geschimpft, sondern dem ‚Täter‘ muss erläutert werden, was sein Handeln beim ‚Opfer‘ bewirkt hat. Danach muss der Fall abgehakt sein, damit das Kind die Chance bekommt, über sein Verhalten nachzudenken. Denn kleine Kinder lernen nicht durch Kritik oder Bestrafung, sondern mit der Erfahrung, durch ihr falsches Verhalten nicht verdammt zu werden. Ein solcher Umgang mit Regelverletzung ist während der ganzen Vorschulzeit nötig, damit der soziale Lernprozess nicht gestört wird. Mit Schulbeginn zeigen die Kinder dann aufgrund des sich weiterentwickelnden sozialen Verstehens zunehmend angemessenes Verhalten. Dafür sorgt bei einer sicheren Eltern-Kind-Bindung die biologisch angelegte Grundmotivation der Kinder, sich richtig zu verhalten. Der Prozesse wird durch von außen einwirkende Lernprogramme zum Demokratieverständnis eher gestört. Partizipation im Alltag fordern die Kinder von sich aus ein, wenn die Atmosphäre stimmig ist, das muss ihnen nicht beigebracht werden.
Das Regelverstehen als konkreter Vorläufer für das Demokratieverständnis
Die Entwicklung des Regelverstehens der Kinder als Vorläufer für demokratisches Handeln muss in der Kita im Blick behalten werden; sowohl bei der Regelfestsetzung als auch bei der Einhaltung der Regeln durch die Kinder unterschiedlichen Alters (Butzmann 2020a, S. 183). Das bedeutet, es darf keine negativen Reaktionen der Erzieherinnen bei Regelverletzungen geben, sondern lediglich der Hinweis auf die bekannte oder neue Regel. Nur dann ergibt sich daraus mit der Zeit ein Verständnis für Prozesse des Zusammenlebens. Da Kinder erst zu Beginn der Grundschule den Sinn der Regeln verstehen, wird sich dann auch die Achtung vor gemeinsamen Beschlüssen entwickelt. Programme dazu in den Kitas dürften oberflächlich bleiben, weil die Kinder den Zusammenhang noch nicht verstehen.
Das Demokratieverständnis bei den Fünf- und Sechsjährigen
Am Verhalten der fünf- bis sechsjährigen Kinder ist zu erkennen, dass Programme zum Demokratielernen in den Kitas nicht viel nutzen. Denn in dem Alter versuchen sie mit Macht über die andern zu bestimmen. In ihrem normalen Entwicklungsprozess sind sie an dem Punkt angelangt, wo sich das Gehirn umbaut und zwischen sechs und sieben Jahren die Schulfähigkeit ermöglicht. Aus dem vorlogischen, transduktiven Denken (Butzmann 2021b), das die Phantasietätigkeit hervorbrachte, entsteht jetzt ein durchgängig logisches Denken. In dieser Übergangsphase sind die Kinder ganz auf sich selbst bezogen, weil sie versuchen, ihre bisher erworbenen Fähigkeiten mit ihrer Person in Zusammenhang zu bringen, um ein Bild von sich selbst zu erhalten. Von diesem Zeitpunkt an kann man erst von Selbstbewusstsein des Kindes sprechen. Das Verständnis für die Bedürfnisse der anderen ist bei den Fünf- bis Sechsjährigen vorübergehend eingeschränkt, weil das eigene Können und Wollen im Mittelpunkt steht. Sie bestimmen über andere oder wollen Anführer sein, weil sie überzeugt sind, es besser zu wissen als die anderen. Im Spiel fangen die Kinder diese Probleme auf, indem sie sich z.B. in der Anführerschaft abwechseln. Mit der Regelung der daraus in den Kita-Gruppen entstehenden Konflikte haben die Erzieherinnen genug zu tun. Die Vermittlung von Respekt vor dem anderen ist hier kaum möglich, weil die Gehirne besonders der Jungen mit etwas ganz anderem beschäftigt sind. Das sollte die Fachkräfte jedoch nicht davon abhalten, diesen Kindern die Sichtweise der anderen nahezubringen.
Bildungsprogramme zur Demokratiebildung in den Kitas
Bildungsprogramme zur Partizipation bleiben oberflächlich, denn Selbstbestimmung muss im Tagesverlauf den Kindern bei normalen Tätigkeiten angeboten werden, um Eingang in ihr Selbstverständnis zu finden. Das bedeutet, alles was sie selbst machen wollen, sollte zugelassen werden; es genügt, wenn die Wünsche nach Beteiligung Beachtung finden. Vorschläge zur Beteiligung bei bestimmten Alltagssituationen müssen konkret auf eine Sache bezogen sein, da sich die bis zu vier/fünfjährigen Kinder auf Grund ihrer besonderen sozial-kognitiven Denkweise noch nicht gut zwischen verschiedenen Sachen entscheiden können, wie das oben näher ausgeführt ist.
Bei den Hochglanzbroschüren zur Demokratiebildung in den Kitas, z.B. von der Amadeo Antonio Stiftung oder dem Nifbe, sind die sehr differenzierten Ausführungen aus der Sicht der Experten geschrieben. Sie sparen dabei jedoch den gesamten sozial-kognitiven Entwicklungsprozess der Kinder mit seinen Besonderheiten (Butzmann 2020a) aus und ignorieren die Erfahrungen aus der Praxis. Es besteht dadurch die Gefahr, sowohl die Kinder als auch die Erzieherinnen zu überfordern. Diese müssten neben dem ständigen Eingehen auf die Befindlichkeit besonders der Kleinsten viel Zeit für das Zulassen der vermeintlichen Selbstbestimmung der Kinder aufbringen, da diese sich nicht einfach für etwas entscheiden können. Das wäre vielleicht erfolgreich bei einer 1:1 Betreuung.
Demokratieverständnis bei Grundschulkindern
In den ersten beiden Jahren der Grundschule sind die Kinder noch sehr auf sich selbst bezogen, um den Anforderungen der Schule gerecht zu werden. Die ersten demokratischen Handlungen befassen sich mit der Wahl des/der KlassensprecherIn. In der weiteren Grundschulzeit kann dann durch Praxisprojekte das Demokratieverständnis der Kinder gefördert werden. Diese anfangs einfachen Projekte wie Gestaltung des Klassenzimmers oder das Betreiben eines Schulgartens fördern das konkrete Miteinanderlernen, das wiederum mit starken Gefühlen verbunden ist und damit Nutzen für das spätere Demokratieverständnis haben. Das Gleiche gilt für die freien Spiele mit Gleichaltrigen, die gerade in diesem Alter demokratische Elemente enthalten. In der dritten und vierten Klasse ist die sozial-kognitive Entwicklung dann so weit fortgeschritten, dass die Bedürfnisse der Gruppe im Denken der Kindern verankert werden (Piaget/Inhelder 1977; Damon 1984, S. 290). Sie sind dann in der Lage, die Sichtweisen mehrerer Personen gleichzeitig zu bedenken. Ab der vierten Klasse macht es auch Sinn, demokratische Lerninhalte zu vermitteln.
Wenn alle reifungsbedingten Fähigkeiten der Kinder sich in den ersten drei Jahren gut entwickeln konnten in einer verständnisvollen Familie und später ergänzend über einen halben Tag in der Kita, dann sind die Grundlagen vorhanden, um sich im Laufe der überwiegend halbtags stattfindenden Grundschule demokratisches Wissen anzueignen. Denn dieses Wissen benötigt weiterhin ausreichende Erfahrungen in der Familie, in Vereinen und im Freundeskreis ohne die einzwängenden Zeitpläne einer Ganztagsbetreuung.
Zusammenfassung
Wie gezeigt werden konnte, sind die Anforderungen der Experten für das Demokratie-Lernen in den Kitas mit den sozial-kognitiven Fähigkeiten der Kinder nicht vereinbar. Das gilt in besonderem Maße für die Krippenkinder, deren Ichbewusstsein erst im Aufbau ist, was ein Lernen aus Partizipationsangeboten unmöglich macht. Ebenso wenig können die geforderten strukturell zu verankernden Beteiliungsformate wie ein Kita-Rat, Kinderkonferenzen, Beschwerdeverfahren und eine Kita-Verfassung (Durand/Birnbacher 2021) das Demokratielernen voranbringen. Die vorlogische, transduktive Denkweise (Piaget 1975, Selman 2006, Butzmann 2011 und 2021) der Kinder bis 5 Jahre lässt einen Umgang mit Gruppenentscheidungen nicht zu. Für die fünf- und sechsjährigen sind Projekte hilfreicher, die das soziale Verstehen des Gegenübers zum Thema haben, besonders für Kinder mit Defiziten im sozialen Verhalten.
Zum Demokratielernen und sozialen Verstehen in der Kita nutzen keine Bildungsprogramme. Die wesentliche Voraussetzung für dieses Lernen ist der wertschätzende Umgang mit den Kindern. Wenn dabei auf die Interessen, Freuden, Bedürfnisse, Nöte, Schmerzen und Kummer der Kinder geachtet wird und die Fortschritte im Lernen und Verhalten benannt werden, entwickeln sich die Grundlagen für späteres demokratisches Denken und Handeln von ganz allein. Dabei darf vor allem in Anbetracht des bedrängenden Bildungsbestreben der Experten das demokratieförderliche Potenzial des freien Spiels nicht vergessen werden.
Literatur
Bischof-Köhler, Doris, 1989. Spiegelbild und Empathie. Die Anfänge der sozialen Kognition. Bern: Huber.
Butzmann, Erika, 2011. Elternkompetenzen stärken. Bausteine für Elternkurse. München: Reinhardt-Verlag.
Butzmann, Erika, 2020a. Sozial-kognitive Entwicklung und Erziehung. Impulse für Psychologie, Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik. Gießen: Psychosozial-Verlag.
Butzmann, Erika, 2020b. Verfügbar unter: https://www.erzieherin.de/empathie-und-soziales-verstehen-in-den-ersten-lebensjahren.html
Butzmann, Erika, 2021a.Verfügbar unter: https://www.erzieherin.de/entwicklung-der-kindlichen-selbststaendigkeit.html
Butzmann, Erika. 2021b. Verfügbar unter: https://www.erzieherin.de/kleine-entwicklungspsychologie-die-helfen-kann-kindergartenkinder-besser-zu-verstehen.html
Damon, William, 1984. Die soziale Welt des Kindes. Frankfurt: Suhrkamp-Verlag.
Durand, Judith und Leonard Birnbacher, 2021. Demokratiebildung in der Kita. DJH-Impulse 1.
Kegan, Jerome. 1986. Die Entwicklungsstufen des Selbst. München: Kindt-Verlag.
Piaget, Jean, 1975. Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kind. Stuttgart: Klett-Cotta.
Piaget, Jean, 1999. Über Pädagogik. Weinheim: Beltz-Verlag.
Piaget, Jean und Bärbel Inhelder, 1977. Die Psychologie des Kindes. Frankfurt: Fischer-Verlag.
Selman, Robert L., 2006. Niveaus der sozialen Perspektiveübernahme. In: Garz, Detlef. Sozialpsychologische Entwicklungstheorien. 3. Auflage, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 144-164.
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