Fachkraft mit Superkraft – Wie Gewaltfreie Kommunikation Führungskräften im Kita-Alltag bei einem wertschätzenden Umgang im Team unterstützen kann
Inhalt- Was ist gewaltfreie Kommunikation?
- Wie sieht gelebte, Gewaltfreie Kommunikation aus?
- Wie können Führungskräfte dieses theoretische Konstrukt anwenden? Beispiele aus der Praxis
- Chancen und Herausforderungen
- Fazit
- Literatur
Wie sieht die Zukunft der Teamarbeit in Kindertageseinrichtungen aus? Ein Plädoyer für den Einsatz der Gewaltfreien Kommunikation in der Kindertagesstätte (KiTa)
Dort, wo Menschen aufeinandertreffen, können Konflikte entstehen. Verschiedene Erfahrungen, Einstellungen und Bedürfnisse erfordern stets Selbstreflexion und gegenseitige Auseinandersetzung. Führungskräfte befinden sich zunehmend in einem Spannungsfeld der Verantwortung, den verschiedenen Akteursgruppen Eltern, Mitarbeiter*innen und Kindern gerecht zu werden. Gewaltfreie Kommunikation (kurz: GfK) kann helfen, ein wertvolles, nicht in Trennung stehendes Miteinander zu fördern und den Alltag in der KiTa nachhaltig zu verbessern.
In den letzten Jahren haben institutionelle frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung einen grundlegenden Wandel erfahren. Gesellschaftliche Großtrends wie Migration, Digitalisierung sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben Einfluss auf die Rahmenbedingungen genommen. Bildungspolitische sowie gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, wie Fachkräftemangel, immer größer werdende Gruppen und nicht zuletzt die Covid 19-Pandemie mit ihren Einschränkungen stellen die KiTa-Leitung vor neue Herausforderungen (vgl. Drexhage & Sauerhering 2022). Die Relevanz von KiTa-Leiter*innen als „Mittelpunkt, Motor, Entwicklerin und Steuerfrau, also Bildungsmanagerin" gerät oft aus dem Blickwinkel (Haderlein 2018 zit. nach Drexhage & Sauerhering 2022). Im März 2020 lag die Zahl der KiTa Leiter*innen Deutschland bei 60.750 (ebd.). Diese Leitungskräfte haben nicht nur eine Schlüsselposition für Qualitätssicherung und Professionalisierung in der frühkindlichen Bildung inne, sondern auch die Aufgabe, Mitarbeiter*innen zu fördern und zu leiten, sowie den Zusammenhalt im Team zu stärken (vgl. Nentwig-Gesemann et al. 2015).
Durch die beschriebenen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen muss sich auch die pädagogische Arbeit mit Kindern, mit Eltern und im Team weiterentwickeln. Zentrale Fragen, die dabei gestellt werden müssen, sind: Was müssen Führungskräfte heutzutage leisten, um eine gehaltvolle Arbeit im Team zu erreichen? Wie kann die Leitung sicherstellen, dass die Arbeit für jeden im Team annehmbar ist? Und wo sind der Führungskraft Grenzen gesetzt? Auf der Suche nach Antworten kann Gewaltfreie Kommunikation eine wertvolle Hilfe sein. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich deshalb mit den Grundlagen der GfK und liefert Denkanstöße durch Hinzuziehung von Beispielen aus der pädagogischen Praxis.
Was ist gewaltfreie Kommunikation?
Die Gewaltfreie Kommunikation ist eine von Marshall Rosenberg (1963) entwickelte Haltung und Methode der zwischenmenschlichen Kommunikation, die darauf abzielt, eine einfühlsame und verständnisvolle Verbindung zu uns selbst und zu anderen aufzubauen. Sie setzt den Fokus auf das Leben in der Gegenwart und zeichnet sich durch einen Zustand der Präsenz und mitfühlender Gelassenheit aus. Das Ziel der GfK ist es, ein Miteinander zu fördern, das durch Mitgefühl, Verbundenheit, Wertschätzung, Spaß und Kooperation geprägt ist. Dies soll erreicht werden, indem gemeinsam Wege gefunden werden, bei denen die Bedürfnisse aller erfüllt werden. Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählen Empathie, Kooperations- und Verbindungsbereitschaft, aber auch Aufrichtigkeit und Selbstverantwortung. (Vgl. Kashtan 2021).
Abbildung 1: Das Modell der Gewaltfreien Kommunikation (Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Belgrave & Lawrie 2006)
Die Abbildung stellt das Modell der GfK in seinen Grundzügen dar. Es werden drei Positionen unterschieden: 1) Die eigene Wahrnehmung und die damit verbundenen Gefühle und Bedürfnisse verstehen (Selbsterklärung), 2) diese den anderen mitteilen (Selbstausdruck), sowie 3) im Dialog die Wahrnehmung, Gefühle und Bedürfnisse der anderen verstehen (Empathie).
Das Vier-Schritte-Modell bietet eine Orientierung dafür, sich selbst aufrichtig auszudrücken und den anderen einfühlend zuzuhören. Darüber hinaus dient es als Formulierungshilfe. Beim ersten Schritt der Wahrnehmung geht es darum, die aktuelle Situation möglichst objektiv und konkret zu beschreiben, ohne dabei versteckte Bewertungen und Interpretationen mit einfließen zu lassen. Im zweiten Schritt werden die mit der Wahrnehmung verbundenen Gefühlebenannt. Auch hier ist es wichtig, den eigenen emotionalen Zustand zu beschreiben, ohne diesen zu bewerten oder zu interpretieren. In diesem Schritt sollen ausschließlich Ich-Botschaften verwendet werden. Der dritte Schritt fragt nach den Bedürfnissen, die hinter den Gefühlen liegen. Diese sind im Sinne der GfK abstrakt und ohne konkreten Bezug zu einer bestimmten Person oder einem bestimmten Verhalten. Im letzten Schritt wird eine Bitte formuliert, die darauf abzielt, das eigene Bedürfnis zu erfüllen, ohne dabei Forderungen zu stellen oder jemanden zu manipulieren. Es werden drei Formen von Bitten unterschieden: Verstanden werden („Was hast du verstanden?“), verstehen wollen („Wie geht es dir damit?“) und Lösungsbitten („Kannst du bitte…?“) (vgl. Rüther 2017; vgl. Kasthan 2021).
Insbesondere die Bedürfnisse spielen innerhalb der GfK eine große Rolle. Es wird angenommen, dass alle Menschen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – die gleichen Bedürfnisse haben und dadurch miteinander verbunden sind. Zu Konflikten kommt es, wenn mindestens zwei Menschen über einen längeren Zeitraum miteinander in Kontakt stehen und zu einem bestimmten Thema unangenehme Gefühle erleben, „weil wichtige Bedürfnisse noch nicht erfüllt werden konnten bzw. (wenigstens scheinbar) nicht miteinander vereinbar sind“ (Rüther 2017). Allerdings wollen Bedürfnisse nicht unbedingt erfüllt, sondern vor allem wahrgenommen werden (vgl. Leitner 2020). Durch die Umsetzung der vier Schritte wird es möglich, auf eine respektvolle und mitfühlende Art und Weise zu kommunizieren und dadurch Beziehungen zu verbessern und Konflikte leichter zu lösen. GfK ist universell einsetzbar und bietet sich insbesondere zur Gewaltprävention und zum Konfliktmanagement sowie in Beratungs- und Mediationssituationen an (vgl. Rüther 2017).
„Die Antwort auf die Frage nach der Ursache von Gewalt liegt in der Art und Weise, wie wir gelernt haben zu denken, zu kommunizieren und mit Macht umzugehen.“ (Rosenberg 2004)
In der GfK wird Gewalt gleichgesetzt mit jedem Versuch, andere Menschen zu bestrafen oder die eigenen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die anderer durchzusetzen. Macht wird grundsätzlich neutral oder positiv angesehen, da sie gestalterische Möglichkeiten bietet. Entscheidend ist allerdings, dass ihr Gebrauch konsequent, angekündigt und verhältnismäßig ist. Im Rahmen der GfK existieren zwei Konzepte eines lebensfördernden Machtgebrauches: 1) Macht mit jemandem im Sinne der Kooperation und Freiwilligkeit, bei der die Bedürfnisse aller Personen als gleichrangig angesehen werden, und 2) ein schützender Einsatz von Macht in Notfallsituationen, der einem dringenden Bedürfnis oder dem Schutz des Gegenübers dient, wie das Festhalten eines Kindes, das auf die Straße rennt (vgl. Rüther 2017).
“Leadership […] is about taking responsibility, in a most personal way, for the well-being and goals of the whole.“ (Kashtan 2020)
Miki Kashtan ist eine der bekanntesten Trainer*innen und Autor*innen, die auf die Verbreitung der GfK spezialisiert sind und die Bedeutung von Authentizität, Einfühlungsvermögen und Vertrauen betont. Sie beschreibt sieben Qualitäten Gewaltfreier Führung (Kashtan 2020):
- Interdependenz
- Unterstützung
- Macht (mit und nicht über)
- Transparenz
- Integration
- Empathie und Liebe
- Bescheidenheit
Insbesondere in Führungspositionen ist es wichtig, die eigenen Werte zu kennen und sich und sein Handeln regelmäßig selbst zu reflektieren. Die persönlichen Stärken und Talente sollten bekannt sein und genutzt werden, allerdings müssen auch die individuellen Grenzen und Limits bewusst sein und eventuell Möglichkeiten der Kompensation gefunden werden. Es ist wichtig, dass Führungskräfte selbstverantwortlich handeln, Entscheidungen abhängig von Werten und Bedürfnissen treffen und die volle Verantwortung für alle Beziehungen übernehmen (vgl. ebd.).
Wie sieht gelebte, Gewaltfreie Kommunikation aus?
Es stellt sich die Frage, wie Führungskräfte die Gewaltfreie Kommunikation in ihren KiTa-Alltag integrieren und dadurch insbesondere die Arbeit innerhalb des Teams verbessern können. Um diese Frage zu beantworten, sprachen wir mit Vera*. Sie ist die Leiterin eines Waldkindergartens in einer süddeutschen Stadt.
Vera erzählte uns, dass es in einer Gruppe ihrer KiTa über Monate hinweg immer wieder Beschwerden über zu wenig Transparenz der pädagogischen Arbeit gab. Da demzufolge unter den Eltern und Erzieher*innen große Unzufriedenheit herrschte, fühlte sie sich in der Verantwortung, das Gespräch mit den betroffenen Kolleg*innen zu suchen. Dabei stellte sich heraus, dass es Unklarheiten bezüglich des Konzeptes („Räume schaffen, Zeit geben, Prozesse mitgestalten”) gibt, insbesondere darin, wie es in Vereinbarungen und Ritualen erlebbar gemacht werden kann. Das Bedürfnis nach Klarheit und Orientierung in Form eines konkreten Konzeptes wurde von der Leitungskraft anerkannt und beantwortet:
„Wenn das gebraucht ist, dann machen wir es!” (Vera 2023)
In dem Gespräch wurde von der Gruppenleitung der betroffenen Gruppe das Bild eines Baumes vorgeschlagen, um den Dialog über das Konzept zu unterstützen. Die geteilten Werte sollen die Wurzeln des Baumes bilden, welche im Stamm zu einer aus diesen Werten resultierenden Haltung zusammenlaufen. Die Krone besteht aus getroffenen Absprachen, Ritualen und dem konkreten Verhalten und verdeutlicht, wie die Werte (er)lebbar gemacht werden. Dieses Bild wurde von Vera aufgegriffen und gemeinsam weiter ausgearbeitet (s. Abb. 2). Um zunächst einen Überblick über die im Team herrschenden Werte zu erhalten, wurden folgende Fragen gestellt:
„In welcher Welt möchtest du leben? Wer möchtest du in dieser Welt sein? Welche Werte möchtest du verkörpern?“ (Vera 2023)
Abbildung 2: „Unterwegs zu einer Gestaltung- und Verantwortungsgemeinschaft“ (Quelle: Vera 2023)
Im Sinne der GfK ist es wichtig, dass das Konzept gemeinsam erarbeitet wird, zur allgemeinen Bedürfniserfüllung beiträgt und für alle authentisch ist. Nachdem die grundlegenden Werte im Team besprochen und festgehalten wurden, kam es zu einer Diskussion über den Unterschied zwischen den Werten und der Haltung als Summe aller Werte. Aus dieser entstand der Vorschlag, den Stamm nicht als Haltung, sondern als Grundprinzip zu betrachten:
„Wir suchen Lösungen und Wege, die für alle annehmbar sind.” (Vera 2023)
Der Baum eignet sich als lebendiges Bild, um das Konzept der Einrichtung zu veranschaulichen. Während die Wurzeln und der Stamm über lange Zeit hinweg stabil und beständig bleiben, gibt es in der Baumkrone stetiges Wachstum und immer wieder neue Veränderungen. Im übertragenen Sinne bleiben auch in der KiTa die Werte und die Grundhaltung als wertvolle Basis der Arbeit bestehen, während die Vereinbarungen, Rituale und das konkrete Handeln auf dieser Grundlage immer wieder neu ausgehandelt, reflektiert und angepasst werden. Das Bild des Baumes steht im Kontrast zum Bild der Ampel, das in vielen ähnlichen Einrichtungen verwendet wird. Die Ampel zeigt auf den ersten Blick, welches Verhalten als „richtig” oder „falsch” bewertet werden kann, lässt darüber hinaus aber keine weiteren Rückschlüsse oder Verbindungen zu. Es entsteht kein Raum für Dialog und die reflektierte Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten, was wiederum die persönliche Freiheit einschränkt. Durch das Aufhängen des Baumes in einem für Fachkräfte, Kinder und Eltern zugänglichen Raum entstehen über die Situation hinaus neue Möglichkeiten, über das Konzept in einen Austausch zu kommen.
Wie können Führungskräfte dieses theoretische Konstrukt anwenden? Beispiele aus der Praxis
Durch den Dialog über die persönlichen und gemeinsamen Werten entsteht lebhafter und produktiver Austausch. Vera berichtet, wie Sinneserfahrungen als elementarer Bestandteil der pädagogischen Praxis bei ihnen im KiTa-Alltag integriert werden. Sie beschreibt das aus der Waldorfpädagogik stammende Ritual des „goldenen Tröpfchen”, welches täglich vor dem Mittagessen durchgeführt wird. Dabei erhält jedes Kind aus einer Muschel ein Dufttröpfchen und kann sich damit die Hände reiben, während gemeinsam ein Lied gesungen wird. Es fiel auf, dass dieses Ritual immer von den gleichen Fachkräften ausgeführt wird, während andere nicht partizipierten. Durch die Haltung und Anwendung der GfK wird die Fachkraft befähigt, in Verbindung mit sich selbst zu treten und sich mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen auseinanderzusetzen. In diesem Beispiel wurde das Bedürfnis nach Authentizität erkannt und geäußert:
„Das Ritual ist mir zu esoterisch, wenn ich es mache, ist es nicht authentisch!” (Mitarbeiter*in von Vera 2023)
Abbildung 3: Darstellung gelebter GfK in der Waldkita (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Vera 2023)
In der Auseinandersetzung im Team stellte sich heraus, dass nicht jede Fachkraft dieses Ritual für sich als authentisch empfindet, sich bisher aber nicht getraut hat, dies zu artikulieren. Gleichzeitig merkten sie, dass es kein Problem ist, wenn andere Kolleg*innen das Ritual durchführen, da sie es grundsätzlich verantworten können. Durch den offenen Austausch konnte eine sofortige, für alle annehmbare Lösung gefunden werden (vgl. Abb. 3). Nur die Fachkräfte, für die sich das Ritual authentisch anfühlt, führen es durch. Auf diese Weise können die Stärken der Einzelnen gefördert und Vielfalt im Team unterstützt werden. Dies kommt auch den Kindern zugute, da sie sich entsprechend ihrer Bedürfnisse an die Fachkräfte wenden können, die diese erfüllen. Die Akzeptanz der Bedürfnisse anderer ist ein wesentlicher Bestandteil der GfK. Authentizität gegenüber dem eigenen Befinden wird bestimmt durch den Raum, den sich das Individuum selbst gibt (vgl. Leitner 2020).
Im Rückschluss auf das oben beschriebene Bild des Baumes (vgl. Abb. 2) wurde deutlich, dass die grundlegenden Werte (wie Authentizität) zwar vom gesamten Team geteilt werden, aber unterschiedlich ausgelebt und interpretiert werden können. Sich selbst authentisch mitzuteilen, bietet dabei eine enorme Chance für Begegnungen im Team. Gleichzeitig muss aber auch verstanden werden, dass das, was man fühlt, subjektiv und nicht die absolute Wahrheit ist. Dadurch wird es einfacher, Verantwortung für sich und seine Gefühle zu übernehmen (vgl. Leitner 2020).
„Es müssen sich nicht alle gleich verhalten, aber es muss für alle tragbar sein! [...] Das Prinzip ist, wenn ich etwas hier erlebe, das nicht annehmbar oder nachvollziehbar ist, gehe ich in Beziehung zu mir und trete in den Dialog.“ (Vera 2023)
Während Vielfalt im Team bewusst gefördert werden soll, müssen die Handlungen der Kolleg*innen nachvollziehbar und auch gegebenenfalls vor Eltern erklärbar sein: „Ich kann jedes Verhalten von dir vertreten, das heißt nicht, ich mache es gleich, aber ich kann erklären, dass wenn jemand (Eltern) fragen, warum diese Person das so macht, dass es ihr besonders wichtig ist, weil…” (Vera 2023). Andernfalls sieht sich die Leitung vor erhebliche Probleme gestellt und die Annahme, dass die Einrichtung kein einheitliches Konzept verfolgt, liegt nah.
Eine weitere Situation, die Vera beschreibt, fand in Bezug auf den Wert Achtsamkeit statt. Das Team reflektierte über die Bedeutung des achtsamen Umgangs mit Tieren und Pflanzen und es kam die konkrete Frage auf, wann Pflanzen gepflückt werden dürfen. Vera bat die Fachkräfte, initiativ Lösungsvorschläge zu machen. Im Dialog wurde schließlich als gemeinsame Basis erarbeitet, dass Pflanzen nur gepflückt werden dürfen, wenn es sehr viele gibt und sich alle daran erfreuen können. Der Wert der Achtsamkeit wird dementsprechend nicht dadurch gelebt, dass sich alle gleich verhalten, sondern dadurch, dass es Grundvereinbarungen gibt (vgl. Abb. 2). Achtsames Verhalten darf nicht engmaschig verstanden werden, sondern muss im Alltag immer wieder neu reflektiert werden. Durch das Lernen am Vorbild lernen auch die Kinder, dass sie eine gewisse Eigenverantwortung innehaben, nämlich dass die Pflanzen leben und respektiert werden sollen und dass nicht jedes Bedürfnis, wie das Pflücken von Blumen, unmittelbar gestillt werden kann.
Nicht nur innerhalb des Teams kommt es zu Konflikten mit (scheinbar) widersprüchlichen Werten und Bedürfnissen. Vera nennt auch ein Beispiel, bei dem Eltern den konkreten Wunsch nach mehr Smalltalk mit Fachkräften äußerten. Da sich dies allerdings nicht für alle Fachkräfte authentisch anfühlte, wurde sich darauf geeinigt, nur Smalltalk mit den Eltern der Bezugskinder zu führen. Nach intensiver Auseinandersetzung wurde der Leitung klar, dass Fachkräfte und Eltern das gleiche Bedürfnis nach Verbundenheit haben. Der von den Eltern eingeforderte Smalltalk ist dabei nur der Ausdruck davon. Durch den Kompromiss kann das gemeinsame Bedürfnis in Übereinstimmung mit den individuellen Werten erfüllt werden, ohne dass feste Vorschriften erforderlich werden. Vera betont die hohe Relevanz von Selbstverantwortung und Dialog (vgl. Abb. 3). Trotz ihrer Leitungsrolle widerstrebt es ihr, Dinge einfach vorzugeben und wichtige Entscheidungen werden stets im Team besprochen. Dies entspricht einem lebensförderlichen Machteinsatz im Sinne der GfK.
Chancen und Herausforderungen
Bestehende Hierarchien und Machtverhältnisse sind unumgänglich im KiTa-Alltag. Entscheidungsprozesse, Organisation und auch die Schnittstelle Fachkräfte, Eltern und Kinder liegen in der Verantwortung der Leitungskraft. Das geführte Interview zeigt, dass die Grundhaltung und Strategien der GfK dabei helfen, ein wertschätzendes Umfeld zu schaffen, in dem Bedürfnisse wahrgenommen und geäußert werden. Gegenseitige Abhängigkeiten, aber auch die Verbundenheit, können erkannt werden und so mehr und mehr Wertschätzung der Leitung gegenüber Fachkräften und vice versa gefördert werden (vgl. Orth 2021).
In Veras KiTa werden Entscheidungen möglichst gemeinsam getroffen und sollen für alle vertretbar sein. Dies fördert ein selbstreflektiertes und eigenverantwortliches Handeln, das nicht nur aus einem Muss-Gedanken gegenüber der Leitung motiviert ist (vgl. Vera 2023). So kann auch das professionelle Auftreten der Fachkraft unter Einsatz von GfK gestärkt werden (vgl. Leitner 2020).
Eine besondere Herausforderung der Leitung liegt in dem ständigen Austarieren von persönlichen und individuellen Nöten. Die größten Ressourcen, um dieser Herausforderung gerecht zu werden, liegen in der Selbstempathie und der Selbstreflexion, da diese helfen, die eigene Person sowie die persönlichen Auslöser besser kennenzulernen. Durch die Haltung und Anwendung der GfK werden Selbstverantwortung und -empathie gefördert (vgl. Vera 2023). Da dieser Lernprozess nicht früh genug beginnen kann, ist es wichtig, dass Kindern diese Werte bereits von klein an vorgelebt werden.
Kritisch erwähnt werden muss, dass nicht jedes Bedürfnis unmittelbar erfüllbar ist. Daher ist es wichtig zu lernen, mit Frustration umzugehen und mit unbefriedigten Bedürfnissen in Frieden zu leben (vgl. Vera 2023). Innerer Frieden kann so erlangt werden, denn „der Erste, der von Gewaltfreiheit profitiert, ist der, der es anwendet” (Ghandi 1983 zit. n. Vera 2023).
GfK muss als Prozess, der stetig im Wandel ist, verstanden werden, wobei die Bereitschaft zur Auseinandersetzung den Ausgangspunkt bildet. Bei der Gewaltfreien Kommunikation handelt es sich um ein einfaches Modell, das sich aufgrund unserer gesellschaftlichen Prägung allerdings nur schwer erlernen lässt. Es ist daher wichtig zu betonen, dass dieser Prozess Zeit braucht. Gewissermaßen kann die GfK als Fremdsprache angesehen werden, die immer wieder wiederholt und geübt werden muss. Praktische Anregungen hierzu sind es, Gespräche aus dem Alltag oder den Medien in die Sprache der GfK zu „übersetzen“ und im Alltag immer mal wieder innezuhalten und sich zu fragen (Rüther 2017):
- Was nehme ich wahr?
- Was fühle ich jetzt?
- Was brauche ich jetzt?
- Wie setze ich dieses Bedürfnis um?
Fazit
Der Alltag in Kindertageseinrichtungen steckt voller Herausforderungen, bietet aber auch viele Möglichkeiten. Konflikte treten in der KiTa häufig auf, deshalb ist es wichtig, dass Führungskräfte in der Lage sind, für alle annehmbare Lösungen zu finden. Gewaltfreie Kommunikation bietet ein effektives Werkzeug zur Konfliktlösung, das auf Verständnis, Zusammenarbeit und dem Ziel der Bedürfniserfüllung aller Beteiligten basiert. Sie leistet einen Beitrag, um das Hier und Jetzt zu genießen. GfK fördert die Verbindung von Herz zu Herz, in der das Geben und Nehmen von Menschen im Fluss ist (vgl. Leitner 2020).
Mit Hilfe der GfK entsteht ein durch Verbundenheit, Empathie und Wertschätzung geprägtes Einrichtungsklima, in dem Gefühle und Bedürfnisse wahrgenommen und Konflikte annehmbar gelöst werden können. Dialogverstärkung regt Menschen dazu an, ihre Bedürfnisse zu spüren und diese gewaltfrei zu kommunizieren. Dadurch wird ein achtsamer Umgang miteinander gefördert und auch die Einsicht, dass alle Bedürfnisse zählen (mattering). In der Arbeit im Team bietet gewaltfreie Kommunikation die Möglichkeit, etwas einzubringen, sobald es wahrgenommen wird. So kann ein vertrauensvolles Miteinander innerhalb des Teams geschaffen werden, was für Führungskräfte eine der größten Belohnungen ihrer Arbeit darstellt. Außerdem muss das gesamte Team die geltenden Werte und vollzogenen Handlungen vertreten können.
Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation trifft den Nerv unserer zeitgenössischen Gesellschaft und kann nicht nur in der KiTa von Vorteil sein. Ein geschärftes Bewusstsein der GfK wirkt positiv auf unser gesamtgesellschaftliches Miteinander. Es kann einen Beitrag für ein wertschätzendes Miteinander in persönlichen sowie gesellschaftlichen Beziehungen leisten und spiegelt auch die Voraussetzungen unseres demokratischen Lebens wieder. GfK bietet somit die Möglichkeit, zu gesellschaftlicher Veränderung beizutragen (vgl. Orth 2021). Wer sich auf den Weg der Gewaltfreiheit begibt, wird Teil einer Gestaltungs- und Verantwortungsgemeinschaft, von der alle Beteiligten sowohl direkt als auch indirekt profitieren. Dieser Weg kann nicht früh genug beginnen.
Literatur
* Name auf Grunde der Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung geändert.