
Wie können Erzieherinnen auf ihre Art erfolgreich streiken? Teil 1
Wirklich lange haben wir auf angemessene Arbeitsbedingungen und bessere Betreuungsbedingungen für die Kinder gewartet. Wie viele Jahre davon mit Vertrauen, Geduld und Illusionen? Die Erschöpfung vieler Fachkräfte war schon vor Corona ein nicht zu leugnendes Problem. Durch Corona wurde sie zum Riesenproblem. Würde unsere Gesellschaft es ernst nehmen und uns von der Überbeanspruchung erlösen wollen, müssten viele Leistungen der Kitas und Schulen sowie Rechtsansprüche auf Betreuung verbindlich verkürzt, eingeschränkt und eventuell sogar abgeschafft werden. - Ein Gedanke, der angesichts eines chronischen Erziehermangels schlicht normal und dennoch tabu ist.
„Kitas am Limit“ heißt es sowohl beim Fachkräfteverband in NRW als auch bei verdi. Dass innerhalb von kurzer Zeit in vielen Bundesländern Verbände eigens für die Fachkräfte aus den Kitas gegründet wurden, zeigt wie sehr Erzieherinnen das Kindeswohl und die eigene Gesundheit durch Reglementierungen und einen traditionell unzureichenden Personalschlüssel im Elementarbereich bedroht sehen.
In einer Umfrage unter der größten Erziehercommunity im Netz - #Kitahelden - hat Andreas Ebenhöh die Frage gestellt, ob ErzieherInnen in Kitas lieber eine Gehaltserhöhung von 500 Euro hätten oder ob sie auf das Geld verzichten würden, wenn es stattdessen erheblich bessere Betreuungsbedingungen geben würde. Konkret benannt wurde eine Absenkung der Gruppenstärke auf lediglich sieben Kinder in der Krippe und fünfzehn Kinder in der Regelgruppe. - Also wahrlich keine unverschämten Forderungen, wenn man das Kindeswohl in der Praxis ernst nehmen und Eltern nichts vorgaukeln will. Über 80 Prozent der mehr als 1.500 Teilnehmenden an der Umfrage haben sich für bessere Betreuungsbedingungen ausgesprochen und bekundet, dass ihnen Geld weniger wichtig ist. Ob auch Eltern mehrheitlich bereit wären, freiwillig Kitagebühren zu zahlen, damit es ihren Kindern und auch uns in den Kitas besser geht? - Obwohl Erwerbslose und Geringverdiener von den Kitagebühren befreit sind, setzen Politiker sich gern für die Abschaffung der Gebühren für Eltern - unabhängig von deren Einkommen(!) ein. Zum Beispiel im Wahlkampf...
Auch Gewerkschaftssekretäre und die Gewerkschaftsspitze wissen, dass es vielen Erzieherinnen im Zuge der Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst nur in zweiter Linie um die finanziellen Vorteile durch eine Veränderung der Stufen und Stufenlaufzeiten geht. „Mehr Geld – mehr Verantwortung – noch mehr Kinder“ fürchten Mitglieder und Nichtmitglieder. Alle wissen, dass jede Überbelegung einer Gruppe Nachteile beschert. Werden traumatisierte Flüchtlingskinder aufgenommen, müssten eigentlich anstandslos Gruppen verkleinert werden. Denn natürlich brauchen wir Zeit, um auf möglicherweise psychisch besonders belastete Kinder und ihre eventuell noch erheblich stärker traumatisierten Mütter oder Väter einzugehen! Darüber hinaus aber ist es wichtig, dass wir im Gruppenalltag Kinder mit akuten Problemen über neu hinzukommende Aufgaben nicht vernachlässigen.
Erinnern wir uns an 2009!
Es ging um einen Gesundheitstarifvertrag und um mehr Geld.
- https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++5e1bd74c-1a15-11de-4877-0019b9e321e1https://www.welt.de/politik/article3976451/Von-der-Leyen-setzt-sich-fuer-Erzieherinnen-ein.html https://www.wz.de/nrw/krefeld/verdi-kita-mitarbeiter-endlich-anerkannt_aid-31316547
- https://taz.de/Streit-der-Woche/!5160386/
- https://www.rf-news.de/2009/kw25/gruppe-voll-windel-voll-nase-voll
Unter den Erzieherinnen herrschte Aufbruchstimmung. Die Medien berichteten auf höchst unterschiedliche Weise über „den Streik der Erzieherinnen“. Ein Redakteur des WDR sprach gar davon, dass die streikenden Erzieherinnen „in der sozialen Hängematte schaukeln würden.“ Es gab viel Neid auf unsere sicheren Arbeitsplätze. Und dennoch wollen weiterhin zu wenig Menschen den Erzieherberuf selbst erlernen und ausüben. Das – und vieles mehr ernüchtert. Anfangs waren viele Eltern auf unserer Seite, später nicht mehr.
BerufsanfängerInnen kennen es mittlerweile, dass die Berufsgruppe immer wieder streikt und auf ihre Anliegen aufmerksam macht. Früher war das nicht selbstverständlich. Erzieherinnen ließen sich allzu oft von Vertretern der Stadt von einer Teilnahme am Streik abbringen. Bald nach dem Besuch eines Gewerkschafters kamen Schlipsträger und haben ihnen erklärt, wie wichtig ihre Arbeit für die Eltern und die Kinder sei. - Für ver.di war es wirklich nicht leicht, Erzieherinnen auf die Straße zu bringen. Heute dagegen sind Teams in ländlichen Kitas schon mal sauer, weil sie von ihrer Gewerkschaft immer noch nicht zum Streik aufgefordert wurden.
Der bundesweit erste flächendeckende Streik des Sozial- und Erziehungsdienstes, im Volksmund „Der Streik der Erzieherinnen!“ war etwas Besonderes. Erzieherinnen staunten, wozu die eigenen Berufsgruppe fähig war. Erzieherinnen in konfessionellen Kitas bedauerten es, dass sie nur außerhalb ihrer Arbeitszeit am Streik teilnehmen durften. Und dennoch trauten sich vereinzelt katholische und evangelische Erzieherinnen dennoch „richtig zu streiken“, ungeachtet der Sonderrechte der Kirchen (Quelle).
Die besonders bekannte Fachzeitschrift „Kindergarten heute“ berichtete … nicht. Andere Fachzeitschriften ebenfalls... nicht. Die feministische EMMA? - Dito. Es gab auch nach einem Jahr keine Anthologie mit Texten von ErzieherInnen zum Streik und was danach geschah.
Die Initiatorin des forcierten Betreuungsplatzausbaus
Ursula von der Leyen hat am 15.6.2009 (Quelle) anlässlich der ver.di-Hauptkundgebung auf dem Kölner Heumarkt die streikenden Fachkräfte des Sozial- und Erziehungsdienstes gekonnt beruhigt und beschwichtigt. „Ihre Forderungen sind berechtigt! Ich stehe hinter Ihnen!“ Mantraartig waren diese Sätze immer wieder zu hören. Leider finde ich im Netz kein Video mehr, um es zu verlinken. Später kam der Kabarettist Wilfried Schmickler auf die Rednertribüne. Mit seiner ausdrucksstarken Stimme spie er seine Kommentare zu den „von der Leyens“ mit derart viel Verachtung aus, dass wohl einige Erzieherinnen ein mulmiges Gefühl bekamen. Unsere Bundesfamilienministerin, die so schöne Worte gesprochen hat, wäre vielleicht besser länger ausgepfiffen worden. Ver.di hatte nahezu alle Streikenden mit Trillerpfeifen ausgestattet. Erinnere ich mich an den ohrenbetäubenden Lärm und die Gelassenheit von der Leyens, frage ich mich, ob nicht Stille und ein massenweises während der Rede anhaltendes Kopfschütteln irritierender für die Ministerin gewesen wäre. „Die hat uns doch den ganzen Ärger eingebrockt,“ meinte eine Sozialpädagogin als wir den Weg zum Heumarkt antraten. Und als sie mitbekam, wie lärmempfindlich ich bin, empfahl sie mir fix in der Apotheke Ohrstöpsel zu kaufen. - Ein guter Rat für Großdemos! Denkt aber daheim schon dran. Mit Glück habe ich in der zweiten Apotheke noch das letzte Paar erwischt.
„Zukunftsgestalterin fordert Anerkennung“
Der Spruch stand auf vielen roten ver.di-Shirts. Mir behagte dieses uniformierte, ungewohnt forsch klingende Betteln um Anerkennung nicht. Merken die Erzieherinnen denn nicht, dass sie immer dann besonders „anerkannt“ oder „wertgeschätzt“ werden, wenn sie mehr machen, als sie eigentlich müssten? Wenn sie eine Woche mit den Kindern des Elterninitiativkindergartens Ferien auf dem Bauernhof machen. Ohne die Eltern der Kinder. Oder gute Miene machen und nichts sagen, wenn freitags bestimmte Kinder wieder besonders spät abgeholt werden. Erzieherinnen, die am liebsten immer „die Eltern mit ins Boot holen wollen“ sind meiner persönlichen Erfahrungen nach eher die Bremsen, wenn es um grundlegende Verbesserungen geht. Eltern können bereitwillig ein Klettergerüst aufbauen oder für einen neuen Anstrich sorgen – aber sie verstehen es besser als wir, ihre Ansprüche ganz konkret zu benennen.
Über Erzieherinnen und „unsere Eltern“
Während viele Erzieherinnen noch ausgiebig vom guten Verhältnis und der Unterstützung durch „unsere Eltern“ geschwärmt haben, gründeten Eltern in Köln bereits „Elternstreik.de“ - gegen den Streik der ErzieherInnen. Kölner Mütter und Väter sprachen Journalisten ins Mikrophon, dass ihre Kinder wegen der Kitaschließungen zu Bettnässern geworden wären. - Von den Erzieherinnen der Kinder erfuhr ich, dass man diese in der Kita noch nie ohne Windel gesehen hätte. Andere Eltern bekundeten im Netz und auf der Straße, dass sie den streikenden Erzieherinnen am liebsten die volle Windel ihres Kindes ins Gesicht klatschen würden.
Der Unfrieden und die Angst davor, im August während eines noch andauernden Streiks Kleinkinder eingewöhnen zu müssen, wurde von vielen Erzieherinnen als belastend und unzumutbar für die Kinder empfunden. Auf den Demos las man Plakate die sich an die Verhandlungsparteien richteten: „Macht weiter! Wir wollen zu den Kindern!“
Nachdem die Kräfte des Sozial- und Erziehungsdienstes lange gestreikt haben
Immerhin erreicht wurde mit dem Tarifabschluss eine späte Rücknahme jener gravierenden Verschlechterungen des Gehalts, die Gewerkschafter zugelassen haben, als 2005 der BAT abgeschafft und durch den TVöD ersetzt wurde. ErzieherInnen und andere Fachkräfte mit Altverträgen erhielten am Ende allenfalls ein unbedeutendes bisschen mehr Geld. Erstaunt haben sich viele gefragt, warum ihre Berufsgruppe eigentlich als geldgierig und unverschämt beschimpft wurde. Die taz publizierte am 28.07.09 einen lesenswerten Artikel mit der Überschrift „Nur ein Löffelchen mehr für die Erzieherinnen“.
Daher: Bitte tretet in die Kitafachverbände ein, engagiert euch und knickt nicht vorzeitig ein, wenn es um eure Interessen geht!
Fortsetzung folgt
* Anmerkung: Die Autorin hat bewusst auf das Gendern verzichtet, da der Beruf immer noch überwiegend von Frauen ausgeübt wird.
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